Heft 
(1898) 13
Seite
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Aeöer ^Land und Meer.

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eine Vereinigung handelt, die weder streng geschlossen noch aus irgend einen landschaftlichen Boden beschrankt war. Opitz selbst wirkte mehr von dem Norden Deutschlands als von seinem Heimatlande aus, wie denn die Poesie des Ver­standes und der Empfindung, der er im Gegensätze zu der Poesie der Phantasie den Weg ebnete, gerade diejenige ist, die dem Geiste der norddeutschen Bevölkerung mehr als jede andre ent­spricht. Daher rufen ihm seine enthusiastischen Verehrer in Königsberg mit vollem Rechte zu, daß seiner Hand solcher Nachdruck gegeben sei, daß, wenn er schlage, das ganze Norderland sich erhebe und so mancher Geist ihm zu folgen sich befleiße.

Das Leben des Dichters war ein äußerst unruhiges und bewegtes, wie er ja selbst scherzend von sich sagte, er sei immer unterwegs, auch zu Hause. In Bunzlan als Sproß einer begüterten Familie geboren, erhielt er seine erste Bildung auf den gelehrten Schulen seines engeren Heimatlandes und besuchte dann, um die Rechte und die schönen Wissenschaften zu studieren, das Schöneichianum Zn Beuthen in Niederschlesien und die Hochschulen zu Frank­furt an der Oder, Heidelberg, Straßburg und Tübingen, von welch letzterer er wieder nach Heidelberg znrückkehrte. Schon während seiner Studienzeit trat er mit literarischen Arbeiten hervor, so in Beuthen mit dem lateinisch ge­schriebenen Merkchen ,,^.ri8turellu8", in dem er sich der Richtung anschloß, die auf die Einführung der deutschen Sprache statt der damals fast allgemein üblichen lateini­schen in die Dichtung abzielte; er stellte darin sogar

leider allgemeine Nachfolge gefunden hat, die, den Alexandriner als Mustervers für die deutsche Dich­tung zu betrachten. Bei seinem ersten Eintritt in

das Leben bethätigte er auch schon die Maxime, der er später unverbrüchlich treu geblieben ist: sich einerseits, wo er es nur immer konnte, zum Gönner und Beschützer auf- zuwerfen und andrerseits auf das eifrigste die Protektion vornehmer und einflußreicher Persönlichkeiten nachznsuchen. In Beuthen unterrichtete er den Sohn des Tobias Scultetus, in Heidelberg wurde er der Lehrer der Söhne des kurfürst­lichen Geheimen Rates von Lingelheim, und von Frankfurt an der Oder suchte er sich bereits durch Uebermittlung von Gelegenheitsgedichten dem herzoglichen Hof zu Liegnitz zu empfehlen. Es ist wohl zu viel behauptet, wenn man sagt, das Leben des Dichters habe nur aus einer einzige!: Reihe von Kriecherei bestanden, doch liegt in dem Aus­spruche immerhin mehr als ein Körnchen Wahrheit. Bei dem Ausbruch der Kriegswirren flüchtete Opitz 1620 nach Holland, später treffen wir ihn in Jütland, dann folgte er 1622 einem Rufe des Fürsten Gabriel Bethlen nach Siebenbürgen an das neugestistete Gymnasium zu Weißen­burg; 1623 finden wir ihn als fürstlichen Rat beim Herzog von Liegnitz und Brieg, 1625 wird er in Wien zum Dichter gekrönt und wenige Jahre darauf als Martin Opitz von Boberfeld ii: de:: Adelsstand erhoben. An Beschützern und Gönnern fehlte es dem Dichter auch in der Folge nie; freilich trug er auch niemals Bedenken, den Dienst derselben aufzusuchen, wie 1628 den des Burggrafen Annibal von Dohna, Kammerpräsidenten zu Breslau, des entschiedensten Gegners der Protestantei: in Schlesien, der Dragonaden gegen sie veranstaltete, während der glaubenstreue Protestant Opitz Loblied um Loblied auf ihn anstimmte! Tragisch war das Ende des so wandlungsfähigen Weltmannes und Dichters. Nachdem Opitz noch an einer Reihe von Fürsten­höfen geweilt, war er zuletzt einem Rufe des Polenkönigs Ladislaus nach Danzig gefolgt, wo er als dessen Sekretär und Historiograph thätig war. Er fiel als ein Opfer der im Sommer des Jahres 1639 dort wütenden Pest; als er an: 17. August des genannten Jahres einem Bettler ein Almosen reichte, wurde er von der Seuche angesteckt und starb am dritten Tage darauf.

