Heft 
(1889) 01
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Deutschland.

1 .

Zeit für das hübscheste Mädchen am Hof und in der Stadt." Damit wandte er sich schon der entferntesten seiner Muhmen zu, ohne zu ahnen, daß es eine furchtbare Unvorsichtigkeit ist, einein jungen Lieutenant etwas derartiges zu sagen.

Mein Vater ließ uns sofort die alte Bekanntschaft er­neuern, richtete aber sein Gespräch und seine Aufmerksamkeit bakd mehr ans andere Mitglieder der Familie und der Hof­gesellschaft, so daß wir zwei nach fast drei Jahren zum ersten­mal ziemlich ungestört, wenn auch nicht lange miteinander plaudern konnten.

Ich ward zärtlich angeblickt und dabei aufs härteste ge­scholten. Seraphine erklärte mir ganz leise, ich sei eine durch und durch treulose, verderbte Natur und jeder wahren Liebe unfähig. Sie versicherte mir, daß sie nie wieder ein freund­schaftliches Wort mit mir reden werde. Sie bat mich ohne jede Beschönigung, meinen Besuch in ihrer Eltern Hause zu dieser und jener Stunde zu machen, wo sie sicher nicht daheim wäre. Sie warf mir mit bebendem Atem vor, daß ich sie um das Glück ihres Lebens, um den Schlaf ihrer Nächte, um den Glauben an die Menschheit gebracht hätte. Alles das unter­brochen von den Drehungen eines Contretanzcs und begleitet mit glühenden Blicken, die sich wie mit Häkchen an mich zu hängen schienen.

Ich war jung, und das Mädchen war schön. Die Schönste von allen. Und ihr hatte ich ich könnt' es nicht leugnen Liebe und Treue geschworen mit den haarsträuben­den Eiden eines Sechzehnjährigen. Sie hatte mir Treue ge­halten. Ich hatte sie vergessen, auch das war nicht zu leugnen. Bald kam ich mir selber wie ein Verbrecher und überdies wie ein großer Narr vor. Ich hatte eine Liebe ohne­gleichen, ich hatte die Liebe des herrlichsten Mädchens, der gefeiertsten Schönheit verscherzt trotz meiner strahlenden Liente- uantsuniform, trotz des Standes der Gnade, in welchem ich an diesem Ballabend vor aller Welt wie zwei Zoll hoch über dem Erdboden schwebend wandelte.

Ich machte mir, mit irgend einer anderen Dame wal­zend, die mir bei solcher Gemütsverfassung sehr gleichgültig war, die bittersten Vorwürfe. Die Angst, eine solche Freundin wirklich durch eigene Schuld verloren zu haben, in einem Augenblick verloren zu haben, wo sie alle anderen ihres Ge­schlechtes überstrahlte und alle anderen mich mit zuvorkommen­der Liebenswürdigkeit auszeichneten, machte mich halb toll und ganz und gar verliebt. Sobald ich meine Tänzerin los wer­den konnte, trieb es mich wieder in Seraphinens Nähe. Sie war von Anbetern umlagert, von Tänzern, die sie um eine Tour oder doch wenigstens eine Extratour nnflehten, umringt. Der eine hielt ihren Strauß, der andere ihren Fächer, der dritte flog davon, ihr eine Erfrischung zu erkämpfen und wär' cs mit Gefahr, einen Haushofmeister oder gar einen Cererno- nienmeister zu rempeln. Vier andere stießen über dem hoff­nungslosen Studium ihrer Tanzkarte heftig mit den Köpfen aneinander, daß sie knallten wie zusammenprallcnde Billard­kugeln. Andere umringten sie, um für ihre Unterhaltung zu sorgen, und schlugen ihres Witzes Pfanenräder.

