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Haupteigenschaft das natürliche Binden ist, vermittelt dem Klavier hier aufs eindringlichste diese Notwendigkeit.*) Ueberhaupt ist den Klavierspielenden, die nach musikalischer Erkenntnis streben, das Zusammenspiel sehr zu empfehlen, denn es bewirkt denselben Einfluß auf den Musikgeist wie das Gesellschaftsleben auf den gebildeten Menschen. Jemand, der einseitig nur Klaviersachen spielt, ist, musikalisch betrachtet, wie jemand, der innerhalb seiner vier Wände lebt und daher von der Gesellschaft und der Welt nichts weiß.
Die Violin-Klavier-Litteratur ist nicht allein sehr reichhaltig, sondern auch künstlerisch höchst genußreich und wertvoll, denn nur bedeutende Tonmeister haben auf diesem Felde gearbeitet, was noch ein wichtiger Grund mehr sein sollte, sich damit zu beschäftigen.
Mozarts Sonate Nr. 3, v-äur, ist im ersten Satze schwungvoll und feierlich. Man glaubt eine glänzende Gesellschaft in erleuchtete, prachtvoll ausgestattete Räume, in fröhlichem Gespräch untereinander, eintreten zu sehen. Eine pathetische Violinstelle, die allein den Mittelsatz beginnt, macht den Eindruck, als bewillkommnete sie als Herrin des Hauses die Eintretenden. Der ganze Satz steht unter dem Eindruck einer fröhlichen, gemütvollen Unterhaltung. Der zweite Satz, O-äuv, „^nckanko eantadilo", gleicht einem anmutigen, empsindungs- reichen Zwiegespräch zwischen zwei Freundinnen, die sich aus der geräuschvollen Gesellschaft zurückgezogen haben, um an einem einsamen Plätzchen ihre Gedanken austauschen zu können. Alle Merkmale eines interessanten Gesprächs finden hier einen entsprechenden Ausdruck in Tönen. Die Fragen haben sanfte Töne in steter Steigerung, die Antworten sind bestimmt und haben starke Töne. Auch Ueberraschungen fehlen nicht, aber sie arten nie in Unwillen aus, sondern werden mit Wohlwollen und Liebenswürdigkeit ausgeglichen. Die letzte Tongruppe am Ende der Teile macht den Eindruck des Abschiednehmens. Darauf kehren die Damen zur Gesellschaft, die sich einer ausgelassenen, doch gesitteten Lustbarkeit im Allegretto, O-äuv, hiugiebt, zurück. Daß eine solche Deutung nur den Anspruch auf eine ungefähre Charakteristik der Musikstücke machen kann, ist nicht zu verschweigen. Auch hängt es von dem idealen Standpunkt der Ausführenden ab, ob sie mehr oder weniger oder auch nichts dergleichen in Musikstücken finden.
Der Charakter des ersten Satzes der Sonate Nr. 10, U-äur, ist ruhiger, traulicher als der von Nr. 3. Der Mittelsntz wird durch die Geige allein mit einem neuen Motiv eingeleitet. Die Teilung der melodischen Phrasen zwischen Klavier und Violine hat hier einen besonderen Reiz, da beide Instrumente miteinander darin zu wetteifern haben. Die schnell vorübergehende Stelle in Moll, unten im ersten Teile, erhält am Anfang des zweiten Teiles einen neuen Ausdruck, gleich einer wehmütigen Klage in der Klavierstimme. Aus der Geigenstimme klingt dann eine Phrase wie trostspendende Antwort. Auch die folgende Stelle klingt ebenfalls wie Frage und Antwort, die dann in das ruhige, besonnene Anfaugsthema, als dritter Teil des Sonatensatzes, leitet. Der zweite Satz, ^mäankmo 808 k 6 nut 0 , il8-ckur, hat viel Feierliches. Eine besondere Eigenschaft ist in diesem Stücke noch zu finden dadurch, daß die Melodien immer zwei Viertel Auftakt haben, die mit Ruhe und vollwichtigem Tone auszuführen sind. Das Schlußthema tönt wie ein rührender Abschiedsgruß. Der Charakter des letzten Satzes, lö-äun, ist Freude und Jubelruf. Die Sonate Nr. 11, O-äur, beginnt mit einem breit angelegten Adagio. Beide Instrumente tönen hier in großen Zügen und schließen mit einer wehmütigen Phrase in Moll, die durch Nachahmung in Ober- und Unterstimme noch ein besonderes Interesse erweckt, worauf das Allegro in O-moll sofort zu beginnen hat. Das Thema desselben spricht Trotz, Eigensinn und Leidenschaftlichkeit aus: Klavier und Violine streiten hierin miteinander. Das Stück hat nur eine kleine und einfache Form. In dem letzten Satz, O-äur, „Thema mit Variationen", sind die Instrumente wieder versöhnt und wetteifern in Frieden miteinander.
