87
M 5
Gesellschaftsklassen zu konstruieren. Einer solchen Tendenz könnte nicht scharf genug gegenübergetreten werden, denn die Frauenbewegung ist nicht nur für die geistige Aristokratie vorhanden, sondern auch für die schlichte Arbeiterfrau, und gerade aus dem Juteresse für sie, aus dem echt humanen Bestreben, ihr Leben etwas freundlicher und erträglicher zu gestalten, zieht die Frauenfrage eine werbende und gewinnende Kraft, die auch den Gleichgültigen von der Notwendigkeit einer verbessernden Umgestaltung des Frauenloses überzeugen muß.
Die umfassenden und eingehenden Diskussionen können wir hier nur in aller Kürze und in ihren Resultaten wiedergeben. Herr Professor Schlicher (Wien) und Herr Nationalrat Decurtius (Truns) mit ihrer Betonung des eigentlichen Berufs der Frau iu der Familie als der Grundlage eines gesunden nationalen Lebens und init der Beweisführung, daß man die Frau durch eine Emanzipation nur herabwürdige, waren Prediger in der Wüste. Wenn Herr August Bebel die Gegensätze iu der Debatte so deutete, daß der Antrag de Wiard „die kapitalistische Produktion beseitigen und eine kleinbürgerliche an die Stelle setzen wolle, seine Partei aber dieselbe zu einer höheren Stufe, zur soizalistischen, führen wolle", so bleibt der Sinn dieser Worte sein Geheimnis.
Es ist unwahrscheinlich, daß die Frauenarbeit in der Großindustrie, in der Landwirtschaft, in der Hausindustrie und so weiter in absehbarer Zeit abgeschafft werden kann, und deshalb ist ein wirksamer Schutz für diese Arbeit dringend erforderlich. Daß derselbe durch erfahrene und tüchtige Frauen als Fabrikiuspektorinnen oder wenigstens durch weibliche Assistenten der Fabrikinspektoren ausgeübt wird, ist das nächste ins Auge zu fassende Ziel, und dazu brauchen wir vor allem eine umfassende, von humanstem Geiste getragene Schutzgesetzgebung für alle Arbeiterinnen und weiblichen Angestellten in der Groß- und Kleinindustrie, dem Gewerbe, Handel, dem Verkehrs- und Transportwesen, sowie endlich auch in der Hausindustrie. Nach dieser Richtung wurden recht beachtenswerte Vorschläge gemacht, die wir kurz ihrem Inhalt nach skizzieren wollen.
Als Grundlage für diese Schutzbestimmungen wurde vor: der Referentin, Fräulein Margarete Greulich (Zürich), zunächst die Feststellung einer Maximalarbeitszeit gefordert, und zwar von 8 Stunden pro Tag und 44 Stunden pro Woche, so daß Sonnabend um 12 Uhr die Arbeit aufhört und eine Ruhezeit von 42 Stunden bis Montag früh gesichert ist. Gegen das Prinzip läßt sich wenig einwenden, aber richtiger, weil erreichbarer, wäre wohl die Forderung einer Maximalarbeitszeit von 10 Stunden pro Tag gewesen.
Für die verheirateten Frauen wurde eine Schutzzeit von acht Wochen vor und nach der Niederkunft gefordert, und zwar nach der Niederkunft von „wenigstens sechs Wochen", ferner für diese Zeit „eine entsprechende Entschädigung vom Staat oder von der Gemeinde". Ob den Frauen in ihrer Majorität selbst eine so lange Schutzzeit erwünscht ist, lassen wir dahingestellt, und ob eine Schutzzeit vor der Niederkunft ganz generell notwendig ist, dürfte auch von der wohlwollendsten Seite bezweifelt werden. Das Generalisieren ist hier voin Uebel, die
Hauptsache ist ein humanes und wohlwollendes Verfahren in jedem einzelnen Falle, der durch die Fabrikinspektorinnen, wenn nötig unter Zuziehung des Arztes, geprüft werden kann.