Martin Opitz darf für sich das Verdienst in Anspruch nehmen, daß er unsrer Litteratur den Weg zur Entwicklung aus tiefem Verfalle gewiesen und namentlich in nachhaltiger Weise das Interesse der Gebildeten unsres Volkes für sie wachgernfen hat. Seine dichterischen Schöpfungen lyrischen, didaktische!: und beschreibenden Inhalts entbehren des inneren

Phantasie, er bleibt verstandesnnchtern auch da, wo er sich zu einer idealeren Höhe erheben will, und verrät überall, daß seine Begabung eine nur auf das Aeußerliche, die Form, gerichtete ist. In dieser Hinsicht darf sie aber nicht unterschätzt werden. Opitz teilt im wesentlichen den Stand­punkt der Sprachgesellschaften; sein Streben ist auf Korrekt­heit, auf dieLieblichkeit" undReinlichkeit" der Sprache gerichtet, und er tritt vor allem als Pfleger derreinen Art" auf. Dabei bemüht er sich aber, als einziger seiner Zeit, die deutsche Dichtersprache streng aus die Sprache der Lutherschen Bibelübersetzung zurückzuführen und sie ii: dieser fähig zu machen, sich in den von den fremden Litteraturen und namentlich der italienischen und französischen entwickelten Formen zu bewegen. Zn diesem Zwecke bedarf es einer neuen Regelung der Prosodie, und der Dichter giebt die­selbe in dein zweiten Teile seines Lehrbuchs von derdeutschen Poeterei", in der er den folgenschweren, bis auf die neueste Zeit geltend gebliebenen Satz ausstellte, daß die Betonung eine Silbe lang mache. Martin Opitz hat den erfolgreichen

und ihr eine eigne Kunstform zu geben. Die Licht- und die Schattenseiten seines Wirkens bezeichnet Goedeke zu­treffend mit den Worten:Der Fleiß, mit welchem er das für seine Zeitgenossen zugänglich zu machen suchte, was er in fremden Landen fand und durch Eignes nicht aufzuwiegen vermochte, verdient noch jetzt Anerkennung, wenn wir leider diesen Bemühungen auch den unselbständigen Entwicklungs­gang zu verdanken haben, den unsre Litteratur seitdem ge­nommen hat".

Martin Opitz war übrigens nicht nur dichterisch, son­dern auch wissenschaftlich thätig; während feines Aufenthaltes in Siebenbürgen schrieb er ein Werk über die dortigen Altertümer, dessen Manuskript nach seinem Tode verstreut wurde. Ebenso beschäftigte er sich in Danzig mit Studien über die sarmatischen Altertümer. Um die Geschichte der alteren deutschen Litteratur erwarb er sich das große Ver­dienst, daß er das sogenannte Annolied, das heißt einen aus dem zwölften Jahrhundert stammenden Lobgesang auf den Heiligei: Anno, heransgab und dadurch eines der wich­tigsten Litteraturdenkmale jener Zeit vor dem Untergange rettete, weil die Handschrift desselben verloren gegangen ist.

Vermögen wir auch die Begeisterung der Zeitgenossen für Opitz nicht zu teilen, von denen selbst der geniale

drei Jahrhunderten geborenen schlesischen Dichter als einen der Geister Hochhalten, die unsrer zweiten großen Litteratnr- epoche die Bahn bereitet haben.

Neuestes vom Nücherwarkt.

