Heft 
(1898) 05
Seite
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Melier Land und Meer.

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Spätzchen hatte keine Ahnung von dem Zu­sammenhang des sich entwickelnden Dramas. Sie hatte die Scene auf dem Hof nicht belauscht, und das Zwiegespräch Isidors mit Glasphyra war ihr ebenfalls entgangen. Sie wußte nicht recht, wie fie Cohns Ironie aufzufassen und zu erwidern hatte.

Ich glaube gar nicht, daß er abreist," versetzte sie einfach.

Er darf nicht! Er darf nicht! Er darf unter keiner Bedingung! Fräulein, Sie ahnen nicht, wie mir ums Herz ist! Alle wollen sie ihn hören und auf einmal ist er weg. Und wer bekommt die Vorwürfe? Ich natürlich, ich, der ich alles auf- geboten habe, um alle und jeden zufriedenzustellen."

Kommen Sie jetzt nur in Ihr Hotel," ermunterte sie den Gebeugten.Ich will mein möglichstes für Sie thun. Ich weiß den Mecerino so ein bißchen zu nehmen. Erst muß man ihm Angst machen, dann ein paar gute Worte und dann eine Flasche Sekt ..."

X.

Wir standen vor Mecerinos Thür. Seine hallenden Schritte gaben uns ein deutliches Bild, mit welcher düsteren Gemessenheit er all seine feinen Toiletten­parfüms in seinen juchtenen Handkoffer packte.

Die Spatz klopfte erst gar nicht an.

Er will abreisen also ist er angezogen," meinte sie sehr logisch. Und drin war fie.

Ich bin gleich fertig," sagte er wie ein zum Tode Verurteilter.Ich werde zu Fuß gehen, denn einen Wagen stellt mir der Cohn natürlich nicht. Meine Koffer bringen Sie mir wohl morgen mit."

Davon kann gar nicht die Rede sein," versetzte die Spatz hell.

Sie sind ja so abweisend."

Ich soll Sie wohl gar noch kajolieren mit der Aussicht auf den Heidenskandal?"

Skandal?" Er legte würdevoll seine Seife in ein silbernes Futteral, das Bolle ihm geschenkt. Man merkte es ihn: an, so ganz natürlich war seine Gemessenheit nicht.

Denken Sie, die Presse von heutzutage läßt sich so was, wie Ihre Ausreißerei, entgehen? 'runtermachen wird man Sie, daß kein gutes Feder- chen an Ihnen, kein schöner Ton in Ihnen bleibt. Die Presse"

Aus die pfeif' ich!"

Dann pfeifen Sie nur, pfeifen Sie nur! Wenn alle die Artikelchen kommen, wird Ihnen das Pfeifen schon vergehen. Und ein schönes Denk­mal, das Sie sich hier setzen."

Ist mir egal."

Die Seife war in der Kofferecke festgestopft er hatte nichts mehr zu packen. Mit verschränkten Armen stellte er sich vor die Spatz hin.

Na noch was?"

Jawohl, noch was. Mit mir sind Sie für künftige Konzertreisen fertig! Ich begleite Ihnen beileibe nie mehr, wenn Sie abreisen. Denken Sie, ich lasse mir solch eine eine eine - eine"

Er bekam einen feuerroten Kopf. Jetzt lief der Aerger über.

Zum Schockschwerenot, ich muß mich aber rächen! Meine Galle ist ganz geschwollen, sage ich Ihnen." Er griff sich an die Gurgel.Es würgt mich ordentlich! Mir ist schlecht, sage ich Ihnen! Ich muß mich rächen, sage ich Ihnen, ich muß, oder ich werde krank!"

Spätzchen war nahe am Lachen, aber sie ver­kniff sich's.

So rächen Sie sich doch meinetwegen! Nur schlagen Sie sich nicht selbst ins Gesicht. Wenn die Presse über Sie herfällt, so ist das für Sie viel schlimmer. Weeß Kneppchen,- Mecerino, Sie sind doch sonst ein einsichtsvoller Mensch! Und dann sind unsre Fahrkarten auch schon bezahlt. Sie müssen sich doch vor Bolle schämen, wenn"

Vor dem?" fuhr er auslachend dazwischen.

Und die Goldstein lacht sich auch ins Fäustchen, wenn Sie ihrethalben verduften. Der Sieger be­hauptet das Feld!" Sie schlug mit der geballten Rechten in die flache Hand.

Aber rächen"

Ja doch, ja doch! Rache ist die erste Bürger­pflicht! Und nun gehen wir nach unten, und da brüten Sie bei einer Flasche Sekt Ihre Rache aus. Ihre Kofferschlüssel geben Sie nur her."

Gewandt zog sie ihm die Schlüssel aus der nach­lässig darum geschlossenen Hand.

Als wir uns auf der Treppe befanden, rief Cohn von unten in Heller Aufregung:

Ein Telegramm für Sie, Mecerino!"

Dieser nahm die letzten vier Stufen mit einem Satz und konnte nicht rasch genug öffnen.

