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Aeöer Land und Meer.
Das Dodiakalticht.
Monate März hat man diö Gelegenheit, etwa
anderthalb Stunden nach Sonnenuntergang am westlichen Himmel einen eigentümlichen Lichtschein zu beobachten, den der Laie als Abenddümmerschein betrachtet. Dieses Licht, das in unsern Gegenden fast die Helligkeit der Milchstraße hat, baut sich auf breiter Basis pyramidenförmig auf und scheint mit seiner Spitze die Sterngrnppe der „ Plejaden " (wie die kleinere Figur zeigt) zu berühren. Links grenzt der Lichtschein scharf ab, so daß die benachbarte Himmels- partie, auf der die „Hyaden" und ein Teil des „Orion" erscheinen, einen tief dunkeln Grundton zeigt. Rechts dagegen sind die Grenzen des Lichtscheines unbestimmt, fast verwischt. Jene Sterne, die innerhalb des Lichtkegels sich befinden, büßen keineswegs an Helligkeit ein, und ebensowenig erleiden sie durch Brechung des Lichtes eine scheinbare Ortsveränderung. Das Zodiakallicht ist also keine leuchtende Materie oder Dunsthülle, sondern reines Licht und scheint jenen Polarlichtern verwandt zu seiu, die ihren Ursprung in den elektrischen Beziehungen zwischen Sonne und Erde haben. Volle Aufklärung über das Wesen dieser Erscheinung hat man bis heute noch nicht erlangt.
Am glänzendsten zeigt sich das Zodiakallicht in den tropischen Ländern. Die Intensität des Lichtes übertrifft dort die schönsten Stellen der Milchstraße. Der von einer matten Hülle umgebene Kegel erscheint aufrecht, weil in den Tropenländern die Sonne um die Zeit der Tag- und Nachtgleiche durch den Zenith geht oder, was dasselbe ist, weil die Sonnenbahn, mit der die Achse des Zodiakallichtes nahezu zufammenfällt, den größten Bogen am Himmel beschreibt. Man begreift auch leicht, warum dieser Lichtschein „Zodiakallicht" genannt wird:
Zodiakus heißt „Tierkreis": es ist der Kreis, in dem die zwölf Sternbilder oder Zei-
die Spur der scheinbaren jährlichen Sonnenbahn bezeichnet.
Da nun der Lichtschein über die Gegend der genannten Sternbilder sich ausbreitet, so wird er mit Recht das Zodia- kal- oder Tierkreislicht genannt. Doch glaube man nicht, daß mit der Spitze der Lichtschein abschließt. Es
von der Spitze ans eine zarte „Lichtbrücke" wahrgenommen, die sich gegen Osten wölbt, daselbst immer breiter wird und auf diese Art den sogenannten „Gegenschein" des Zodiakallichtes am östlichen
Horizonte darstellt. In unsern Breiten ist der Gegenschein in den Monaten September, Oktober und November sichtbar. Die ersten Beobachter nannten ihn auch die „falsche Morgendämmerung", ein sehr bezeichnender Ausdruck, da schon viele, die den Gegenschein des Zodiakallichtes nicht kannten, durch ihn über die Zeit getäuscht worden sind.
Joses R. Ehrlich.
Der große Sturm.
Ernst Muelkenbach.
18. März dieses Jahres, um die fünfte Stunde UW nachmittags, brach der große Sturm los. Da ich für gewöhnlich nur unsre Ortszeitung, und auch diese nur flüchtig lese, so weiß ich nicht, ob er auch in entfernteren Ländern so gewaltsam auftrat. Aber in unserm engeren Kreise — ungefähr so weit, als ich ein einfaches Postpaket für fünfundzwanzig Pfennig versenden kann — wurde er sehr deutlich bemerkt; denn er vernichtete in wenigen Minuten vieles, woran stillere Kräfte menschenalterlang gebaut hatten. Doch schuf er auch eiuiges Neue.
Unfreundlich und windig war es den ganzen Tag über gewesen; der Hauptstoß aber kam kurz vor fünf Uhr. Ich erinnere mich, daß ich um diese Zeit auf meiner Chaiselongue lag, rauchend, kaffeetriukend und in Mörikes Gedichten lesend, während vorn: Fenster Wind und Schlackerregen ihr Spiel trieben. Plötzlich erstarb alles Klappern und Klatschen in einem ganz neuen Geräusch. Mit einem bestimmten Zeitwort läßt sich dies Geräusch nicht bezeichnen. Es war gleichsam der Extrakt aus allem sonstigen atmosphärischen Lärm; die einzelnen Klänge gingen in ihm auf, wie wenn sich zum Schluffe eines schwierigen Männerchors alle Stimmen auf der letzten Silbe fortissimo vereinigen. Als ich an meine — zum Glück verriegelte — Balkonthür trat, sah ich draußen eine Menge ungewöhnlicher Gegenstände herumfliegen. Besonders fielen mir eine Anzahl Dachziegel auf, die sich, ganz gegen den Gebrauch fallender Dachziegel, nicht senkrecht, sondern schräg oder sogar in
Ringeln aufwärts bewegten. Da unser Haus mit Schiefern gedeckt ist, so mußten sie wohl vom Nachbarhause herrühren, und ich gestehe, daß mir dies eine Beruhigung war.
