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Ueöer Land und Neer.
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Aas Ml. lmMe UkisilMuseum in Milchen.
(Siehe die Abbildung Seite 217).
^^as neuerbaute bayrische Nationalmuseum in München ist eine Schöpfung des Professors Gabriel Seidl, der damit die Jsarstadt um ein Werk von hoher monumentaler und malerischer Schönheit bereichert hat. Es ist kein Prunkbau konventionell stilistischer Art mit mehr oder weniger reicher Architektur, sondern das Aeußere wurde bedingt durch die abwechslungsreiche Gestaltung im Innern, wo gegen hundert Räumlichkeiten zu schaffen waren, die eine kulturhistorische Repräsentation von vielen Jahrhunderten darstellen werden. Das Ganze ist im Stil der deutschen Hochrenaissance zu Anfang des sechzehnten Jahrhunderts gehalten. Diese Bauweise gewährte reichen Spielraum, und sie ist nirgends verlassen. Rein romanische oder gotische Motive kommen nicht vor. Schon in den Gesimsen und in der ganzen Gliederung des Baues spricht sich der Charakter der Renaissance aus, der dann im Haupttrakt zu reicher Entfaltung kommt. Der Giebelabschluß desselben mit offener Halle, Seitenterrassen und flankierenden Turmansätzen, nebst dem rückwärts sich erhebenden und in zierlicher Verjüngung nusstrebenden größeren Turm, giebt einen besonders schönen Mittelpunkt in dem architektonischen Bilde. Auf die reiche Ausstattung des Innern wird noch zurückzukommen sein, sobald der neue Monumentalbau allgemein zugänglich ist. Ein Annex desselben ist das rückwärts anschließende Haus für Gipsgießerei. Der gegen die Straße vorspringende Anbau im Westen ist zum Studienhaus bestimmt, in welchem Künstler und Handwerker auch in den Abendstunden Gelegenheit haben werden, die Schätze des bayrischen Nationalmuseums sich zu nutze zu machen.
Vettel öub.
K. G. Wes.
Eieh nur das Holz, das dem Uetli seine Kinder heim- bringen," sagte Bettelbnbs Mutter und richtete sich im Bett auf. „O, die laugen, langen Aeste! Achte müssen sie tragen; und die Uetlin geht nebenher und legt stolz die Hand auf. O, die dicken Aeste! Das gäb' ein Feuer." Sie hüllte sich fröstelnd in ihre Lumpen. „Was gehst nicht
Bettelbub hob ein Paar tieftraurige Augen zu seiner Mutter auf. Daß sie noch fragen konnte, sie wußte doch gut, warum. Es war ja sein tagtäglicher Kummer.
Die Mutter blickte noch immer zum Fenster hinaus. „Hörst etwa nicht?" fragte sie scharf.
Da sagte er leise: „Wer geht wohl mit mir? Bettel- Lub ist immer allein."
Eins schnelle Nöte färbte aus einen Augenblick das bleiche Gesicht der Frau. „Scht! Seht! mach dir nichts draus; im Himmel hast du die Engelein."
„Ja," sagte Bettelbub inbrünstig.
Das war sein Trost, wenn die Kinder im Dorf ihn jagten und höhnten.
„Wartet Mutter, ich geh' auch ins Holz. Ich bring' schon was heim. Ihr friert mir nicht mehr, wenn erst das Feuer im Herde brennt."
Die Augen der kranken Frau leuchteten bei dem Gedanken auf. „Wirst aber bedenklich hoch steigen müssen," seufzte sie daun hüstelnd. „Unten haben sie sicher schon alles durchsucht. Daß auch der Winter Heuer kein Ende nimmt! Gott denkt nicht an die Armen."
Bettelbub holte das Beil unter dem Ofen hervor, suchte den Holzstrick mit dem eisernen Haken nnd machte sich fertig. Die Mutter verfolgte jede seiner Bewegungen, während ihre abgemagerten Hände an der Bettdecke zerrten.
„Nimm auch 's Halstüchel um, daß dich nicht friert; komm, daß ich's dir binde."
„Deckt Euch lieber nicht auf, Mutter, es geht schon. Ihr hustet gleich wieder. Seht Ihr, seht Ihr!"
