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Die Kungersteine.
Vornan
Gertrud Irauke-Schievekvein.
(Fortsetzung.)
^^ohanna lief hinaus, und Felix lauschte in die dunkle Stube hinein, wo jetzt zwei weiche Stimmen durcheinanderklangen. Die Johannas war wie gesättigt von Zärtlichkeit; die des Kindes hell und golden wie Licht, süß und geheimnisvoll wie Vogelgezwitscher.
Dann trat Johanna wieder ein, auf dem linken Arm das Kind, das in einem rosigen Flanellkittel steckte, in der rechten Hand auf einem Brett Tasse und Milchtops.
„Nun müssen wir dem Onkel etwas voressen," sagte sie fröhlich und unbefangen und setzte sich mit dem Kinde am Tisch nieder. Sie glich jetzt vollkommen der Photographie. Die letzte Spur von Bedrücktheit war verschwunden. Strahlend glücklich, stolz, frei, voll mütterlicher Würde machte sie sich mit dem Kleinen zu schaffen.
Felix saß steif und starr auf ihrem Schoß, ganz überwältigt in seiner kleinen Seele, wie es schien, von dem Wunder eines Besuchs. Er vergaß aber trotzdem nicht die Selbsterhaltungspflicht, ließ sich die Tasse an den Mund setzen und trank in langen, tiefen, zuweilen von einem Seufzer unterbrochenen Zügen.
Obgleich eben aus dem Schlaf und aus dem dunklen Zimmer gekommen, blinzelte er doch nicht. Mit Huberts Augen, klar, fest, nachdenklich sah er den fremden Mann an; in göttlicher Unschuld und Unbefangenheit, ohne Scheu, aber auch ohne lächelndes Entgegenkommen.
So saßen sie eine Weile Auge in Auge, der große und der kleine Mensch. Endlich beugte sich Karl zn dem Kleinen hinüber und hielt ihm die Hand hin, in die Felix ohne Zögern sein weiches, rundes Händchen legte.
„Ausgeschlafen, kleiner Kerl?" ries er lachend. „Das sieht ja aus, als sollt's in den Morgen gehn, statt in die Nacht."
„Leider ja," sagte seine Mutter, die leere Tasse niedersetzend. „Wir werden Schelte kriegen vom Papa."
Sie wollte ihn auf die Erde stellen, aber er hatte keine Lust und wehrte sich energisch. Da holte sie ihm seinen Baukasten, und er sing sogleich an, geschickt und mit spitzen Fingern die bunten Klötze Znsammenzusügen.
Johanna begann wieder zu plaudern. Von Göttingen, den alten Zeiten, die doch trotz aller Bitternisse so unvergänglich schön in ihrer Erinnerung lebten. Von ihrem Vater, der längst wieder verheiratet sei, mit einen: jungen Dinge, und der sie sicher in dieser Absicht ans dem Hause habe schaffen wollen. Von ihren Leipziger Verwandten, die voll sittlicher Entrüstung ihr hatten verwehren wollen, zu Hubert zu reisen, als er totkrank war, und die sie seitdem wie eine Verworfene behandelten.
„Ach Gott," fuhr sie träumerisch fort, „was fragte ich danach! Nur daß er lebte, lebte! Dies Glück, als ich ihn mir wieder Znrechtgepflegt hatte! Mein Eigentum, mein Kind war er, so schwach und weich."
„Er hat mir's erzählt. Er dankt Ihnen sein Leben."
„Ach!" Sie errötete tief. „Mein bißchen Verdienst! Nein," sagte sie leiser, „die Hauptsache war, daß ich die Sorgen für ein Weilchen ihm aus den: Wege schieben konnte. Die hatten ihn ja ganz aufgefressen."
„Sie haben ihm viel geopfert."
„Geopfert?" Sie sah ihn groß an, als verstünde sie ihn nicht recht. Dann seufzte sie. „Ach Gott! Sauer genug hat er mir's ja gemacht. Mit seinem verrückten Stolz! Er wollte keine ,Wohl- thatew annehmen, nicht einmal von mir. Und wie es so geht: Schlag auf Schlag — kein Glück, bloß immer eine Widerwärtigkeit nach der andern, kaum daß er nur anfing, ein bißchen emporzukommen. Da haben wir Stunden durchgemacht ..."
Sie stand aus, als wolle sie dem Kleinen ein
Ueber <Land und Meer.
andres Spielzeug holen. Aber sie blieb eine Weile unschlüssig stehn neben dem Kindertischchen, blickte dann durchs Fenster und zupfte die Nähtischdecke gerade, die sie dabei verschöben hatte.
Als sie wieder auf ihren Platz zurückkam, war ihr zartes Gesicht sehr blaß. Ihre schlanken Hände zitterten.