Die Frage der Hausindustrie ist eine komplizierte und wegen ungenügender Erfahrungen noch nicht spruchreif. Daß eine Einschränkung, beziehungsweise endliche Beseitigung wünschenswert ist, wird von keiner Seite bezweifelt werden. Aus diesen: Gesichtspunkt betrachtet, that die
Versammlung wohl daran, dieselbe auf den nächsten Kongreß zu verschieben. Es wurde aber vom Deputierten v. Volkmar mit Recht hervorgehoben, daß die Hausindustrie schwere soziale und gesundheitliche Uebel im Gefolge hat und überdies ein großes Hindernis für die gewerkschaftliche Organisation und für die Durchführung eines wirksamen Arbeiterschutzes bilde. Er hätte hinzufügen können, daß der heutige Zustand, bei dem Tausende von Konfektionsarbeiterinnen in ihren engen, dumpfen Wohnräumen ihre saure Arbeit thatsächlich als eine Qual empfinden müssen, aufs dringendste Abhilfe erheischt. Hier ist nur Wandel zu schaffen durch die gesetzliche Anordnung von gesunden, geräumigen Betriebswerkstätten, wie sie da und dort, zun: Beispiel in Augsburg, von privater Seite eingerichtet sind. Ganz kürzlich hat die Jahreskonferenz der Schneider und Schneiderinnen Sachsens die Erklärung abgegeben, daß die Errichtung solcher Betriebswerkstätten auf alle Fälle, und wenn nicht anders, so durch eine allgemeine Arbeitseinstellung gefordert werden müsse. Wer in die Wohnungsverhältnisse der Näherinnen und Konfektionsarbeiterinnen in den großen Städten zufällig einen Blick geworfen hat, wird jener Forderung nur beistimmen können.
Wir heben aus den Beratungen noch zwei wesentliche Punkte hervor: die Nachtarbeit und die Arbeit in gesundheitsgefährlichen Betrieben. Der Referent, Professor Erismann (Zürich), hob hervor, daß der Arbeitsschutz von allen Parteirichtungen gleichmäßig aus drei Gesichtspunkten betrachtet werden müsse, vom ethischen, ökonomischen und hygienischen. Der Arbeiter habe ein Recht, hier von: Staat Hilfe zu verlangen, damit ihm ein menschenwürdiges Dasein
Ueöer Land und Weer.
gesichert sei; die soziale Frage könne der Staat nicht lösen. Die Nachtarbeit muß für jeden, ob er Mann oder Frau, Kind oder Erwachsener ist, als mehr oder minder gefährlich angesehen werden, sie ist also, da sie nicht entbehrt werden kann, auf das Mindestmaß zu beschränken.
Die Unternehmer, die aus technischen Gründen auf ununterbrochenen Betrieb angewiesen sind, und die genau bezeichnet werden müssen, sollen achtstündige Arbeitszeit in drei Schichten einführen, und nur Männer sollen hierbei thätig sein dürfen. Daß diese nach dem Wunsche des Referenten nur „mit ihrer Zustimmung" zur Nachtarbeit verwendet werden dürfen, halten wir für sehr schwer durchführbar und dürste vielfach zu Differenzen und Streitigkeiten führen. Ueberzeitarbeit soll für Kinder, junge Leute beiderlei Geschlechts unter achtzehn Jahren sowie für Frauen nicht gestattet sein. (Auch dies scheint etwas zu weitgehend und daher unpraktisch zu sein.) Männern ist dieselbe ausnahmsweise zu gestatten, wenn sie nicht auf Stunden ausgedehnt wird, die in: Gesetz als Nachtstunden gelten. Eine Verlängerung der eingeführten Arbeitszeit darf nur dann gestattet werden, wenn der Betrieb durch unvorhergesehene Ereignisse (Unglücksfälle, Naturgewalt) gestört worden ist und dem Unternehmer großer Schaden hieraus erwächst.
Was die gesundheitsschädlichen Betriebe betrifft, besonders den metallischen und mineralischen Staub, bekanntlich eine Hauptquelle der Arbeitersterblichkeit, so soll der Staat die Arbeitgeber zu weitestgehenden Schutzmaßregeln anhalten.
Man darf mit Recht erfreut sein, daß der Kongreß sich von allen Maßlosigkeiten und ungerechten Angriffen ferngehalten und sich dadurch den Anspruch auf Beachtung und Prüfung seiner gerechten Forderungen erworben hat. Daß er zum Schluß die Einführung eines allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Stimmrechts für die Wahlen zu den ! gesetzgebenden Körperschaften für alle forderte (also auch für ^ die Frauen), darf inan vielleicht mehr der freudigen und gehobenen Stimmung als politischer Klugheit anrechnen.
Richard Wulckow.
