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Weber ^and und Meer.
Die Renaissance.
(Siehe die Abbildung Seite 9.)
6^)er Aufschwung der italienischen Plastik zu ihrer gegen- cV wattigen Blüte datiert etwa ein Menschenalter zurück. Während der ganzen ersten Hälfte dieses Jahrhunderts war sie nur ein schwaches Echo der Canovaschen Schönheitsphrasen oder der Thorwaldsenschen Jdealbildnerei gewesen, die ihrerseits nur eine künstliche, mehr äußerliche als ans innerer Begeisterung erwachsene Wiederbelebung der römischen Antike war. Erst Anfangs der fünfziger Jahre rissen sich die italienischen Bildhauer nach und nach ans dieser öden Versumpfung heraus, indem sie einerseits nach größerer geistiger Vertiefung strebten, andrerseits engeren Anschluß an das Leben suchten. Die Freude an der Wiedergabe des modernen Lebens wurde aber bald mächtiger als das Streben nach geistigem Ausdruck, und da erstere noch durch eine glänzende Technik gehoben wurde, erwuchs in Italien eine moderne Genreplastik, deren Erzeugnisse ans der Wiener Weltausstellung von 1873 geradezu wie eine neue Offenbarung wirkten und noch süni Jahre später, ans der Pariser Weltausstellung, einen starken Reiz ansübten. Dann wurde die spielende Eleganz, die diese liebenswürdigen, wenn auch geistig leeren Schöpfungen beherrschte, durch ein eifriges Natnrstndinm strenger und herber gestaltet, und neben dem Marmor trat der Bronzegnß immer mehr in den Vordergrund. Die großen und kleinen Städte des geeinigten Italien wetteiferten miteinander, den Volkshelden ihrer Einignngskämpfe, vor allem dem König Viktor Emannel, Garibaldi und Cavonr, Denkmäler zu errichten. Wer einmal eine Rundreise durch Italien gemacht hat, der kennt diese oft seltsamen und phantastischen, aber fast immer originellen und kühnen Verbindungen von Bronzegnß und Steinbildnerei, die den höchsten idealistischen Schwung mit der strengen Realität des Lebens zu verschmelzen suchen.
Ein Vertreter dieser Richtung in der modernen italienischen Plastik ist auch Ettore .Mmenes, der Schöpfer des Bildwerkes, das uns eine geistvoll erfundene und mit vollendeter Anmut dnrchgeführte Verkörperung der Renaissance vor Angen führt. Trotz seines spanisch klingenden Namens ist Mmenes ein Italiener. Im Jahre 1855 in Palermo
Studien und ging dann nach Neapel, wo er sich besonders bei dem Akademieprofessor Tomenico Morelli im Zeichnen vervollkommnete. Schon 1873 stellte er in Wien eine Gruppe „Arbeit ohne Genie" ans, und im folgenden Jahre errang er in Palermo ein von der Regierung ansgesetztes
reisen , sondern zu ernster Arbeit verwendete" Er ließ sich in Florenz nieder, gründete sich dort ein Atelier, und schon 1877 erschien als die erste reife Frucht seines Talents die Figur eines kleinen Akrobaten, der sich ans einer rollenden Kugel im Gleichgewicht erhält. Das war indessen nur ein technisches Kunststück: aber zu gleicher Zeit stellte er die Gruppe eines Christus mit der Ehebrecherin ans, und wenig später entstand die unter dem Namen „Das Herz des -Königs" in Italien populär gewordene Gruppe, die den König Viktor Emannel mit einem kleinen barfüßigen Knaben ans den Knieen darstellt, der mit stolzer Gebärde ein ihm vom König angebotenes Geldstück znrückweist. Diese Darstellung, die einen wirklichen Vorgang wiedergiebt, trug dem Künstler die Ehre des Besuchs des Königs Hnmbert ein
