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Ucber Land und Meer.
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schwarzäugige, kluge, gute kleiue Aristokratin, aber sie bleibt doch ziemlich im Hintergründe, wie denn in diesem Romane der Roman überhaupt etwas im Hintergründe bleibt. Die Hauptgestalten fesseln das Interesse weit weniger als die mit ebensoviel Meisterschaft wie Liebe gezeichneten Nebenfiguren, wie die famose Tante Rosa, wie Onkel Heinrich, der an Geist und Energie so weit unter ihr steht und dabei am Herzen doch so ganz ihr Bruder ist, wie der alte Hauptmann und Jäger Riis, der das Wildmoor und Jütland wie seine Tasche kennt und alle Menschen liebt und allen Menschen mit seiner köstlichen Frische wohlthut. Und dann der Rahmen, der herrliche Rahmen, der die ganze Geschichte der Wildmoorprinzessin einfaßt! Er strahlt von Sonne und funkelt von Tau, er duftet nach Wald, Wasser und Heide, und in der malerischen Abgelegenheit dieser einfachen und eigenartigen Natur wird uns fo wohl, daß wir, einen Augenblick wenigstens, vollkommen bereit sind, dem Hauptmann recht zu geben, wenn er am Schlüsse sagt: „Das Leben ist herrlich, und man müßte ein Hundsfott sein, wenn man dem lieben Herrgott nicht dankbar dafür wäre!"
Ebenfalls aus Dänemark stammt ein zweiter Roman: „Der Lindenzweig" von Karl Ewald (Stuttgart, Deutsche Verlags-Anstalt). Nur daß er saust nichts mit der „Wildmoorprinzeß" gemein hat, sondern ein schweres, schwüles, ernsthaftes, sehr geistvolles Buch ist, dem auch da Bewunderung und Anerkennung zu teil werden wird, wo man sich mit der sogenannten Tendenz nicht einverstanden erklärt. Aber hat es denn überhaupt eine solche Tendenz? Will es nicht ganz einfach und ohne Parteinahme moderne Menschen zeigen, die erst zaudernd und zagend, dann dreist und fest einem Moraste zuschreiten, in dem sie nicht untertauchen, weil sie feige und bequem sind, und den ihre Widerstandslosigkeit und Begehrlichkeit doch nicht zu umgehen vermag. Echte Leidenschaft und große Gefühle werden aufgerieben und verzettelt. Der Freund betrügt den Freund, die Frau den Gatten mit dem Liebhaber und den Liebhaber mit dem Gatten. Sie alle fürchten nichts als das Aufhören ihrer behaglichen Gewohnheiten, als den öffentlichen Skandal. Und um beidem zu entgehen, trennen sich am Ende die sich wirklich lieben, und der Mann nimmt die Frau wieder zu Gnaden an, die ihn fo schnöde betrogen hat. „Der Lindenzweig" ist ein Buch voll scharfer, bitterer Wahrheiten, eine feine Seelenstudie, der freilich die Kinder an Jahren wie die an
gewinnen werden und auch nicht abzugewinnen brauchen.
Als Charakter- und Seelenstudie muß auch die Erzählung „Virginie" von Hildegard Thilduer (Berlin, S. Fischer) bezeichnet werden. Ich freue mich, sie kennen gelernt zu habeu, denn sie scheint mir die Gabe eines bedeutenden und ernsten Talentes zu sein. Ohne eine Spur von Sensationsgelüste oder gar Frivolität giebt die Verfasserin die Verführungsgeschichte eines vornehmen, klugen, anmutigen Mädchens, das, an der Grenze der Jugend, all seine kühle Wohlerzogenheit und stolze Zurückhaltung vergißt und seine durch Vorbild, Erziehung und Verhältnisse abgeleiteten und zurückgestauten Gefühle an einen Mann verschwendet, der, schön, liebenswürdig, gutherzig und leichtsinnig, in ihrer Gewinnung nur ein Jagdglück, einen Sport sieht. In bester Form, zuweilen sogar sehr schön geschrieben, ist „Virginie", deren Heldin nun lebenslang das schwerste Leid, „den Verlust der Selbstachtung", zu tragen hat, ganz die Erzählung, um am Genüssen der Männer und am Mitgefühl der Frauen zu rühren, an einem ernsten, tiefen, verstehenden und entschuldigenden Mitleid, das mit weinerlicher Sentimentalität keine Ähnlichkeit besitzt.