„Ueber Lauö und Aleer"-Photographien.
o rasch und in so weitem Umfang, wie zu erwarten war, ist von unserm Anerbieten, unfern Abonnenten Vervielfältigungen von eingesandten Photographien zu liefern, ^ Gebrauch gemacht worden. Dabei sind vielfach Anfragen l nach der besondern Art und der Herstellung der von uns ! gelieferten photographischen Bilder an uns gelangt. Gern ^ bereit, diesen Wünschen zu entsvrechen — zumal unsre An- ! regung auf einen so fruchtbaren Boden gefalle:: ist —, haben ! wir uns an einen hervorragenden Fachmann gewandt und geben ihm in dem Folgenden das Wort. Wir hoffen, daß die Ausführungen nicht nur die ausgesprochenen Wünsche befriedigen, sondern unserm gesamten Leserkreis willkommenen Aufschluß über ein interessantes Kapitel der photographischen
In den weiteren Kreisen des Publikums ist es nicht genügend bekannt, wieviel in der Photographie, auch nachdem eine mehr oder minder gute Aufnahme — ein sogenanntes Negativ — von einer Person gelungen ist, für den Ausfall der schließlich in die Hände des Bestellers gelangenden Abdrücke noch von der Herstellung dieser selber, von der Ausführung des sogenannten „Positiv"-Verfahrens ! abhängt; und namentlich haben die wenigsten eine Ahnung davon, über welche Fülle von verschiedenen Wegen ^ hierbei die moderne Photographie verfügt, welche Vor- ^ züge und Nachteile die einzelnen haben, wie schwierig ^ und infolgedessen kostspielig dies oder jenes Verfahren ist,
^ ob, wo und wie Bilder der einen oder andern Art zu erhalte:: sind, und so weiter. Es soll versucht werden,
hierüber einige Klarheit zu verbreiten. Mit Rücksicht auf die vielen, denen es an der unmittelbaren Anschauung gebricht, und um möglichst zu wirklichem Verständnis der Sache zu führen, muß dabei — der Schwierigkeit des Gegenstandes entsprechend — etwas gründlich zu Werke gegangen werden.
Noch vor dreißig Jahren verstand man unter einer „Photographie" ausschließlich und ohne weiteres ein Silberbild auf Albumin-(Eiweiß)-Papier, dem durch Tonen oder „Golden" — so nach dein dabei benutzten kostbaren Stoffe genannt — eine angenehmere, je nach dem Ge- schmacke des Photographen ins Bläuliche oder ins Bräunliche oder auch mehr ins rein Schwarze fallende Färbung gegeben war, als sie dem reinen Silberbilde eigen. Mancherlei der ganzen Technik noch anhaftenden Mängel machten die glänzende Oberfläche dieser Bilder unvermeidlich und zwangen, die verschiedenartigen unangenehmen Begleit- und Folge- Erscheinungen derselben und des Eiweißmaterials überhaupt in den Kauf zu nehmen. Unter diesen waren die hauptsächlichsten die folgenden:
Die Bilder erwiesen sich als sehr wenig haltbar; wovon mancher sich, wenn seine Bilder nicht eine unsagbar sorgfältige Behandlung erfahren hatten, schon nach überraschend kurzer Frist zu überzeugen Gelegenheit hatte. Sie wurden — nicht selten zunächst in sehr störenden vereinzelten Flecken — gelb und verblichen, schwanden zusehends, am schnellsten in den zartesten Hellen Teilen, wodurch eiue ausdruckslose
„Härte" (Mangel an feinen Details und an Modellierung) entstand.
Die Bilder bedeckten sich trotz der vorsichtigsten Aufbewahrung mit unzähligen feinen Rissen, durch die namentlich die sehr beliebten und verbreiteten kleineren Bilder — Visitenkarten und „Kabinetts" —, die in der Nähe betrachtet werden, eine um so empfindlichere Einbuße erlitten, je zartere Durcharbeitung man bei ihnen verlangte und zu finden gewohnt war.
Die Bilder entsprachen einem gebildeten Geschmack nicht immer durch ihren „Ton". Ganz abgesehen davon, daß boshafte Menschen mit einem gewissen Rechte behaupten konnten, in einem Dutzend Bilder fänden sich immer mindestens dreizehn verschiedene Töne, waren diese vielfach an sich unschön: lehmig, fuchsig, „blitzblau" und so weiter, während gerade die aus der Kunst her besonders beliebten Farben, namentlich das satte Schwarz des Kupferstiches und der andern Druckarten, kaum je im Umkreise des Erreichbaren lagen.
