Heft 
(1889) 01
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ten durch Hofmeister ohne den Wettbewerb mit Altersgenossen großziehen.

Die allgemeine Schulpflicht ist da. Also muß auch der Staat für passende Schulen sorgen, und zwar rächt nur für das erste schulpflichtige Alter, sondern auch für die darauffol­gende Jugendzeit und für jeden Beruf. Es ist von der größten Wichtigkeit, was ich seit Jahren in Wort und Schrift betone, in allen diesen Schulen außer dem Organe der höheren geistigen Funktionen, der Großhirnrinde, besonders die Nerven und Mus­keln, die Lungen und das Herz u. s. w. zu üben und was jetzt vergessen wird jede Hemmung ihrer Ausbildung zu ver­meiden. Darm leistet das Gehirn und mit ihm das ganze Nervensystem in kürzerer Zeit und viel leichter weit mehr, als wenn es allein oder überwiegend im Unterricht belastet wird. Dann wird nicht etwa nur die intellektuelle Thätigkeit und das Gedächtnis gefordert, die Urteilskraft gesteigert, sondern auch die für jeden Lebensbernf fundamentale Sinnesthätigkeit, die Beobachtungsgabe und Geschicklichkeit, die Gewandtheit und Geistesgegenwart entwickelt, im Verkehre des Menschei: mit dem Menschen und mit der Natur höchst wertvolle Eigenschaften, welche der streng philologisch Geschulte nur durch abwechselnde Verwendung von Bnchdruckerschwärze und Tinte nebst Feder und -Papier nicht in hervorragendem Maße zur Entfaltung bringen kann.

Durch jene in der Schule auf physiologischer Grundlage systemastisch erwerbbarcn Vorzüge wird aber noch mehr erreicht. Der Charakter wird ausgeprägt, und die Erkenntnis, daß Sitt­lichkeit mehr wert ist als Gelehrsamkeit, kommt rechtzeitig zur Geltung.

Ganz verkehrt ist es, dieses Verlangen mit dem Hinweis ans das Elternhaus abznweisen und pedantisch an der praktisch nie durchführbaren Regel festhalten zu wollen: der Unterricht dem Lehrer, die Erziehung den Eltern!

Wenn es möglich wäre, zu unterrichten, ohne zugleich zu erziehen, dann könnte die Persönlichkeit des Lehrers in vielen Schulstunden fortbleiben. Allerlei Apparate, wie Telephone, Phonographen und elektrische Signale würden genügen. Es kommt aber, wie sattsam erörtert wurde, gerade beim Unterricht ans die Persönlichkeit des Lehrers an, weil sie erziehlich wirkt. Der Unterrichtsgegenstand bildet dann die Vermittelung zwischen Lehrer und Zögling.

Wollte man andererseits eine Erziehung ohne Unterricht verlangen, so wurde man dieselbe zu einer reinen Dressur er­niedrigen. Muster allein, Belohnung und Strafe sind unzu­reichend, gute Lehren, also Unterricht, gehören dazu.

Es muß beides Zusammengehen, und die Eltern, welche in der Mehrzahl der Fälle wegen ihrer Erwerbs- und Berufs- Pflichten und pädagogischen Unkenntnis nicht in der Lage sind, sich dem erziehlichen Unterricht und der unterrichtenden Erzieh­ung mit ganzer Kraft zu widmen, haben recht, von der Schule eine bessere Mitwirkung an der Ausbildung ihrer Kinder zu Männern zu verlangen. Sie liegt im Interesse des Staates.

Aber wie soll die Schule der Zukunft der hohen Aufgabe genügen? Wie kann sie physiologisch-pädagogisch Vorgehen? den Körper ausbilden und zugleich auch den Geist? zugleich den Verstand und das Gemüt richtig schulen? Charakter bil­dend und Sinne vervollkommnend wirken? das Wissen pflegen und die Freude der Jugend nicht verkümmern?

Diese Frage ist gegenwärtig nicht mehr so schwer zu be­antworten wie noch vor zehn Jahren. Denn es sind bereits mehrere sachkundige Männer mit der praktischen Lösung derselben thatkrüftig beschäftigt. Ich teile deren Standpunkt, namentlich den des ausgezeichneten Pädagogen 1)r. Hugo Göring, welcher verlangt, daß jederzeit das volle Leben, nicht nur die begriffliche Seite desselben an die Schüler herantrete, und zwar in dem Umfange, der dem jeweiligen Verständnisse der Kindheit und Jugend entspricht. Er will den Heranwach­senden Menschen zur gleichmäßigen Ausbildung seiner Körpcr- krüfte, zur vollen Entfaltung seiner sittlichen Regungen durch Gewöhnung an korrektes Handeln nach festen Grundsätzen und zur Kenntnis unseres modernen Kulturlebens bringen und

