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Iteber Land und Weer.
M 24
Gubcc, der KeLd.
Von
A. Schneegans.
(Schluß.)
^Wn dem entlegenen Bergneste, wo Tuba und seine Genossen Unterkunft gefunden hatten, wurde nichts versäumt, um das Städtchen und dessen gastfreundliche Bewohner mitsamt ihrem Hab und Gut vor der bei der Rückkehr des Feindes etwa drohen könnenden Gefahr sicherzustellen. Die wackeren Ausreißer, die sich in immer wachsender Zahl um Tuba geschart hatten und nun in ihm ihren natürlichen Anführer erblickten, leisteten dabei ganz vortreffliche Dienste. Es waren lauter brave Männer, wie Calpurnicus Tuba, die nur mit knapper Not dem Heldentode entgangen waren und nun ihre Schlachtenerinnerungen bis in die kleinsten Einzelheiten zusammentrugen und nach und nach ein vollständiges, freilich etwas legendenhaftes Bild jenes unglücklichen und doch so heldenmütigen Tages aufstellten. Dem guten Tuba wurde es anfangs ganz schwül und schwindelig, wie er der Entwicklung dieses Bildes beiwohnte und allmählich entdeckte, welche ganz besondere Heldenthaten er in ureigner Person, sich selber unbewußt, dabei verrichtet hatte; war er es doch selbst gewesen, wie sie alle hoch und heilig beteuerten, der dem an allen Gliedern zitternden Konsul das Schwert aus der Scheide gerissen und ihm zugerufen hatte: ,Voran, Konsul! Zum Angriff!' War er es doch selbst gewesen, der dann den zitternden und zagenden Sem- pronius aufgesordert hatte, mit den Liktoren und der Leibwache gegen die feindlichen Reiter loszugehen! Der gute Tuba erinnerte sich freilich all seiner Thateu nicht mehr und hatte sogar am Anfang mit bescheidener Bestimmtheit versucht, sich dieser Legende zu widersetzen; aber da die andern alle zusammen wie ein Mann erklärten, sie seien ja dabei gewesen, sie hätten's ja mit eignen Augen gesehen, mit eignen Ohren gehört, da mußte er sich, ob er's wollte oder nicht, von der Wahrheit seiner eignen Heldenthaten überzeugen und mußte daran glauben, obwohl er im Innersten seines Gewissens recht gut wußte, daß dies alles doch erfunden und erlogen war. Und dieweil er nun daran glaubte, ließ er sich's nicht nehmen, sich auch seinerseits noch andrer Einzelheiten zu erinnern und ganz merkwürdige Heldenthaten seiner braven Genossen zu erzählen, zur großen Bewunderung der männlichen und weiblichen Bevölkerung und zur besonderen Erbauung des alten Jupiterpriesters.
Dieser bedächtige Mann war es, der besonders darauf drang, daß man vor allem dafür sorge, daß, falls der Feind durch diese Gegend zurückkehren sollte, Hab und Gut dieser Stadlbewohner in Sicherheit gebracht würde; denn das konnte sich doch jeder an den Fingern abzählen, entdeckten die Feinde das Städtchen, so war an eine Verteidigung nicht zu denken! Was hätte da alles Heldentum genützt? Einigen braven Leuten würde es das Leben kosten, der Feind würde mitschleppen, was mitzuschleppen war, und den Ueberlebenden verbliebe nichts als die sichere Aussicht auf eineu erbärmlichen Hungertod. Da war es doch weit vernünftiger, beizeiten die nötigen Vorkehrungen zu treffen, um dieser Gefahr vorzubeugen, und da man gerade den wackeren Tuba und seine Kriegsgenossen hier hatte, so konnte man ja diese Vorkehrungen recht gründlich treffen.
So wurde alles bewegliche Gut noch weiter in ganz unwegsame Bergesschluchten geschleppt, das Vieh weit, weit weg auf verlorene Bergeshalden getrieben, von wo dessen Gebrüll nicht bis zu des Feindes Ohren gelangen konnte, und allen Stadtbewohnern aufs dringlichste eingeschärft, beim ersten Anzeichen sofort zu fliehen und dem Feinde nichts als die nackten Mauern zu hinterlassen.
Um jeder Ueberraschung aus dem Wege zu gehen, wurden von dem wackeren Tuba auf allen Anhöhen rings umher Wachen aufgestellt und jedem dieser Männer als heiligste Pflicht auferlegt, sowie in der weitesten Ferne ein Waffenblinken aufblitzen sollte, sofort in schnellstem Laufe zurückzueilen, worauf dann der allgemeine Rückzug in die Berge angetreten werden würde.