Aus der großen Sonate Nr. 12, 4l8-äur, erster Satz, spricht jugendlicher Mut und ernste Entschlossenheit. Die Gegensätze von laut und leise, sowie Betonungen einzelner Noten kommen hier viel in Anwendung. Beim Studieren dieses Satzes sei vor Uebermut gewarnt, wozu er so leicht verleitet. Das ^näanto eon moto, O-moll, hat einen elegischen Zug, aber die Entschlossenheit, die im ersten Satze sich so kraftvoll äußert, tritt auch hier im Mittelsatz, obschon gemäßigt, hervor. Der letzte Satz steht unter dem Zeichen der lauteren Lust und Freude.
Aus der großen Sonate Nr. 15, U-äur, klingt das reiche geistvolle Künstlertum des unvergleichlichen Meisters überall heraus. Das Pathetische wie das fröhlich Harmlose in den Themen, die kindliche Gutherzigkeit, die nur^ das Schöne kennt, in Verbindung mit vollendeter Formeu-
Meber Land und Weer.
gestalt sowie der hohen Auffassung der Kunst, dies alles feiert in dieser Sonate eine einzig dastehende Vereinigung. Ein feierliches Largo leitet zu einem frohgemuten Allegro. Nichts stört hier die Heiterkeit, die den Satz belebt. Im zweiten Stück, Andante, L8-äur, herrscht das Pathetische, doch nach dem Mittelsatz tritt ein Thema in l?-moll ein, das wie an eine trübe Erinnerung mahnt. Das Abwehren derselben, das im Nachsatze liegt, erweist sich erst durch die Verschiebung der Tonart (enharmonische Verwechslung) als ausreichend genug, um wieder in die vorige Stimmung lenken zu können. Der erste Teil, der nun mit Verzierungen der Motive wiederholt wird, führt das Ende des Stückes herbei. Der Schlußsatz, „Allegretto", L-äur, dessen Hauptthema zwei Viertel Auftakt hat, tönt in ungestörter Lebenslust bis zum Ende.
lieber den groß angelegten ersten Satz der Sonate Nr. 17, „UleAro molto", ^.-äur, ist hier nur zu bemerken, daß er durch Mozartsche Musikfröhlichkeit, die ohne geistvolle Themen und Bearbeitung derselben nicht gedacht werden kann, erfreut. Das Thema, mit dem das Andante, O-äur, beginnt, und das im ganzen Stücke immer etwas zu sagen hat, dient zugleich auch als Unterlage von melodischen Sätzchen echt Mozartscher Prägung. Die Mollstelle im Mittelsatze verliert durch das schnelle Eintreten der Phrase in O-ckur etwas von ihrer klagenden Stimmung. Die Steigerung gegen das Ende des Teiles ist von großartig vornehmer Wirkung. Der zweite Teil ist, wenige Veränderungen ausgenommen, dem ersten Teil ziemlich gleich. Das letzte Stück in ^-äur, „Presto" überschrieben, ist ein sogenanntes „Uerpotuum mollilo", das durch Zwischenoder Nachsätze unterbrochen ist. Es gehört zu den geistvollsten seiner Art. Wer jemals diese Sonate von Künstlern wie zum Beispiel Frau Schumann und Joachim, die sie in ihren Konzerten vor Jahren vortrugeu, gehört hat, wird gewiß einen so mächtigen Eindruck von dieser feinen und geistvollen Musik empfangen haben, daß er nie in ihm ganz erlöschen kann.
