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Ueöer Land und Meer.
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Ton an, aus welchem niemand klug zu werden vermochte, ob es ernsthaft oder ironisch gemeint sei. „So? Die Feldherren wurden erschlagen wie lahme Hunde? Die andern aber haben wacker gefachten?"
„Ja!" erwiderte der Bürger, „und den Tapfersten von allen haben wir heute zum ersten Konsul erwählt — einen Helden sondergleichen — und es ist einer aus dem Volk — und der wird uns zum Siege führen, obwohl er bis jetzt nur ein gewöhnlicher Korbflechter war!"
„Kann aus einem gewöhnlichen Korbflechter bei euch so über Nacht und mir nichts dir nichts ein guter Konsul gemacht werden?" fragte ruhig der Bettler.
„Beim Jupiter, ja! Wenn er Tuba heißt!"
Sempronius blieb bei diesem Namen wie angewurzelt stehen und mußte sich auf seine Krücke stützen, um nicht zu wanken. Tuba? ein Held? Tuba? Konsul?
Der andre mochte wohl glauben, daß den hinkenden Bettler sein lahmes Bein schmerze.
„Stütze dich auf mich, armer Mann! Ich führe dich zum Forum; dort wirst du ein erhabenes Schauspiel genießen!"
Erhaben war auch wahrlich das Schauspiel, das sich dort den erstaunten Blicken des Sempronius darbot.
Jnnntten des Forums, umringt von helmbehaupteten Kriegern, saß auf hohem Roß, mit einem Purpurmantel über den Schultern und einem Lorbeerkranz auf dem Kopf, Tuba, der Korbflechter, und vor ihm stand Furius Gallus und hielt eine Anrede an ihn und an das Volk, in der nur von Heldentum die Rede war. Tuba aber ließ alle diese schönen Worte ruhig und gelassen über sich ergehen, gerade als wäre das Lob seines Heldentums die reinste Wahrheit, und winkte zuweilen Beifall zu, ! während seine Hand die Mähne seines Rosses streichelte.
Das Roß aber — Sempronius mußte sich zusammennehmen, um nicht laut aufzuschreien, als eres näher ins Auge faßte —, jenes schwarze Roß mit dem weißen Flecken auf der Stirn, es war ja sein eignes Roß gewesen, und nur ein einzigmal hatte sich ein andrer auf seinen Rücken geschwungen, und jener andre war eben dieser Tuba gewesen, und um vor dem Feinde zu fliehen, hatte er es bestiegen! Und jetzt? — Es war, als fühle das brave Tier, daß sein Reiter eigentlich anderswo hingehörte als auf seinen Rücken, denn bis zur Erde ließ es den Kopf herunterhängen, und ob Tuba es auch noch so sehr mit Zügelzerren bearbeitete, der Kopf blieb hängen, bleischwer, gerade als schäme sich das Roß seines Reiters.
„Ei, ei!" murmelte Sempronius vor sich hin; „dieser Konsul scheint ja ein echter Held zu sein! Den muß ich mir aus der Nähe betrachten."
Und langsam durch das Volk sich drängend, hinkte der lahme Feldherr zum Konsul hin, während alles den tönenden Worten des Volkstribunen lauschte. Man ließ den Bettler ungehindert durch. Keiner von den Kriegern erkannte in ihm den Feldherrn unter seinem verbundenen Kopfe; er aber erkannte in ihnen all die Braven wieder, die er Memmen und Feiglinge gescholten hatte; nur wunderte er sich, daß er sie alle lorbeerbekränzt wieder traf.
Als er nun ganz nahe neben dem Rosse stand, da war es stärker als sein Wille und seine Vernunft, und das brave Tier, das damals unter all diesen Helden das einzige Heldentier gewesen war, streichelte er sanft mit der Hand, und leise flüsterte er ihm ein paar Worte ins Ohr, — und siehe, da erhob das Tier den Kopf und schaute sich wie fragend um, und es war, als flöge ein Blitzen durch sein kluges Auge, und dann hob es den Kopf noch weiter in die Höhe und stieß ein langes, fröhliches, Helles Wiehern in die Luft, mitten in des Volkstribunen Rede hinein.
Unter seinem Lorbeerkranz schreckte Tuba bei diesem Wiehern zusammen; das Wiehern klang ihm wieder wie damals ins Ohr, wie ein höhnisches Lachen, aber diesmal mit einem so seltsam triumphierenden Ton dabei! Und wie er wieder am Zaume zerrte, um das Roß zum Schweigen zu bringen, da fiel sein Blick auf den Bettler, und da bebte er plötzlich am ganzen Leibe zusammen und seine Hände begannen zu zittern, und aus seinen kreideweißen Lippen rang sich plötzlich ein Aufschrei hervor:
„Sempronius!"
Sempronius? Der Feldherr? Der Verräter?