Von Bolle," flüsterte mir die Spatz zu, die ihm über den Ellbogen guckte.

Mecerino machte ein sehr geschmeicheltes Gesicht und rief:Brillant!"

So lesen Sie doch vor!" drängte die Spatz, die sich vor Neugier kaum noch lassen konnte.

Cohn sah mit Nase, Mund und Ohren gespannt der wichtigen Nachricht entgegen, die der berühmte Künstler erhalten hatte. Dieser stellte sich hin wie ein Verkündiger des Rechts und las:

Bolle und seine Gäste trinken volles Glas auf großen Sänger nebst Damen. Cortagli schäumt."

Er faltete das Blatt zusammen.Sekt, Isidor! Aber französischen! Gut frappiert!"

Wie eine Windsbraut wirbelte Cohn davon, schrie aber noch von der Kellertreppe heraus:

Was werd' ich nicht kennen die Goldstein!"

Alle Cohns beteiligten sich an dem Servieren des Schaumweins. Während Isidor den Mattheus Müller holte, lief Cohn der Zweite mit dem Eis­kühler in die Brauerei nebenan, um ihn füllen zu lassen. Cohn der Dritte stellte Gläser auf den Tisch. Jeremias wischte sie mit der uns bereits ! wohlbekannten Serviette aus. '

Das Ganze war ein Ereignis. !

Mecerino hatte sich in das Sofa geworfen und ! streckte die Beine von sich. Er versank in Gedanken ! und schien die Welt um sich vergessen zu haben. ! Unaufhörlich glitt seine Hand abwechselnd über die ^ rechte und die linke Schnurrbarthälfte. Er schlug rhythmisch mit dem Telegramm auf seinen Oberschenkel.

Er brütet Rache," stieß mich die Spatz mit ! dem Ellbogen an.Sitzt er nicht da" - sie verhimmelte,wie Apollo, wenn er dichtet?"

Ob Apollo so gesessen haben mochte, ist zweifelhaft; indessen nickte ich zustimmend, und sie war glücklich.

Plötzlich sprang er ans und schwenkte das Tele­gramm triumphierend in der Lust.

Briefbogen und Tinte!" dröhnte er.

So viel Cohns zugegen waren, so viele flogen, um das Gewünschte im Sturm zu beschaffen.

Im Augenblick saß Mecerino am Tisch und warf mit fliegender Feder zwei volle Seiten aufs Papier.Man kann nicht wissen, was einem die Schlange noch bieten würde," stieß er durch die Zähne.Löschblatt!"

Der Brief war couvertiert und adressiert.

Jeremias stand schon mit ausgestreckter Hand. Ich werd' 'n nach der Post bringen."

Halt, halt, erst abwarten, junger Freund! Diesen Brief bringst du nach Breslau selbst."

Alle Cohns starrten.

Sofort! Wenn du die Beine in die Hand nimmst, kommst du noch zehnmal zum Zug zurecht."

Isidor belebte sich mit einem Male.

Was, er soll fahren nach Breslau? Zwei Stunden hin und zwei Stunden zurück? Da kann er ja um sieben nicht wieder zurück sein!"

Um neun ist er wieder hier. Lauf, Bengel! Es eilt."

Aber Jeremias zeigte sich diesmal wider­spenstig.Ich Hab' 'ne Besorgung," wandte er ein.

Die kann doch ein andrer machen."

Es ist 'ne Vertrauenssache. Und ich kann mir verdienen"

Wirst 'n Mund halten, Jeremias!"

Schockschwerenot, dann soll der da fahren!" Mecerino Zeigte ans Aron.

Der kann auch nicht," entschuldigte Isidor.

Ihr wollt mich wohl ärgern?" fuhr jener auf.

Wir können wirklich nicht," lenkte Isidor ein. Die beiden Großen müssen die Wagen fahren ..." Er lächelte teuflisch.

Dann schaffen Sie 'n andern, aber schleunigst."

Jeremias, lauf in die Brauerei. Der Schnabel- Mihle soll fahren. Der ist schon öfters gewesen in Breslau. Der weiß auch, wo der Herr Bolle wohnt."

Bolle ist bei Hansen es steht ja deutlich auf dem Couvert. Die sitzen bis um zehn."

Jeremias stob fort mit dem Briefe.

Die Spatz ich sah's ihr an verkam schon vor Neugierde. An Bolle! Eine Danksagung für das Weiheglas war der Brief bestimmt nicht. Viel­mehr zeigte Mecerinos erleichtertes Wesen, daß mit dieser Epistel an den Freund seine ganze dumpfe Rachelust befriedigt sein mußte. Was konnte er für Feuerlärm geschlagen haben? Im Geiste sah Spätz­chen Bolle samt allen seinen Gästen heut abend noch ankommen, um mit Mecerino Kriegsrat zu halten; im Geiste sah Spätzchen Mecerino schon einen Prozeß an­strengen, den Bolle späterhin aus Vergnügen bezahlte.