Auch die späteren Schöpfungen des Künstlers zeigen einen Wechsel zwischen ernsten Arbeiten und leichter Ware. Wir finden einen populären Volkshelden von 1849, den .Mmenes in dem Augenblick darstellte, wie er, einen Sohn an der Hand, furchtlos, ohne Binde vor den Angen, dem Tod durch Erschießen ins Angesicht sieht, dann aber auch eine Figur der berüchtigten Nana ans Zolas Roman, einen unter den Dolchen seiner Mörder znsammengesunkenen Eäsar, den „Wunderbaren Fischzng" eines Fischers, der ein junges Mädchen im Badekostüm in den Armen trägt, und die humorvolle, mit vollen Händen ans dem Leben heransgeholte Gruppe von elf aneinandergereihten Chorschülern, meisterhaften Typen des Gassenjnngentnms. Dev Erfolg dieser Arbeiten war, daß dem Künstler die Leitung der königlichen Kunstakademie in Urbino übertragen wurde, und von hieraus errang er auch seinen ersten großen Sieg ans dem Gebiete der monumentalen Plastik, indem ihm ans Grund einer Konkurrenz die Ausführung des Garibaldi-Denkmals für Mailand übertragen wurde, das, 1886 enthüllt, ans der Reiterstatne des Generals mit zwei heroischen, zn mächtigem Pathos gesteigerten, die Revolution und die Freiheit verkörpernden Frnuengestalten an den Langseiten des hohen Postaments besteht.
In scharfem Gegensatz zn diesen Heroinen steht die liebreizende Gestalt der „Renaissance", der zn neuem Leben erwachten Kunst, die im vollen Bewußtsein ihrer siegreichen Anmut, in fast schwebender Haltung an einem altarähnlichen Steinwürfel lehnend, mit Stolz die Lilie emporhebt, die ihrer Hand entsprossen ist. Das rohe Bildwerk, die Ornamentik und das wuchernde Kraut an der Vorderseite ihres Sitzes deuten ans die barbarische Kunst des Mittelalters, deren Dunkel die ausgehende Sonne der Renaissance durchbrochen hat- Adolf Nosenberg.
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Humoristische Erzählung
KirrcL Gckberrg. i.
s war zur Zeit der saltenlosen Prinzeßkleider, als Musikdirektor R. in Breslau, nach Ablauf einer Familientraner, während des Mai und Juni allwöchentlich einmal seine Bekannten bei sich sah. Man konnte erscheinen, wann und wie man wollte, man musizierte, plauderte und aß, wenn man von den fliegenden Schüsseln, die fortwährend herumgereicht wurden, etwas erwischte.
Ein bunter Kreis! Oper, Universität und Negierung waren stark vertreten. Im bunten Durcheinander blitzten sogar Uniformen. Auch Menschen, die nur von ihren Renten lebten, wie Herr Erich Bolle zum Beispiel, und junge Künstlerinnen, die ^ am Beginn ihrer Laufbahn standen, wie zum Beispiel ich, fehlten nicht. Geburtsschein und Erziehungs- Visum brauchte niemand vorzuzeigen. Und das war für viele sehr günstig. Dort war es, wo ich den Tenoristen Mecerino glänzen sah.
Man weiß ja, wie ein Tenor, besonders einer ^ von: Theater, verzogen, verwöhnt und angehimmelt ^ wird, wenn er ein modnlationssähiges hohes C, eil! Paar modnlationsfähiger Augen und eine tüchtige Portion weltschmerzlicher Blasiertheit, die natürlich nicht echt sein darf, answeisen kann.
Mecerino wurde verhimmelt von Mädchen und ! Frauen, Müttern und jugendlich fühlenden Groß- > müttern. Er nahm's hin wie einen Tribut, für den er sich erkenntlich zeigte, indem er aß und trank und hin und wieder ein möglichst kurzes Lied hauchte.
