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Weber Land und Meer.
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'rausrücken mit Ihrer Adresse. Sagte so was, daß Sie zu stolz wären, zu mir zu kommen. Nun, ich bin nicht stolz. Hab' mir's abgewöhnt. Bin höchstens darauf stolz, daß ich's nicht bin. Aber zu dem Standpunkt kommt man erst in meinem Alter. Drum bin ich also bei Ihnen. Aber ich sag's Ihnen gleich: ich habe schlimme Absichten" — er sah Hubert lächelnd an, nahm die Brille ab und rieb sich die Augen — „ich will ein Attentat auf Ihre Freiheit begehn."
Hubert antwortete mit einer leichten Verbeugung, einem erwartungsvollen Blick
„Ich will Sie entführen," sagte der Mann in feiner energischen Art. „Unten steht mein Wagen. Zu Haus warten meine Töchter, daß ich ihnen den seltenen Vogel bringe, der zu stolz ist, sich freiwillig auf unser bescheidenes Haus niederzulassen. Die Lotte ist extra daheim geblieben, läßt ihre Kopie in der Galerie eintrocknen. Wenn Sie mich in: .Stich lassen, krieg' ich saure Gesichter. Wollen Sie mir das anthun?"
„Herr Konsul," sagte Hubert, seltsam berührt, ja beinahe bewegt durch so viel Güte und Zuvorkommenheit, „ich habe die zwingendsten Gründe, die Ehre, die Sie mir erweisen, zu meinem schmerzlichen Bedauern
— abzulehnen."
„Oho!" rief Berghauer. „Gut geredet!
Also die wären?"
„Ich muß es vermeiden... das sage ich nicht etwa ans Bescheidenheit... in der Hinsicht halte ich's mit Goethe... ich weiß ganz gut, wer ich bin . . aber gerade deshalb, Herr Konsul. . . mein Stolz, mein Selbstbewußtsein..."
„Ehrlich gesprochen!" rief Berghauer warm. „Sie sind mein Mann . . . Was noch?"
„Außerdem — ich bin so ganz auf meine Arbeit angewiesen — und nicht so bodenlos leichtsinnig, meinem Vergnügen..."
Berghauer streckte energisch abwehrend die Hand aus.
„Da sitzt er, der Irrtum nämlich. Lass' ich einfach nicht gelten. Bewundre, wie billig,
Ihre Charakterstärke, aber... das sag' ich Ihnen — na, ein Diplomat bin ich nicht
— - darf ich's sagen?"
Hubert nickte. Sonst hielt er's immer für eine Unverschämtheit, wenn jemand sich's herausnahm, ihm „seine Meinung" zu sagen.
Unter der Firma hatte sich die gemeinste Bosheit, der blässeste Neid, die ohnmächtigste Eifersucht das Vergnügen gegönnt, ihr Gift gegen ihn zn verspritzen. Der Mann aber
— so herzlich, so einfach, so väterlich. . .
Wenn du den Zum Vater gehabt hättest, durchfuhr es ihn, was wär' aus dir geworden!
Und frei und offen sagte Berghauer dem Dichter, was ihm an der „Buße" ausgefallen war. Es sei ihm alles zu sehr in's „Ueber- lebensgroße" verzerrt. „Einfacher, natürlicher!" schloß er. „Sie mit Ihren: Talent,
Sie müssen die Leute packen, daß sie sich die Seele aus dem Leibe heulen."
Hubert stand, mit dem Rücken an den Schreibtisch gelehnt. Er sah ernst und nachdenklich aus, doch nicht wie ein in seiner Eitelkeit Gekränkter. „Fahren Sie nur fort," sagte er mit der Sanftmut eines gebändigten Löwen.
„Es leuchtet Ihnen ein?"
„Ich wußte es längst."
„Herrlich!" rief Berghauer. „Die Erde hat Sie wieder! Steigen sie nur herunter von Ihrem zugigen Turm! Mitten hinein ins Marktgewühl. Studieren Sie die Männlein und die Fräulein ... vor allem aber die Fräulein!"
„Herr Konsul —"
Ein humoristisches Lächeln umspielte Berghaners Lippen. „Ich weiß, ich weiß: Sie lieben ,die Menschen' nicht. Sie ist Ihnen unheimlich, diese sogenannte ,Menschheit'. Und auch mir — ich gesteh's — flößt sie so 6u Zl -08 ein stilles Grausen ein, wenn stein ihrem unaufhaltsamen Drange nach Fortschritt Milliarden von uns Infusorien zu Brei tritt — wie nichts.
„Aber nun schauen Sie näher zu: die Einzelheiten, der Einzelne. Der Mensch. Wissen Sie, was in dem Wort Mensch' liegt? Leidensgefährte! Alle. Alle. Schauen Sie nur! Das ist, als wenn Sie durchs Mikroskop sehn — ein Wassertropfen — aber eine Welt wimmelnder Geschöpfe. Und jedes hat sein eignes Leben, sein Wünschen, seine Schmerzen, seinen Tod."
Hubert Schwarz nickte. Ja, hinein ins Leben! Menschen kennen lernen, studieren, die Scheu, den Stolz, die falsche Scham abwerfen, die ihn einsam j und fast menschenfeindlich gemacht hatte! Da streckt sich ihm eine warme, liebevolle Hand entgegen. Soll . er die fortstoßen? '
Der Konsul erhob sich. „Sehn Sie, Hubertus
Schwarz, das alles sag' ich Ihnen, weil ich an Ihr Talent glaube. So! Nun den Mantel um! Geputzt sind Sie genug. Meine Frauenzimmer daheim sehn auch lieber Menschen', als geschniegelte Affen."