Die Bilder wichen auch von dein im Kunstdrucke Gewöhnten insofern wenigstens für einen großen Kreis zu feinerem Geschmack erzogener Kenner unerfreulich ab, als der „speckige" Glanz ihrer Oberfläche den Blick beunruhigte. Aber selbst derjenige — der Zahl nach ja bei weiten: überwiegende — Teil des Publikums, der sich durch die „Eleganz" dieser blanken Zubereitung bestechen ließ und durch die Gewöhnung dahin gekommen war, diese Eigentümlichkeit mit zu dem Begriffe einer Photographie sozusagen untrennbar zu verschmelzen, empfand es im höchsten Grade unliebsam, daß diese „schöne" spiegelnde Oberfläche überaus verletzlich war, und daß die init ihr ausgestatteten Photographien im Aufbewahren durch die kleinsten kaum zu vermeidenden und im einzelnen kaum nachweisbaren Beschädigungen viel eher unscheinbar wurden als Bilder andrer Technik ohne solchen Glanz.
Dem Photographen selber endlich konnte es kann: entgehen, daß der Albuminprozeß den Negativen allzuviel schuldig blieb: ein großer Teil der entzückendsten Feinheiten, welche die Aufnahme auszeichneten, und deren Möglichkeit beinahe den wertvollsten Vorzug der Photographie an sich ausmacht, wurde von dem Albuminabdruck trotz der eifrigsten Bemühungen und der sorgfältigsten Herstellung nicht wiedergegeben.
So war naturgemäß das allgemeiue Streben dahin gerichtet, das Albuminverfahren durch ein andres zu ersetzen. Hatte man doch schon alle erdenklichen Versuche init andern Materialien gemacht.
Der nächste große Fortschritt war die Ersetzung des Albumins durch die Gelatine: es kamen die sogenannten „Aristo"-Bilder auf. Diese Neueruug aber bewirkte mehr als die Beseitigung der aufgezählten Mängel des älteren Verfahrens eine durchgreifende Umwälzung in der Photographie selber, von der schwerlich zu behaupten ist, daß sie derselben, das heißt der gründlichen Ausbildung und selbständigen Tüchtigkeit der einzelnen Photographen zum Segen gereicht hätte. Es wurde jetzt nämlich möglich, fix und fertig präpariertes Papier in den Handel zu bringen, so daß der Photograph der Selbstbereitung — wenigstens Silberung — des jeweilig gebrauchten Quantums überhoben war. Im übrigen blieb es ziemlich beim alten. Der wesentlichste Vorzug der Neuerung bestand entschieden darin, daß durch die gleichmäßige Herstellung der fertigen Papiere im Großbetriebe durchschnittlich eine bessere Qualität der Bilder herbeigeführt wurde. Denn dein geringen Photographen kam so wenigstens ein tadelloseres Material in die Hand, als er es sich häufig selbst herzustellen in der Lage gewesen war.
Fast unmittelbar auf die Einführung der Gelatinepapiere erfolgte ein vollständiger Austausch der Materialien zwischen dem Negativ- und dem Positivprozesse. Die inzwischen nach kurzem Widerstande siegreich überall zur Herrschaft gelangte „Trockenplatte" — Bromsilbergelatineplatte — hatte durch die Gelatine das Kollodium aus den: Negativverfahren verdrängt ; und dieses rächte sich nun einigermaßen, indem es versuchte, der Gelatine ihre erstrebte Stellung im Positivprozesse streitig zu machen oder vorweg zu nehmen: es wurden fertig präparierte Papiere auf den Markt gebracht, die statt der Gelatine Kollodium als Träger des lichtempfindlichen (Chlor)-Silbers benutzten, die sogenannten „Celloidin"-Papiere, so bezeichnet nach der feinsten Sorte des Kollodiums, die schon lange unter dem Namen „Celloidin" in der Technik eingeführt war. Hierdurch war mehr als durch die Gelatinepapiere gewonnen; denn diese haben keine gute Eigenschaft, deren die Celloidin- papiere entbehrten. Diese aber bieten in der Kollodiumschicht ein chemisch indifferentes und die eingeschlossenen Silberteilchen gegen die atmosphärischen Einflüsse sehr nachdrücklich abschließendes Material, was der Haltbarkeit der Bilder — wenn es auch wahrscheinlich falsch ist, von einer vollständigen Unveränderlichkeit derselben zu reden, — außerordentlich zu statten kommt. Die Schicht reißt ebensowenig wie Gelatineschicht; und diese Papiere sind für die zartesten Details des Negatives in einem auch die Gelatinepapiere hinter sich lassenden Grade empfänglich. Der Tönung bedürfen sie freilich auch, und diese vermeidet hier sogar nur bei überaus sorgfältiger Behandlung und starkem Goldverbrauche das unerträgliche Auftreten zweier verschiedenen