! Eitel war er, maßlos eitel; eitel ans seine äußere Erscheinung und auf den „zweiten Menschen", den ! er anlegte, wenn er gute Gesellschaft witterte, den l er aber zu schade für eineu von seinesgleichen fand.
' Wehe, wem: man ihm nicht das Weihrauchbecken persönlicher Huldigung kühn bis gegen die Nase schwang! Dreimal wehe dem, der seine Größe nicht anerkannte oder gar seinem Dünkel ins Gesicht schlug!
Da gab's nur einen Menschen, der mit ihm je nach Laune umspringen durfte, und das war merkwürdigerweise die Spatz. Spätzchen war nicht hübsch, aber sie war Klaviervirtnosin und sein ständiger Accompagneur. Spätzchen stammte, wie er, aus jenen Regionen, in denen Erziehung und gesellschaftliche Form zn den Geistern des Jenseits rechnen. Man behilft sich mit unverfrorener Natürlichkeit; damit kommt man auch durchs Leben.
Es war ans dem letzten der Routs im Hause des Musikdirektors, daß sich Mecerino sofort nach der Begrüßung der Wirte Zn mir Bahn brach. Ich traute meinen Augen nicht. Sonst beanspruchte er von rühmlosen Künstlerinnen, daß sie wie betende Türken andachtsvoll von ferne vor ihm niedersanken,
— und heut kam er zu mir! Die Spatz schmunzelte hinter ihm drein wie hinter einem lebendig dahinwandelnden guten Witz . . . Was bedeutete das 2
Schlurfenden Schrittes, mit erhobener Nase, gesenkten Augenlidern, aufwärts gedrehtem Schnurrbart, das Monocle im Auge, Hände in den Hosentaschen — also vollkommen im Futteral seines zweiten Menschen, den er dem Vorbilde eines Kavalleriereservelieutenants entlehnt haben mußte, -- so steuerte er auf mich zu. Von seiner Weißen Piqne- weste nieder hing eine Berlocke wertvoller Steine
— wie man sagte, Erinnerungszeichen enragierter Verehrerinnen.
Er blieb vor mir stehen und fixierte mich eine Weile stumm.
Die Spatz würde ihn unbedingt keck angeguckt und endlich gesagt haben: Was bedeutet denn Ihr geistreicher Gesichtsausdruck 2 Aber zu diesem Tone wagte ich nicht herabzusteigen. Ich hielt also erwartungsvoll seinem Blick eine Weile stand und lächelte, da ich nichts zu sagen wußte.
Er veränderte keine Miene. Endlich machte er eine Bewegung mit dem Munde, als wenn ihm ein Hustenbonbon aus der Zunge zerginge, und sagte wie vom Olymp hernieder:
„Na, Fräulein, hätten Sie wohl Lust?"
! „Lust 2 Wozu 2"
I „Wozu wohl! Zu einem Konzert natürlich." Er seufzte ungeduldig.
^ Zu einem Konzert! Ich traute meinen Ohren ^ nicht. Mecerino ließ sich herab, mich zn einem Kon- ^ zert aufzusordern! Ich konnte es kaum glauben.
> Impulsiv entfuhr es mir:
„Mit Ihnen, Mecerino2"
! „Natürlich mit mir. Denken Sie, ich bin Jm- , presario für andre2"
- Wenn man geahnt hätte, daß ich diese Antwort und die Art, wie er sie gab, recht unartig fand, so
^ würde man mich zerfleischt haben. Bei Mecerino ^ war das originell, interessant. — Natürlich! Und ich mußte mit den: Strome schwimmen.
! „O, ich bin glücklich über die Ehre. Aber was
verschafft mir denn die hohe Auszeichnung 2" Er ; sang nämlich sonst immer mit der Cortagli.
