74
Ueber Land und Meer.
„Gehst du darin nicht zu weit, liebe Tante?"
„Nein, Waldemar. Sieh, der Unglaube, der ein Nichts ist, kann den lieben Gott nicht beleidigen; aber Götzendienst beleidigt ihn. Du sollst keine andern Götter haben neben mir. Da steht es. Und nun gar der Papst in Rom, der ein Obergott sein will und unsehlbar."
Czako, während Rex schwieg und nur seine Verbeugung wiederholte, kam aus die verwegene Idee, sür Papst und Papsttum eine Lanze brechen zu wollen, entschlng sich dieses Vorhabens aber, als er wahrnahm, daß die alte Dame ihr Dominagesicht aufsetzte. Das war aber nur eine rasch vorübergehende Wolke. Dann fuhr Tante Adelheid, das Thema wechselnd, in schnell wiedergewonnener guter Laune fort: „Ich habe die Fenster öffnen lassen. Aber auch jetzt noch, meine Herren, ist es ein wenig stickig. Das macht die niedrige Decke. Darf ich Sie vielleicht aufsordern, noch eine Promenade durch unfern Garten zu machen? Unser Klostergarten ist eigentlich das Beste, was wir hier haben. Nur der unsers Rentmeisters ist noch gepflegter und größer und liegt auch am See. Rentmeister Fix, der hier alles zusammenhält, ist uns, wie in wirtschaftlichen Dingen, so auch namentlich in seinen Gartenanlagen, ein Vorbild; überhaupt ein charaktervoller Mann, und dabei treu wie Gold, trotzdem sein Gehalt klein ist und seine Nebeneinnahmen ganz unsicher in der Lust schweben. Ich hatte Fix denn auch bitten lassen, mit uns bei Tisch zu sein; er versteht so gut zu plaudern, gut und leicht, ja beinahe srei- weg und doch immer durchaus diskret. Aber er ist dienstlich verhindert. Die Herren müssen sich also mit mir begnügen und mit einer unsrer Konven- tualinnen, einem mir lieben Fräulein, das immer munter und ausgelassen, aber dabei durchaus bekenntnisstreng ist, ganz von jener schönen Heiterkeit, die man bloß bei denen findet, deren Glaube feste Wurzeln getrieben hat. Ein gut Gewissen ist das beste Ruhekissen. Damit hängt es wohl zusammen."
Rex, an den sich diese Worte vorzugsweise gerichtet hatten, drückte wiederholt seine Zustimmung aus, während Czako beklagte, daß Fix verhindert sei. „Solche Männer sprechen Zu hören, die mit dem Volke Fühlung haben und genau wissen, wie's einerseits in den Schlössern, andrerseits in den Hütten der Armut aussieht, das ist immer in hohem Maße fördernd und ein Etwas, auf das ich jederzeit ungern verzichte."
Gleich danach erhob man sich und ging in den Garten.
Der war von sehr ländlicher Art. Durch seine ganze Länge hin Zog sich ein von Buchsbanmrabatten eingefaßter Gang, neben dem links und rechts, in wohlgepflegten Beeten, Rittersporn und Studentenblumen blühten. Gerade in seiner Mitte weitete sich der sonst schmale Gang zu einem runden Platz aus, darauf eine große Glaskugel stand, ganz an die Stechliner erinnernd, nur mit dem Unterschied, daß hier das eingelegte blanke Zinn fehlte. Beide Kugeln stammten natürlich aus der Globsower „grünen Hütte". Weiterhin, ganz am Ansgange des Gartens, wurde man eines etwas schiefen Bretterzaunes ansichtig, mit einem alten Pflaumenbaum dahinter, dessen Hauptzweig aus dem Nachbargarten her in den der Domina herüberreichte.
Rex führte die Tante. Dann folgte Woldemar mit Hauptmann Czako, weit genug ab von dem voraufgehenden Paar, um ungeniert miteinander sprechen zu können. -
„Nun, Czako," sagte Woldemar, „bleiben wir, wenn's sein kann, noch ein bißchen weiter zurück. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie gern ich in diesem Garten bin. Allen Ernstes. Ich habe hier nämlich als Junge hundertmal gespielt und in den Birnbäumen gesessen. Damals standen hier noch welche, hier links, wo jetzt die Mohrrnbenbeete stehen. Ich mache mir nichts aus Mohrrüben, woraus ich schließe, daß wir heut welche zu Tisch kriegen. Wie gefällt Ihnen der Garten?"
„Ausgezeichnet. Es ist ja eigentlich ein Bauerngarten, aber doch mit viel Rittersporn drin. Und zu jedem Rittersporn gehört eine Stiftsdame."
„Nein, Czako, nicht so. Sagen Sie mir ganz ernsthaft, ob Sie solche Gärten leiden können."