Jetzt füllte Mecerino mit strahlendem Gesicht die Gläser, stieß mit uns an und trank ans.

O wie wohl ist mir am Abend," summte er. Noch ein Glas auf Volles Promptheit."

Jetzt platzte die Mine bei der Spatz.Was haben Sie denn mit Bolle?"

Das werden Sie ja sehen, Sie kleiner Unheils- sunke. Wären Sie nicht so versessen auf den Flügel gewesen die ganze Geschichte wäre glatt verlaufen."

Ihre Indolenz geht mir eben ab," versetzte die Spatz spitzig.Jeder Pianist muß wissen, was er unter die Finger bekommt. Sie als Sänger haben Ihre Flöte in der Kehle."

Er lachte.Drum war eben die Verweigerung des Schlüssels eine ganz unerhörte Impertinenz."

Das war sie."

Und sie wird ebenbürtig gerochen. Isidor! noch eine Flasche Sekt. Bringen Sie für sich auch

ein Glas mit." (Fortsetzung folgt.)

Zer internationale Kongreß für Aröeiter- schuh in Zürich.

E^us dem in Zürich abgehaltenen Kongreß für Arbeiter- schntz hat naturgemäß der gesetzliche Schutz der Frauen­arbeit einen hervorragenden Platz in den mehrtägigen Diskussionen eingenommen. Man mag über den positiven Wert solcher durch Resolutionen bekräftigten Erörterungen denkeil, wie man will, jedenfalls haben sie das Verdienst, wieder einmal in bedeutsamer Weise daran erinnert zu haben, daß die Franenfrage ein sehr weites Gebiet hat und nicht nur etwa die gebildeten undgelehrten" Frauen umschließt, die ans allen Gebieten des Wissens und Könnens mit dem Manne ringen wollen, sondern vor allem die un­gezählten Tausende von Frauen, die im Großbetriebe, in Fabriken und in allen Zweigen unsrer gewaltigen Pro­duktion durch ihrer Hände Arbeit ihren und der Ihrigen Unterhalt zu erwerben oder zu demselben beizustenern streben. Solche, von den verschiedensten Gesichtspunkten ausgehenden, aber in der Hauptsache dennoch nach einem Ziele steuernden Debatten machen es auch dem Gleich­gültigen klar, daß die sogenannteFranenemanzipation", das heißt die Lösung der Frau aus überlebten Vorurteilen und unhaltbar gewordenen Verhältnissen, als eine logische Folge der gegenwärtigen Kulturstufe und der modernen, völlig umgewandelten Industrie- und Produktionsverhältnisse, nicht aber als ein Erzeugnis thörichter Gelüste und leerer Eitelkeit anzusehen ist.

Aber die Diskussionen, die durch Ruhe und Sachlichkeit durchaus wohlthuend berührten, zeigten zugleich auch, daß die Anschauungen über gewisse Grundfragen auch bei den in der Frauenbewegung thätigen Damen noch keineswegs geklärt sind, daß vielmehr in wesentlichen Fundamental­punkten die Meinungen stark anseinandergehen. Sogar Herr Bebel sah sich genötigt, festzustellen, daß in der Debatteunüberbrückbare Gegensätze" sichtbar geworden wären. Während die maßvollen und besonnenen Elemente den die moralische und physische Kraft schädigenden Miß­bräuchen bei der Frauenarbeit jeglicher Art durch gesetz­liche Maßnahmen entgegentreten, einzelne sogar, wie Pro­fessor de Wiard (Brüssel) auf eine allmähliche Abschaffung der Frauenarbeit in den Bergwerken, Steinbrüchen und in der Großindustrie hinarbeiten wollen, weil die Frauen­arbeit, wie der Kapitalismus sie konstruiert habe,eine Versündigung an der Natur" sei und das Familienleben ruiniere, so will der sozialistische Flügel (Frau v. Gizycki- Berlin und Frau Zetkin-Stuttgart) von einer sülchen Ein­mischung nichts wissen. Zwar halten sie einen Schutz der Frauenarbeit, ganz besonders eine Kürzung der Arbeitszeit für wünschenswert, um Muße für geistige Arbeit zu ge­winnen, aber für ein Verbot treten sie nur da ein, wo die Frau an ihrem Körper Schaden erleiden muß.Die Frau erzielt ihre geistige Freiheit nur dann, wenn sie ökonomisch selbständig ist," sagte Frau v. Gizycki. Man sieht, daß dieser Standpunkt mit dem praktischen Interesse der Arbeiterfrau wenig zu thun hat, denn diese wünscht sich mehr freie Zeit, nur Familie und Häuslichkeit in gutem Stande zu erhalten, nicht um sich geistig fortzubilden. Es könnte fast so scheinen, als ob der ablehnende Standpunkt der Frau v. Gizycki nur die Tendenz maskieren solle, die Frauenbewegung aus rein geistigem Gebiete sestzuhalten, gewissermaßen also eine Frauenbewegung für die höheren