Das längst Befürchtete traf ein, als der Feind beutebeladen und siegesberauscht von Rom zurückkehrte; aber da konnte man wieder mit dem alten Jupiterpriester ersehen, wie die allmächtigen Götter ganz besonders dieses Bergesnest liebten und beschützten! Denn der Feind schlug plötzlich einen viel weiter abgelegenen Weg ein, um in sein Land zurückzukehren, und nur ganz aus der Ferne konnten die hinter ihren Gebüschen und Felsen versteckten Wachen das Blitzen der Sonne auf den Helmen und Schildern jener Räuberscharen wahrnehmen.
Tuba befand sich nichtsdestoweniger vom frühen Morgen dieses Tages an in einer heftigen Aufregung. In seinem Herzen tobte sein Gewissenskampf wilder denn je: willst du damals ein Held gewesen sein, o Tuba, mein Freund, so mußt du es eben jetzt beweisen!
Er hatte sein Schwert umgegürtet, den Helm aufgesetzt, die Posaune umgehängt, und man sah ihn wie im Fieber von Straße zu Straße laufen, Befehle und Gegenbefehle erteilen, Wachen und Boten hin und her schicken. Als gegen Mittag die Nachricht einlief, daß der Feind immer weiter wegziehe, da schien es, als habe Tuba einen Entschluß gefaßt; er beteuerte auf offenem Platze, daß er bei einem Auszug der Bevölkerung in die Berge der letzte sein würde; den Rückzug würde er decken, und sollte er sein Leben dabei lassen! Mit gezücktem Schwert stieg er bis zum Bergesabhang hinauf, von wo die Wachen den Feind beobachteten.
„O, du wackerer Held!" murmelte der alte Jupiterpriester vor sich hin; „es duldet ihn nicht mehr unter uns! Er will auf den Feind los wie damals!"
So war es ja auch! Aber auf den Feind ging Tuba doch nicht los, gerade wie damals.
„Hört mich, ihr Männer!" rief er den auf dem Marktplatz Versammelten zu; „ich fühle es! Dem Drange kann ich nicht widerstehen, jenen Elenden dort nachzujagen und ein paar von ihnen in die Unterwelt zu befördern! Aber was würde das für Folgen haben für euch? Euer Städtchen würde der Feind dann sicherlich entdecken und würde euch plündern und niedermetzeln! Und an dem Unglück wäre ich allein schuld! Also, wollt ihr euch retten, meine lieben Freunde, so setzt mich in die Unmöglichkeit, mein thörichtes Vorhaben auszuführen! Bindet mich an eine Bank im hintersten Winkel des Hauses an und legt mir einen Knebel in den Mund, daß ich nicht nach dem Feinde schreie, und laßt mich so sitzen, bis der Feind verschwunden sein wird! Dann ist die Gefahr vorüber, dann könnt ihr mich los- binden, denn dann kann ich euch nichts mehr schaden!"
So wie er es gewollt, so geschah es. In seinem Kellerwinkel blieb der arme Tuba zähneknirschend sitzen, wie ein gefangener Löwe, bis der Abend anbrach und die letzten Nachzügler des feindlichen Heeres nur noch auf den allerletzten Höhenzügen sichtbar waren; dann aber auch: wie ein Wahnsinn kam es über den Wackeren! Gefolgt von einigen seiner Heldengenossen stürmte er den Bergesabhang hinan, ins Thal hinunter und wieder hinauf auf der andern Seite, und immer weiter und hielt endlich Umschau nach dem Feind! Dort, weit, weit in nebliger Ferne blinkten noch Speere und Helme in der untergehenden Sonne! Er schaute sich um; es war ihm, als kenne er diese Stelle, und es war auch richtig der Platz, wo er während der Schlacht neben Sempronius gestanden war! Er erkannte jeden Baum, jeden Strauch! Da loderte sein Mut in Hellen Flammen auf, und die Posaune ansetzend, rief er mit mächtiger Stimme hinaus in das Abendrot:
„Nicht Rückzug! Angriff und Viktoria!" Und blies mutig die Viktoriafanfare hinaus, setzte dann plötzlich wieder ab und rief:
„.Flieht, flieht!' so rief ich damals, und so rufe ich heute wieder jenen dort zu! .Flieht, flieht!' — und sie fliehen."
Es war eigentlich, als antworte er dabei jener ganz kleinen Stimme, die immer wieder an seinem Gewissen herumflüsterte, und als wollte er dieses Sümmchen übertönen und überschreien.
Mit einem Male drehte sich Tuba um, es schien ihm, als habe neben ihm jemand den Namen Sempronius ausgesprochen; es war aber nichts. Der Name hatte nur so in seinem Kopfe geklungen, gerade als hätte sein Gewissen an eine verborgene
Glocke geschlagen. Sempronius! Ja, der wußte ja, wie es damals zugegangen war! Aber Sempronius — die ewigen Götter seien gelobt! — Sempronius war ja verschollen, verschwunden, tot!