Ein heftiger Anfall schüttelte die verzehrte Gestalt der Kranken. Sie war blau im Gesicht geworden. Mühsam sprach sie: „Geh nicht zu hoch; der Abend kommt früh, und bleib ja auf den Stegen."
„Gut, gut, Mutter, sorgt Euch nur nicht."
„Und hör, Bub!" Die Stimme der Mutter ward tiefer, die Augen geheimnisvoll, und der flackernde Blick bohrte sich tief in das Antlitz des Knaben. „Nimm dich in acht vor der Schneesturmkarosse! Weißt ja — hat acht Rüder und vorn zwölf Pferde, schneeweiße Pferde — wann's donnert am Fels, wann's herabführt am Berg — da flieh, da laufe! Wer die trifft, der ist verloren."
„Weiß schon, Mutter, weiß ja." Bettelbub ging zur Thür. Grausen halb und halb Lust erfüllte ihn, wie jedesmal, wenn er von der Schneesturmkarosse hörte. Gesehen hatte er sie noch kein einziges Mal.
„Und höre!" Die Kranke rief ihn wieder zurück, in so dringlichem Tone jetzt, mit so stockender Stimme; „Bleib auch am — Ende — nicht — lange!"
Bettelbub schlich aus der Thür und schlich um die Hütte, um den Dorfkindern aus dem Wege zu gehen.
„Bettelbub, Bettelbub geht ins Holz!" rief's aber schon hinter ihm her. „Seht seine Lumpen, seht, seht! Möcht'st du nicht mit uns spielen? Möchtest du nicht? Möchtest du nicht? Wer geht wohl mit solch einem Bettelbub?"
„Ich mach' mir nichts draus," murmelte Bettelbub vor sich hin, dem das Herz brach. „Ich mach' mir nichts draus!" wiederholte er laut. „Im Himmel Hab' ich die Engelein!"
Da lachten die Mädchen und Knaben im Chor. „Hört ihr's? Hört ihr's? Gar noble Gespielen hat Bettelbub."
„Hab' ich auch, Hab' ich auch!" Er sprach mit Not und würgte an seinen Thränen, während er schneller lief, um seinen Peinigern zu entrinnen. Aber die Rangen ließen nicht ab und folgten ihm höhnend. Da, mit einer letzten gewaltsamen Anstrengung, rot im Gesicht von unterdrücktem Schluchzen, fast schreiend vor Jammer und Zorn, drehte er sich voll seinen Quälern zu uud gab seinen letzten Trumpf aus: „Und die spielen mit euch nicht."
Dann aber stürzte er fort wie gepeitscht, um nicht das Hohngelächter zu hören, das hinter ihm drein schallte, und um die Thränen zu verbergen, die unaufhaltsam über seine Backen rannen. Er stürzte den Berg hinauf, ohne sich umzusehen, ohne still zu halten, atemlos. Ganz oben, wo ihn niemand mehr sah, kauerte er auf einen Stein nieder und weinte und schluchzte: „Ich wollt', ich wär' schon im Himmel, ich wollt', ich wär' schon!"
Da fiel ihm die Mutter ein, die auch verhöhnt war
Durfte er die verlassen? Sie war die einzige, die für ihn Liebe fühlte, die allereinzige — und er war ihr alles. „Wenn ich dich nicht hätt', Bub!" sagte sie oft.
Nein, nein, das war nicht schön von ihm, daß er fort wollte von ihr und in den Himmel, bloß um es leichter zu haben. Hatte sie es denn leicht? Wie sie ausgesehen hatte zuletzt, fo weiß, so weiß und die Nase so spitz — er schauderte bei der Erinnerung. Wie mußte sie frieren!
„Mutter!" sagte er, „sollst sehen, ich bringe auch dicke Aeste, ganz dicke. Die Engelein helfen mir tragen!"
Er machte sich eilig daran, seine Last zusammen zu suchen. Am Boden las er Reisig auf, und mit dem Beil schlug er die dürren Aeste ab, die im Bereich seiner Hände waren. Es verging geraume Zeit, ehe der Packen voll wurde; und er mußte höher und höher hinauf. Endlich aber war es genug. Er band alles mit dem Holzstrick zusammen, hakte sorgsam den Haken ein, daß sich nichts löste, und nahm die Last auf den Kopf, so daß das dicke Ende der Aeste nach vorn kam. Da stützte er sie mit feinen beiden aufgehobenen Händen, und sie hingen ihm nun wie ein schräges Dach über den Rücken herunter.