Auch die Bäume im alten Schloßpark draußen, der jetzt der Universität zu botanischen Zwecken dient, bewegten sich seltsam. Gerade meinem Balkon gegenüber stand eine
Aussicht auf das Schloß störend durchschnitt. Jetzt sah sie fast aus, als ob sie Korkzieher spielte. Ich lief hinunter ins Erdgeschoß zu den Zimmern meiner Frau, um sie auf das Naturspiel aufmerksam zu machen. Sie saß aber be-
auf^dem Schoß. Als ich eben eintrat, rief meine Frau: „Da fällt die große Pappel irr den Schloßweiher!" Im selben Augenblick hob sich aus dem Weiher eine Schaumwelle, haushoch. Als sie wieder zurücksauk, war unsre Aussicht aufs Schloß um ein Beträchtliches freier geworden. Mein Aeltester aber sah mich etwas besorgt an und fragte: „Vater, müssen jetzt die andern Bäume auch alle Umfallen?"
Ganz so schlimm wurde es nun nicht; aber auf meinem Besichtigungsgang, eine halbe Stunde später, fand ich doch, daß die große Pappel durchaus nicht das einzige Opfer war. Knapp hundert Schritt von unserm Hause war die Straße zur Hälfte durch zwei andre, nur wenig kleinere Pappeln gesperrt, die quer über den Parkgraben gestürzt waren. Es regnete und wehte noch immer heftig; aber Kinder und Hunde hatten sich schon zahlreich eingefunden. Der Aelteste vom Herrn Konsistorialrat,
der sechs Straßen weiter drinnen in der Stadt wohnt, war eben dabei, sich das oberste Reis des einen Baumes in Ermangelung einer Mütze um sein neunjähriges Theologenhaupt zu winden. Er war so beschäftigt, daß er meine Frage, ob er bei diesem Wetter hier in der Vorstadt herumlaufen dürfe, ganz überhörte.
Im Garten, bei der Todesstütte der großen Pappel, traf ich den Herrn Inspektor mit einem ganzen Stabe von Gärtnern und schloß mich der Suite an. Sie versicherten, der Baum sei läugst hohl gewesen und habe sowieso nächste Woche weggemußt. Es war gewiß wahr; übrigens äußert sich unsre Betty ebenso, wenn ihr ein Glas zerbrochen ist, — es ist immer schon längst ein Sprung darin gewesen. Der riesige Stamm lag quer auf dem grünlichen Weiher. Von fern sah es aus, als ob er ganz unbeschädigt sei; bei genauerem Hinschauen aber erwies sich, daß sein hohler Bauch in zahlreiche Stücke geborsten war. Der Herr Inspektor erklärte mir, das sei eine Wirkung des Aufschlagens aufs Wasser; eine Wasserfläche, und ganz besonders eine stagnierende, habe eine furchtbare Widerstandskraft. Mich erinnerte dieser Zustand des Baumes an den Erfolg gewisser Verordnungen und Gesetze, die plötzlich zu dem Zwecke erlassen werde», die bisherige öffentliche Gesittung von Staats wegen und von oben herab zu verbessern.
Unter den Gärtnern war ein freundlicher Mann mit weißem Bart und Hornbrille, der vornehmlich die Richtung des Sturzes lobte; denn wenn der Baum nach der andern Seite gefallen wäre, so hätte er leicht ein paar Gewächshäuser eingeschlagen. Diesen Optimisten fragte ich im Weitergehen aus, wie alt die umgestürzten Bäume — es waren ihrer noch drei oder vier — wohl wären. Die Auskunft schwankte zwischen sechzig und achtzig Jahren; „aber diese Esche da," meinte er, „hat wohl ihre hundert Jahre, eher fünf mehr als weniger." Das ist doch etwas. Dieser Baum mar während der Stürme der großen Revolution gepflanzt, er hatte eine ganze Menge von Kaisern und Königen überdauert, bis ihn nun unter dem dritten Deutschen Kaiser eine unsichtbare Hand im Augenblicke hinstreckte. Es war ein wundervoll gewachsener Stamm, schlank und gerade; der Sturm hatte ihn völlig entwurzelt
und schräg über ein großes Rafenbeet hingelegt. Ein armdicker, üppig grünender Epheu war mit in den Sturz seines Nährvaters verstrickt worden und starrte nun von dem ungeheuren Wurzelstamm der Esche in die Höhe, wie ein verschlafener Reisender, der im Gasthof um Mitternacht plötzlich aufwacht und erst allmählich merkt, daß sein Bettgestell unter ihm eingebrochen ist. Zwischen den Epheu- ranken hing noch das botanische Namenstäfelchen des Baumes: „traxinus elatior, erhabene Esche", und neben dieser nicht mehr passenden Visitenkarte war, ersichtlich erst vor kurzem, der Wappenzirkel einer studentischen Verbindung über dem Worte „Anna" tief in die Rinde eingeschnitten. Da unsre
wird diese Inschrift wohl das Werk eines jungen Kommilitonen sein, der noch in den Semestern steht, wo man es gern in alle Rinden einschnitte. Wer die Anna wohl sein mag? Seine Schwester wahrscheinlich nicht. Möchte der Himmel sie und ihn in Stürmen bewahren, die heimlicher fahren und schlimmer wirken als der große Frühlingssturm dieses Tages!