Und Hubert Schwarz that, was er selber vor einer Stunde noch für unmöglich gehalten hatte: er folgte dem Konsul in dessen Haus.
Die Fahrt in dem schönen Wagen, durch den Hellen Märztag war Hubert ein nie gekannter Genuß. Breit und glänzend lag der Strom, den blauen Himmel spiegelnd. Ein kleiner Dampfer fuhr stromaufwärts, wie in den Frühling hinein, mit seinem frischen, grünweißen Kleid. Die Ufer schimmerten in den feinsten Tönen, zartes Silbergrau, braun, violett... die Ferne ein Duft.
Fast bedauerte er's, als der Kutscher plötzlich in ein Gartenthor einlenkte, über einen kiesbestreuten breiten Weg fuhr und vor einem schönen Sandsteinportal hielt.
Der Konsul selbst half Hubert ablegen. Dann nahm er ihn ungeniert bei der Schulter und schob ihn durch eine Flügelthür, die ein Zöschen geöffnet hielt, vor sich her ins Zimmer.
Aber das Zimmer war leer.
„Zum Kuckuck!" rief der Konsul, enttäuscht umherblickend, „ist denn niemand da?"
Er schlug die Portieren eines Nebenraumes zurück. „Lolo! Aber so komm doch!" rief er voll lebhafter Ungeduld. Und zu Hubert zurückgewandt: „Die ist gerade wie Sie. Wenn die ihre Arbeit vorhat, kann das Haus brennen. Sie ist nicht wegzukriegen."
Durch die Portiere trat eine junge Dame, sehr schlank und hochgewachsen. Etwas Palmenartiges, sagte sich Hubert, überrascht durch diesen geschmeidigen Wuchs. Sie schien fast zu groß in ihrem glatten silbergrauen Kleide, das die zarten Linien der Gestalt graziös herausmodellierte.
Ein leichtes zurückhaltendes Neigen des kleinen blonden Kopfes. Dann berührte eine weiche, kühle Hand die seine. Und so eine Hand! dachte er staunend. Wie die Brust einer Schwalbe, so leicht, weiß und weich.
„Da Hab' ich ihn euch also wirklich gebracht," rief der Konsul, vergnügt die Brille abnehmend und die Augen reibend. „Hier also, Nr. 1 — das ist Lolo. Auch eine... das heißt von Ihrer Gemeinde."
„Papa!" sagte die junge Dame leicht zurückweisend.
„Etwa nicht?" Er zwinkerte Hubert mit den Augen. „Sie verstellt sich! Weiber! PH! . .. Werden schon gute Freunde werden. Will mir derweil die andern znsammenholen. Lolo, repräsentiere!" Und er war mit großen Schritten hinaus.
„Also bitte!" sagte Fräulein Charlotte, mit einer vornehm gemessenen Handbewegung den Gast zun: Sitzen auffordernd. Von der begeisterten Aufnahme, die ihm der Konsul in Aussicht gestellt hatte, war in dem Wesen der jungen Dame nicht das geringste zu spüren.
„Der Papa hätte doch klingeln können," sagte sie. „Aber es dauert ihm immer alles zu lange. Nur nicht warten müssen. Sie werden sich ja auch gewundert haben, daß er Sie so ohne weiteres mitgeschleppt hat."
Mitgeschleppt? — Hubert fühlte sich fast beleidigt durch das Wort, den Ton, die entschiedene Art, mit der die junge Dame ihn: dabei ins Gesicht sah.
„Nun," sagte er, Platz nehmend, „wenn ich nicht gern gekommen wäre, so sähen Sie mich nicht hier, mein Fräulein." Er fühlte, daß ihm das Blut in die Schläfen stieg.
„Gern?" meinte sie kühl. „Doktor Wedekind erzählte doch, daß Sie sich mit Händen und Füßen gesträubt hätten, uns zn besuchen."
Sie hatte sich in das kleine Ecksofa ihn: gegenüber gesetzt, lieber ihrem feinen Kopf breiteten sich die langen grünen Wedel einer Phönixpalme. Das duftige Schleiergewirr einer Gruppe von Farnen gab ihrem leichtgekrausten goldbraunen Haar einen bezaubernden Hintergrund. (Fortsetzung folgt,)
In den Marmorbergen.
Isolde Kurz.
II. SerraveM.
HHHan redet gemeinhin von carrarischen: Marmor, wenn MLV man die edelste Marmorsorte, die heute im Handel vorkommt, bezeichnen will. Aber die Fachleute wissen, daß in diesen: Jahrhundert Carrara als Marmorkönigin entthront worden ist; das benachbarte Serravezza hat ihm den Rang bedeutend abgelausen. Dort sind die schon von Michelangelo angelegten Marmorbrüche, die zn seiner Zeit wegen inangelnder Transportmittel nicht ausgebeutet werden konnten, durch einen unternehmenden Schweizer, Herrn Henraux, nutzbar gemacht worden, und dieser liefert jetzt den Bildhauern ein Korn, dem Carrara nichts Aehnliches an die Seite zu setzen hat. Sein ist fast aller Marmor, den der mächtige Gebirgsstock des Altissimo in seinen Flanken trägt, und er giebt mit seinen Unternehmungen der ganzen Gegend Arbeit und Brot. Nur wird durch die
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