Jetzt machte er sich aus den Heimweg. Aber die Aeste waren so lang, daß sie hinter ihm auf dem Boden schleiften, wenn es bergab ging, und so dick, daß er unter ihrem Gewicht keuchte.
„Ich bleib' öfters stehen, nm zu verschnaufen," sagte Bettelbub. Er mochte keinen einzigen abthun, er wollte den Buben unten schon zeigen, was er heimbringen konnte. „Wenn ich nur hinunter komm', ehe es dunkelt."
Es dunkelte aber schon jetzt, am Nachmittag, denn drüben über den Bergen zog ein Wetter herauf. Das sah fast nach Schnee aus — die Wolken waren so schwer geladen, so fest zusammengeballt. Und der Wind stieß jetzt von der Wetterseite nnd trieb die Wolken herüber über den See. Heran schob sich's, eine Wolkenwand vor der andern, dickweiß, dickgrau, dickblau. Allen voran stob weißer Nebel — das war der Vorreiter.
Was für ein Wind sich erhob, wie es jagte und stiebte! Nun kam der Nebel, nun hüllte er Bettelbub ein. Es fing an zu schneien.
Jetzt galt es Eile!
warf den Gedanken sofort; die Wolken sahen zu bös aus, der Wind blies zu stark; das gab einen heftigen Schneefall, schneite vielleicht tagelang wie letzthin. Jetzt, bei Ausgang des Winters, konnte man darauf gefaßt sein. Und wie, wenn heute wirklich die Schneesturmkarosse umfuhr!
Nein, nur hinunter, hinunter!
Bettelbub achtete nicht länger auf Weg uud auf Steg, denn sein Fuß sank schon ein in den Schnee, erst sohledick, dann schuhtief. Die Flocken stoben ihm ins Gesicht und blendeten seine Augen. Die Holzlast drückte schwer nnd schwerer auf Kopf und Schultern von all den Flocken, die darauf sielen. Aber Bettelbub wagte nicht, stille zu stehen und sie abzuschütteln, sank er jetzt doch schon bis über die Schenkel ein; uud bei dem Nehel, der ihn umhüllte, kam es ihm vor, als habe er bereits die Richtung verloren.
Halt! — Nun hob sich der Nebel ein wenig, — wo war er?
Weg und Steg nirgends! Nichts als ein Schussfeld dehnte sich vor ihm, das ringsum der dicke Nebel begrenzte.
Bettelbub zögerte. Wie, wenn er einsank, wenn er über Stock uud Stein stolperte! Gleichviel, das Feld zu umgehen, währte zu lange.
Er machte aber kaum ein paar Schritte, da fiel ihn der Sturm an. Hu, wie es über das Schueefeld fegte! Von
allen Seiten blies es, von allen Ecken. Es johlte und pfiff und heulte.
Und plötzlich — da kam es herabgetost, herabgedonnert am Fels. Es klang und knatterte wie von tausend Hufen, es rollte und rasselte wie von tausend Rädern, und die Felswände gaben den Schall zurück.
Bettelbub blickte sich um, das Blut erstarrte in seinen Adern, in den Ohren brauste es ihm. — „Herrgott im Himmel, die Schneesturmkarosse!"
Wo jetzt sich bergen? wo sich verstecken? wohin sich retten?
Er jagte hin und her auf dem Schneefeld trotz seiner Holzlast, denn die Angst lieh ihm Riesenkräfte; aber immer jagte der Sturm hinter ihm her, immer klang's über ihm, donnerte es den Berg herab, da, wo er war, und — jetzt — hu! — jetzt kam es herangesetzt, weiß, mit fliegender Mähne.
Er barg sich in Todesängsten hinter dem nächsten Stein.
Aber horch! — Das waren nicht Pferdehufe, das war ein Windstoß; nein, das waren nicht Pserdemähnen — Schneewolken jagten über das weiße Feld. Fernab am Berg donnerte jetzt die Schneesturmkarosse. Er lebte, er war gerettet! Heim jetzt, schnell heim!