Zwei so erhabene Beispiele, wie die große U-äur- und namentlich die große ^-äur-Sonate es sind, mußten den Genius Beethovens aufs glücklichste befruchten. HatteMozart im kleinen begonnen, die Violine als selbständiges Instrument wieder einzuführen, so fing Beethoven (1770—1827) in seiner machtvollen Auffassung schon mit der großen Form an und steigerte diese nun so, daß nach ihm wieder ein Stillstand in der Entwicklung eintreten mußte. Durch sein kraft- und geistvolles Schaffen sind die Grenzen der Formen, wie sie vor ihm festgestellt waren, so bedeutend erweitert worden, daß das Erreichen derselben noch heute das ersehnte Ziel der besten und strebsamsten Komponisten bildet. Allein die geistige Macht des musikalischen Gedankens, sowie das Folgerichtige im Zusammenhang der Sätze und Sätzchen, die Beethovens Schöpfungen eigen sind und wodurch seine Werke sich so lebensfähig erweisen und so mächtig anziehen, machen ihn zu einem eigenartigen, schwer zu erreichenden Musikphilosophen. Mußte nun dadurch der geistige Fortschritt einen Stillstand erleiden, so ließ sich deshalb der Trieb nach vorwärts doch nicht eindämmen, sondern suchte im Technischen sein Heil. Das ist denn auch die Ursache, weshalb man heute so vielen Kammermusikwerken begegnet, in denen durch rhythmische und harmonische Uebertreibungen der Mangel an wirklich neuen Musikgedanken und deren folgerichtigen Verhältnissen zu einander sich verdeckt findet. Wer hätte nicht schon empfunden, daß solche Werke mehr beunruhigen als erfreuen? Glücklicherweise ist aber die Violin-Klavier-Sonate noch ziemlich verschont geblieben von Uebertreibungen der Mache und des Musikgedankens. Indes so Großes und Schönes auch die Nachfolger Beethovens darin geleistet haben, die Werke dieses Meisters sind immer noch als besonders wertvolle Stützen der Gattung zu betrachten. Die zehn Violin-Klavier-Sonaten, die wir von ihm geerbt haben, sind so reich an geistvollen, eigenartig großen Gedanken, daß sie allein hingereicht haben würden, ihm in der Musikgeschichte einen ehrenvollen Platz zu sichern. Die drei Sonaten op. 12, Salieri (1750 bis 1825) gewidmet, sind breit angelegt, und ihr musikalisches Gepräge ist so künstlerisch eigenartig und dabei so klar in den Formen, daß man sie immer mit vergnüglichem Behagen spielen oder anhören kann. Die Eingangsfigur, die das Hauptthema im ersten Satze der ersten Sonate, O-äur, einleitet, führt im zweiten Teil als verlängerte Figur zum dritten Teil. Dabei widerfährt ihr aber oft das Mißgeschick, durch Flüchtigkeit in eine Triolensigur verwandelt zu werden, wodurch sie ihrem thematischen Charakter nicht vollauf gerecht werden kann. Recht wirkungsvoll ist der Anfang des zweiten Teiles mit dem Nachsatz des Hauptthemas im ersten Teile, wo die Stelle kräftig und herausfordernd klingen soll, während sie im zweiten Teile nur leise, wie zaghaft, eintritt. Das nun folgende Thema mit Variationen, als zweiter Satz, ^-äur, tönt gemütvolle Vertraulichkeit. Aus der dritten Variation jedoch klingt eine gewisse herbe Unzufriedenheit heraus, die
die vorige Vertraulichkeit noch lieblicher und anmutiger empfinden läßt. Der Schlußsatz, das Rondo, O-äur, ist ganz im Mozartschen Geist gehalten, doch männlicher, wie überhaupt Beethoven, obgleich auch zartfühlend und sehr empfindsam, überall männlicher als Mozart ist.
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Von der zweiten Sonate op. 12, 4r-äur, kann man ebenfalls sagen, daß sie in dem musikfröhlichen Mozartschen Geiste tönt. Doch ist hier zu bemerken, daß das Thema des ersten Satzes gegen das Ende des Stückes immer schwieriger iin Ausdruck wird, da die Hauptnote auf dem schwachen Taktteil steht, aber von vielen Spielern unwillkürlich als auf dem guten Taktteile stehend betont wird. Das Thema des ^uäanlo xm t, 08 to ^.llo^retto, ^-moll, tönt Traurigkeit. Allein mit dem O-äur-Einsatz tritt zuversichtliche Hoffnung auf Ueberwiudung derselben ein; diese Stelle leitet durch eine dialogisierende Phrase in lb'-äur in einen anmutigen Zweigesaug der beiden Oberstimmen. Ein kurzer Nachsatz führt dann wieder in das Trauerthema, das sich nun mit Zusätzen und Verschiebungen wiederholt und so endet. Der dritte Satz, Hlo^ro Moovolo, ^-äuv, ist ein gemütvoller Dreiviertelstakt, in dem zwar die Trauerstimmung, hier in v-moll, noch einmal anklopft, aber keinen Einlaß findet. Das Stück endet ebenso gemütvoll, wie es begonnen hat.