„Ich kann solche Gärten eigentlich nur leiden, wenn sie eine Kegelbahn haben. Und dieser hier ist
wie geschaffen dazu, lang und schmal. Alle unsre modernen Kegelbahnen sind Zu kurz, wie früher alle Betten Zu kurz waren. Wenn die Kugel aussetzt, ist sie auch schon da, und der Bengel unten schreit einen an mit ,acht um den König'. Für mich sängt das Vergnügen erst an, wenn das Brett lang ist und man der Kugel anmerkt, sie möchte links oder rechts abirren, aber die eingeborene Gewalt zwingt sie zum Ausharren, zum Bleiben auf der rechten Bahn. Es hat was Symbolisches oder Pädagogisches, oder meinetwegen auch Politisches."
Unter diesem Gespräche waren sie, ganz nach unten hin, bis an die Stelle gekommen, wo der nachbarliche Pflanmenbanm seinen Zweig über den Zaun wegstreckte. Neben dem Zaun aber, in gleicher Linie mit ihm, stand eine grüngestrichene Bank, auf der, von dem Gezweig überdacht, eine Dame saß, mit einem kleinen runden Hut und einer Adlerseder. Als sich die Herrschaften ihr näherten, erhob sie sich und schritt auf die Domina zu, dieser die Hand zu küssen; zugleich verneigte sie sich gegen die drei Herren.
„Erlauben Sie mir," sagte Adelheid, „Sie mit meiner lieben Freundin, Fräulein von Schmargendorf, bekannt zu machen. Hauptmann von Czako, Ministerialassessor von Rex. . . Meinen Neffen, liebe Schmargendorf, kennen Sie ja."
Adelheid, als sie so vorgestellt hatte, zog ihre kleine Uhr aus dem Gürtel hervor und sagte: „Wir haben noch zehn Minuten. Wenn es Ihnen recht ist, bleiben wir noch in Gottes freier Natur. Woldemar, führe meine liebe Freundin, oder lieber Sie, Herr Hauptmann, -- Fräulein von Schmargendorf wird ohnehin Ihre Tischdame sein."
Das Fräulein von Schmargendorf war klein und rundlich, einige vierzig Jahre alt, von kurzem Hals und wenig Taille. Von den sieben Schönheiten, über die jede Evastochter Verfügung haben soll, hatte sie, soweit sich ihr „Kredit" seststellen ließ, nur die Büste. Sie war sich dessen denn auch bewußt und trug immer dunkle Tuchkleider, mit einem Sammetbesatz oberhalb der Taille. Dieser Besatz bestand aus drei Dreiecken, deren Spitze nach unten lief. Sie war immer fidel, Zunächst aus glücklicher Naturanlage, dann aber auch, weil sie mal gehört hatte: Fidelität erhalte jung. Ihr lag daran, jung zu sein, obwohl sie keinen rechten Nutzen mehr daraus ziehen konnte. Benachbarte Adlige gab es nicht, der Pastor war natürlich verheiratet und Fix auch. Und weiter nach unten ging es nicht.
Adelheid und Rex waren meist weit voraus, so daß man sich immer erst an der Glaskugel traf, wenn daS voranschreitende Paar schon wieder auf dem Rückwege war. Czako grüßte dann jedesmal militärisch Zur Domina hinüber.
Diese selbst war in einem Gespräch mit Rex fest engagiert und verhandelte mit ihm über ein bedrohliches Ueberhandnehmen des Sektiererwesens. Rex fühlte sich davon getroffen, da er selbst auf dem Punkte stand, Jrvingianer zu werden; er war aber Lebemann genug, um sich schnell zurecht zu finden und vor allem aus jede nachhaltige Bekämpfung der von Adelheid geäußerten Ansichten zu verzichten. Er lenkte geschickt in das Gebiet des allgemeinen Unglaubens ein, dabei — wie nach den von der Domina gethanen Aeußerungen einer vollen Zustimmung begegnend. Ja, die Domina ging weiter, und sich abwechselnd auf die Apokalypse und dann wieder aus Fix berufend, betonte sie, daß wir am Anfang vom Ende stünden. Fix gehe freilich wohl etwas zu weit, wenn er eigentlich keinem Tage mehr so recht traue. Das seien nutzlose Beunruhigungen, weshalb sie denn auch in ihn gedrungen sei, entweder Abstand davon zu nehmen oder wenigstens alles nochmals zu prüfen. „Kein Zweifel," so schloß sie, „Fix ist für Rechnungssachen entschieden talentiert, aber ich habe ihm trotzdem sagen müssen, daß zwischen Rechnungen und Rechnungen doch immer noch ein Unterschied sei."
Czako hatte dem Fräulein von Schmargendorf den Arm gereicht; Woldemar, weil der Mittelgang Zu schmal war, folgte wenige Schritte hinter dem Paar und trat nur immer da, wo der Weg sich erweiterte, vorübergehend an ihre Seite.
„Wie glücklich ich bin, Herr Hauptmann," sagte die Schmargendorf, „Ihre Partnerin zu sein, jetzt schon hier und dann später bei Tisch."
