Heft 
(1898) 10
Seite
163
Einzelbild herunterladen

10

Ich hörte eben, zuletzt, wovon Ihr spracht." Sie sah unruhig und besorgt aus.

Er zog die Stirn kraus.Kind, mach dir darum keine Kopfschmerzen! Ich thu's ja auch nicht. Das ist ja alles Quark! Aber sieh ein­mal dort..."

Er deutete auf den Spielwinkel. Felix hatte den Lockenkopf aus die Arme gelegt und war fest eingeschlasen.

Der arme Schelm!" flüsterte Johanna und wollte zu ihm eilen. Aber Hubert hielt ihre Hand fest.

Laß ihn. Er schläft da ganz gut. Komm endlich zur Ruhe."

Sie setzte sich gehorsam nieder man sah es, mit welcher Ueberwindung und bemühte sich, eine aufmerksame und gesprächige Wirtin zu sein. Aber Karl Wedekind merkte wohl, daß ihre Heiterkeit ihr nicht recht vom Herzen kam, und daß sie fort­während mit Bedauern an die unbequeme Lage des Kindes dachte. Doch wagte sie nicht einmal die Bitte, es ins Bett bringen zu dürfen.

Er beeilte sich deshalb so viel wie möglich, das Abendbrot zu absolvieren. Und fast mit einem Auf­atmen der Erleichterung erhob sie sich, als niemand mehr nahm, räumte in Eile ab und trug den fest­schlafenden kleinen Burschen hinaus.

Alles das hatte Karl Wedekind bemerkt und ein tiefes Mitgefühl für diese arme Seele empfunden. Das war ganz so wie früher. Ja, noch viel un­selbständiger, scheuer, zaghafter erschien sie ihm jetzt.

Es ist ihre rechtlose, demütigende Stellung, dachte Karl. Und er nahm sich's vor, als Anwalt im höheren Sinne, was menschenmöglich wäre, zu thun, um Hubert herauszuhelfen aus diesem Elend.

Und Johanna soll den NamenMutter" in Ehren tragen, dachte er.

Nach einer halben Stunde lebhaften Plauderns brach Hubert auf, sehr zum Bedauern Johannas, die ganz versunken ihm zngehört hatte. Er ließ sich aber nicht halten. Morgen früh müsse er frisch sein bei der Arbeit.

Die beiden Freunde gingen wieder ein Stück Weges zusammen. Karl sah noch immer Johannas Gesicht vor sich. Er war schweigsam und versonnen.

Nun?" unterbrach Hubert ihn,wie findest du sie? Willst du uns jetzt noch mit der Philisterelle messen?"

Nein," sagte Karl. Ich will euch nur wünschen, daß euer Glück bald feste Gestalt annimmt... daß es von Dauer ist..."

Dauer?" erwiderte Hubert.Weißt du nicht, daß sie oft der größte Feind des Glücks ist? Das Leben erneut sich von Stunde Zu Stunde. Nach ein paar Jahren sind wir andre geworden, ohne es zu wissen." Und er führte diesen Gedanken mit logischer Schärfe weiter aus. Wenn man ihn hörte, hatte er immer recht.

Mit einer wahren Angst ergriff Karl die Idee: wenn ihm Johanna auch mal im Wege ist, wenn ihre Liebe ihm eine Fessel wird ob er auch sie opfern würdedem Gotte in sich", wie er ihm Be­haglichkeit und Wohlleben und bürgerliches Ansehn geopfert hat?

Dummes Zeug! sagte er sich. Das wäre ja einfach Schurkerei. ..

Sie waren derweil in die Nähe des Zwingers gekommen. An der schmälsten Stelle der Straße, dem Prinzenpalais gegenüber, war der Gaul eines Pferdebahnwagens gestürzt. Und während viele Hände sich bemühten, dem Tier wieder auf die Beine zu Helsen, hatte sich eine ganze Wagenburg dort an­gesammelt. Die Oper war eben beendet, und vom Theaterplatz kamen Droschken und Equipagen. Omnibusse und Pferdebahnwagen standen in Reihen hintereinander. Die Kutscher fluchten und schimpften, die Insassen der Wagen steckten ungeduldig und neu­gierig die Köpfe ans den Fenstern. Viel Volks hatte sich auf dem schmalen Bürgersteige angesammelt. Hubert und Karl kamen nur langsam vorwärts.

Plötzlich hörten sie neben sich ein rasches, leb­haftes Klopsen gegen die Glasscheibe einer Equipage. Erstaunt wandten sie sich um. Da sahen sie ein graubärtiges, lachendes Männergesicht neben einem reizenden Mädchenkops hinter dem Fenster.