„Zuletzt hatte er allen Glauben an sich verloren. Auch an sein Talent, was das Schlimmste war, und an meine Liebe. Da Hab' ich mir gar nicht mehr zu helfen gewußt und bloß immer gebetet, daß der liebe Gott ihm irgend ein Zeichen senden möge . . . so etwas Großes, das ihn herausrisse aus dieser schrecklichen Mutlosigkeit. Aber es kam nichts — und da blieb mir nichts andres übrig —"
Ihre Stimme brach. Ein krampfhaftes Zittern ging durch ihre Brust, doch sah sie mit klaren, trockenen Augen Karl ins Gesicht. „Sie sind ein guter Mensch," wiederholte sie mit rührender Zuversicht, „Ihnen kann ich ja alles sagen: ich hätte mit Freuden mein Leben für ihn gegeben. Ich dachte: dein Tod, der würde ihn anfrütteln. Aber das sollte nicht sein. — Und wie es dann so still und friedlich Zwischen uns wurde... als er so glücklich aussah und dann in einem Zuge sein Drama schuf. . . sehn Sie, Herr Doktor, da Hab' ich mir hundertmal gesagt: das kann keine Sünde sein, und es wäre klein und schlecht, wenn ich's je bereuen würde."
Sie schloß mit leidenschaftlicher Inbrunst das Kind in ihre Arme und bedeckte es mit Küssen. Da geschah ein scharfer Zug an der Klingel, und sie ging hinaus, um zu öffnen.
Es war Hubert, der eintrat und Karl die Hand entgegenstreckte. „Sieh da!" rief er. „Sie sagte mir's schon. Und daß ihr euch gleich wieder angefreundet habt. Das freut mich, hauptsächlich ihretwegen."
Johanna war wieder mit ihm ins Zimmer getreten, gefaßt und heiter. Sie half ihm diensteifrig den Mantel ablegen. Bei seinen freundlichen Worten, die von einen: guten, warmen Blick begleitet waren, errötete sie tief und sah sehr jung und hübsch aus.
„Ich habe sie mit hineingerissen in meine Einsamkeit," fuhr er fort. „Armer Schelm! Das ist nichts für Weiber."
„Hab' ich denn etwas entbehrt?" fragte sie mit einem innigen Blick. „Du hättest mich nicht so verwöhnen sollen. Freilich, mit dem Herrn Rechtsanwalt, das ist etwas andres. Der muß recht oft kommen. Nicht wahr, Herr Rechtsanwalt?"
Während Karl sich zustimmend verneigte, sagte Hubert mit einen: leichten Stirnrunzeln: „Aber du hast noch nicht gesorgt für deinen Gast —"
Sie erschrak. „Lieber Gott, ja! Und draußen steht alles! Ich hab's nur ganz vergessen über dem Plaudern. Verzeihen Sie!"
Ehe Karl noch ein Wort äußern konnte, war sie schon hinausgeschlüpft.
Hubert setzte sich hausväterisch in die Sofa-Ecke. Felix, der die ganze Zeit vergebens um seine Aufmerksamkeit gebettelt hatte, legte jetzt die runden Arme auf sein Knie, blickte verklärt zu ihm empor und stammelte voller Glückseligkeit: „Papa! Papa!"
Ueber Huberts fahles Asketengesicht flog eine zitternde, verlangende Zärtlichkeit, als wolle er das schöne Geschöpf emporheben und mit Liebkosungen überhäufen. Nur einen Augenblick. Dann hatte es wieder seine sarkastische Ruhe. Er klopfte dem Kleinen ans die runden Backen. „Na, da bist du ja, kleiner Kerl! Noch nicht müde?"
Felix schüttelte den Kopf und zeigte noch deutlicher sein Verlangen, auf des Vaters Schoß zu sitzen. Aber Hubert blieb ungerührt. „Geh spielen, an deinen Tisch. Sonst mußt du ins Bett."
Des Kindes große Augen standen plötzlich voller Thränen. Der kleine Mund zog sich herab. Aber wie ein Held verbiß Felix das Weinen. Nur ein Zucken der Brust verriet seinen Kummer, als er langsam nach seinem Spieleckchen tappte.
Dem gutmütigen Karl war's, als müsse er dem Kinde nachstürzen, es aufheben, mit tausend guten Worten trösten. „Du scheinst ja wahrhaft spartanische Erziehungsgrnndsätze zu haben," sagte er halblaut, damit das Kind es nicht höre.
„Ich muß es," erwiderte Hubert ebenso. Dabei
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ging ein schmerzlicher Schatten über sein Gesicht. „Johanna verzärtelt ihn mir schon genug. Und er braucht Härte. Für seinesgleichen hat das Leben keine Rosen."
„Desto inehr braucht er eine sonnige Kindheit."