Eine Enttäuschung hat mir „Lore Fay" von Sophie Junghans bereitet. Die Erzählung, die zu Anfaug des achtzehnten Jahrhunderts und in der Stadt Hannover spielt, hinterläßt den Eindruck, als sei sie ohne besondere Lust geschrieben worden. Alles darin und daran ist matt und schleppend, das Kolorit der Zeit sowohl wie die auftretenden Personen und der Gang der Handlung. Wenn ein Autor ganz und gar erfindet, so muß er wenigstens innerlich miterleben, wenn er bis zum Herzen des Lesers Vordringen will. Und das hat die Verfasserin hier entschieden nicht gethan, ja sie vermag in „Lore Fay" kaum das oberflächliche Interesse festzuhalten, das auf das bekannte: Werden sie sich kriegen? ohne höhere Ansprüche mutig zuliest.
Auch Bernhard ine Schulze-Smidts Roman „Kein Gitter hindert Cupido" (Leipzig, Karl Rechner) habe ich nicht mit Gefühlen der Befriedigung und der erhöhten Bewunderung aus der Hand gelegt. Die geniale Autorin von „Pave der Sünder" muß es sich gefallen lassen, scharf kritisiert zu werden, auch wenn sie, wie es in der Vorrede heißt, die Tagebuchblätter eines Freundes ohne Veränderungen herausgiebt. Mir scheint auch hier die rechte Liebe zum Werke gefehlt zu haben. Denn wenn auch unzählige Einzelheiten einer feinen, vornehmen , tiefsinnigen und doch wiederum lieblich-heiteren Feder wohlgelungen sind, wenn die Gestalt des schönen, viel zu zart besaiteten Sohnes eines Cirkusclowns unter einem Künstlermeißel plastisch herauskam, die weibliche
Hauptperson Lotti, der ihre angeborenen und anerzogenen Vorurteile das Gitter sind, das Cupido hindert, hat nicht nur etwas durchaus Unsympathisches, sondern auch etwas Unverständliches. Das Buch verwendet sehr viel Worte, Lotti zu schildern, zu „motivieren", sie trotz alledem und alledem als ein Wesen von hohen Gaben des Gemütes hinzustellen. Umsonst, sie tritt der Teilnahme des Lesers immer ferner, und fast mit Zorn wird er Zeuge, wie sie sich über die Leiche des gefallenen französischen Soldaten beugt und ihn um Verzeihung bittet, ihn, für den sie immer eine Art Liebe empfand, und den sie nur nicht er-
döch ein Gitter zu geben, das Cupido zu hindern vermag!
Die Vorurteile der Gesellschaft stehen ebenfalls zwischen den Liebenden in dem Roman „Wenn's nur schon Winter wär'!" von Ossip Schub in (Stuttgart, Deutsche Verlags-Anstalt), dessen dritte Auflage soeben erschienen ist. Aber der Konflikt ist viel natürlicher, da Irene Lurytsch, die vornehme Aristokratin, die aus Polen zu ihren fürstlichen Verwandten nach Oesterreich zum Besuch gekommen ist, erst nicht weiß und dann nicht wissen will, daß ihr Herz sich dem Franz Wranny, dem Sohne eines Waldhüters und der Amme eines Prinzen, der allerdings durch die Gnade der Herrschaften ein wirklicher Forstmann und ein Herr geworden ist, zuneigt. Auch die Verwandten
da in ihren Augen^ Franz doch stets der Diener geblieben ist und gelegentlich auch so behandelt wird. Dann werden sie stutzig, machen der Co ml esse Vorstellungen, demütigen
Marinekommandant Admiral Lreiherr v. Zterneck.
