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(1898) 01
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Keber Land und Meer.

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Nein! Keine Warnung stand für dieses Völkchen auf seinen Lavaströmen geschrieben; es lachte nur, wenn unterirdische Mächte warnende Stimmen er­hoben, und es tanzte beim Schwirren des Tamburins die Tarantella, wenn über dem schönsten aller Meere der Vesuv sein glühendes Gorgonenhaupt schüttelte.

Dann kam ein Hochsommer­tag, den vergesse ich nie!

Ich befand mich auf einem Schiffe, das von Neapel nach Jschia fuhr. Niemals glaubte ich den Golf so zauberisch schön gesehen zu haben. Und ich mußte mich besinnen, was für eine Fracht es war, die auf einem zweiten Schiffe hinter uns drein zog nach Jschia hinüber: ein großes Fahrzeug voll langer, schmaler, weißer Kasten. Und jeder Kasten ein Sarg! Hochans gehäuft Särge, Särge! Und alle hinüber nach Jschia!

Ein Todesschweigen aus unserm Schiffe, welches vor jener Barke her durch das glanz­volle Meer zog. Die Passagiere eine einzige Trauergemeinde, die zu einem Begräbnis ging.

Jschia entsteigt den Wellen, schön und glückselig wie das Lächeln einer Gottheit. Plötzlich ein Aufschrei, schrill und gellend!

Ein Name wird gerufen mit ausbrechendem Jammer und Verzweiflung.

Casamicciola!

Wir zeigen es uns einander.

Dort liegt es, dort! Es ruht zwischen seinen Gärten und Weingefilden, eingehüllt in Blü­ten und Sommerpracht. Kein Baum scheint gebrochen, kein Zweig geknickt. Und doch war Casamicciola die Stätte schauer­licher Vernichtung, war es ein Kirchhof, ein einziges großes, gräßliches Grab, wohin wir mit

unfern Särgen zogen, die Toten zu bestatten, Hunderte von Toten! Erdbeben!

Erdbeben an einem wonnigen Sommerabend, gerade zur Zeit, wo die Insel von der goldigen Flut der Ginsterblüte überschwemmt wurde, wo die Myrten Ischias Schönheit wie mit einem bräutlichen Schleier um­woben, der Oleander am Gestade seine rosigen Zweige über der azurblauen Woge breitete und die Granate ihre brennendroten Kelche erschloß. Erd­beben, wo die Villen und Gasthöse Casamicciolas von Fremden wimmelten, die das gesegnete Geld über die Insel ausstreuten; Erdbeben, während man nach der Glut des Tages ausruhte, das junge Volk unter den Reben­lauben verliebte Rispetti sang und die Jungfrauen von Forio in den Säulenhallen und auf den Höfen die Tarantella tanzten.

Ich sah das Schlachtfeld von Sedan; aber das Grabgefilde von Casamicciola war schrecklicher.

Das ganze Eiland durchwanderte ich Gräber überall. Den Epomeo erstieg ich: der erste, der nach der Katastrophe hinaus kam. Der Ein­siedler war geflohen und der schöne Felsengipsel ans diesem Kirchhof von Jschia wie eine düstere Grab­pyramide, aus der geschrieben stand: Nemsnto niori!

Als ich danach die unglückselige Insel wiedersah, war's ein grauer Herbst­tag und das Fest Allerseelen. Aus den Schutthügeln, die die Gräber bildeten, hatten die Ueberlebenden die letzten Blumen des Jahres gestreut und Kerzen angezündet. Abends vom Meere aus gesehen, schien Casamicciola eine lustige

Illumination zu haben. Aber statt des bacchischen Lärms der Tamburine klagte ein heiseres Totenglöcklein, und statt ver­liebter Gesänge tönte das feier­licheOrn xro nollis" zu mir herüber.

So nahm ich Abschied von Jschia.

Im Apennin.

Droben deutscher Tannen Grüßen, Deutsches Heimweh in der Brust.

L. v. Zeybold.