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Ueöer Land und Meer.
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dankbaren Vortrag ergeben. Beide Sonaten sind mit ausgesetztem Basse gegeben.
Von hervorragenden französischen Geigern aus dieser Zeit sind in der „Hohen Schule" nur zwei höchst eigenartige Sonaten von I. M. Leclair (1697—1764) abgedruckt. Indes die bedeutendste Erscheinung im ersten Viertel des achtzehnten Jahrhunderts sind die „Sechs Sonaten für Violine und Klavier" von Joh. Seb. Bach (1685—1750; Peters, Leipzig), Nr. 232/3, die in der Zeit von 1718—1722 in Auhalt-Cöthen entstanden sind. Unter den Sonaten von zwei Jahrhunderten nimmt dieses Werk eine besonders hervorragende Stelle ein, nicht allein durch die hohe Kunst des Satzes, die keusche Stilgröße und den reichen ursprünglichen Gedankeninhalt, sondern auch dadurch, daß das Klavier, abweichend von der italienischen Violinsonate, in der es nur begleitend auftritt, hier als selbständig melodie- oder themaführendes Instrument, abwechselnd mit der Violine, eingeführt ist. Eine für die Zeit große und machtvolle Form der Sätze, wie sie vorher und noch lange nachher in solch wohlgefälliger Abrundung schwerlich anzutreffen sein werden, erhöht noch den Wert dieses erhabenen und unvergänglichen Werkes. Der Kanon in der zweiten Sonate ist wohl das bedeutendste Stück dieser Gattung in der gesamten Sonatenlitteratur, was Wohlklang, sinnige und vornehm klingende Melodieführung sowie kunsttechnische Behandlung betrifft. Durch diesen Kanon ist der höchste Gipfel dessen erreicht worden, was die niederländischen Meister, die ersten Fachmusiker, in der Entwicklungsperiode des Kontrapunktes sowie der Nachahmung, die das erste Samenkorn zur Formenbildung genannt werden müssen, anstrebten.
Allen strebsamen Geigern seien diese Sonaten als musikstärkende und herzerquickende Gaben warm empfohlen.
Der Neiökopf.
Hertslets Sammlung von „Treppenwitzen der Weltgeschichte" ist auch ein altes Berliner Wahrzeichen erwähnt, der sogenannte „Neidkopf". Die „Gartenlaube" des Jahrgangs 1875 enthielt eine Abbildung des Neidkopfes, wie er noch Ende des Jahrhunderts die Rokokofassade des Hauses Nr. 38 in der Heiligengeiststraße zu Berlin schmückte; seitdem ist er in ein Berliner Museum gewandert. Die Abbildung zeigt einen rokokomäßig frisierten und drapierten Frauenkopf, in einer Nische über dem Hauseingang naiv die Zunge reckend, soviel sich erkennen läßt, mit der Front nach dem Gegenüber. Das sonderbare Bildwerk scheint bei den Berlinern ehedem in besonderer Gunst gestanden zu haben, denn als seine Beseitigung oder anderweite Aufstellung in Frage stand, wurden Behörden, ja selbst die königliche Autorität ins Spiel gezogen. Was die „Gartenlaube" von dem Bilde erzählt, ist nichts als freie Phantasie, nufgebaut auf der Volksbezeichnung „Neidkopf". Da soll ein gegenüber wohnender Goldschmied seinen Neid auf den glücklichen Besitzer des Kopfhaufes durch Grimassen und so weiter kundgethan und Friedrich Wilhelm I., jener König, der zu jeder derben Anekdote herangezogen wird, dem Gekränkten das Recht verliehen haben, die beleidigende Fratze auszustellen. Es gliedert sich hieran die Erläuterung, woher der „Neid" stamme, von einem Tafelservice nämlich, das wieder mit dem König in Verbindung gebracht wird; das Histörchen, vom Verfasser des Aufsatzes selber in allen Einzelheiten auf Grund sicherer Daten widerlegt, kennzeichnet sich auch selbst zur Genüge als sogenannte ätiologische Kombination, eine der beliebten Erklärungen, wie sie aus dem überlieferten Namen herausgesponnen werden.