Wie englischen Romane haben eine Eigenart, die ihnen unübertroffen und unübertrefflich ihren Platz in der- Weltlitteratur anweist. Möglich, daß sie zuweilen nicht nur lang, sondern auch ein wenig langatmig sind, daß Menschen und Dinge von: Sonnenglanz ihrer Poesie allzu golden und rosig beleuchtet werden, ihre Reinheit aber bleibt unantastbar, auch da, wo es sich um eiu sogenanntes bedenkliches Thema handelt.

Die Uebersetznng des RomansDer Manksmann" von Hall Caine (Stuttgart, Deutsche Verlags-Anstalt) umfaßt drei Bände, die jedoch bis zur letzten Seite das Interesse gespannt und das Herz warn: erhalten. Auf jeder Zeile scheint ein Strahl zu ruhen, der zugleich vom Gestirn der Wirklichkeit und von dem der Dichtkunst aus­geht. Und heikle Vorkommnisse werden mit einer Zartheit, einem Ernst, einer wahren Sittlichkeit behandelt, daß nie­mand Anstoß nehmen kann, dieses Buch auch der weib­lichen erwachsenen Jugend in die Hand zu geben.

DerManksmann" ist ein Bewohner von Man, der Enkelsohu eines seiner höchsten Beamten, desDeemster",

Sohn enterbt und verstößt, weil er ein Mädchen aus dem Volke heiratet. Dieser Sohn lebt sehr unglücklich mit einer Frau ohne Bildnngsfähigkeit, die ihn überall mißversteht und beargwöhnt, die ihn schimpft und küßt, und deren er sich nicht erwehren kann, weil er das Unglück hat, sie trotz allem zu lieben. Auch er besitzt einen Knaben, Philipp, ein geistig und körperlich reich begabtes Kind, für

den er die höchsten, ehrgeizigsten Pläne schmiedet, der alles zurückgewinnen soll: das Stammgut Ballawhaine, die Deemsterwürde, die Stellung des angesehensten, edelsteu, größten aller Bewohner von Man. Muß man ihn dazu lehren, die Liebe zu fliehen? Nein! Aber er darf nur lieben, wo er achtet, und niemals außerhalb seiner eignen Sphäre. Der Vater will dem Knaben auf dem Sterbe­bette die traurige Geschichte seines Lebens erzählen, aber der Mut fehlt ihm, er deutet sie nur an und wird vom Tode ereilt. Auch die Mutter, die nach und nach gesunken ist bis zur Verworfenheit, lebt nicht mehr lange genug, um die Zukunft des Sohnes zu gefährden. Die alte Tante Nan, die seinen Vater mit einer schüchternen, heimlichen Zärtlichkeit geliebt hat, kommt in das vereinsamte Haus von Ballure und erzieht den verwaisten Knaben. Dieser entwickelt sich wirklich zu einem außergewöhnlichen Menschen, der allen Ehrgeiz und alle Hoffnungen des toten Vaters zu er­füllen scheint. Aber auch er liebt unter seinem Stande, Käthe Cregeen, die Wirtstochter des Gasthauses zurManksfee", die noch dazu mit feinem Jugendgespielen und natürlichen Vetter Pete versprochen ist. Pete sucht nach Schätzen in den Diamantgruben von Kimberley und will das Mädchen heiraten, sobald er reich genug ist, um heinizukehren. Er ist eine Lichtgestalt, an Lebenserfahrung ein Kind und an Güte ein beinahe übermenschliches Wesen. Die schöne Küthe besitzt dagegen jede Art von Menschlichkeit, ja sie ist sogar eine reizende Kokette, die Philipp mit voller Absicht den Kopf verdreht. Als eines Tages die Nachricht kommt, daß Pete gestorben ist, giebt er allen Widerstand gegen ihren Zauber auf, und der Würfel fällt endgültig. Aber Pete ist nicht tot; unerwartet, glückselig in der Hoffnung auf die Geliebte, kehrt er eines Tages als wohlhabender Mann heim, und Philipp, in dem die Ehre und die Liebe einei: schweren Kamps mit Ehrgeiz und stolzen Zukunftsplänen führen, tritt ihm die Geliebte ab, läßt ihn in dein Glauben, daß sein Kind das Kind Petes sei.