Czako verneigte sich.
„Und merkwürdig," fuhr sie fort, „daß gerade das Regiment Alexander immer so vergnügte Herren hat; einen Namensvetter von Ihnen, oder vielleicht war es auch Ihr älterer Herr Bruder, den Hab' ich noch von einer Einquartierung in der Priegnitz her- ganz deutlich in Erinnerung, trotzdem es schon an die zwanzig Jahre ist oder mehr. Denn ich war damals noch blutjung und tanzte mit Ihrem Herrn Vetter einen richtigen Radowa, der um jene Zeit noch in Mode war, aber schon nicht mehr so recht. Und ich Hab' auch noch den Namenszug und einen kleinen Vers von ihm in meinem Album: ,Jegor von Baczko, Sekondelienteuant im Regiment Alexander? Ja, Herr von Baezko, so kommt man wieder zusammen. Oder doch wenigstens mit einem Herrn desselben Namens."
Czako schwieg und nickte nur, weil er Richtigstellungen überhaupt nicht liebte; Woldemar aber, der jedes Wort gehört und in Bezug aus solche Dinge kleinlicher dachte, wollte durchaus Remedur schaffen und bat, das Fräulein daraus aufmerksam machen zu dürfen, daß der Herr, der den Vorzug habe, sie zu führen, nicht ein Herr von Baczko, sondern ein Herr von Czako sei.
Die kleine Rundliche geriet in eine momentane Verlegenheit, Czako selbst aber kam ihr mit großer Conrtoisie zu Hilfe.
„Lieber Stechlin," begann er, „ich beschwöre Sie um sechsundsechzig Schock sächsische Schnhzwecken, kommen Sie doch nicht mit solchen Kleinigkeiten, die man jetzt, glaub' ich, Velleitäten nennt. Wenigstens habe ich das Wort immer so übersetzt. Czako, Baczko, Baczko, Czako, — wie kann man davon so viel Aufhebens machen. Name, wie Sie wissen, ist Schall und Rauch, siehe Goethe, und Sie werden sich doch nicht in Widerspruch mit dem bringen wollen. Dazu reicht es denn doch am Ende nicht aus."
„Hihi."
„Außerdem, ein Mann wie Sie, der es trotz seines Liberalismus fertig bringt, immer seinen alten Adel bis wenigstens dritter Kreuzzug zu betonen, ein Mann wie Sie sollte mir doch diese kleine Verwechslung ehrlich gönnen. Denn dieser mir in den Schoß gefallene ,Barzko' . . . Gott sei Dank, daß auch unsereinem noch was in den Schoß fallen kann..."
„Hihi."
„Denn dieser mir in den Schoß gefallene Baczko ist doch einfach eine Rang- und Standeserhöhung, ein richtiges Avancement. Die Baczkos reichen bis Huß oder Ziska, und wenn es vielleicht Ungarn sind, bis auf die Hunyadis zurück, während der erste wirkliche Czako noch keine zweihundert Jahre zählt. Und von diesem ersten wirklichen Czako stammen wir doch natürlich ab. So wenigstens muß ich annehmen. Ehe es nicht einen wirklichen sachlichen Czako gab, das heißt also einen steifen Filzhut mit Leder oder Blech beschlagen, eher kann es auch keinen ,von Czako' gegeben haben; der Adel schreibt sich immer von solchen Dingen seiner Umgebung oder seines Metiers oder seiner Beschäftigung her. Wenn ich wirklich noch mal Lust verspüren sollte, mich standesgemäß zu verheiraten, so scheitre ich vielleicht an der Jugendlichkeit meines Adels und werde mich dann dieser Stunde, die mich, wenn auch nur irrtümlich, auf einen Augenblick zu erhöhen trachtete, wehmütig freundlich erinnern."
Woldemar, seiner Philisterei sich bewußt werdend, zog sich wieder zurück, während die Schmargendorf treuherzig sagte: „Sie glauben also wirklich, Herr von. . . Herr Hanptmann . .. daß Sie von einem Czako herstammen?"
„So weit solch, wie ich zugebe, merkwürdiges Spiel der Natur überhaupt möglich ist, bin ich fest davon durchdrungen."
In diesem Moment, nach abermaliger Passiernug des Platzes mit der Glaskugel, erreichte das Paar die Bank unter dem Pflaumenbaumzweige. Die Schmargendorf hatte schon lange vorher nach zwei großen, dicht Zusammensitzenden Pflaumen hinübergeblickt, und während sie jetzt ihre Hand danach ausstreckte, sagte sie: „Nun wollen wir aber ein Vielliebchen essen, Herr Hauptmann; wo, wie hier, zwei zusammensitzen, da ist immer ein Vielliebchen."
„Eine Definition, der ich mich durchaus anschließe. Aber, mein gnädigstes Fräulein, wenn ich