Mehrere Jahre, ehe er Hertslet gelesen, ging der Verfasser dieser Zeilen in jener alten Schwesterstadt des breis- gauischen Freiburg, der den Schwarzwald mit ihrem Mauerring und kreuzförmigen Straßenplan krönenden Gründung Bertholds von Zähringen, der brunnenberühmten, türmestolzen, lustklaren, subalpin umblühten badischen Amtsstadt Villingen pflastertreten, eine der schwierigsten Kulturaufgaben übrigens, der ein unbenageltes Sohlleder unterzogen werden kann. Langeweile ließ den Blick an geringsten Dingen haften. So fiel ihm namentlich auf, wie zielbewußt das Fensterwesen hier ausgebildet ist, hier, wo bis vor hundert Jahren noch alle möglichen, der Sündflut neuer Zeit entflohenen Mönchs-, Nonnen- und Ritterorden, Patrizier- und Adelsgeschlechter Altsitz und Hochburg hatten; allem Neuen indes, was die damals lebhaften Handelsstraßen nach Villingen brachten, scheinen die Bewohner ihr Interesse nie verschlossen zu haben.
Die sägenförmige Anordnung der Häuser in den beiden senkrecht sich kreuzenden Hauptstraßen hat schon manchem Fremdling Anlaß zu Fragen gegeben. Die Häuser stehen nicht in gerader Front, vielmehr vergleichbar einem schiefgeschobenen Spiel Karten, jedes so, daß es seinen einen Nachbar, das nach dem Stadtthor zu stehende Haus, um ein weniges überragt, andrerseits vom Nebengebäude überragt wird. Jedes Haus hat nun in der freien Feuermauer noch ein Fenster oder eine Luke, die nach dem Stadtthor Auslug gewährt. Jedes Haus sieht so schielend das Thor noch „schimmern", ohne daß die Linie doch zur Staffel würde. Dem Fremden werden diese Seitenluken als Ver
teidigungsvorsicht erklärt, dazu bestimmt, „für den Fall eines Straßenkampfes" auch aus den Häusern nach dem Thor hin schießen zu können (ein Vaubansches System — wohlgemerkt im Innern der Stadt — vor Erfindung der Feuerwaffe!). Viel menschlicher aber dürfte die Bauordnung einer weisen Regelung der „gemeinen Neugier" zuzuschreiben sein, wodurch jedem Haus und Stockwerk ohne Kosten des Nachbars auch vor Erfindung der grünen Altleutefenster- spiegelchen die Möglichkeit eines Blickes die Straße hinab gewahrt blieb. Welche Eifersucht und Familienfeindschaft sonst durch die Anmaßung nachbarlich vorgebauter Häuser, Läden und Erker hervorgerufen werden mochte, davon geben die Städtechroniken und Straßenbilder des Mittelalters Beispiele genug. In Villingen, wo die „Müßiggänger", auch die amtlich als solche nicht eingetragenen und in dem vornehmen, nach ihnen sich benennenden Klub der Stadt nicht eingezünfteten, recht zahlreich gewesen sein müssen, wo auch heutzutage noch die Mehrzahl der Eingeborenen ihr Alter als wohlversorgte Pfründner der Stadt und ihrer überreichen Stiftungen hinbringt, wäre es erklärlich, wenn das Recht des Auslugs zu ganz, besonders vielseitiger Entwicklung gekommen wäre. In einer Nebenstraße des nach dem „Romeiasturm" zu gelegenen Stadtviertels, nahe jener gleich einem ausrangierten Schiff zum dreistöckigen Wohnhaus verwandelten gotischen Kirche, befindet sich auch ein Bäckerhans mit erkerartigem Ausbau in die Straße. An der einen Seitenwand des neuerdings übertünchten Erkers schaut aus der Mauer ein Gesicht, das wir, mein Begleiter und ich, zuerst für das Fragment eines Heiligenbildes hielten; nur die ausdruckslos aufgeschlagenen Augen des nach Gesichts- und Bartschnitt noch gotischen Kunstwerkes fielen uns auf, um so mehr, als der moderne Anstreicher frische Farbe ausgetragen hatte. Auf eine Frage erklärte aber die Bäckerin zu unsrer Ueberraschung, der Kopf bedeute für den Hausbesitzer ein Recht unbeschränkter Aussicht nach der Seite zu, wohin der Kopf blicke. In der That, von Erkern und Vorbauten war die nächste, aus Privathäuferu, gleich dem unfern noch gotischen Stils, bestehende Nachbarschaft nach der angedeuteten Richtung hin frei. Noch auf ähnliche Köpfe in andern Straßen und Erkern wurde hingewiesen; wir fanden sie aber nur als Ornameut barocker Fassaden und in ihrer etwaigen alten Bedeutung nicht mehr erkennbar. Unser Kopf aber schaute ungarniert aus der getünchten Mauer hervor.
