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Ueber Land und Meer.
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scharfer Gangart angejagt und biegen in die Tessauer Straße ein; ebenso sieht man von dort kleine gelbe Postwagen, mit einem Pferd bespannt, sogenannte „Karriolen", in schärfster Gangart aus der Dessaner Straße herauskommen. Biegt man in die bald ein freundliches, bunt ornamentiertes Gebäude, das zurücktritt, und in dessen Vorhof sich ein außerordentlich wickelt. Wir stehen vor dem kaiserlichen Post-Zeitungsamt, stunde beginnen die Berliner Zeitungen ihre Abendblätter zur Versendung in die Vororte, in die Provinz, aber auch für das Ausland aufzuliefern.
Drängen wir uns durch die Zeitungsangestellten, die Kutscher und Träger von gewaltigen Zeitungsstößen und gelangen wir durch das Hanptportal in das große Vestibül, so sehen wir hier einen riesenhaften, zwanzig Quadratmeter großen, mit Eisen beschlagenen Tisch, auf den in ununterbrochener Folge Tausende und Abertausende von Exemplaren der verschiedenen Berliner Zeitungen von den Angestellten der Zeitungsexpedition krachend niedergeworsen werden.
Wir blicken in lange, saalartige Räume hinein, in denen es von Postbeamten wimmelt, und wir sehen, wie der Tisch, der soeben meterhoch mit Zeitungsexemplaren bedeckt ist, in dem Bruchteil einer Minute abgeräumt wird, um sich unmittelbar darauf wieder aufs neue zu füllen. Für die deutschen Zeitungen, für Verleger, Redakteur und Schriftsteller, ebenso aber für das lesende Publikum im In- und Ausland ist dies Gebäude und das Getriebe, das sich in ihm abspielt, von außerordentlichster Bedeutung.
Das kaiserliche Post-Zeitungsamt hat die Aufgabe, die in Berlin erscheinenden politischen Zeitungen — es sind deren vierundzwanzig, von denen eine große Anzahl täglich zweimal erscheint —, ebenso die nichtpolitischen, die Fachzeitschriften (sechsundneunzig), nach sämtlichen Postanstalten des Reiches, bei denen Leser auf diese Zeitungen abonniert sind, zu spedieren. Das Post-Zeitungsamt hat außerdem noch den Debit des preußischen Gesetzblattes und des Reichsgesetzblattes; es besorgt ferner für das ganze Deutsche Reich die Zeitungen aus dem Ausland und spediert deutsche Zeitungen an sämtliche zum Weltpostverein gehörenden Länder und Postämter, ebenso wie es die deutschen Kolonien in Neu-Guinea, Ost- und Westafrika mit Zeitungen direkt versieht.
Zweimal täglich giebt es im Post-Zeitungsamt gewaltige Aufregung, und zwar früh von ^3 bis 8 Uhr und abends von 1^5 bis 10 Uhr.
Es ist dies die Zeit, in der die Berliner politischen Blätter ihre Ausgaben in Hunderttausenden von Exemplaren abliefern. Die Fachzeitungen
letztere ein, so erblickt man etwas von der Straßenfront lebhaftes Wagengerassel ent- , und in dieser Nachmittags
kommen im Laufe des Tages in das Post-Zeitungsamt und werden hier, wenn nicht gerade besondere Umstünde vorliegen, in aller Ruhe und Gemächlichkeit auf die verschiedenen Stationen verteilt. Die Berliner politischen Zeitungen aber kommen am Morgen und am Abend immer im sogenannten „letzten Moment", unmittelbar bevor die Karriolpostwagen ans dem Post-Zeitungsamt nach den Bahnhöfen jagen, damit die in Säcke verpackten Pakete für die verschiedenen Stationen in die Postwagen der von Berlin abgehenden Züge geworfen werden können. Es handelt sich deshalb bei dem Morgen- und Abend- anstnrm in dem Post-Zeitungsamt darum, innerhalb weniger Minuten Hnnderttausende von Exemplaren abzuzählen, zu verteilen, ans die verschiedenen Stationen zu sortieren, zu verpacken, zu verschnüren, die zu einein Postkurs gehörenden Zeitungspakete in Säcke zu packen, diese Säcke in Karriolen zu verladen und diese dann vom Hofe zu entlassen. Täglich zweimal werden so die Beamten des Post-Zeitungs- amtes vor eine Aufgabe gestellt, die dem Laien unlösbar scheint, und doch lösen sie sie seit langen Jahren dank ihrer Routine und Energie wie dein richtigen Jneinandergreifen aller Kräfte. Wie ein Uhrwerk arbeiten nachmittags gegen 7 Uhr 121 Postschaffner unter der Leitung von Postbeamten und unter der Oberaufsicht des Direktors. Nicht ein einziger von diesen Beamten darf versagen, darf einen Fehler machen, darf auch nur eine halbe Minute lässig sein; er muß wie ein Uhrwerk, eine Maschine seinen Dienst thun, darf sich durch das ungeheure Geräusch, das Getöse, das während der Arbeitszeit im Erdgeschoß und in der ersten Etage herrscht, nicht stören lassen. Es muß ihm gleichgültig sein, daß Hunderte von Menschen im Vestibül hin und her laufen, daß hydraulische und elektrische Aufzüge, mit Zeitungen beladen, auf und nieder rasseln, daß Laufkarren durch die Säle rollen, daß elektrische Klingeln läuten, aus Sprachrohren Kommandorufe erschallen, und ein Durcheinanderlanfen stattfindet, daß es dem Uneingeweihten zuerst wie ein Chaos erscheint.
Selbst für denjenigen, der wiederholt im Post-Zeitungsamt der Thätigkeit der Beamten zugesehen hat, ist es schwer, sich in das
großen Zügen gesagt werden, daß zur Bewältigung der Arbeit die Beamten auf sechzehn sogenannte „Listen", das heißt Unterabteilungen, verteilt sind. Jeder Abteilung oder Liste ist eine Anzahl der viertausend Poststationen des In- und Auslandes überwiesen, mit denen das Post-Zeitungsamt arbeitet, und für jede Poststation ist innerhalb der Listen ein Fach vorhanden. In dieses Fach wird vor Beginn des großen Ansturmes ein Streifen gelegt, der später zur Verpackung der Zeitungen dienen soll; ans diesen Streifen ist ein bedruckter Zettel mit dem Namen der Empfangspostanstalt nufgeklebt. Das Post- Zeitungsamt braucht täglich viele Tausende solcher Zettel, die mit Hilfe von Schneidmaschinen hergestellt werden. Von morgens 8 Uhr ab werden die für die betreffenden Poststationen einlaufenden Fachzeitungen in das bestimmte Postanstaltfach hineingelegt, und wenn gegen Pz5 Uhr nachmittags die ersten Exemplare aus den Druckereien der politischen Blätter eintreffen, müssen natürlich lich zuerst diejenigen Poststationen bedacht werden, die an Postkursen liegen, für welche die Schnellzüge zuerst abgehen. Es werden daher sämtliche im Vestibül eingelieferten Zeitungen von der unmittelbar dahinter liegenden Verteilungsstelle auf die Listen zur Verarbeitung verteilt, je nachdem von den betreffenden Zeitungen Exemplare einlanfen.