Heft 
(1898) 05
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Ueöer <Land und Weer.

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während man sich unmittelbar danach erhob, küßte Czako der Schmargendorf die Hand und sagte mit einem gewissen Empressement:Unter dem Holunder- banm also."

Die Schmargendorf verstand nicht im entferntesten, woraus es sich bezog. Aber das war Czako gleich. Ihm lag lediglich daran, ganz für sich selbst, die Schmargendorf auf einen kurzen aber großen Augen­blick zumKüthchen" erhoben zu haben.

Im übrigen zeigte sich's, daß nicht bloß Czako, sondern auch Rex und Woldemar für den Holunder­baum waren, und so näherte man sich denn diesem.

Es war derselbe Baum, den die Herren schon beim Einreiten in den Klosterhof gesehen, aber in jenem Augenblick wenig beachtet hatten. Jetzt erst bemerkten sie, was es mit ihm auf sich habe. Der Baum, der uralt sein mochte, stand außerhalb des Gehöftes, war aber, ähnlich wie der Pflaumenbaum im Garten, mit seinem Gezweig über das zerbröckelte Gemäuer fort­gewachsen. Er war an und für sich schon eine Pracht. Was ihm aber noch eine besondere Schön­heit lieh, das war, daß sein Laubendach von ein paar dahinter stehenden Ebereschenbäumen wie durch­wachsen war, so daß man überall, neben den schwarzen Fruchtdolden des Holunders die leuchtenden roten Eber­eschenbüschel sah. Auch das verschiedene Laub schattierte sich. Rex und Czako waren aufrichtig entzückt, beinahe mehr als zulässig. Denn so reizend die Laube selbst war, so zweifelhaft war das un­mittelbar vor ihnen nicht bloß in Unordnung, sondern auch in durchaus ermangelnder Sauberkeit aus­gebreitete Hofbild. Aber pittoresk blieb es doch. Zusammengemörtelte Feldsteinklumpen lagen in hohem Grase, dazwischen Karren und Düngerwagen, Enten- und Hühnerkörbe, während ein kollernder Truthahn von Zeit zu Zeit bis dicht an die Laube heran­kam, sei's aus Neugier oder um sich mit der Triglaff zu messen.

Als sechs Uhr heran war, erschien Fritz und führte die Pferde vor. Czako wies darauf hin. Bevor er aber noch an die Domina herantreten und ihr einige Dankesworte sagen konnte, kam die Schmargendorf, die kurz vorher ihren Platz ver­lassen, mit dem großen Kohlblatt zurück, auf dem die beiden zusammengewachsenen Pflaumen lagen. Sie wollten mir entgehen, Herr von Czako. Das hilft Ihnen aber nichts. Ich will mein Vielliebchen gewinnen. Und Sie sollen sehen, ich siege."

Sie siegen immer, meine Gnädigste."

IX.

Rex und Czako ritten ab; Fritz führte Wolde­mars Pferd am Zügel. Aber weder die Schmargen­dorf noch die Triglaff zeigten sich, als die beiden Herren fort und die übrigen in die Wohnräume zurückgekchrt waren, irgendwie beflissen, das Feld zu räumen, was die Domina, die wegen zu verhandelnder difficiler Dinge mit ihrem Neffen allein sein wollte, stark verstimmte. Sie zeigte das auch, war steif und schweigsam und belebte sich erst wieder, als die Schmargendorf mit einem Male glückstrahlend ver­sicherte: jetzt wisse sie's; sie habe noch eine Photographie, die wolle sie gleich an Herrn von Czako schicken, und wenn er dann morgen mittag von Cremmeu in Berlin einträfe, dann werd' er Brief und Bild schon vorfinden und auf der Rückseite: Guten morgen, Vielliebchen." Die Domina fand das alles so lächerlich und unpassend wie nur möglich, weil ihr aber daran lag, die Schmargendorf loszu­werden, so hielt sie mit ihrer wahren Meinung zurück und sagte:Ja, liebe Schmargendorf, wenn Sie so was wollen, dann ist es allerdings die höchste Zeit. Der Postbote kann gleich kommen." Und wirklich, die Schmargendorf ging, nur die Triglaff zurück­lassend, deren Auge sich jetzt, mit dem ihm eignen Ausdruck, von der Domina zu Woldemar hinüber und dann wieder von Woldemar zur Domina zurück­bewegte. Sie war bei dem allem ganz unbefangen. Ein Verlangen, etwas zu belauschen oder von ungefähr in Familienangelegenheiten eingeweiht zu werden, lag ihr völlig fern, und alles, was sie trotzdem zum Ausharren bestimmte, war lediglich der Wunsch, dem historischen Beisammensein zweier Stechlins eine durch ihre Triglaffgegenwart gesteigerte Weihe zu geben. Indessen schließlich ging auch sie. Mau hatte sich wenig um sie gekümmert, und Tante und Neffe ließen sich, als sie jetzt allein waren, in zwei

braune Plüschfauteuils (Erbstücke noch vom Schloß Stechlin her) nieder, Woldemar allerdings mit großer Vorsicht, weil die Sprungfedern bereits jenen Alters­grad erreicht hatten, wo sie nicht nur einen dumpfen Ton von sich geben, sondern auch zu stechen anfangen.

