230
Ueber Land und Meer.
.M 14
Die italienischen Bootslente legen sich scharf in die Riemen: das Boot gleitet aus der Bncht. Die schmalen Terrassen mit den immer höher steigenden Limonenmauern, unter deren Schutze die empfindliche Zitrone noch unter so hohen Breiten gedeiht, verschwinden. Hart am Ufer geht die Fahrt, grünlich schimmert der Fels unter dein klareil Wasser. Die Sonne lacht, im entzückenden Farbenspiel flimmert's ringsum. Eine Stunde Fahrt — wir höreil fernes, dumpfes Tosen. „Der Ponalfall," erklärt einer der Ruderer. Wellige Niemenschläge — eine breite, himmelhohe Felsenschlucht thut sich auf. Aus der Höhe stürzt ein schäumender Bach — milchweißer Wasserstanb schimmert in beängstigender Klamm. Alis ge
wundenem Saumpfad müssen wir die halbe Höhe erreicheil. Mir schwindelt. Je höher wir steigeil, lim so wilder, dumpfer grollen die Wasser ans der Tiefe. Viele Jahrtausende mag der Gießbach gebraucht habeil, ehe er sich zwischen den Felsmauern diese Schlucht von Ledro bis zum Ponalfall grub. Kühler Dunst wogt herauf. Das Gestein unter unfern Füßen scheint zu zitteru bei dem Wassersturz. Ein Elektricitätswerk ist hier in den Fels gesprengt, und die Gewalt des Sturzes schafft Riva elektrisches Licht. Aber weit wilder, majestätischer mag die Klamm vor Zeiteil gewesen sein, als noch kein elektrischer Funke ihr die Wasserkraft stahl und nichts als ein schwankender Steg die Saum
pfade hüben und drüben verband. Jetzt ist's eine feste Holzbrücke, zwischen die Felseil geklemmt. — Wir kommen auf die Ponalstraße. Von Ledro, tief in den Bergeil, bis nach Riva ist sie gesprengt, vom See nur sichtbar als geschwungene Linie in müßiger Höhe. Wir oben wissen besser, wie schwindelnd tief und steil sie zum blauen Garda hinabfällt, und wie drohend, riesig sich über ihr wieder das Gebirge hebt. Gewunden, in Galerien, Tunnels führt sie bis zum,Garda in ganz allmählicher Senkung hinab. Mich erinnert die von Maultier- und Eselsfuhrwerken stark belebte Felsstraße mit ihren köstlicheil Aüsblicken in die blaue, schwindelnde Tiefe und dein Schneehanpt des Monte
z 4 F ^
X
4-
Bald» gegenüber an die weit berühmtere zwischen Victri ! und Amalfi am Golf von Salerno. Aber selbst da habe ^ ich deil Kontrast zwischen starrer, ungebändigter Felsnatur ^ iil der Höhe und lächelnder Anmut in der Tiefe nicht so , stark gefühlt, als an jenem Januarnachmittag auf der Ponalstraße.
Als wir in Riva ankamen, lag die reizende Stadt schon ganz im Schatten. Licht spendet überhaupt hier die Wintersonne warm, aber kurz. Schon vor zwei Uhr nachmittags beginnt's träumerisch über der Bucht zu dämmern. Ter Monte Gimella, der hart über Riva 1400 Meter in einer einzigen Steilwand aufsteigt, scheucht es zurück. Rivas Glanzzeit ist Frühjahr und Herbst. Ta leuchtet die Bucht,
und köstliche Lichtreflexe huschen über die Bergkolosse hüben und drüben. Uns mutete es bei der sinkenden Sonne fast schwermütig an. Riva, das in der blutigen Geschichte des Mittelalters eine führende Rolle spielte, bewahrt noch in manchem Bauwerk die Erinnerung. Ueber der Stadt selbst thront als Ruine noch ein Skaligerkastell, ein fester Turm am Hafeneingang gemahnt an Streitigkeiten mit dem Fürstbischof von Trient. Die alte Stadtburg selbst, die Rocca, ist jetzt eine Kaserne der Tiroler Kaiserjäger. Wie die herrliche Citadelle über Arco im spanischen Erbfolgekrieg dem Vandalismus des Marschalls Vendome zum Opfer fiel, so versuchte sich auch die gallische Rache zu Riva in sinnloser Zerstörung an dem Stein. . .
Es war Nacht, als wir wieder in die Dampftram stiegen, die mit einem Umweg über das nahe Arco wieder znm Kastell von Nago emporklimmt.
Noch einmal den herrlichen Blick über den alten Garda!
unbewegt — nur in weiter Ferne schimmerte es silbern. Es war ein melancholischer Abschied. Vielleicht war's besser so. Denn siebzehn Stunden später stiegen uns wieder die Türme von Stuttgart ans, um die feines Schneegestöber wirbelte. Der schwarzlockige Jüngling war glücklich — uns aber blieb noch lange die Sehnsucht nach dem sonnigen Süden.
—