Heft 
(1889) 01
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Deutschland.

piZ i.

Seraphine erschien mir als der strahlende Mittelpunkt unseres Festes. Meine Begrüßung empfing sie mit einer selt­samen Miene, kälter, ruhiger, fremder, als ich nach dem stür­mischen Wiedersehen auf meinem ersten Hofball erwartete. Sie war von einer höflichen Gleichgiltigkeit, die mich ärger auf­brachte, als ihre damalige leidenschaftliche Härte.

Na warte, dacht' ich bei mir, du sollst dein Unglück haben, und ich das meinige auch! und stürzte mich kopfüber in die Knrschneiderei, sowie ich der kleinen Miß Parker an­sichtig Wurde. (Fortsetzung folgt.)

Aphorismen.

Von

Wcrrie r>orr Göner-KtcHenbacH.

Dievornehmen" ethymologisch diejenigen, die vor allen an­dern nehmen, und, merkwürdigerweise, zugleich die Bezeichnung für Adelige, das heiszt: Edle.

Geniere dich vor dir selbst, das ist der Anfang aller Vorzüg­lichkeit.

Der Geist einer Sprache offenbart sich am deutlichsten in ihren unübersetzbaren Worten.

Der sich gar zu leicht bereit findet seine Letzter einzusehen, ist selten der Besserung fähig.

Line ungeschickte Schmeichelei kann uns tiefer demütigen als ein wohlbegründeter Tadel.

Alle historischen Rechte veralten.

Glaube deinen Schmeichlern du bist verloren; glaube deinen Seinden du verzweifelst.

Die öffentliche Meinung wird verachtet von den erhabensten und von den am tiefsten gesunkenen Menschen.

Unbefangenheit, Geradheit, Bescheidenheit sind auch drei göttliche Tugenden. Wien, Aug. 89.

Me Mimst der Schulen iiM .

Von

Professor Vi. W. 'Dveyev.

bedarf keiner ungewöhnlichen Sehergabe, um den gegenwärtig in Deutschland staatlich bevorzugten Ge- lehrtenschnlen eine wenig erfreuliche Zukunft voraus- Zusagen. Nur einseitige Verteidiger und Freunde des humanistischen Gymnasiums reden sich noch ein, daß ihr Liebling und Schmerzenskind mehr als je seine Lebensfähigkeit gesteigert habe und mehr als je den höchsten Forderungen unseres Kul­turlebens entspreche. Einige von ihnen fühlen sich in diesem Siegesbewnßtsein so sicher, daß sie zunächst nichts geändert haben wollen, andere glauben sogar eine Rückkehr zu dem ur­sprünglichen streng philologischen Charakter des klassischen Gym­nasiums verlangen zu können. Sie gestatten nicht, wie die reformfrenndlichen Philologen, welche mit dem Zuge der Zeit gehend dem Bedürfnisse unserer Bildung Rechnung tragen möch­ten, die Einführung zeitgemäßer Unterrichtsstoffe, sondern sind bemüht, alle neuen Zuthaten als Eindringlinge in das Heilig­tum des Klassicismns znrückznweisen. Da wo gemüßigte Schul­männer sich jahrzehntelang abquälten, wenigstens die unnütze

Plage des lateinischen Aufsatzes, des griechischen Skriptums und des Radebrechens in einer toten Sprache aus der Schule zu verbannen und damit nicht nur den Schülern, sondern auch den Lehrern ein Aufatmen in frischer Luft zu ermöglichen, drängen sich Nachzügler der scholastischen Lehrmethode heran, um uus eine noch klassischere Klassieität auszuzwingen.