Sie aber sah finster über all diese Beflissenheit, über alle diese Huldigungen hinweg unverwandt nach dem einen, der in dieser Minute sich ihr nicht nähern wollte; denn es war mir ebenso unmöglich, in jene nichtssagenden Ballgespräche und oberflächlichen Schmeicheleien einzustimmcn, als cs undenk­

bar war, vor den Ohren dieser Banausen mein heiliges Herzens­geheimnis zu verraten.

Auch ich mag sie dabei, ans müßiger Entfernung, doch wie man so sagt, mit ganzer Seele angeblickt haben. Ich ward darüber etwas nervös. Mir war, als wären wir beide nunmehr ganz Auge und wüchsen unsere Angen einander immer ' näher und näher. Die Wände schienen einige Sekunden um mich zu kreisen. Und siehe da, ans einmal befand sich Sera­phine in der That dicht vor mir, während die zwei Reihen ihrer Verehrer, wie von Staunen und Neid gelähmt, regungs­los beiseite standen und mich anstarrten.

Mich dünkt doch, dieser Walzer gehört Ihnen, Herr Lieutenant?" sagte sie und ließ das Ballkärtchen um ihren rechten Zeigefinger kreiselt!. Ich bot ihr den Arm und machte kehrt gegen die Gasser, obwohl ich recht gut wußte, daß sie mir jede Bitte auch um den kürzesten Reigen rund und trocken abgeschlagen hatte.

Sind Sie unwohl?" fragte sie mich barsch.

O nein!" stieß ich jubelnd hervor.

Sie sahen eben so ans," sagte sie kalt.

Mir schwindelte ein wenig vorhin," sagte ich.Auch jetzt schwindelt mir. Aber vor Glück!"

Warum?" war ihre trockene Entgegnung.

Weil ich unverhofft Sie endlich wieder einmal in meine Arme schließen darf."

Bilden Sie sich nichts ein! Ich wollte dem faden Ge­schwätz jener süßlichen Menschen entrinnen, das mich anwiderte, das ich nicht länger mit anhören konnte, in einem Augenblick, wo meine empörte, mißhandelte Seele rast vor Wut und vor Verachtung."

Sie krallte sich dabei mit allen fünf Fingern so heftig in meinen Arni, daß ich nicht dem geringsten Zweifel Raum geben konnte, wer etwa der Unglückselige wäre, der ihre Wut und Verachtung herausforderte.

Da Hub sie noch im Gehen wieder an:Und noch was wollt' ich. Ich wollte noch einmal mit dem Menschen tanzen, dem ich als thörichter Backfisch mein ganzes Herz geweiht hatte, dein ich in kindlicher Unschuld in allen Lebenslagen, fern oder nah, froh oder betrübt, unverbrüchliche Treue halten zu sollen vermeinte. Ich will Abschied nehmen von diesem dum­men Traum. Abschied für immer, daß Sie's nur wissen. Ein­mal noch, damit Sie vielleicht etwas empfinden, das wie Nene schmeckt, das Sie, wenn die Geigen später wieder Tanzwcisen vor Ihnen hören lassen, au ein Glück erinnern soll, welches Sie zu leicht vergaßen und das vielleicht doch begehrenswert gewesen wäre .... Oh . . . ."

Die Thränen liefen ihr über die Wange. Hastig fuhr sie mit dem Spitzentüchlcin übers Gesicht. Es war ein Nn, und sie lächelte wieder in den Ballsanl hinein.

Und lächelnd sagte sie:Pfui über Euch alle! Und pfui vor allem über Dich!"

Es klang wie Verdammnis, aber sie hatte mich in der Hast und Wut doch wieder Du genannt. Und ob mir grünein Neuling auch die große Weisheit noch nicht anfgegangen war, daß man die Frauen nie nach dem beurteilen soll, was sie sagen, sondern immer nur nach dem, was sie thnn, so war ich doch mitten im Gram auf einmal voll Freude; denn dieses Du hatte mich wie ein plötzlicher Lichtstrahl in der Finsternis ge­troffen, und wenn noch vor kurzem etwas gefehlt hatte, um