„Das haben Sie der Cortagli zu danken," warf i er mir nachlässig hin und starrte mit seinen schönen ! blauen Augen, die, trügerisch genug, eine Welt ! großer Gefühle verhießen, in den flimmernden Kerzen- i kranz des Gaskronleuchters. Er wußte, daß er sich in diesem Augenblicke sehr „interessant" machte,
^ und daß eine Menge junger Musensrenndinnen die ! Köpfe zusammensteckte und ihn flüsternd bewunderte,
! die Spatz mitten unter ihnen.
! „Hat die Cortagli mich Ihnen empfohlen2"
fragte ich ungläubig.
^ „Na ja, wie sich das so macht. Zuerst hatte
: sie mir ihre Mitwirkung versprochen. Aber ich
! dacht's mir gleich — sie hat ihre Launen. Heute ! früh schrieb sie ab. Als ich ihr ans die Bude rückte,
! saß sie da in ihrem roten Atlasschlafrock, mit Kali chloricum, Grützumschlügen und dem Jnhalations- i apparat und stöhnte, sie sei hoffnungslos heiser."
^ „O!- "
; Er trommelte mit den vier Fingern ans den ! Hüften und sah gen Himmel.
^ „ Hoffnungslos heiser! haha! Das soll sie m i r
! nur nicht weismachen. Jnhalationsapparat, Grütz- ^ Umschläge, alles nur Mache. Sie konnte sich's na- ^ türlich an den fünf Fingern abzählen, daß ich sofort ! händeringend angestürzt kommen würde. Eine Boa ! hatte sie bei der Hitze um - fast so dick, wie 'n ^ lebendiger Köter. Alles den geheuchelten Atembeschwerden zuliebe. Um mich rasch los zu werden,
! bot sie mir warme Limonade an.... Limonade! Mir wurde ganz wabbelig; ich ergriff sofort die Flucht. In der Thür schreit sie mir mit der ^ klarsten Stimme nach: /Nehmen Sie doch die Hage- i mann. Die singt gut genug für —
! Es schien ihm plötzlich etwas in die Kehle zn
! kommen, und er mußte sich heftig räuspern.
„Ich begreife die Cortagli nicht!"
> „Nucken hat sie, Nucken. Mich so zn leimen!
^ Aber ich Hab' mich schon revanchiert." Er legte ! plötzlich seinen zweiten Menschen ab und brach in ! ein schallendes Gelächter ans, so daß alle Damen ! entzückt über diesen Frohsinn mit einfielen. „Einen
Brief Hab' ich ihr geschickt, einen Brief mit Juckpulver gefüllt. Und weiter nichts geschrieben als:
^ Bei Heiserkeit ist die Friktion der Haut sehr zu empfehlen." Er konnte vor Lachen kaum sprechen.
- Das war der echte Mecerino. Ich hatte schon ähnliche „geistreiche" Scherze von ihn: gehört und
! wunderte mich nicht mehr darüber. Seine Herkunft mußte vieles an ihm entschuldigen. Seine Wiege hatte neben der Hobelbank seines Vaters gestanden; und wenn aus solch einer Kinderstube auch ehrenhafte und nützliche Weltbürger hervorgehen, so wurzelt doch der seine Ton der bessereil Gesellschaft nicht gerade in den Hobelspänen einer kleinen Werkstatt. Und die geschickteste Nachahmung von Reservelieu- ^ tenantsmanieren deckt nicht den Mangel innerer ^ Bildung zu.
„Nein, — wenn ich mir ausmale, wie die Cortagli sich kratzt, sich ärgert, aus der Haut führt ^ und schließlich in Wut und Verzweiflung ein Bad ^ nimmt —"
„Mecerino, wie ungehörig!" entsuhr's mir.
„Bei mir ist alles gehörig," lachte er. „Wenn ! sie's mir übelnimmt, bring' ich sie am Sonnabend ^ im ,Troubadour" aus der Contenance, das weiß sie."
„Sie setzen ja hohes Vertrauen in mich. Ich die Cortagli vertreten2!"
Er fuhr sogleich wieder in seinen zweiten Menschen.