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den jungen Mann und erregen die Eifersucht des fürstlichen Vetters, der sich um Irene bewirbt. In Franz aber kämpft der berechtigte Stolz mit der Anhänglichkeit und Unterwürfigkeit gegen das Fürstenhaus, dem er viel zu verdanken hat, und die loyalen Gefühle tragen immer wieder den Sieg davon. Das ändert sich auch nicht, als eines Tages der junge Wranny beinahe öffentlich vom Kardinal Fürsten Derzheim als dessen Sohn anerkannt wird. Wranny selbst aber entschließt sich endlich, als Offizier bei einem galizischen . Regiment einzutreten. Kurz vor seiner Abreise trifft er während eines Gewitters in einem Dorfwirtshause ganz zufällig noch einmal mit der Comtesse zusammen. Sie redet freundlich zu ihm, läßt sich versprechen, daß er sie und ihren Bruder in Polen besuchen werde, und empfängt gerade zum Dank seinen Handkuß, als die Thür sich öffnet und der junge Fürst eintritt. Eine furchtbare Eifersucht erfaßt ihn, und er ersticht den unglücklichen Franz vor Irenes Augen. Dieser wird in dem schrecklichen Momente vollkommen klar, daß sie nur diesen Mann geliebt hat, niemals einen andern lieben wird. Und nachdem sie dem Sterbenden die Augen zugedrückt hat, verläßt sie Oesterreich, im Herzen auf ewig vereinsamt und auf den jungen Lippen den wehmütigen Wunsch: „Wenn's nur schon Winter wär'!" Das Buch ist glänzend und spannend geschrieben und zeichnet sich durch jene intime Kenntnis des österreichischen lüZll-like aus, die immer zu den speziellen Reizen von Ossip Schubin gehört hat.
Die „Haremsbilder" von Hanoum (Verlag von S. Schottländer, Breslau) „Vom Orient zum Occi- dent" bestechen durch ihren Titel, ihr Format und die hübsche blaue Farbe des Einbandes. Wer aber etwas Pikantes erwartet, irrt sich. Es sind harmlose Kleinigkeiten, ohne tieferes Interesse. Der türkische Harem mag sich ja auch thatsächlich durch eine solche Reinheit und holde Einfalt der Sitten auszeichnen, amüsant aber ist er
unfern guten Stuben, in denen man ja auch nicht die Wandbretter mit den zerbrochenen Töpfen dekoriert.
Eine Jugendlektüre, vor der als „bedenklich" zu warnen ist, sind die beiden Romane „Aus gefahrvollen Pfaden" von A. v. Gersdorff (Berlin, Otto Janke) und „Der Berg des Lichtes" von Anny Wothe (Leipzig, Paul List). A. v. Gersdorff steht freilich noch
in Apoll, Anny Wothe. Aber auf den „gefahrvollen Pfaden" geht sich's doch zu pläsierlich und gefahrlos, als daß abenteuerlustige Sechzehnjährige nicht darauf verfallen könnten, es der Heldin ein wenig nachzuthun, die das Menschendenkbare an sich und andern erlebt, ohne sich auch nur die Fingerspitzen zu beschmutzen. Das wirkliche Leben hat leider andre Klippen als die gemalten einer Theaterdekoration, und wenn die Jugend davon nichts erfahren soll, so muß man sie auch vor falschen Vorstellungen zu schützen suchen, und das um so mehr, wenn diese Vorstellungen drei sehr flott geschriebene Bände füllen. Anny Wothes „Berg des Lichtes" ist ein Zuckerhut — durch und durch voll Süßigkeit. Hoffentlich hat auch das große Publikum
sich zu nehmen. M. zur Megede.