Dieser Sturm war immerhin ein merkwürdiges Naturereignis; aber fast noch merkwürdiger war mir's, zu gewahren, wie rasch und geschickt wir Menschen uns ein solches Ereignis jeder zu seinen ganz besonderen Zwecken zurechtzulegen wissen. In der Zeitung, die am folgenden Morgen wie üblich neben meiner Frühstückstasse lag, und deren Druck abends zuvor um acht Uhr beginnt, fand ich bereits einen Leitartikel mit dem Anfang: „Gleich dem Frühlingssturme, der, während wir dies schreiben, über unser schönes Vaterland braust, regt sich in der Tiefe der Volksseele der zornige Unwille gegen eine Partei, die—" und so weiter. Im Anzeigenteil brachte ein Geschäftshaus feine garantiert sturmsicheren Windschirme in empfehlende Erinnerung. — Später, unfern der Stelle, wo die beiden Pappeln über den Graben gefallen waren, begegneten mir etliche Bauernweiber und halbwüchsige Jungen mit Bündeln und Schiebkarren voll Holz; es waren sehr ansehnliche Aeste darunter, glatt und sauber abgeschnitten. Einer der Jungens trug eine Säge, und als ich ihn fragte, woher sie kämen, erklärte er, sie hätten das abgewehte Reisig aufgelesen. Vor den beiden schon ziemlich gründlich zugehauenen Stämmen traf ich diesmal den Herrn Konsistorialrat selber. Anscheinend studierte er an seiner Predigt für den nächsten Sonntag, denn er machte mich sogleich darauf aufmerksam, welch ein augenscheinliches Gleichnis von der Hinfälligkeit alles irdischen Hohen und Stolzen hier vor uns liege. „Das hat mir Ihr Fritz gestern schon an dieser Stelle in Wind und Regen bewiesen," sagte ich, „als er mit einem Baumreis spielte, das eine halbe Stunde zuvor noch sechzig und etliche Fuß über ihm aufragte."
Der Herr Konsistorialrat sah mich tiefsinnig an. „Also daher hat der Bengel seit gestern abend den Schnupfen!" ries er. „Na, ich werd's aber meiner Frau sagen." Mir that der arme Fritz leid. „Mein Gott," sagte ich, „Kinder sind nun mal so; die laufen und gedeihen im Regen wie im Sonnenschein," und bei mir dachte ich: „Eine Mütze könnte die Frau ihrem Jungen nun allerdings doch aufsetzen, wenn er in dieser Jahreszeit vor die Thür läuft. Dazu ist sie Mutter." Aber als ich wieder heimkam, hatte unser Aeltester gerade eine minutenlange Abwesenheit seiner Mutter benutzt, um einen Turm von Bauklötzchen in seine Milchsuppe zu werfen. „Siehst du, Vater," sagte er strahlend, „jetzt ist die arme Pappel in den Weiher gefallt."
Seitdem waren schon mehrere Monate vergangen, die umgestürzten Baumstämme waren beseitigt, die Dächer geflickt, Prediger und Redakteure hatten im Fortschritt der Jahreszeiten längst neue Gleichnisse und Anfänge für ihre Betrachtungen gewonnen, als ich mitten in der Sommerstille noch einmal sehr angenehm an den großen Frühlingssturm erinnert wurde. Gelegentlich eines eintägigen Aufenthaltes in einer Nachbarstadt hatte ich auch einen lieben jüngeren Studienfreund besucht, der dort angestellt ist und mir am Himmelfahrtstage seine Verlobungsanzeige zugeschickt hatte. Er machte mich mit seiner Braut bekauut — einem reizenden, sinnigen Mädchen — und am Abend begleitete er mich ins Bahncafö, wo wir noch eine Flasche Rheinwein auf das Glück seiner Zukunft leerten. Verlobte setzen immer voraus, daß man überaus neugierig sei, zu erfahren, „wie das nun eigentlich gekommen ist", und so