Die deutsche Rechtssprache behandelt Fragen der nachbarlichen Aussichtsbeschränkung unter dem Namen des „Neidbaues". Neid heißt mitteldeutsch jede Feindseligkeit, nicht nur das Gefühl konkurrierenden Wunsches. Eine aussichtverderbende „spanische Wand", wie man heute sich ausdrückt, heißt vor dem mittelalterlichen Stadtgerichte „Neidmauer". Das Wort hat sich zum Glück in deutschen Darstellungen des römischen Servitutenrechts erhalten. Ein Rechtssymbol wie das Villinger dürften wir wohl in mittelalterlicher Sprache ein Neidsymbol, einen „Neidkopf" nennen. So würde der unerklärte Berliner Name seinerseits die glaubliche Erklärung finden. Schon dieses Namens wegen dürfte ein charakterloses Fassadengesicht unter die Rechtssymbole eingereiht werden; das rätselhafte Zungenrecken des Berliner Neidkopfes aber bietet einen Beweis mehr. Der heute vorhandene Rokokokopf muß in einer früheren Fassade des sechzehnten oder siebzehnten Jahrhunderts seinen Vorläufer gehabt haben, schon weil er seit alter Zeit als „Wahrzeichen" gilt, zugleich mit einem „Riesenknochen" (Rolands- und Marktzeichenüberrest) an andern: Hause. Auch an und für sich dürfte das gröbliche Zungenrecken im höfischen Rokokogeschmack seinen Ursprung nicht haben. Das künstlerische Problem ist auch vom Rokoko-Bildhauer nach Möglichkeit humorlos und linkisch gelöst. Viel eher dürfte ein gotischer Steinmetz schon das Stücklein zur Befriedigung des Bauherrn erdacht haben, der ihm aufgab, die Rechtssymbolik einer ^.etio negatoria recht deutsch und deutlich zun: Ausdruck zu bringen. Um den Stern im Bädeker der Handwerksburschen nicht zu verlieren, wurde beim Abgang der alten Fassade der Neidkopf zeitgemäß pausbackig und mit seinem pretiösen Ausdruck doppelt komisch ersetzt. Wie der alte derbe dem neuen barocken Kopfe, so mußte die schlichte Kenntnis der deutschen Rechtssprache einer interessanten Historie mit modischen Hofintriguen und Tafelfervicen weichen. —
Rechte eines Nachbarn über den andern heißen Dienstbarkeiten (Servituten). Die Häuser pflegen älter zu werden als ihre Erbauer. Wollen sich Nachbarn also ärgern, so ist nichts geeigneter zum Prozeß als solche Gerechtigkeiten, deren es schon bei Aufstellung der römischen zwölf Tafeln ein ausführliches Register gab. Mit Weg-, Fahr-, Reit-, Rinnstein-, mit Mauer-, Zaun- und Heckenhaarspaltereien hat in aller Welt, feit es Privateigentum giebt, mancher alte Bauer sein Leben hingebracht. Fühlt ein solcher rechtsbewußter Grundbesitzer an irgend einer Stelle in Luft oder Erde seine Rechte berührt, sei's durch überhängende Aeste, Wasserausschütten oder dergleichen, so bleiben derlei Streitigkeiten aus der Frage des unvordenklichen Zustandes zu entscheiden. Bei Gräben, Mauern, Wegen ist verjährter Besitz unschwer nachzuweisen. Bei „unständigen", dazu wohl noch „verborgenen" Servituten aber wissen die Unvordenklichkeitszeugen, die zugezogenen alten Mütterchen, weit seltener Bescheid. Wer seinem Hause
ein ewiges Recht dieser Art erwerben will, muß für Urkunden oder mindestens ein Zeichen gesorgt haben. Für gewisse Lichtrechte genügt nach französischem Rechte zum Beispiel ein sichtbares Merkmal, namentlich schon das Vorhandensein von Fenstern nach der betreffenden Seite. Für die Erkerrechte des Mittelalters waren wohl die städtischen Gesetze weiter ausgebildet, jedenfalls die Rechtsgebräuche vorsichtiger und gaben dem Neidkopf eine Verbreitung, wahrscheinlich noch weit über die Grenzen der Mark und der Baar hinaus. Vielleicht findet sich in der Schweiz weiteres Material.