Was war's mit dem? Was wollte Tuba mit diesem Namen?
Wie schlaftrunken erhob Tuba den Arm, und auf den Bettler deutend, rief er:
„Sempronius! Du hier?"
Der Bettler aber erwiderte ruhig:
„Tuba! Und du hier?"
Wie ein Sturm entfesselte sich bei diesen Worten die Wut der Krieger. Er war es! Sempronius, der Verräter! Und bis zum Konsul wagte sich der Feigling, der Elende hin? Zu Tode! Zu Tode mit ihm! Man riß ihm die Binde von dem ausgestochenen Auge, und nun erkannte das ganze Volk den Elenden.
„Fort mit ihm! Er hat das Heer verraten! Zum Tode! Zum Tode!"
Und bis vor den Volkstribun schleppten sie den Armen und riefen dem Furius zu, er möge sofort das Todesurteil über ihn aussprechen.
Tuba schaute auf das Gewühl wie einer, der in einem schweren Traum befangen ist. Ein wilder Kampf tobte in seinem Herzen. Mit einem gewaltigen Ruck hatte sein ehrliches Gewissen sich aufgeschwungen. Die ganze Legende, in die er sich hineingelebt hatte, wankte in ihren Grundfesten; denn hier, vor ihm, stand derjenige, der allein und besser als alle andern wußte, daß diese Legende nur eitel Lug und Trug war, und daß der Elende, der Feigling nicht Sempronius, sondern Tuba hieß!
Er wollte vom Pferde springen, sich zu Sempronius' Füßen werfen, ihn um Verzeihung anflehen, aber wie? Durfte er es denn? Und was würde dann aus ihm selber, wenn er es thäte? In der Legende lag er ja wie in einem Netz gefangen, und mochte er zerren und zappeln, aus diesen Maschen konnte ihn nichts mehr befreien.
Wie im Traume hörte und sah er, wie Furius Gallus zum wutschnaubenden Volke rief, den Tod habe der Verräter verdient, den Tod solle er hier erleiden, der Konsul selber solle das Urteil fällen, vor den Konsul solle man ihn führen.
Und schon stand vor ihm der arme Sempronius, von wilden, mordberauschten Kriegern umringt, und zu Tuba riefen sie hinauf:
„Fälle das Urteil, Konsul Tuba! Zu Tode! Zu Tode!"
Als der Lärm aber einen Augenblick verstummte, da hörte Tuba, wie der Feldherr in seinem ruhigen Tone zu ihm sagte:
„O Held Tuba! So fälle doch das Todesurteil über den feigen Sempronius!"
Tuba hatte bei diesen Worten das Haupt auf die Brust sinken lassen. Seine Augen schlossen sich, seine Hand hing wie gelähmt herunter. Lauter als das Geheul des Volkes tobten in seinem Herzen die beiden Stimmen: ,Sei ehrlich!' flüsterte die eine; ,sei vernünftig!' lispelte die andre. Welche hatte nun recht, und welcher sollte der arme, lorbeerbekränzte Korbflechter gehorchen?
Da kam ihm plötzlich ein Einfall.
Tuba, der Konsul, reckte sich in den Bügeln empor und sprach dann; welch seltsam sanfter Ton lag aber in seiner Rede:
„O, ihr edeln Bürger!" so sprach Tuba, der Konsul; „nicht ziemt es uns, in dieser Stunde nur der Rache, der gerechten Strafe zu gedenken! Zeigen wir, daß wir echte Römer sind! Und seien wir hochherzig und edelmütig! Nicht dem Tode, den er verdient, sei dieser. . . frühere Feldherr verfallen, sondern der ewigen Verbannung! Daß er bis zum Ende seines Lebens in bitterem Schmerz über seine schwere That nachdenke! Unser Edelmut sei für ihn die höchste Strafe! Der morgige Tag sehe ihn nicht mehr in den heiligen Mauern Roms!"
So sprach Tuba, der Held; dem Feldherrn aber wagte er dabei nicht ins Auge zu schauen.
Seine Worte hatten die Herzen der Römer getroffen.
„Tuba, du bist der echteste aller echten Helden!" rief Furius Gallus in höchster Begeisterung aus; „Tuba, du bist der wahre Konsul! Tuba, du bist der geborene Staatsmann!"
Wie ein Balsam tröpfelten diese wohlthuenden Lobesworte über Tübas wundes Gewissen; da bemerkte er, daß Sempronius eine Gebärde machte, als begehre er zu sprechen, und dieweil der wackere Korbflechter nun wieder so viel Gewalt über sich gewonnen hatte, daß er sich seiner edelmütigen Rolle
ganz gewachsen glaubte, so warf er mit erhabener Gebärde das lorbeerbekränzte Haupt in den Nacken und rief mit volltönender Posaunenstimme:
„Einem jeglichen Verbrecher steht das Recht zu, vor Vollstreckung des Urteils gehört zu werden, deshalb sprich auch du, Sempronius, obgleich du ein Verr..."
