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Aeber Land und Weer.
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Gleich nach sieben trafen Waldemar und die Barbyschen Damen auf dem Granfeer Bahnhof ein und fanden Martin und den Stechlinschen Schlitten vor, letzterer insoweit ein Prachtstück, als er ein richtiges Bärenfell hatte, während andrerseits Geläut und Schneedecken und fast auch die Pferde mehr oder weniger zu wünschen übrig ließen. Aber Melusine sah nichts davon und Armgard noch weniger. Es war eine reizende Fahrt; die Luft stand, und am stahlblauen Himmel oben blinkten die Sterne. So ging es zwischen den eingeschneiten Feldern hin, und wenn ihre Kappen und Hüte hier und dort die herniederhängenden Zweige streiften, fielen die Flocken in ihren Schlitten. In den Dörfern war überall noch Leben, und das Anschlägen der Hunde, das vom nächsten Dorf her beantwortet wurde, klang übers Feld. Alle drei Schlitteninsassen waren glücklich, und ohne daß sie viel gesprochen hätten, bogen sie zuletzt, eine weite Kurve machend, in die Kastanienallee ein, die sie nun rasch, über Dorsplatz und Brücke fort, bis aus die Rampe von Schloß Stechlin führte. Dnbslav und Engelke standen hier schon im Portal und waren den Damen beim Aussteigen behilflich. Beim Eintritt in den großen Flur war für diese das erste, was sie sahen, ein mächtiger, von der Decke herabhängender Mistelbusch; zugleich schlug die Treppenuhr, die mit ihrem Mann mit der Hippe wie verwundert und beinah' verdrießlich auf die fremden Gäste niedersah. Viele Lichter brannten, aber es wirkte trotzdem alles wie dunkel. Woldemar war ein wenig befangen, Dnbslav auch. Und nun wollte Armgard dem Alten die Hand küssen. Aber das gab diesem seinen Ton und seine gute Laune wieder. „Umgekehrt wird ein Schuh draus."
„Und zuletzt ein Pantoffel," lachte Melusine.
(Fortsetzung folgt.)
MM Nikolaus HciWS Mos im HioklW im Zl. Wimaskirche zu Min.
der Vollkraft des Schaffens ist am 27. November
1897 Professor Nikolaus Geiger dahingerafft worden, bevor er sein jüngstes Werk, das Relief für das Giebelfeld der St. Hedmigskirche in Berlin, am Orte seiner Bestimmung gesehen. Das Giebelfeld dieses zur Zeit Friedrichs des Großen erbauten Gotteshauses zeigte bisher nur einige rohe Steinblöcke, die immerhin andenteten, daß einmal der Plan zu einer Ausschmückung bestandeil hat, aber erst ill jüngster Zeit wurden die nötigen Mittel aufgebracht und Professor Nikolaus Geiger mit der Ausgabe betraut, unter Benutzung der vorhandenen Blöcke ein Relief zu komponieren. Er wählte hierzu die Anbetung des Christns- kindes durch die heiligen drei Könige. Aus den Ruinen des Palastes Davids zu Bethlehem sitzt die jugendliche Mutter Maria, das Christuskind aus dem Schoße, von einer Schar Engel umschwebt, die anbetend herniedersteigen, lieber ihnen der Stern, der den Weisen den Weg zur Krippe wies. Zur Rechten kniet einer der Könige, um dem heiligen Kinde den Fuß zu küssen. Er verehrt in ihm den höchsten König und bringt ihm Gold zum Geschenk ; die Krone hat er dem Kinde zu Füßen gelegt. Das Gefolge drängt sich neugierig aus dem Hintergründe hervor, Schätze herbeitragend und Platz lassend für den zweiten König, der, ein ehrwürdiger Greis, mit mitleidig von Schmerz verzerrtem Ausdruck die Hände faltend, in Christus den Dulder zum Heile der sündigen Menschheit verehrt und Myrrhen zum Geschenk darbringt. Zur Linkeil tritt in orientalischem Gepränge der dritte König herall, der in Christus den Gott verehrt und Weihrauch spendet. Im Hintergründe werden Lasttiere entladen und die Schätze herbeigeschafft. . Professor Nikolaus Geiger hat seine Aufgabe in genialer Weise gelöst. Es ist ihm nicht nur gelungen, in zwanglosester Form der figurenreichen Handlung gerecht zu werden, sondern auch eine glänzende dekorative Wirkling zu erzielen.
Nikolaus Geiger hatte erst am 6. November das achtundvierzigste Lebensjahr vollendet. Seine Heimat war Lauillgen in Bayern. Die Akademie besuchte er in München, wo er zweimal den großen Preis errang. In seinen plastischen Werken liegt ein großer und moderner Zug. Er schuf unter anderm die Kinderfeier im Tiele-Winckler- schen Hause zu Berlin, das Standbild der Arbeit für das Reichsbankgebäude, den Barbarossa für das Kysfhäuser- , denkmal von Schmitz, die Gruppe „Versuchung", dazu viele Grabdenkmäler und Portrütbüsten. Der Berliner Akademie der Künste gehörte er seit 1893 als Mitglied an, bei der zweihundertjährigen Jubelfeier wurde er zum Professor ernannt. Auch als Maler hat der Verewigte sich hervor- gethan; von seinen Bildern sind besonders „Aecord" und „Die Sünderin" hervorznheben, sowie die Kuppelmalerei der
Die Kungersteine.