Niemand wird bestreiten, daß das deutsche Mittelalter die im römischen Rechte so berüchtigten Fragen der ser- vitutss xraeäiorum urkunovum auf einfache Weise löste und dazu noch der architektonischen Ornamentik Motive gab, daran sich Geschmack und Geist des Erbauers in individuellster Weise ausprägen konnten. Nach Einführung des bürgerlichen Gesetzbuches wird zwar jedes Recht solcher Art nur durchs Grundbuch erworben und erhalten. Liebhabern bliebe es indessen unbenommen, ihre etwaigen Rechte auch in steinerner Schrift der Welt kundzuthun.
Eben entdeckt man, daß auch der Grieche seine Hypotheken- und Grundrechte auf das Haus eintrug in gemeißelten Ziffern und Namen, ein neues Zeichen, wie nahe verwandt sich der althellenische und der deutsche Geist sind, beide voll Haß gegen die Spitzfindigkeiten, die mit der Göttergabe Papier über die römische Welt ausgestreut wurden.
E. v. Freydorf.
du Aiicrslljeit
HargM,lampe.
Irariz Mendt.
Acit Abbildungen von Ewald Thiel.
ZMnter den Kulturmitteln, welche die Technik in unserm W> Jahrhundert schuf, sind die gegenwärtig gebräuchlichen Beleuchtungsmethoden die jüngsten. Thatsächlich ist kein größerer Gegensatz von einst und jetzt denkbar, als zwischen den alten und neuen Einrichtungen für die künstliche Beleuchtung. Unter ihnen nimmt neben der elektrischen Glüh- und Bogenlampe die von vr. Auer von Welsbach in Wien erfundene Gasglühlampe den ersten Rang ein. Die physikalischen Grundlagen, die der Auerschen Erfindung zu Grunde liegen, sind übrigens seit lange bekannt. Bringt man in eine lichtlose, heiße Flamme, wie sie zum Beispiel der allbekannte Bunsenbrenner entwickelt, einen unverbrennlichen Körper, etwa einen Platiudraht, so erhitzt sich dieser bis zur Weißglut und sendet ein schönes weißes Licht aus. Schon im Beginn unsers Jahrhunderts wurde die Thatsache durch Drummond praktisch verwendet. Er erhitzte Kreidestücke in der sehr heißen Flamme des Wasserstoffgases und empfing dadurch einen Leuchtkörper, der sich vortrefflich für die Ausstattung von Leuchttürmen eignete und auch vielfach zu diesem Zwecke verwendet worden ist. Ein allgemein verwendbares Licht, das auf der geschilderten Erscheinung beruht, besitzen wir aber erst seit der Erfindung des Auerschen Strumpfes. Wie jetzt auch in weiteren Kreisen bekannt, fetzt sich die in ihrem Wesen so außerordentlich einfache Auersche Lampe aus dem Bunsenbrenner, der die lichtlose, heiße Flamme erzeugt, und dem mit den sogenannten „seltenen Erden" getränkten Strumpfe zusammen.
Um das Wesen der jüngsten Beleuchtungsart verstehen und würdigen zu können, dürfte es am besten sein, den Entwicklungsgang eines Auerschen Strumpfes während seiner Fabrikation zu verfolgen und dabei gleichsam einen Spaziergang durch die Fabriksäle der Auer-Gesellschaft zu machen. Man muß sich zunächst klar darüber werden, daß das heutige prächtige weiße Auerlicht nicht in solcher Schönheit aus der Hand des Erfinders hervorgegangen ist, sondern daß es noch vieler Arbeit bedurft hat, um es im allgemeinen Existenzkämpfe konkurrenzfähig zu gestalten. Der ganze Industriezweig hat sich in seinen Einzelheiten erst nach und nach, unter der emsigen Arbeit der Techniker, in den Fabciksälen entwickelt.
Der Grundstock des Strumpfes besteht aus einem feinen Baumwollengarngewebe, das auf besonderen Maschinen als ein Schlauch ohne Ende hergestellt und von der Auer- Gesellschaft bezogen wird. In der modernen Fabrikation, und ganz vorzüglich in einer Industrie, in der die Mittel für ein sonnenähnliches Licht erzeugt werden sollen, bedarf man der größten Sauberkeit, und fo müssen denn auch die endlosen, dem Laienauge in reinen: Weiß sich darbietenden Schläuche noch einer gründlichen Reinigung unterzogen werden, damit jeder ihnen zufällig anhaftende Stoff entfernt werde.
Die nunmehr untadelhaft reinen Gewebe werden alsdann in die entsprechenden Stücke geteilt und gelangen
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