Aber der Schreck zitterte ihm in allen Gliedern nach, und wie er sich erheben wollte, versagten die Kniee. „Ich will doch lieber ein wenig ruhen und warten, bis der ärgste Sturm sich gelegt hat. Nun ist ja keine Gefahr mehr."
Bettelbub saß, unter seine Holzlast geduckt, wie in einem sichern Häuschen. Nur manchmal wehte der Wind ihm Flocken ins Antlitz und zwang ihn, die Lider zu schließen, aber er öffnete sie gleich wieder und blickte unverwandt in das Schneegestöber. Er vergaß sogar die Sorge um seinen Heimweg darüber, daß die Flocken so drollig den Kopf der schwarzen Hochtanne umtauzten, wenn sie auf Augenblicke aus dem Nebel heraussah, und dann trieb wieder stäubender Schnee gegen den Stamm. Ein vertrocknetes Blatt wirbelte auf dem Schueefeld umher; das war der einzige braune Fleck in dem schimmernden Weiß ringsum. Es rastete einen Moment wie todmüde, dann erfaßte der unbarmherzige
Der Schnee fiel rings um den Knaben her, schnell, dick, dicht. Er siel auf seine Holzlast nnd deckte sie allgemach zu. Der Wind blies und brauste, aber es schien jetzt ein Wiegenlied, was er sang, denn es legte sich Schlummer auf Bettelbnbs Angesicht.
die Felswand herab und rollte wie Näder und klang wie Hnse auf blankem Gestein.
„Hier findet die Sturmkarosse mich nicht," sagte Bettelbub, der die schlafmüden Lider ausriß. „Hier, hinter dem hohen Stein bin ich geborgen, sie soll mir kommen."
Und sie kam — mit Donnergetöse. Hatte sie wirklich acht Rüder und vorn zwölf Pferde, schneeweiße Pferde?
Bettelbub schob voll Neugier den Kopf hinter dem Stein hervor; seine Sicherheit flößte ihm Mut ein. Er zählte die Räder nnd zählte die Pferde — zwölf weiße Pferde! Aus ihren Nüstern stob Schnee, Schneeflocken flogen aus ihren wild flatternden Mähnen, und die Hinterwand des Wagens war ein breites Segel, das sich drehte und blähte; das bog sich im Sturm und schüttelte Flocken.
Niemand lenkte die Pferde; denn der, der im Wagen saß, schlief. Er trug einen Schneepelz und eine riesige Zipfelmütze, Hielt das Haupt auf die Brust gesenkt, und Eiszapfen hingen in seinem Barte. Das war der Winter.
Das also war er; der schickte die Kälte und brachte den Schueesturm und machte, daß Mutter fror.
Beitelbub bog sich neugierig weiter und weiter hervor. Seine Brnst hob sich im Hochgefühl. Er, er sah die Schneesturmkarosse, er war allein mit dem Winter, ganz allein mit ihm auf der weiten Flur. Wer von den Kindern im Dorf konnte sagen, er habe gleiches erlebt?!
Er schaute uud schaute, um keine Einzelheit zu vergessen. Jetzt würde er der Mutter daheim erzählen, er. . .
War's nicht gerade, als ob der alte Schläfer die Gegenwart von etwas Menschlichem auf dem verlassenen Gefilde spürte? Er hob schwerfällig den Kopf, wandte ihn seitwärts, öffnete langsam die Lider, und ein Blick aus schlaftrunkenen Augen fiel voll, seltsam und schwer auf den Knaben.
Warum ward's Bettelbub auf einmal fo weh? Was durchdrang ihn so eisig? Was lies wie ein Schauder durch sein Gebein? Sein Zähne fingen zu klappern an, er krümmte sich zitternd unter der Holzlnst; es schüttelte ihn wie im Fieber.
Die Schneesturmkarosse war lang schon vorübergerollt. Fernab tobte sie jetzt, schwach und schwächer klang das Echo vom Berge. Aber noch immer hielt Bettelbub die Augen in Grauen geschlossen, ihm war, als fühle er noch den Blick auf sich, den entsetzlichen Blick des Winters.
Wie lang er so saß, das wußte er nicht. Er wußte nur, daß er nicht länger fror; dazu umhüllten ihn auch die Flocken zu dicht von allen Seiten. Wie der Erde wurde ihm, die warm unter der Schneehülle ruht und schläft und träumt.