Atarinekornrnandant Admiral Freiherr v. SLerneck
der Neubegründer der österreichisch-ungarischen Kriegsmarine ereilt, Admiral Maximilian Freiherr Daublebsky v. Sterneck zu Ehrenstein. Am 14. Februar 1829 zu Klagenfurt als Sohn eines hohen Gerichtsbeamten geboren, trat er 1847 in die österreichische Kriegsmarine ein, rückte im Frühjahr 1866 zum Linienschiffskapitän auf und wurde zum Kommaudeur der Panzerfregatte „Erzherzog Ferdinand Max" ernannt. Mit dieser Fregatte, die von Tagethoff zum Admiralschiffe auserwählt war, trug er am 20. Juli 1866 wesentlich zum Seesiege von Lissa bei, indem es ihm gelang, das italienische Admiralschiff „Re d'Jtalia" in den Grund zu bohren. Auf Grund dieser Waffenthat wurde Freiherr v. Sterneck, der unmittelbar nach der Hchlacht mit dem Ritterkreuze des Leopoldordens mit der Kriegs-
1883 in dieser Stelle, wurde am 1. November 1883 Vizeadmiral, Chef der Marinesektion des Reichskriegsministeriums und Marinekommandant. Am 10. Juli 1884 geheimer Rat, wurde er am 6. Juli 1887 Ritter des Ordens der Eisernen Krone erster Klasse. Am 25. Oktober 1888 erfolgte 'seine Ernennung zum Admiral, und anläßlich seines zehnjährigen Jubiläums als Marinekommandant verlieh ihm Kaiser Franz Joseph 1893 das Großkreuz des Stephansordens.
Zu unfern Wildern.
Von Julius Adams heiterer Reihenfolge „Die fünf Sinne" führen wir heute das erste Bild vor: „Gesicht". Drollig malt sich in den Mienen der jungen Kätzchen das Erstaunen über den bunten Falter, der fliegen kann und doch kein Vogel ist.
Die Dekoration der von Werner Zeh me veranschaulichten Westeisbahn bei Charlotten bürg erscheint auf den ersten Blick befremdend, denn wie kommen Bauwerke und Standbilder italienischen Geschmackes nach der Grenze der Reichshauptstadt? Aber das Wunder erklärt sich leicht, denn an dieser Stelle erstreckte sich vor ein paar Jahren die große Schau „Italien in Berlin", und einige Reste dieser entschwundenen Herrlichkeit blicken auf das fröhliche Treiben der Eisbahn hernieder.
Unsre Beilage „Aus Zeit und Leben" giebt nach einer Momentaufnahme die Einschiffung des deutschen Besatzungscorps von Kanea wieder. Am Abend des 18. November erschien plötzlich S. M. Schiff „Kaiserin Augusta", von Smyrna kommend, auf der Reede von Kanea, und es wurde bekannt, daß das Schiff die Bestimmung habe, das deutsche Detachement, das seit Ausbruch der Revolution auf Kanea zur Repräsentation der Reichsflagge zurückgeblieben war, aufzunehmen. Die Nachricht rief lebhaftes Bedauern bei den Türken hervor, da die Deutschen sich durch ihr Betragen sehr beliebt gemacht hatten. Die Einschiffung fand unter großer Beteiligung der Stadtbevölkerung am Mittag des 19. November statt; alle Mächte hatten Truppenabteilungen gesandt, die, wie das Bild zeigt, in einem großen Halbkreis am Quai Aufstellung nahmen. Die türkische Militärkapelle spielte, alle Stadt- und Militärbehörden waren zum Abschied versammelt. Die deutschen Blaujacken verließen mit einem dreifachen Hurra mit ihrem bisherigen Kommandanten, Kapitänlieutenant Koch, die Stadt Kanea, um auf S. M. Schiff „Kaiserin Augusta" die Reise nach Ostasien anzutreten.