Heft 
(1898) 05
Seite
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Melier Land und Meer.

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Vorschlägen dürfte, mit dieser herrlichen Gabe Gottes bis zum Dessert zu warten. Das ist ja doch auch die eigentliche Zeit für Vielliebchen."

Nun, wie Sie wollen, Herr Hauptmann. Und ich werde diese zwei für uns aufheben. Aber diese dritte hier, die nicht mehr dazu gehört, die werd' ich essen. Ich esse so gern Pflaumen. Und Sie werden sie mir auch gönnen."

Alles, alles. Eine Welt."

Es schien, als ob sich Czako weiter über dies Pflaumenthema, namentlich auch über die sich darin bergenden Wagnisse verbreiten wollte, kam aber nicht dazu, weil eben jetzt ein Diener in Weißen Baumwollhandschuhen, augenscheinlich eine Gelegen­heitsschöpfung, in der Hofthür sichtbar wurde. Dies war das mit der Domina verabredete Zeichen, daß der Tisch gedeckt sei. Die Schmargendorf, ebenfalls eingeweiht in diese zu raschen Entschlüssen drängende Zeichensprache, bückte sich deshalb, um von einem der Ge­müsebeete rasch noch ein großes Kohlblatt abzubrechen, auf das sie sorglich die beiden rotgetüpfelten Pflaumen legte. Gleich danach aber aufs neue Czakos Arm nehmend, schritt sie, der Domina folgend, auf Hof und Flur und ganz zuletzt auf den Salon zu, der sich inzwischen in manchem Stücke verändert hatte, vor allem auch darin, daß neben dem Kamin eine zweite Konventualin stand, in dunkler Seide, mit Kopf­schleifen und tiefliegenden, jedes Geheimnis auf­schließenden Kakadu-Augen, die in das Wesen aller Dinge einzudriugen schienen.

Ah, meine Liebste," sagte die Domina, auf diese zweite Konventualin zuschreitend,es freut mich herzlich, daß Sie sich, trotz Migräne, noch heraus­gemacht haben; wir wären sonst ohne dritte Tisch­dame geblieben. Erlauben Sie mir vorzustellen: Herr von Rex, Herr von Czako . . . Fräulein von Triglaff aus dem Hause Triglaff."

Rex und Czako verbeugten sich, während Wolde- mar, dem sie keine Fremde war, auf die Konventualin zuschritt, um ein Wort der Begrüßung an sie zu richten. Czako, die Triglaff unwillkürlich musternd, war sofort von einer ihn interessierenden Aehnlich- keit betroffen und flüsterte dem sein Monocle wieder- holentlich in Angriff nehmenden Rex leise zu: Krippenstapel, weibliche Linie."

Rex nickte.

Während dieser Vorstellung hatte der im Hinter­gründe stehende Diener den oberen und unteren Thürriegel mit einer gewissen Ostentation zurück­gezogen, und beide Flügel zu dem neben dem Salon gelegenen Eßzimmer thaten sich mit einer gewissen Feierlichkeit auf.

Herr von Rex," sagte die Domina,darf ich um Ihren Arm bitten."

Und gleich danach traten alle drei Paare in den Rebenraum ein, auf dessen gastlicher und nicht ohne Geschick hergerichteter Tafel zwei Blumenvasen und zwei silberne Doppelleuchter standen. Der Diener aber hätte sich inzwischen am Büffett in Front einer Meißner Suppenterrine aufgestellt, und indem er den Deckel (mit einem abgestoßenen Engel obenauf) abnahm, stieg der Wrasen wie Opferrauch in die Höhe.

vm.

Tante Adelheid, wenn sich nichts geradezu Ver- stimmliches ereignete, war, von alten Zeiten her, eine gute Wirtin und besaß neben anderm auch jene Direktoralaugen, die bei Tische so viel bedeuten; aber eine Gabe besaß sie nicht, die, das Gespräch, wie's in einem engsten Zirkel doch sein sollte, zu­sammenzufassen. So zerfiel denn die kleine Tafel­runde von Anfang an in drei Gruppen, von denen eine, wiewohl nicht absolut schweigsam, doch vor­wiegend als Tafelornament wirkte. Dies war die Gruppe Woldemar-Triglaff. Und das konnte nicht wohl anders sein. Die Triglaff, wie sich das bei Kakadugesichtern so häufig findet, vereinigte in sich den Ausdruck höchster Tiefsinnigkeit mit einer im übrigen ganz ungewöhnlichen Umnachtung, und ein letzter Rest von Helle, der ihr geblieben sein mochte, war ihr durch eine stützende Triglaffvorstellung schließ­lich auch noch abhanden gekommen. Eine direkte Descendenz von dem gleichnamigen Wendengotte war freilich nicht nachzuweisen, aber doch auch nicht ausgeschlossen, und wenn dergleichen überhaupt Vorkommen oder nach stiller Uebereinkunft auch nur