Diese Büchergelehrten vom alten System sehen mit starkem Selbstgefühl ans die im Jahre 1882 vom preußischen Kultus­minister durch Minderung der griechischen und lateinischen Unter­richtsstunden zu Gunsten naturwissenschaftlicher Unterweisung herbeigeführte Reform herab. Dabei gebärden sie sich, als hätten sie ein warmes Herz für die ohne ihr Zuthun ans dem Bedürfnis der neuen Zeit erwachsenen Bildungsanstalten, und weisen den Kastengeist ihrer Standesgenossen ab, die den in und aus der Neuzeit entstandenen höheren realistischen Kvn- kurrenzschulen nicht das Leben und nicht das Recht zur Ein­führung in höhere Berufe gönnen. Sie treten für Gleichberech­tigung der Gymnasien und Realanstalten gegenüber den Uni­versitäts-Studien ans, um recht und billig jedem das Seine zu gewähren.

Bei solch fadenscheiniger Begründung denkt gewiß mancher an die Botschaft, die man wohl hört, aber nicht glaubt. Für etwas a u ftreten und dafür ein treten ist zweierlei. Wer es thatsüchlich mit jener Schraubung der Gymnasien zu recht ein­seitig klassischen Drillanstalten ernst meinte, ich behandelte dieselbe bisher nur ironisch, der würde nicht ein Freund des humanistischen Gymnasiums, sondern in Wahrheit sein gefähr­lichster Feind sein und ihn: die Axt an die Wurzel legeu. Von der Welt abgekehrt, wissen jene überklassischcn Gynmasialtheo- retiker nicht mehr, wo die Logik der Thatsachen ihnen Halt gebietet.

Was würde eine derart rudimentäre Bildnngsanstalt heute und im herannahcnden zwanzigsten Jahrhundert bedeuten? Eine solche Fachschule für alte Bücher, welche die im Lause der Zeit aufgenommenen modernen Lehrstoffe wieder ansschiede, würde als nagelneue Ruine und didaktische Kuriosität, als ein leeres Museum den vom Tageslichte der großen Gegenwart geblende­ten Gründer und Hellenomanen wie die Verwirklichung eines Traumes vom Lebendigwerden der Petrefakten erfreuen, aber nur ihn ganz allein. Kein Vater außerhalb des Philolvgen- Ringes würde seiueu Sohn dazu hergeben, wenn nicht etwa ein neues Kultusministerium den Weg znm höheren Berns und zur Universität durch dieses öde Mauerwcrk erzwänge. Und er­zwingen läßt sich ja durch Ministerialverfügnngen manches, was für unsere Gesamtknltnr nicht immer ein Segen ist.

Weder mit den sieben Jahre alten halben, noch mit dem neu konstruiertem ganzen alt-klassischen Gymnasium wird es iu Zukunft sein Bewenden haben können.

Es sind ganz andere Fragen, als das Mehr oder Minder grammatikalischen tvtsprachlichen Unterrichts, welche zunächst für die Schulen der Zukunft beantwortet werden müssen. Überhaupt kommt die Bestimmung des Unterrichtsgegenstandes in den für die Erzielung einer allgemeinen Bildung ersten Ranges ein­gerichteten höheren Schulen nicht so sehr in Betracht, wie die körperliche und die sittliche Erziehung, namentlich der jüngeren Schüler, und wie die Art des Unterrichts in allen Gebieten.

Traurig und für manchen Vater und Menschenfreund nie- derschlagend ist es, miterleben zu müssen, wie die gegenwärtigen Nachkommen der germanischen Männer schon im zehnten Lebens­jahre mit Vernachlässigung der elementaren Grundgesetze aller morphologischen Entwickelung und der physiologischen Arbeits­bedingungen Tag für Tag stundenlang ihr werdendes Gehirn niit Büchern, mit Buchstaben, immer wieder und wieder mit Buchstaben, anstrengen müssen. Blaß und dünnbeinig, schlaff und kurzsichtig, von einer krankhaften Lesewut erfaßt, für starke Reize des materiellen Genußlebens allzu empfänglich, Muskel­anstrengungen abgeneigt, so sehen wir einen nicht geringen Teil unserer Gymnasiasten vor unseren Angen zu Stubengelehr­ten aufwachsen und können doch nicht, ohne ihre Zukunft in Frage zu stellen, sie den Unterricht versäumen lassen, sie in Privatinstitute schicken oder gar im elterlichen Hause und Gar-