Boman
Gertrud Iranke-Schieveköein.
(Fortsetzung.)
^EiDRte erglühte noch tiefer, aber in ehrlicher, brennender Entrüstung. „O diese Gänse!" rief sie, die kleine Hand im silbergrauen Handschuh schüttelnd. Sie kam gar nicht über seine boshafte Bemerkung fort. Er sah, wie sie mit sich kämpfte. Und plötzlich brach es aus ihr heraus: „Und mich wollen Sie mit solchen. . .! Nein, wie Sie mir daS anthun können!"
„Aber mein gnädiges Fräulein!"
„Als ob ich . . . als ob die Kunst nicht immer unschuldig, heilig wäre! Mein Gott, verstehen Sie doch! Ich meine, wem's im Aktsaal nicht völlig einerlei ist, ob ein Mann oder eine Frau dasitzt . . . wer da nicht einfach ein Stück Natur sieht, genau so unschuldig und schön wie eine Landschaft, eine Blume... das Spiel der Lichter, die Formen. . . die tausend Zarten Flächen und Modellierungen . . . Und wer sich dabei etwas andres denkt als: wie, ums Himmels willen, krieg' ich das 'raus —?"
Sie schüttelte langsam den Kops und sah ihn an, als wäre sie an ihm irre geworden.
„Verzeihen Sie," meinte er, von ihrem Ernst getroffen, doch den ironischen Ton beibehaltend. „Sie stehen noch ziemlich allein mit Ihrer — vorurteilsfreien Anschauung. Die Mehrzahl der jungen Damen —"
„Damen!" rief sie mit blitzenden Augen. „Ich Hab' Ihnen doch neulich schon gesagt, das paßt nicht auf mich. Wissen Sie, wie sie mich im Atelier genannt haben? Weil ich immer empört war, wenn ich als ,Dame' behandelt wurde, mit allerlei beleidigenden Rücksichten und Galanterien — wie die Zierpuppen, nicht wie Menschen? .Mädchen Berghauer' hieß ich. Nicht .Fräulein'. Einfach .Mädchen'. Und das hat Papa solchen Spaß gemacht."
„Ja, Ihr Papa! Sie wissen gar nicht, wie gut Sie's getroffen haben mit einem solchen Papa."
„Ja, wenn ich hätte aufwachsen sollen wie andre Mädchen! Was die eine nicht weiß, weiß die andre — und das Geklatsche, die Lappalien, die Dummheiten — bloß um den Staat und die Liebhaber! In der vierten Klasse geht das Liebeln ja schon los, gerade weil's verboten ist, einen Jungen bloß anzugucken! Das war doch anders bei uns! Herrgott! Alles haben wir gemeinsam gehabt mit den Buben. Sie wissen doch, ich habe zwei Brüder. Der eine gräbt jetzt Diamanten in Kimberley. Der andre segelt gerade mal zur Abwechslung nach Indien. Das haben sie beide vom Papa geerbt, das Reisefieber. Na, und da haben wir immer das Haus voll Jugend gehabt, zusammen gelernt, zusammen gespielt — das war ein ewiger Wetteifer. O Gott, was Hab' ich für eine glückliche Jugend gehabt!"
Hubert lief ein Schauder über den Rücken, als er an seine eigne Jugend dachte. Charlotte bemerkte es.
„Sie nicht?" fragte sie weich und teilnehmend.
„Ach, Fräulein Charlotte, mich fragen Sie nicht. Was brauchen Sie zu wissen von all dem Traurigen, Häßlichen —"
„O, denken Sie nicht, daß ich davon nichts weiß! Papa hat uns nicht etwa vorgeflnnkert, daß alles wunderschön sei auf der Welt. Nein, wo was Häßliches war, da hat er gesagt: .Schaut hin, das ist häßlich. Gefällts euch etwa?' Nein, es gefiel uns nicht. Wir hatten einen Abscheu davor, weil er's uns nicht erst mit rosigen Schleiern verhing. Deshalb können Sie ganz offen — es ist so manches in Ihren Gedichten, was ich nicht recht verstehe — "
Sie waren an der Gartenthür angelangt. Hubert blieb stehen, zog den Hut und verabschiedete sich.
„O," rief Charlotte, „wollen Sie nicht mitkommen? Papa ist Zu Hause. Er würde sich sehr freuen, mit Ihnen über Ihre Angelegenheiten zu sprechen."