allgemein angenommen werden konnte, so war nicht abznsehen, warum gerade sie, die Triglaff, leer aus­gehen oder auf solche Möglichkeit verzichten sollte. Dieser hochgespannten Adelsvorstellung entsprach denn auch das gereizte Gefühl, das sie gegen den Zweig des Hauses Thadden unterhielt, der sich (nach seinem pommerschen Gute Triglaff) Thadden-Triglaff nannte, eine Zubenennung, die dieser einzig wirklichen Triglaff als ein Uebergriff oder doch mindestens als eine Beeinträchtigung ihrer selbst erschien. Woldemar, der dies alles kannte, war dagegen gefeit und wußte seinerseits seit lange, wie zu verfahren sei, wenn ihm die Triglaff als Tischnachbarin zufiel. Er hatte sich für diesen Fall, der übrigens öfter eintrat als ihm lieb war, die Namen aller Konventualinnen auswendig gelernt, die während feiner Kinderzeit hier im Kloster Wutz gelebt hatten und von denen er recht gut wußte, daß sie seit lange tot waren. Er begann aber trotzdem regelmäßig seine Fragen so zu stellen, als ob das Dasein dieser längst Ab­geschiedenen immer noch einer Möglichkeit unterläge.

Da war ja hier früher, mein gnädigstes Fräu­lein, eine Drachenhausen, Aurelie von Drachenhansen, und übersiedelte dann, wenn ich nicht irre, nach Kloster Zehdenick. Es würde mich lebhaft inter­essieren, in Erfahrung zu bringen, ob sie noch lebt oder ob sie vielleicht schon tot ist."

Die Triglaff nickte.

Czako, dieses Nicken beobachtend, sprach sich später gegen Rex dahin aus, daß das alles mit der Ab­stammung der Triglaff Zusammenhänge.Götzen nicken bloß."

Um vieles lebendiger waren Rede und Gegen­rede zwischen Tante Adelheid und dem Ministerial- assessor, und das Gespräch beider, das nur sittliche Hebungsfragen berührte, hätte durchaus den Charakter einer gemütlichen, aber doch durch Ernst geweihten Synodalplauderei gehabt, wenn sich nicht die Gestalt des Rentmeisters Fix beständig eingedrängt hätte, dieses DominaprotecM, von dem Rex, unter Zurück­haltung seiner wahren Meinung, immer aufs neue versicherte,daß in diesem klösterlichen Beamten eine seltene Verquickung von Prinzipienstrenge mit Ge­schäftsgenie vorzuliegen scheine."

Das waren die zwei Paare, die den linken Flügel, beziehungsweise die Mitte des Tisches bil­deten. Die beiden Hauptfiguren waren aber doch Czako und die Schmargendorf, die ganz nach rechts hin saßen, in Nähe der dicken Fenstergardinen aus Wollstoff, in deren Falten denn auch vieles verklang. An die Suppe hatte sich ein Fisch und an diesen ein Linsenpüree mit gebackenem Schinken gereiht, und nun wurden gespickte Rebhuhnflügel in einer pikanten Sauce, die zugleich Küchengeheimnis der Domina war, herumgereicht. Czako, trotzdem er schon dem gebackenen Schinken erheblich zugesprochen hatte, nahm ein zweites Mal auch von dem Rebhuhngericht und fühlte das Bedürfnis, dies zu motivieren. .

Eine gesegnete Gegend, Ihre Grafschaft hier," begann er.Aber freilich Heuer auch eine gesegnete Jahreszeit. Gestern abend bei Dubslav von Stechlin Krammetsvögelbrüste, heute bei Adelheid von Stechlin Nebhuhnflügel."

Und was ziehen Sie vor?" fragte die Schmargen­dorf.

Im allgemeinen, mein gnädigstes Fräulein, ist die Frage wohl zu Gunsten ersterer entschieden. Aber hier ist doch möglicherweise der Ausnahmefall gegeben."

Warum ein Ausnahmefall?"

Sie haben recht, eine solche Frage zu stellen. Und ich antworte, so gut ich kann. Nun denn, in Brust und Flügel..."

Hihi."

In Brust und Flügel schlummert, wie mir scheinen will, ein großartiger Gegensatz von hüben und drüben; es giebt nichts Diesseitigeres als Brust, und es giebt nichts Jenseitigeres als Flügel. Der Flügel trägt uns, erhebt uns. Und deshalb, trotz aller nach der andern Seite hin liegenden Verlockung, möchte ich alles, was Flügel heißt, höher stellen."

Er hatte dies in einem möglichst gedämpften Tone gesprochen. Aber es war nicht nötig, weil die von links her ihm zunächst sitzende Triglaff aus purem Hochgefühl ihr Ohr gegen alles, was gesprochen wurde, verschloß, und andrerseits die Domina, nachdem der Diener allerlei kleine Spitz­

gläser herumgereicht hatte, ganz ersichtlich mit einer Ansprache beschäftigt war.