Der Herr winkte voll Frische und Herzlichkeit. Seine Bewegungen, sein Ausdruck waren jugendlich

Ueber Land und Meer.

kraftvoll und lebendig. Das Fräulein lächelte und nickte mit dem blonden Kops, um den ein weißer Spitzenshawl geschlungen war. Auch ihr Händchen, schlank und sein, in einem silbergrauen Handschuh steckend, hob sich grüßend mit dem Fächer. Dabei blitzte es an ihrem Handgelenk, als hätte ein Stern sich dorthin verirrt.

In diesem Augenblick entwirrte sich der Wagen­knäuel, der Kutscher tickte mit der Peitsche aus die Pferde. Das Bild war verschwunden.

Karl war stehn geblieben, wie vom Blitz ge­troffen. Er starrte dem Wagen nach, der längst nicht mehr zu sehen war. Da hörte er Hubert neben sich lachen.

War das ein Erkennen oder ein Verkennen?" fragte er.Du bist ja ,itzt zur Statue entgeistert'."

Karl antwortete nicht gleich, doch ging er weiter, ganz mechanisch, und hielt das Gesicht noch immer von Hubert abgewendet, als sei drüben auf der Straße was Interessantes zu sehn.

Ein Wiederfinden war's," sagte er endlich mit einer merkwürdig beklommenen Stimme, in der allerlei mitklang.Ich wußte noch gar nicht, daß sie wieder hier sind."

Du scheinst ja vornehme Bekanntschaften zu haben," meinte Hubert mit leisem Spott.Wer sind denn die Leute?"

Berghauer. Konsul Berghauer."

Ah der?" machte Hubert langgedehnt.

Karl kehrte ihm mit einer heftigen Bewegung sein Gesicht zu. Es war dunkelrot, erregt.

Kennst du ihn?"

Wer kennt ihn nicht, den Allerweltskerl?"

Karl Wedekind sah aus, als wolle er Hubert wegen dieses Ausdrucks aus Pistolen fordern. Er beherrschte sich aber und sagte mit etwas unnatür­licher Gelassenheit:Allerweltskerl? Wieso denn?"

Weil er überall dabei sein muß, der Mensch. Fortwährend steht ja sein Name in der Zeitung. Wenn irgend was gegründet werden soll, in ,Humanität' scheint er ja besonders zu machen und in Kunst jeden Genres . . . Wie ein Mensch so vielseitig sein kann und so viele Interessen unter einen Hut bringen in seinem einen Schädel, das ist mir immer ein Rätsel gewesen."

Gar kein Rätsel, wenn du den Mann kennst. Er ist eben ein Mensch mit einem Adlerhorizont, ein Elitemensch... ein Mensch, der sein ,Kuh- schnappel', wo er zufällig zur Welt gekommen ist, deshalb noch nicht für ,die Welt' hält. Er ist in allen fünf Weltteilen spazieren gegangen... Kos­mopolit .. . und deshalb sieht er überall in unfern überlebten Einrichtungen, wo die Fehler flecken... überall will er helfen, bessern, Fortschritte, junges Leben sehn. Geld And Arbeitskraft hat er genug, Einfluß auch, denn wenn's den Leuten nichts kostet, lassen sie sich's ganz gern gefallen, daß einer ihnen ihr verfitztes Garn auseinanderbringt..."

Karl Wedekind brach plötzlich mitten in dem Loblied ab, das er seinem Gönner aus vollem Her­zen sang. Er wußte aus einmal, wer Hubert Helsen würde und Helsen konnte. Das packte ihn, als wär' ihm selber ein Glück widerfahren.

Uebrigens kennen sie dich dort schon," fuhr er nach einem kurzen Stocken eifrig fort.

Welche Ehre!" meinte Hubert ironisch.

Sie haben dein Stück gesehn, bei der Premiere."

Huberts Gleichgültigkeit war plötzlich verschwun­den. Seine dunkeln Augen begannen zu glühen.

Gesehn," murmelte er.Also gesehn, wie der zahlungsfähige Theaterpöbel ein Drama ablehnte, kalt, stumpf, blödsinnig, das"

Es soll auch Beifall gewesen sein."

Ja, ein Dutzend Verständnisvoller gegen die kompakte Masse, die sich bekreuzigt, wenn ihr mal statt des süßen Breies eine gesunde, kräftige Kost vorgesetzt wird..."

Sie sind noch nicht reif für dich. Das war immer so, wenn ein Bahnbrecher kam. Erst schreien sie: ,kreuzige!' dann ,hosianna!'. Aber du hast schon deine Gemeinde. Das weißt du ja selbst. Der Konsul gehört dazu. Er bewundert dich . . . Ja, er bewundert dich," versicherte Karl treuherzig und nachdrücklich, als Hubert ungläubig die Achseln zuckte.Und bei seinem Einfluß nnd seinen vielen Freunden er hat sie ja, wie gesagt, in allen fünf Weltteilen sitzen..." Wieder schien er einen

163

Ausdruck zu suchen, der zart und vorsichtig genug war, Huberts Empfindlichkeit nicht zu verletzen.