Ob wohl zu dem ersten Satze der dritten Sonate op. 12, J1l6Aro eon 8pirito, il8-äur, Mozarts Sonate in 4l8-äur die Anregung gegeben haben mag? Wie dem auch sei, sie hat Charakterähnlichkeit mit derselben, doch klingt hier das männliche Wesen Beethovens in großen Zügen eigenartig und kraftvoll heraus und giebt den beiden Spielern Gelegenheit, ihre Fingerfertigkeit sowie'rhythmische Festigkeit zu zeigen. Alles, was oben von der 4l8-äur-Sonate Mozarts gesagt wurde, wäre auch bei dieser Sonate zu sagen. Der zweite Satz, O-äur, ^.äaZio eon molto 68pro88., so schön er auch beginnt, läßt erst mit dem Einsätze des zweiten Themas die Gefühlswärme des Meisters zum Durchbruch kommen. Dann folgt das erste Thema wieder, an das sich ein Nachsatz schließt, der bei seiner Wiederholung etwas Neckendes hat. Der Schluß des Satzes erinnert an Mozart. Von dem dritten Satz, 4l8-äur, ^IloZro molto, ist dasselbe zu sagen wie von derselbe!: Sonate Mozarts, nur daß die lautere Lust und Freude hier eine Beet- hovensche ist.
nisck nicht schwer, doch verlangt er eine leicht flüssige, behende, aber scharf rhythmisierende Ausführung. Die Gesangsstelle, l'-äur, im zweiten Teil wirkt beruhigend. Der Baß giebt dazu das erste Motiv, doch ohne Betonung, wie nachdenkend, bis er es zu einem neuen Motiv entwickelt; dann wird der Satz wieder stürmisch. Das neue Motiv, ^-moll, das nach der Fermate einsetzt und bald darauf im Basse, U-äur, klingt und von der Violine nachgeahmt wird, tritt als Anhang, nach dem dritten Teile, noch einmal auf und führt den Schluß herbei. Der zweite Satz, das liebliche ^.näanko 8 eli 6 r 2080 xiü alloZrotto, u4-äur, klingt wie Frage und Antwort. Selbst das Fugenthema, das hier auftritt, ist in seiner ganzen Behandlung lieblich. Der dritte Satz, HIoZro molto, ^-moll, hat denselben flüchtigen Charakter wie der erste Satz, doch haben seine Motive nicht so trotzig klingende Betonungen, er zeichnet sich vielmehr durch Steigerungen aus (p., er 680 ., k.). Das Stück hat die Form eines Rondo, das ist ein Hauptthema, das nach jedem andern Nebenthema wieder auftritt. Das Rondo (Ringelstück, Rundgesang) hat seine Form nach einer veralteten Gattung von Gedichten, in denen die Anfangsworte, den Hauptgedanken enthaltend, sich nach bestimmten Regeln wiederholen. In diesem Rondo steht nach dem Hauptthema ein Nachsatz, der mit einer Stelle schließt, die mit J.claZio bezeichnet ist. Dann folgen dem Hauptthema eines in ^.-äur, dann in lll'-äur, das mit einer veränderten Begleitung wiederholt ist. Der dritten Wiederkehr des ersten Hauptthemas ist ebenfalls ein Nachsatz beigegeben. Daun wiederholen sich die zwei Nebenthemen, worauf das erste Hauptthema den Schluß herbeiführt.
Wie die Musikfreunde Beethovens ox. 27 „Mondscheinsonate" getauft haben, so könnte man der hier in Betracht kommenden Sonate op. 24 den Beinamen „Die Liebenswürdige" geben. Alles ist sanft und anmutig in diesem Werke, das ohne Leidenschaft dahinfließt. In dem pathetischen zweiten Satze, ^äaZio molto 68pr688., hat der Komponist von der noch im vorigen Jahrhundert gebräuchlichen Bebung einen Gebrauch gemacht, die die Runzeln des Alters nirgends wahrnehmen läßt. Der Schluß des Stückes erinnert an Mozarts Schlüsse. Das Scherzo, dritter Satz, ^IloZro molto, ist in Wirklichkeit ein Scherzo, im Gegensätze zu manchen Stücken, die dieselbe Benennung mit Unrecht tragen. Unser Stück hier scherzt jedoch nur leise, fast heimlich treiben allerlei Neckereien ihr Spiel. Im Trio dagegen ist die Maske gelüftet, und der Lauf geht mit steigender Stärke nach oben und zurück. Das vierte
würdigen, wie sie der erste Satz offenbart ^ nirgends verleugnet.
Op. 30, drei Sonaten, dem Kaiser Alexander I. gewidmet, deren Nr. 1, ^.-ckur, ein Werk ist, das ohne besondere Erregung schlichte und einfache, aber von einem Beethoven erdachte Musik giebt. Den zweiten Satz, O-äun, ^näanto, könnte man wegen seines anheimelnden Gepräges „Unterhaltung am häuslichen Herd" überschreiben. Bei den: gemütvollen Thema, dritter Satz, J.-äur, den: Variationen folgen, wird man unwillkürlich an Gedichte erinnert wie: Gott grüß' dich, Alter, schmeckt das Pfeifchen? —
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