Lassen Sie mich Ihnen noch einmal aussprechen," sagte sie,wie glücklich es mich macht, Sie in meinem Kloster begrüßen zu können. Herr von Rex, Herr von Czako, Ihr Wohl."

Man stieß an, die Schmargendorf etwas über­mütig, und nur die Triglaff mit einem Augenausdruck, als ob sich eben ein Kult vollzogen hätte. Rex dankte unmittelbar und sprach, als man sich wieder gesetzt hatte, seine Bewunderung über den schönen Wein aus.Ich vermute Montefiascone."

Vornehmer, Herr von Rex," sagte Adelheid in guter Stimmung,eine Rangstufe höher. Nicht Montefiascone, den wir allerdings unter meiner Amtsvorgängerin auch hier im Keller hatten, sondern Hrima.6 OllrikNi. Mein Bruder, der alles be­mängelt, meinte freilich, als ich ihm davon vorsetzte, das paffe nicht, das sei Begräbniswein, höchstens Wein für Einsegnungen, aber nicht für heitere Zu­sammenkünfte. "

Ein Wort von eigenartiger Bedeutung, darin ich Ihren Herrn Bruder durchaus wiedererkenne."

Gewiß, Herr von Rex. Und ich bin mir be­wußt, daß uns der Name gerade dieses Weines allerlei Rücksichten auferlegt. Aber wenn Sie sich vergegenwärtigen wollen, daß wir in einem Stift, einem Kloster sind ... ich meine, der Ort, an dem wir leben, giebt uns doch auch eine Weihe."

Kein Zweifel. Und ich muß nachträglich die Bedenken Ihres Herrn Bruders als irrtümlich an­erkennen. Aber wenn ich mich so ausdrücken darf, ein kleidsamer Irrtum . . . Auf das Wohl Ihres Herrn Bruders!"

Damit schloß das etwas difficile Zwiegespräch, dem alle mit einiger Verlegenheit gefolgt waren. Nur nicht die Schmargendorf.Ach," sagte diese, während sie sich halb in den Vorhängen versteckte, wenn wir von dem Wein trinken, dann hören wir auch immer dieselbe Geschichte. Die Domina muß sich damals sehr über den alten Herrn von Stechlin geärgert haben. Und doch hat er eigentlich recht, wenn es auch bloß der Name ist, der so ernst und feierlich stimmt. Es liegt doch was drin, das einem Christenmenschen zu denken giebt. Und gerade wenn man so recht vergnügt ist."

Darauf wollen wir anstoßen," sagte Czako, völlig im Dunkeln lassend, ob er mehr den Christen­menschen oder den Ernst oder das Vergnügtsein meinte.

Und überhaupt," fuhr die Schmargendorf fort, die Weine müßten eigentlich alle anders heißen, oder wenigstens sehr viele."

Ganz meine Meinung, meine Gnädigste," sagte Czako.Da sind wirklich so manche. .. Man darf aber andrerseits das Zartgefühl nicht überspannen. Will man das, so bringen wir uns um die reichsten Quellen eigentlicher Poesie. Da haben wir beispiels­weise die Milch der Greise', zunächst ein durch­aus nnbeanstandenswertes Wort. Aber alsbald die Sprache liebt solche Spiele treten mannig­fache Fort- und Weiterbildungen an uns heran, und ehe wir uns versehen, hat sich die ganz allgemeine Milch der Greise' in eine spezielle , Liebfrauenmilch' verwandelt. Beiläufig das Beste, was sie thun kann."

Hihi... Ja, Liebfrauenmilch,die die trinken wir auch. Aber nur selten. Und es ist auch nicht der Name, woran ich eigentlich dachte."

Sicherlich nicht, meine Gnädigste. Denn wir haben eben noch andre, decidiertere, denen gegenüber nnr das Refugium der französischen Aussprache bleibt."

Hihi... Ja, französisch, da geht es. Aber doch auch nicht immer, und jedesmal, wenn Rent­meister Fix unser Gast ist und die Triglaff die Flasche hin und her dreht (ich labe gesehen, daß sie sie dreimal herumdrehte), dann lacht Fix ... Uebrigens sieht es so aus, als ob die Domina noch was auf dem Herzen hätte; sie macht ein so feier­liches Gesicht. Oder vielleicht will sie auch bloß die Tafel aufheben."

Und wirklich, es war so, wie die Schmargendorf vermutete.Meine Herren," sagte die Domina, da Sie zu meinem Leidwesen so früh fort wollen (wir haben nur noch wenig über eine Viertelstunde), so geb' ich anheim, ob wir den Kaffee lieber in meinem Zimmer nehmen wollen oder draußen unter dem Holunderbaum."

Eine Gesamtantwort wurde nicht laut, aber