Heft 
(1889) 01
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Deutschland.

immer höchst merkwürdig war genau so dieselbe Hand schrieben, daß sie selbst die eine von der andern nicht zn unterscheiden vermochten.

Was nun dann meinen Vater veranlaßt hat, den Beruf des Forstmanns, zn dem er geboren schien und erzogen war, aufzngeben und sich dem Baufache zu widmen, habe ich nie erfahren. Ich vermute: es war in erster Linie die ihm so früh zugefallene Sorge für die verwitwete Mutter und die jüngeren Geschwister, die den Guten, Gewissenhaften, in schön­ster Weise Selbstlosen, einen Weg einschlagen ließ, auf dem er hoffen durfte, die Mittel, deren er zur Erfüllung so schwerer Pflichten bedurfte, leichter oder doch sicherer zu erwerben. Wo­mit ich nicht gesagt haben will, daß es nur die Not gewesen ist, die ihn aus seinem heimischen Forst in die Städte der Menschen und so andere Verhältnisse führte. Sehr wohl mag er auch von dem Drang getrieben gewesen sein, seine Kräfte und Gaben aus einem höheren und weiteren Felde anszunutzen, und, wenn das der Fall, so hat er sich jedenfalls nach einer Seite nicht überschätzt. Er hat in seinem Fache zwar nichts Hervorragendes geleistet, aber sich überall und in schwierigen Verhältnissen als ein Baumeister bewährt, dessen Tüchtigkeit und Zuverlässigkeit von seinen Vorgesetzten gebührend anerkannt wurden und ihn eine nicht glänzende, aber ehrenvolle Beamten­laufbahn zurücklegen ließen. Wobei ihm für den Anfang dieser Bahn zn statten gekommen ist, daß man in jener Zeit an die Banbeflissenen hinsichtlich der Schulkenntnisse die heutigen An­forderungen nicht stellte. Oder aber man hat was ich in­dessen nicht für wahrscheinlich halte bei meinem Vater, viel­leicht in Rücksicht seiner besonderen Verhältnisse, eine Ausnahme statuiert. Jedenfalls war der Schulsack, mit dem er ins Leben zog, nicht schwer gepackt: das Griechische ihm ein völlig Frem­des, und auch das wenige Latein, das er allenfalls in dürfti­gen Schulen und mangelhaftem Privatunterricht gelernt, hatte er in späteren Jahren so ziemlich bis auf das letzte Wort ver­gessen. Dafür hatte er dieBauschule" rite absolviert, sich während der Berliner Jahre eines näheren Verkehrs mit so ausgezeichneten Männern wie Schinkel und Benth zu er­freuen gehabt; dann in den praktischen Dienst getreten ich weiß nicht welche Stellungen bekleidet, bis wir ihn Ende der zehner und Anfang der zwanziger Jahre in Magdeburg als Königlichen Wasser-Bauinspektor wiederfinden. Irr Magde­burg hatte er sich im Jahre 1822 mit meiner Mutter vermählt.

Ich werde in einem anderen Zusammenhänge die Charak­teristik meines Vaters, die ich hier nur skizzieren konnte, weiter auszusühren und ebenso Natur und Wesen meiner Mutter zn schildern haben. Vorderhand möge mir, was die letztere be­trifft, nur die trockene Notiz gestattet sein, daß sie ungefähr zehn Jahre jünger als mein Vater gewiß aus leidenschaft­licher Liebe für ihn, sich von einem ersten Gatten, einem an­gesehenen Kaufmann in Magdeburg, dem sie bereits zwei Kin­der geboren, getrennt hatte in aller Güte darf man sagen, soweit das bei einem im besten Falle traurigen Schritte mög­lich ist. Wenigstens war und blieb das Verhältnis der Ge­schiedenen einer- und das des ersten und zweiten Gatten anderer­seits ein durchaus würdiges, hinüber und herüber wohlwollendes, gewissermaßen freundschaftliches. Einer Kaufmannsfamilie in Stettin entsprossen, deren einst glänzende Verhältnisse der Krieg zerrüttet hatte, war sie nach dem frühen wohl infolge jener Unglücksfülle verfrühten Tode ihres Vaters, während die