Er würde sich riesig freuen," fuhr er nach sei­nem langen Anlauf hastig heraus,wenn du. . . na kurz und gut. .. morgen ... da kaufen wir ihn uns, nicht wahr?"

Hubert sah ihn an, als glaube er sich verhört zu haben.

Ich?" fragte er dann langsam,ich zu ,einflußreichen' Leuten lausen? Katzbuckeln, schar­wenzeln, meine Sachen anpreisen?"

Dummes Zeug! Wer spricht davon? Einfach einen Besuch machen."

Nein," sagte Hubert mit großer Ruhe.Du solltest mich doch genug kennen. So ,hinten herum' einen Erfolg erschleichen..."

Erschleichen!" Der verständige Karl wurde ganz wild.Herrgott! Du weißt doch, wie's geht! Das Echte, das Gute, das Große braucht am meisten Zeit durchzudringen. Es schmeichelt ja den Leuten nicht, steigt nicht zu ihnen herab, will sie zu sich heraufheben. Wenn nun da einer kommt, der was gilt bei der großen Masse; wenn er dem und jenem sagt: ,Da ist was Neues, Gutes! Das müßt ihr sehn!' Das ist doch noch kein Anpreisen!"

In einer ihm selber erstaunlichen Beredsamkeit blieb Karl noch eine ganze Weile bei diesem Thema. Huberts Stillschweigen, Nachdenken, Ueberlegen machte ihn immer zuversichtlicher. Es war ja ganz un­möglich, daß dem die Sache nicht endlich einleuchtete.

Sie waren längst über die Augustusbrücke.

Karl hätte vor einer ganzen Weile abbiegen müssen. Aber ehe er seine Absicht nicht erreicht hatte, dachte er gar nicht daran, Hubert loszulassen.

Da blieb dieser plötzlich stehn. Sein Gesicht war finster und ablehnend.

Wer war die junge Dame im Wagen? "fragte er.

Wer anders als Fräulein Charlotte, die älteste Tochter," meinte Karl und fühlte plötzlich seine Ohren glühn.Es ist übrigens noch eine zweite da. . . ein reizender Backfisch . . . überhaupt eiu Haus, so sein und angenehm..."

Den Backfisch schenk' ich dir vollends. Selbst die reifsten Weiber behalten stets etwas Unfertiges, Halbes. Menschen in höherem Sinn werden sie ja überhaupt nie. . . Und nun so ein grasgrüner, vorlauter Affe!"

Karl lachte, halb wütend, halb amüsiert.Wer sagt denn das? Vorlaut?"

Sie sind's alle. Je weniger Mehl sie zu mah­len haben, desto lauter klappern sie."

Du hast eine ganz merkwürdige Art, das ,Weib' in Bausch und Bogen abzuthun. Weil du's nicht kennst!" sagte Karl, jetzt ernstlich böse.

Kennst du irgend eine Frau so genau, wie ich Johanua?" fragte Hubert überlegen.

Johanna!" rief Karl,eine solche Ausnahme!"

Der Typus des echten Weibes. Ein Nichts ohne den Mann. Alles, was sie wurde, hat und weiß, kam ihr durch die Liebe. Durch mich. Sie ist mein Geschöpf."

Sie hat Lehrgeld genug gezahlt "

Ja. Das Höchste, was das Weib für den Mann thun kann, hat sie für mich gethan. Weil sie weiß, daß ich ihr immerhin tausendmal mehr gegeben habe: meinen Geist, das Verständnis für höhere Genüsse. . .; ja, ihre eigne Seele Hab' ich herausgegraben aus Alltagswust und Weiberthor- heit"

Thöricht war Johanna nie wenn du nicht ihre Selbstlosigkeit so nennen willst"

Hubert hörte nicht.

Drum bleib mir mit dem Fräulein Berghauer vom Leibe und auch mit deinem Konsul, trotz seines ,Adlerhorizonts'. Was soll ich bei den Leuten? Ich habe weder Talent, mich protegieren zu lassen, noch auch, mich,jungen Damen' angenehm zu machen."

Gut!" sagte Karl ärgerlich.

Er drehte sich kurz um nnd wollte gehn. Da nahm Hubert herzlich seine Hand.

Ja, du braver Kerl, meine Stacheln Hab' ich noch. Die sind noch nicht stumpfer geworden. Ge­wöhne dich nur wieder dran."

Mit dir ist nichts anzufangen," brummte Karl. Aber er erwiderte doch den kräftigen Händedruck Huberts. Dam: gingen sie jeder ihres Weges.