Die Tante bemerkte nichts davon, war vielmehr froh, ihren Neffen endlich allein zu haben, und sagte mit rasch wiedergewonnenem Behagen:Ich hätte dir schon bei Tische gern was Beßres an die Seite gegeben; aber wir haben hier, wie du weißt, nur unsre vier Konventualinnen, und von diesen vieren sind die Schmargendorf und die Triglaff immer noch die besten. Unsre gute Schimonski, die morgen einundachtzig wird, ist eigentlich ein Schatz, aber leider stocktaub, und die Teschendorf, die mal Gou­vernante bei den Esterhazys war und auch noch den Fürsten Schwarzenberg, dessen Frau in Paris ver­brannte, gekannt hat, ja, die hätt' ich natürlich solchem feinen Herrn wie dem Herrn von Rex gerne vorgesetzt, aber es ist ein Unglück, die arme Person ist so zittrig und kann den Löffel nicht recht mehr halten. Da Hab' ich denn doch lieber die Triglaff genommen; sie ist sehr dumm, aber doch manierlich, so viel muß man ihr lassen. Und die Schmargen­dorf ..."

Woldemar lachte.

Ja, du lachst, Woldemar, und ich will dir auch nicht bestreiten, daß man über die gute Seele lachen kann. Aber sie hat doch auch was Ernstes und Gehaltvolles in ihrer Natur, was sich erst neulich wieder in einem intimen Gespräch mit unserm Fix zeigte, der trotz aller Bekeuutuisstrenge (die selbst Kose­leger ihm zugesteht) an unserm letzten Whistabend Aeußerungen that, die wir alle tief bedauern mußten, wir, die wir die Partie machten, nun schon ganz gewiß, aber auch die gute, taube Schimonski, der wir, weil sie uns so aufgeregt sah, alles auf einen Zettel schreiben mußten."

Und was war es denn?"

Ach, es handelte sich um das, was uns allen, wie du dir denken kannst, das Teuerste bedeutet, um den Mortlaut'. Und denke dir, unser Fix war dagegen. Er mußte wohl denselben Tag was ge­lesen haben, was ihn abtrünnig gemacht hatte. Personen wie Fix sind sehr bestimmbar. Und kurz und gut, er sagte: das mit dem Mortlaut', das ginge nicht länger mehr, die Merte' wären jetzt anders, und weil die Werte nicht mehr dieselben wären, müßten auch die Worte sich danach richten und müßten gemodelt werden. Er sagte gemodelt'. Aber das Wort, das er am meisten und immer wieder betonte, das war die ,Umwertung'".

Und was sagte die Schmargendorf dazu?"

Du hast ganz recht, mich dabei wieder auf die Schmargendorf zu bringen. Nun, die war außer sich und hat die darauf folgende Nacht nicht schlafen können. Erst gegen Morgen kam ihr ein tiefer Schlaf, und da sah sie, so wenigstens hat sie's mir und dem Superintendenten versichert, einen Engel, der mit seinem Flammenfinger immer auf ein Buch wies und in dem Buch auf eine und dieselbe Stelle."

Welche Stelle?"

Ja, darüber war ein Streit; die Schmargen­dorf hatte sie gelesen und wollte sie hersagen. Aber sie sagte sie falsch, weil sie Sonntags in der Kirche nie recht aufpaßt. Und wir sagten ihr das auch. Und denke dir, sie blieb ganz ruhig dabei. ,Ja', sagte sie, sie wisse recht gut, daß sie die Stelle falsch hergesagt hätte, sie habe nie was richtig her­sagen können; aber das wisse sie ganz genau, die Stelle mit den: Flammenfinger, das sei der Mort­laut' gewesen."

Und das hast du wirklich alles geglaubt, liebe Tante? Diese gute Schmargendorf! Ich will ihr gerne folgen; aber was ihren Traum angeht, da kann ich beim besten Willen nicht mit. Es wird ihr ein Amtmann erschienen sein oder ein Pastor. Dreißig Jahre früher wär' es ein Student gewesen."

Ach, Woldemar, sprich doch nicht so. Das ist ja die neue Fa<M, in der die Berliner sprechen, und in dem Punkt ist einer wie der andre. Dein Freund Czako spricht auch so. Du mokierst dich jetzt über die gute Schmargendorf, und dein Freund, der Haupt­mann, so viel Hab' ich ganz deutlich gesehen, that es auch und hat sie bei Tische geuzt."