Nui: beginnt auf der Seite des Mannes wie der Frau der schreckliche, aufreibende Streit zwischen Lüge und Wahr­heit, zwischen Herz und Sinnen, zwischen Pflicht und Ge­wissen, bis eines Tages Pete alles begreift und sich benimmt, wie eben nur Pete sich benehmen kann. Nachdem er mit der Aufopferung eines Helden und eines Märtyrers zu tragen, zu vertuschen, zu entschuldigen verstanden hat, räumt er das Feld, um es dem Glücke der andern frei zu lassen. Doch noch hat sich Philipps Seele von Schlacken der Welt nicht befreit. Er steht aus seiner Heimatsinsel in höchsten Ehren. Deemster ist er bereits, und man ist im Begriff, ihn zum Gouverneur zu ernennen. Alle diese Herrlichkeit aber bricht zusammen, wenn er die zu seinem Weibe macht, die sich heimlich längst wieder an sein Herz geflüchtet hat, und die nach mankischen Begriffen, trotz ihrer Schönheit, ihrer Anlagen, ihrer durch Leid zur echter: Liebe geläuterten Leidenschaft, auf ewig eine Unebenbürtige bleiben muß. Da kehrt Pete, der alle Phasen des Zornes, der Verzweiflung und der Rachegelüste siegreich durchgemacht hat, noch ein­mal zurück, bringt dem liebsten Freunde feiner Jugend das Kind, das nach dem Gesetze ihm zugehört, segnet die Frau, die Philipp zu seinem Weibe machen soll, und sagt ihm mit schlichten und rührenden Worten, wie groß er von ihm denkt, so groß, daß der Deemster und künftige Gouverneur innerlich davor zusammenbricht. In einer Scene von wunderbarer dramatischer Kraft bekennt er am Ende vor der versammelten Insel, daß sein Leben und seine Tugend bisher nur Lüge gewesen seien. Er weist das hohe Amt zurück, mit dem man ihn soeben feierlich belehnen will, und schreitet aus der Gefängniszelle, in der Küthe wegen eines mißglückten Selbstmordversuches gehalten wird,Hand ii: Hand mit der gefallene,: Frau einer neuen Zukunft entgegen".

Hall Caine schildert Menschei:, vielleicht nicht, wie sie an jeder Straßenecke zu finden sind, aber ganz sicher Men­schen, wie sie sein sollen. Er giebt nicht nur die Spannung, die der Durchschnittsleser verlangt, sondern auch den Duft einer seltenen Poesie, das Licht eines goldenen Humors. Der Manksmann" ist das Werk eines echten Dichters.

Das gleiche Lob verdientAus See und Sand" von Wilhelm Jenfen (Leipzig, Karl Rechner). Da ist kein Schwulst, kein Zuviel, sondern wieder der alte Jensen, der einst seine große Gemeinde hatte und sie ver­diente. In seinem neuen Romane braust die Nordsee, der Sturm heult, und im Dünensande blüht lieblich die Strand­nelke. Kraftvolle und zartbesaitete, leidenschaftliche und kalt berechnende Menschen kreuzen einer des andern Pfade und knüpfen einen Schicksalsknoten, der in der romantischen Liebesgeschichte der schönen Ozeana und Meinolf Alfslebens, ihres erst in: letzten Augenblicke erkannten Vetters,- zur tragischen Lösung drängt. Jensens Gestalten berühren mit ihren Stirnen immer die Wolken, aber sie stehen, hier wenigstens, auch auf vollkommen festen Füßen, und der große Ton", den der Autor für seine Geschichte findet,

rarischen Richtung zum Vorwurf gemacht werden können.

Warm bis ins Innerste wird es einem bei der Lektüre eines tadellos ins Deutsche übertragenen dänischen Romans Wildmoorprinzeß" von SophusBanditz (Leipzig, Fr. W. Grunoiv). Der Titel rechtfertigt sich allerdings nicht ganz. Die Wildmoorprinzeß ist zwar eine ganz reizende,