nur das als Ideal verehren lassen, was keine Berührung mit den: späteren Leben zerstören kann. Darum fordert er, daß die Knaben mit Jngendspielen, Militärübnngen, Turnen, kurz mit rationellen körperlichen Leistungen aller Art, ebenso mit prak­tischer Thätigkeit im Garten- und Landbau wie im Handwerk und auf Grund der dadurch gewonnenen Erfahrung in die gegenwärtige Art des Lebens Angeführt werden. Er hofft mit Recht, so die Jugend nicht nur körperlich und geistig gesund zu erhalten und ihr die gerade unserer Generation nötige gei­stige Hygiene zu bieten, sondern sie auch vor einem einseitigen Innenleben zu schützen.

Der theoretische Unterricht wird auf den Vormittag ver­legt, der Nachmittag für die physische Erziehung ausschließlich freigehalten. Dadurch wird der Gefahr einer frühzeitigen Über­lastung des Gehirns vorgebeugt und die Möglichkeit hergestellt, jeden Zögling mit gesunden Nerven, geschärften Sinnesorganen und kräftigen Muskeln ans der Schule zu entlassen.

Auch mit der deutschen Neichsverfassnng und Gesellschafts­ordnung sollen die Schüler bekannt gemacht werden, um vor phantastischen Theorieen bewahrt zu bleiben. In erster Linie sollen sie deshalb die neuere deutsche Geschichte und Litteratnr kennen lernen und in der: Ereignissen vom Anfang dieses Jahr­hunderts bis zur Gegenwart bewandert sein. Das Altertum kommt nur insofern in Betracht, als es zum Verständnis der letzteren dient.

Diese neue deutsche Schule will vor allem strenges Pflichtgefühl, religiöse Gesinnung, Wahrhaftigkeit und Vater­landsliebe pflegen. Sie will nicht einseitige Gelehrte züchten, sondern Charaktere heranbilden. Als eines der besten Mittel dazu dienen ihr die Militärübnngen mit ihren unschätzbaren Veranstaltungen zur Gewöhnung an Gehorsam, Pünktlichkeit und Entschlossenheit.

Durch ihre Gliederung in drei Abteilungen für das 6. bis 14. Lebensjahr, das 14. bis 16. und das 16. bis 20. Jahr deren jede einen abgeschlossenen Bildungsgrad giebt, gestattet die neue Schule jedem Schüler, sich für den seiner Individualität angemessenen Berns rechtzeitig zu entscheiden. Denn außer den bereits genannten Fächern umfaßt der Vor­mittagsunterricht Religion, Lesen, Schreiben, Rechnen, Geogra­phie, Geschichte, vom 10. Jahre an Englisch, vom 12. an Fran­zösisch, vom 16. an Griechisch, vom 17. an Lateinisch (beides fakultativ), Zeichnen, Malen, Modellieren, Musik. Den Mittel­punkt des Unterrichts bildet die deutsche Sprache und Littera­tnr. Ans die Naturwissenschaften wird besonderes Gewicht ge­legt. Alles encyklopüdische Wissen gilt dabei als weniger er­strebenswert; dagegen ist die Gewinnung eines klaren Einblicks in die Methoden und den ursächlichen Zusammenhang der Er­scheinungen auf Grund eigener Anschauung und selbständigen Experimentierens das Hauptziel dieses Unterrichts.

Nach solcher Vorbildung wird die Berufsentscheidnng nicht leicht verfrüht und nicht irregeleitet, zumal am Schlüsse jeder Abteilung den Schülern eine Übersicht über die Berufsarten gegeben werden soll, die sie von der erreichten Stufe aus wüh­len können. Die mit der neueren Biologie in grellem Wider­spruche stehenden Lehren der Sozialdemokratie verlieren durch eine solche Erziehung den Boden in den Herzen der Jünglinge, welche ohne Lebenserfahrung allznleicht an der monarchischen Staatsordnung zu rütteln verleitet werden.

Der ganze Lehrplan einer solchen Schnle der Zukunft ist vollständig ansgearbeitet.

Sollte es nicht in Deutschland einige hochherzige Männer geben, die ein so nationales Unternehmen materiell fördern wollen, zumal es berufen scheint, unser Schulwesen in neue, gesunde Bahnen zu lenken, und nicht verfehlen kann, unseren Kindern durch ein heiteres Leben in der Schule die spätere ernste Schule des Lebens zu erleichtern? Der Aufenthalt in der neuen deutschen Schnle soll den Zöglingen eine Freude sein.

Es werden so viele Tausende freiwillig viel weniger wich­tigen und weniger gemeinnützigen Zwecken geopfert, daß für den vorliegenden wohl etwas übrig bleiben könnte.