Er wollte eigentlich sagen: Verräter! Das Wort blieb ihm aber im Halse stecken und er sagte nur:
„ . . . ein Verurteilter bist!"
Und nun sprach, mühsam auf seine Krücke gestützt, der schändliche Verräter Sempronius zu dem römischen Volk:
„O, ihr edeln und tapferen Bürger Roms! Glaubt nicht, daß ich das Wort ergreife, um Einsprache zu erheben gegen den Urteilsspruch, den Tuba, der Tapferste von euch allen, in seinem hochherzigen Edelmut gegen mich gefällt hat! Nein, der Spruch ist gerecht, eben weil er von ihm kommt, von ihm, den ihr alle — und ich mit euch — seit jener Schlacht als einen wackeren, todesmutigen Helden und von jeher als einen braven, wahrheitsliebenden Mann kennet und ehret! Ja,^ ihr edeln Bürger! Mein Schicksal ist freilich hart; denn — seht mich Armen nur an! — aus dem Feldzug habe ich weiter nichts mitgebracht als ein ausgestochenes Auge, ein abgehacktes Ohr, ein entzweigeschlagenes Bein und eine lahme Hand, aber auch ein hinkender Einäugiger kann ein Feigling sein! Tuba, er war glücklicher als ich, denn er kam mit einem, zwar durch einen Feldstein oder ein Stück Eisen beschädigten, nun aber lorbeerbekränzten Konsulsschädel davon! Ja, er war ein Held! Ihr sagt es alle, und er sagt es auch, und auch ich sage es, ich, der ich damals neben ihm stand und mit meinen eignen Augen sah, wie er sich auf mein Roß schwang — dasselbe Roß, auf dessen Rücken er jetzt als Konsul sitzt — und mit meinen Ohren hörte ich, wie er damals rief: ,Flieht! flieht!' Aber nicht zu den braven Römern rief er so; bei allen Göttern, nein, sondern wie er es selber sagt, zu den Feinden! Und wenn er es sagt, so muß es wahr sein, denn ein braver, ehrlicher Konsul wie Tuba, der lügt niemals! Freilich, hätte er damals jene Worte den Römern zugerufen, ja, dann hätte er gewiß nicht das Recht, hier auf eines ehrlichen Rosses Rücken zu sitzen und über andre ein Urteil zu fällen; dann wäre er ja ein noch viel größerer Feigling gewesen, als ich einer bin, und die Verbannung, die mich Elenden trifft, die müßte auch ihn treffen! Aber dem ist ja, bei allen Göttern, nicht so, eben weil Tuba ein Held und ein wahrheitsgetreuer Mann ist. Ich danke euch also, ihr edeln Bürger Roms, daß ihr, edelmütig wie der edelmütige Held Tuba, mich elenden, vom Feinde lahm und halbblind geschlagenen Feigling nicht zum Tode verurteilt habt, und morgen werde ich, von Dank gegen dies hochherzige Volk erfüllt, Rom verlassen, von Dank, o ihr edeln Bürger und von Ehrfurcht für jenen dort ganz besonders, der zum zweitenmal auf meinem Schlachtroß sitzt und der für mich und meine Kinder und Kindeskinder das Sinnbild des Mannesmutes, des Heldentums und der uneigennützigsten Wahrheitsliebe ist und ewig bleiben wird!"
So sprach Sempronius inmitten einer lautlosen Stille, auf seine Krücke gestützt, mit einem seltsamen Lächeln um die Mundwinkel und das einzige Auge, das ihm der Feind gelassen, ruhig und fest auf Tuba gerichtet. Keiner wußte recht, was er aus seinen Worten machen sollte, nur einer wußte es, und den überkam es plötzlich gerade wie damals, als er auf dem Holzstoß lag und der alte Jupiterpriester ihn einen Helden nannte! Und mit einem Male war es aus mit seinem inneren Kampfe; denn so wie Sempronius, so hatte ja sein Gewissen damals Zu ihm gerufen, so flüsterte es ihm seither bis in seine tiefsten Träume hinein, so schrie es jetzt aus Sempronius' Munde, aber wie bitter, wie schonungslos! Und plötzlich sah man, wie Tuba, der Konsul, aschfahl wurde und wie er beide Arme wie hilfesuchend ausbreitete, und dann rief er:
„Nein, nein! Es ist alles Lug und Trug! Reißt mir den Lorbeer vom Kopfe; ich habe ihn niemals verdient! Macht mit mir, was ihr wollt; weiter kann ich nicht! Nicht ich war ein Held, sondern dieser da, Sempronius! Und ihr alle, die ihr mich umringt, ihr flöhet ja damals vor dem Feinde, wie