„Nein, gnädiges Fräuleiu, Sie sind sehr gütig... ich möchte Ihren Herrn Vater nicht weiter bemühen. ! Meine Empfehlungen." Sein Gesicht war blaß, i ernst, abweisend.
! Charlotte sah ihn überrascht, fast verletzt an.
„Sagen Sie mir um Gottes willen ... was soll denn Papa denken?... .Ihn nicht weiter bemühen'... Hab' ich Sie vielleicht. . . war ich indiskret?"
Und jetzt sah er in ihren stolzen Augen etwas Neues, Rührendes: die Angst eines Menschen, der ein Teures versinken sieht und es halten möchte mit allen Kräften. Unwillkürlich hatte sie die Hand ausgestreckt und die seine ergriffen.
Sie waren wie allein auf der Welt in dieser stillen Straße. Helle Mittagssonne lag auf den grünsammetnen Rasenflächen und schimmerte rötlich auf den kahlen Zweigen. Die ersten safrangelben und violetten Krokusblüten hatten ihre Kelche weit geöffnet. Schneeglöckchen sproßten in dichten Büscheln aus der schwarzen Erde. Die Sperlinge lärmten und zankten sich in Liebesangelegenheiten. Ueber den zartblauen Himmel kreiste ein Taubenschwarm, weißglänzend, wenn die Sonne ihr Gefieder beschien.
Er drückte ihre Hand, daß es sie schmerzte. „Fräulein Charlotte," sagte er voll unerschütterlicher Entschlossenheit und unheimlich blaß, „ich möchte mein Leben so offen vor Sie hinlegen, wie diese meine Hand. Erlassen Sie mir's. Es hat keinen Sinn. Nur bitte ich Sie —"
„Was haben Sie?" murmelte sie ganz betroffen.
Er schüttelte den Kopf. „Nur bitte ich Sie," wiederholte er, „vergessen Sie nicht, daß ich ein Mensch bin, der immer das Beste gewollt hat. . . und den seine ungestüme Natur... und der Fluch jammervoller Verhältnisse . . . Herrgott! Da entschuldige ich mich wohl gar noch! . . . Und nun leben Sie wohl! Ich danke Ihnen... für Ihr gutes Gesicht. . . für Ihre warme Stimme ... für alles, alles..."
Er biß sich auf die Lippen, zog noch einmal den Hut und ging mit hastigen Schritten den Weg zurück, den sie eben zusammen gekommen waren.
Es war nicht Lottes Art, sich von irgend etwas unterkriegen zu lassen.
Kopf hoch! sagte sie sich auch jetzt. Sie richtete ihre schlanke junge Gestalt höher auf und ging dem Hause zu. Es roch im Garten so herb und kräftig nach frischer Erde. Die Bienen summten schon. In allen Zweigen strotzte der Saft, und die Knospen reckten sich.
Sie sah das alles. Und sie mußte daran denken, wie vergnügt sie heut morgen zu ihrer „Venetianerin" gestürmt war. Aber trotz ihrer Jugend steckte schon ein gut Stück Weltweisheit in ihr. Auch gut! sagte sie sich. So geht's im Leben.
Am Fenster saß Tante Sophie. Sie hatte jedenfalls ihre Verabschiedung von Hubert Schwarz mit angesehn und würde darüber reden. Wie peinlich! Doch es half nichts.
„Tantchen," sagte sie gleich beim Eintritt, „giebt's bald was? Ich möchte gleich wieder arbeiten."
Ja, arbeiten. Danach sehnte sie sich.
„Noch ein Weilchen, Kind. Wir haben heut Besuch zu Tisch: Onkel Friedrich."
Lotte seufzte und wollte in ihr Zimmer gehn.
„Sag mal, Kind, war denn das nicht eben der Mensch, der Schwarz?"
„Ja, der war's." Lotte nahm sich Zusammen. Nur ruhig bleiben!
„Charlotte, wir leben hier aber nicht in einem x-beliebigen, unzivilisierten Lande."
Trotzdem Lotte auf dergleichen gefaßt war, bewegte sie nervös die Schultern.
„Weshalb?"
„Du hast genau sieben Minuten gebraucht, um dich zu verabschieden. Und du weißt, Bolkows drüben halten sich längst auf über dein Freies Wesen'."
„Die alten Jungfern!" rief Lotte verächtlich.
„Ich meine Bolkows. Ihn und sie," betonte die Tante nachdrücklich.
„Alte Jungfern!" wiederholte Lotte energischer. „Er und sie! Klatschbasen! Tagediebe! Wenn sie sich des Morgens angezogen haben, sind sie mit ihrem Tagewerk fix und fertig." Und in leidenschaftlichem Protest warf Lotte die Tasche mit den Pinseln heftig auf den Tisch und zog mit einer unwilligen Gebärde den Mantel aus.
Frau von Nienstedt, in ihren besten Absichten gekränkt und zurückgewiesen, machte ein entsprechendes Gesicht.
„Tante," sagte Lotte, „laß mich doch."