Geuzt?"

Ja, du wunderst dich über das Wort, und ich

wundre mich selber darüber. Aber daran ist auch unser guter Fix schuld. Der ist alle Monat mal nach Berlin 'rüber, und wenn er dann wiederkommt, dann bringt er so was mit, und wiewohl ich's un­passend finde, nehm' ich's doch auch an und die Schmargendorf auch. Bloß die Triglaff nicht und natürlich die gute Schimonski auch nicht, wegen der Taubheit. Aa, Woldemar, ich sage .geuzt', und dein Freund'Czako hätt' es lieber unterlassen sollen. Aber das muß wahr seiu, er ist amüsant, wem: auch ein bißchen auf der Wippe. Siehst du ihn oft?"

Nein, liebe Tante. Nicht oft. Bedenke die weiten Entfernungen. Von unsrer Kaserne bis zu seiner, oder auch umgekehrt, das ist eine kleine Reise. Dazu kommt noch, daß wir vor unserm Höllischen Thor eigentlich gar nichts haben, bloß die Kirchhöfe, das Tempelhofer Feld und das Notherstift."

Aber ihr habt doch die Pferdebahn, wenn ihr irgendwo hin wollt. Beinah' muß ich sagen, leider. Denn es giebt mir immer einen Stich, wenn ich mal in Berlin bin, so die Offiziere zu sehen, wie sie da hinten stehen und Platz machen, wenn eine Madame aufsteigt, manchmal mit 'nem Korb und manchmal auch mit 'ner Spreewaldsamme. Mir immer ein Horreur."

Ja, die Pferdebahn, liebe Tante, die haben wir freilich, und man kann mit ihr in einer halben Stunde bis in Czakos Kaserne. Der weite Weg ist es auch eigentlich nicht, wenigstens nicht allein, weshalb ich Czako so selten sehe. Der Hauptgrund ist doch der, er paßt nicht so ganz zu uns und eigentlich auch kaum zu seinem Regiment. Er ist ein guter Kerl, aber ein Aequivokenmensch und erzählt immer Nachmitternachtsgeschichten. Wenn man ihn allein hat, geht es. Aber hat er ein Publikum, dann kribbelt es ihn ordentlich, und je feiner das Publikum ist, desto mehr. Er hat mich schon oft in Verlegenheit gebracht. Ich muß sagen, ich Hab' ihn sehr gern, aber gesellschaftlich ist ihn: Rex doch sehr überlegen."

Ja, Rex; natürlich. Das Hab' ich auch gleich bemerkt, ohne mir weiter Rechenschaft darüber zu geben. Du wirst es aber wissen, wodurch er ihn: überlegen ist."

Durch vieles. Erstens, wenn man die Familien abwägt. Rex ist mehr als Czako. Und dann ist Rex Kavallerist."

Aber ich denke, er ist Ministerialassessor."

Ja, das ist er auch. Aber nebenher, oder viel­leicht mehr noch darüber hinaus, ist er auch Offizier, und sogar in unsrer Dragonerbrigade."

Das sreut mich; da ist er ja so gut wie ein Spezialkamerad von dir."

Ich kann das zugeben und doch auch wieder nicht. Denn erstens ist er in der Reserve, und zweitens steht er bei den zweiten Dragonern."

Macht das 'nen Unterschied?"

Gott, Tante, wie man's nehmen will. Ja und nein. Bei Mars la Tour haben wir dieselbe Attacke geritten."

Und doch..."

Und doch ist da ein gewisses je ne kam hnoi."

Sage nichts Französisches. Das verdrießt mich immer. Manche sagen jetzt auch Englisches, was mir noch weniger gefällt. Aber lassen wir das; ich finde nur, es wäre doch schrecklich, wenn es so bloß nach der Zahl ginge. Was sollte denn da das Regiment anfangen, bei den: ein Bruder unsrer guten Schmargendorf steht? Es ist, glaube ich, das hundertsünfundvierzigste."

Ja, wenn es so hoch kommt, dann verthut es sich wieder. Aber so bei der Garde..."

Darin, mein lieber Woldemar, kann ich dir doch kaun: folgen. Unser Fix sagt mitunter,

ich sei zu exklusiv, aber so exklusiv bin ich doch noch lange nicht. Und solch Verstandsmensch, wie du bist, so ruhig und so ,abgeklärt', wie manche jetzt sagen, und Gott verzeih mir die Sünde, auch so liberal, worüber selbst dein Vater klagt. Und nun kommst du mir mit solchem Vorurteil, ja, verzeih mir das Wort, mit solchen Überheblichkeiten. Ich erkenne dich darin gar nicht wieder. Und wenn ich nun das erste Garderegiment nehme, das ist ja doch auch ein erstes. Ist es denn mehr als das zweite? Man kann ja sagen, so viel will ich zugeben, sie