„Nein," rief Hubert nach einem kurzen Nachdenken. „Aber das kannst du nicht so verstehn . . . Und auch für mich ist's eiserne Notwendigkeit, alles sortzuschieben, was nicht meine Welt ist, meine eigentliche Welt."
„Hubert — Mensch sein, das ist's doch!"
Ueber Huberts fahles Gesicht huschte ein dunkles Rot. Seine Augenbrauen falteten sich dicht zusammen. Dann lächelte er bitter. „Ich bin's nur zu sehr. Dies Kind, so klug, so schön. . . mit seinen rätselhaft tiefen Augen — ich vergöttere es ja! Aber: Landgraf, werde hart!"
„Spitzfindigkeiten! Du tüftelst zu viel!"
Hubert lächelte, wie man über die Reden eines Kindes lächelt. „Was weißt du, Kindlein! — Wenn hier oben Ebbe ist" — er schlug sich vor die Stirn — „oder im Geldbeutel. . . und du bietest dein Bestes aus wie sauer Bier . . . Sachen, die den ganzen Schund anfwiegen, der sich breit macht —" Er schluckte mit Gewalt die Erregung hinunter, die in ihn: ausstieg. Dann fuhr er ruhig fort: „Siehst du, dann kommt wohl die Versuchung mit den: blonden Lockenkopf da und zeigt mir ein Familienidyll: ich selbst als würdiger Hausvater in geachteter bürgerlicher Stellung, Johanna strahlend im Besitz des legitimen Frauentitels. . . der Junge — Na, ii: solchen Momenten wär' ich fähig, mich als Lohnschreiber in irgend 'ner Zeitnngsschmiere zu verdingen —"
„Erlaube," unterbrach ihn Karl, „da stand doch mal was über dich in der Zeitung. Irgend eine Fürstlichkeit sollte dich zu ihrem Bibliothekar ernannt haben — "
„Wurde nichts draus." Hubert dämpfte die Stimme, mit einem Blick ins Nebenzimmer. „Der hohe Mäcen stieß sich später an meinen moralischen Qualitäten. Aber sie — Johanna — weiß nur, daß ich ,freiwillig' abgelehnt habe. Also still davon! Es hat sie sehr geschmerzt."
„Das begreif' ich," murmelte Karl.
„Dem Himmel Dank! Ich hält' mich ihretwegen bald ins Joch spannen lassen. So blieb mir's doch erspart, das einzige, was ich besitze, meine Freiheit, dem Mammon opfern zu müssen. Aber was denkst du so in dich hinein, Kindlein?"
„Nichts. Ich begreif' es bloß ganz gut, daß du mit den Prinzipien vier Treppen hoch wohnst und Anfang März nicht mehr heizest."
Hubert lachte. „Verkenne nur ja nicht meine praktischen Talente, Kindlein. Du stellst dir an: Ende vor, daß ich, die Hände im Schoß, auf die bewußten gebratenen Tauben warte? Herrgott, was Hab' ich mir nicht alles für Preise bieten lassen! Mein Schuster würde mich über die Achsel ansehn, wenn er wüßte, wie mir die Arbeit von Wochen, Monaten, Jahren bezahlt wird. Ich habe mich bei Zeitungen und Familienblättern als Korrespondent, Referent, Rezensent angeboten, ja, einem Witzblatt meine Feder zur Verfügung gestellt — lieber Himmel, an Galgenhumor konnt's mir doch nicht fehlen! Man hielt mich diesen wichtigen Aufgaben nicht für gewachsen. Ich habe Aufsätze, Essays, Feuilletons geschrieben, während in meinem Kopf die glänzendsten Ideen unbenutzt verpufften . . . Nun endlich!" unterbrach er sich, als Johanna jetzt ins Zimmer trat, mit geröteten Wangen, eii: Brett mit Tellern, Gläsern und dein Abendbrot in den Händen.
Die ganze Hast und der Eifer, mit dem sie draußen alles besorgt hatte, lag ihr noch auf den: Gesicht. Ihre Augen waren etwas ängstlich und heiterten sich erst auf, als Hubert gleichmütig blieb.
Nun deckte sie gewandt den Tisch, stellte Brot, Butter und eine Schüssel mit kaltem Fleisch auf und lud freundlich zum Zulangen ein.
Während all dieser Hantierungen hatte sie von Zeit zu Zeit verstohlen Huberts Gesicht geprüft. Ehe sie sich setzte, trat sie noch einmal wie zufällig neben ihn und strich ihm leicht und sanft über das Haar. Diese schlichte Gebärde war von einer rührend demütigen Zärtlichkeit.
Er sah zu ihr empor, gütig und dankbar, aber ohne zu lächeln. „Was giebt's?" fragte er.