Mutter eine andere Ehe geschlossen, bei Verwandten in Magde­burg erzogen worden. Ob sie wirklich väterlicherseits von einer französischen Familie abstnmmte, die sich nach der Aufhebung des Edikts von Nantes in die Niederlande geflüchtet und von dort nach Deutschland verzweigt; ob diese dunkle Tradition nur eine Sage ist, die sich an den freilich verwunderlichen Familien­namenRobrahn" knüpft, der eigentlichRobran" gelautet haben soll ich weiß es nicht zu sagen. Immerhin war es auffallend, daß sie, deren Schulunterricht, wie ich aus späteren Mitteilungen weiß, ein höchst mangelhafter gewesen, ein fließen­des Französisch mit dem reinsten Accente sprach, den sie schwer­lich den französischen Occupationstruppen Magdeburgs während der Kriegsjahre abgelanscht haben konnte.

Als ich am 24. Februar 1829 zur Welt kam, war die Ehe meiner Eltern bereits mit drei Kindern sämtlich Söh­nen gesegnet. Während der sechs Jahre, die ich in Magde­burg zu verleben hatte, wurde ihnen noch ein fünfter Sohn geboren und ein Töchterchen, das aber bald nach der Geburt starb. Diesen Verlust wie ich gleich hier der Vollständig­keit halber hinzufügen will hatten sie das Glück, ein Paar- Jahre später, als der Vater bereits nach Stralsund versetzt war, durch ein anderes Töchterlein ersetzen zu dürfen, welches dann das letzte Kind der Ehe geblieben ist. So hatte ich das Glück, inmitten einer zahlreichen Geschwisterschar anfznwachsen. Ich nenne es ein Glück wie jenes, in einem Klima zn leben, das weder einen ewig blauen, noch ewig grauen Himmel bietet, sondern in welchem Sommer und Winter, Regen und Sonnen­schein erquicklich miteinander wechseln. Kommt doch selbst der Umstand, daß die Eltern einem jeden der Schar ihre Sorge nicht ausschließlich widmen können, den Kindern insofern zn gute, als es wenigstens in den von Haus aus tüchtigen eine frühere Selbständigkeit zeitigt. Und daß die so zn freierer Entfaltung bestimmten Bäumchen nicht in den Himmel wachsen, dafür sorgen gründlich die geschwisterlich benachbarten. Ans der anderen Seite aber, wer, der in solcher kleinen Republik groß geworden, vermöchte zu sagen, welche Welt von Anregungen für Geist und Gemüt, ja selbst eine wie heilsame Förderung seiner physischen Entwickelung er diesem beständigen, in Freud und Leid, Scherz und Ernst kaleidoskopisch wechselnden Kon­takt mit den geschwisterlichen Genossen und Genossinnen ver­dankt! Ich begütige mich hier, meinem Danke für die Wohl- thaten, die mir aus dieser Quelle zngeflvssen sind, einen allge­meinen Ausdruck zu geben. In der Folge werde ich gelegent­lich einer und der anderen mir so gewordenen besonderen Gunst rühmend gedenken.

Nun gäbe ich viel darum, den Leser aus voller Überzeu­gung versichern zu dürfen, daß ich ein Kind gewesen bin, wie andere Kinder auch. Es scheint mir aber auf eine gewisse ich will nicht sagen: Abnormität, sondern lieber: Wunderlichkeit meines Wesens hinzudeuten, daß ich mir in der Familie einen Spitznamen zuzog, der sich für ein Kind so wenig als möglich eignet, ja das genaue Gegenteil der Kindlichkeit bezeichnet. Man nannte mich in sächsisch-märkischem Dialektdas alte Männeken." Gott sei Dank, hat man es nicht lange ge- than ich glaube, nicht über mein sechstes Jahr hinaus, aber daß man es überhaupt und gerade während dieser meiner jüngsten Jahre thun konnte, ist mir auffallend und bedenklich. Um so mehr, als ich nichts weniger als ein kränkliches Kind war, bei dem scheue Zurückgezogenheit, trübsinniger Ernst, früh-