Und so konnte sich Tuba ruhig weiter hineinleben in sein Heldenbewußtsein! Und am andern Tage machte er sich ruhmbeladen mit all seinen Kameraden auf den Weg nach Rom, er ganz vorn mit seiner Posaune, auf der er von Zeit zu Zeit lustige Fanfaren blies, und unterwegs erzählten sich die Heldengenossen einmütig immer dichter in ihre Heldenlegende hinein, damit ja nichts davon verdufte oder vergessen werde, und damit sie sich alle in der Siebenhügelstadt als echte, wahre Helden einführten.
Dem ehrlichen Tuba war es freilich zuweilen recht sonderbar zu Mute dabei, und abends, wenn er den Schlaf suchte, da mahnte ihn immer und immer wieder sein kleines Gewiffensstimmchen in seinem bescheiden eindringlichen Flüsterton, daß ja dies alles doch nur erlogen und daß er eigentlich ein ganz schlechter Kerl sei, der immerwährend Geschichten erzählte, von denen er genau wußte, daß sie nicht wahr seien, und an die er doch nicht einmal halb und halb glauben konnte! Dann wälzte sich der geplagte Tuba auf seinem Lager hin und her und sagte zu sich selber:
„Es ist ja richtig! Wahr sind alle diese Geschichten nicht, aber wahr müssen sie ja dennoch sein!" Und fügte seufzend im Halbschlaf hinzu: „Man Halls nicht leicht, ein Held gewesen zu sein, wenn man doch nur zur Korbflechterei geboren ward!"
Der edle Marcus Sempronius war aber nicht tot, bloß verschwunden und halb verschollen. Dem armen Feldherrn war es während jenes Schlachttages recht schlimm ergangen; nicht nur, daß er mit ansehen mußte, wie seine Krieger dem Feinde wie eine Herde Hasen den Rücken kehrten, er wurde noch von diesen Ausreißern beschimpft und verhöhnt, und so völlig hatte das Gesindel den Kopf verloren, daß einer dem Feldherrn mit dem blanken Schwert in der Hand entgegentrat und ihm mit wuchtigem Hieb ein Ohr abhieb; und wie Sempronius sich nun gegen seine eignen Leute zur Wehr setzte, da saßen ihm auch schon die feindlichen Reiter im Nacken, und ehe er sich's versah, lag er mit einem entzweigeschlagenen Bein, einer lahmgehackten Hand und einem Lanzenstich im Auge besinnungslos im Gras. So fand ihn der Nachtrab der siegreichen Feinde. Mit Jubelgeschrei schleppten die Reiter den gefangenen Feldherrn in ihr Lager. Aber was konnte man mit diesem zum Krüppel geschlagenen Menschen anfangen? Nicht einmal als Geisel war er mehr zu gebrauchen, und so ließ man ihn nach einigen Tagen mit einem Stück Brot, einer Krücke und einer Binde über dem wunden Kopfe laufen, wohin er laufen wollte.
So schleppte sich der Feldherr Sempronius über Berge und Thäler langsam gen Rom zu, von Wurzeln und Beeren kümmerlich sein Leben fristend und in der Nacht von gierigen Raubtieren umlauert, die nur der Stunde warteten, wo sie über den Erschöpften herfallen könnten.
Zwei Tage, nachdem der brave Tuba mit seiner Schar Auserlesener unter Posaunenblasen in Rom eingezogen war, kam auch Sempronius an die Thore der ewigen Stadt. Keiner erkannte in dem zerlumpten Bettler den früheren Feldherrn. Mitleidige Weiber reichten ihm Brot und Wein, und er setzte sich auf den steinernen Thürpfosten, um sich zu erholen.
Da -hörte er von ferne, vom Forum her, Jubelrufe und Posaunentöne.
„Was ist dies?" fragte er erstaunt, denn es kam ihm seltsam vor, daß die Römer Feste feierten, nachdem sie kaum dem Feinde entronnen waren.
„Komm mit, Fremdling!" antwortete ihm ein des Weges gehender Bürger, „und du wirst sehen, wie Rom seine Helden zu feiern versteht, und wie es denjenigen dankt, die tapfer gestritten haben, während die andern, die elenden Feldherren, zum Rückzug blasen lassen wollten und mit dem Schwert in der Scheide vom Feinde erschlagen wurden wie lahme Hunde!"
„So?" sagte Sempronius, und über seinen Mundwinkel legte sich wieder jener seltsame Ausdruck, und seine Stimme nahm jenen eigentümlichen
