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Deutschland.
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durch bedingten Ansicht und Ansdrucksweise ein ihnen allen zugängliches und sie alle interessierendes Thema abhandeln. Reißt jemand, wo sich mehrere unterhalten wollen, das Wort derart an sich, daß die andern kaum Zustimmung oder Ein- wäude äußern können, so nennt man einen solchen Menschen den Störenfried der Gesellschaft. Handelt es sich um Kammermusik, so heißt die betreffende Persönlichkeit „der Pianist." Laßt diesen allein musizieren oder gebt ihm als ebenbürtigen Partner das volle Orchester! Dem Pianisten stehen nur zwei Rollen an: Entweder tritt er als Begleiter ans, dann reist er sozusagen inkognito und begiebt sich von vornherein und aus eigenem Entschluß aller Ehrenbezeigungen. Hängt er aber den Köuigsmnntel um, so darf er auch respektvolle Entfernung der andern beanspruchen; kein gesellschaftlicher Umgang ziemt ihm mehr, sondern Einsamkeit oder volles Gefolge in Gestalt des Orchesters!
Die Einwünde, welche man gegen meine Ansicht von der geringen Assimilationsfähigkeit des Pianofortes erheben kann, liegen zum Teil so nahe, daß ich einen derselben, welchen man vermutlich als den gewichtigsten betrachten wird, gleich selbst widerlegen möchte. Man könnte nämlich sagen, daß der große Schatz vortrefflicher Musik, mit welchem uns die berühmten Tonmeister in Form von Klavier- und Violin-Sonaten, Klavier-Trios n. s. w. beschenkt haben, den besten Beweis gegen meine antiklavieristischen Erörterungen liefere. Dem wiirde ich nun entgegenhalten, daß man musikalische Ideen von hervorragender Schönheit meist in sehr verschiedene instrumentale Gewandungen zu kleiden und als solche zu erkennen vermag; daß aber die in Rede stehende Wahl der Instrumente gewiß nicht immer aus innern Gründen von den Komponisten getroffen worden ist, sondern in den meisten Füllen von der Rücksicht diktiert wurde, den betreffenden Musikstücken eine möglichst große Verbreitung zu sichern. Diese Rücksicht bewog ja sogar Beethoven, sein ursprünglich für Violine, Bratsche, Horn, Klarinette, Fagott, Cello und Kontrabaß komponiertes Opus 20 nachträglich für Klavier, Violine und Cello umznschreiben. Gewiß bleibt dieses auch als Klavier-Trio eiu prächtiges Werk, und wäre nicht das Original publiziert, so möchte es gewiß uicht au Musikkritikern fehlen, die die triomüßige Anlage in jedem Takte heransdemonstrieren würden. Welch ungleich größeren Reiz hat aber das Werk, wenn es in der Original-Besetzung ausgeführt wird! Als Septett wirkt „es wie ein Drama in seiner Ursprache, als Trio wie eine Übersetzung in das Volapük. Die Gedanken haben den nämlichen Sinn, aber die charakteristische Ansdrucksweise ist verloren gegangen.
Diese letztere aber ist selbst in denjenigen Klavier-Kammer- mnsikwerken, welche originaliter als solche konzipiert wurden, nur selten anzutreffen. Das Pianoforte namentlich gelangt selten dazu, ffich in ihnen nnbeengt nuszusprechen. Meistens gleicht es dem Manne aus dem Märchen, der, wenn er nicht seine Kameraden im Laufen allzusehr überflügeln wollte, sich notgedrungen ein Bein abschnallen mußte. Wo es hingegeu seines Spielreichtums eingedenk wird, rotten sich die Streicher entweder scheu zum Unisono zusammen oder ergehen sich in indifferenten Phrasen, die im besten Falle nichts verderben. In den wenigsten Füllen kommt es zu einem gegenseitige!: harmonischen Durchdringen der Stimmen, zu einer vollkommenen Verschmelzung der Tonfarben, mit einem Worte: zu einer Verwendung der Instrumente, welche diese als die wahrhaft geeignetsten, durch ihren Charakter prädestinierten Interpreten des ihnen anvertrauten Inhalts erscheinen läßt. Hört ihr wirklich nicht, ihr amtlichen Kunstweiseu mit der auswendig gelernten Ästhetik, die ihr bei jeder Gelegenheit als eigenes Empfinden ausspielen möchtet, hört ihr wirklich nicht, wie wenig der Klavierton zu demjenigen der Geige oder des Cellos paßt, wenn in gehaltenen Harmonieen der kurze Atem des Pianofortes neben dem breiten Gesänge der Streichinstrumente erstirbt? Stören euch wirklich nicht die wie Ol und Wasser auseinanderlaufenden Klangfarben der Violine und des Klaviers, wenn, wie es in älteren Werken so häufig der Fall, das Klavier Baß und Melodie intoniert, während die Violine ver
geblich die tonliche Lakune in der Mittellage durch eiue figurierte Begleitung zu verdecken strebt? Nein, das Pianoforte hat seine prädominierende Stellung im Gebiete der Kammermusik uicht seiner küustlerischeu Befähigung hierzu zu verdanken. Die Pflege dieses Kunstzweiges gebührt in erster Linie neben den Streich- instrumentisten den Holzbläsern und Waldhornisten. Diesen Künstlern vertraut küuftig häufiger Rollen au, ihr Kammermusik-Komponisten! Sie werden es euch mehr als die von
Solistei:-Eitelkeit erfüllten Pianisten Dank wissen; ihr aber werdet die Freude genießen, nicht nur schöne Werke geschaffen, sondern auch euren Interpreten die Anregung zu größerer Vervollkommnung gegeben zu haben, welche letztere wiederum die Ressourcen des modernen Orchestersatzes in dankenswerter Weise steigern wird.
Der Realismus des Regisseurs.
Zur Eröffnung der Theater-Saison.
Von
Ircktz MccuLHner'.
^Aie Berliner Bühnen sind bekanntlich nicht die ersten Deutsch- lands. Das königliche Schauspielhaus schlummert immer noch in seinem dreißigjährige!: Schlafe weiter, und sein Ritter hat es bis heute noch uicht wach küssen können. Doch auch die anderer: Berliner Theater, welche erst durch das sinkende Ansehen der Hvfbühue zu rascher Blüte gelangten, leiden noch an den Fehlern ihrer Jugend. Nicht nur die Wiener Burg ist trotz ihrer mannigfachen Verluste, die Tod und Alter ihr . schufen, unerreicht geblieben; auch München und Dresden stellen der preußischen Hegemonie wenigstens gute Bühnen entgegen.
Trotz alledem üben die Berliner Theater weitaus den größten Einfluß auf das deutsche Bühueuweseu. Die Bedeutung, welche Berlin als Reichshauptstadt gewonnen hat, spielt dabei gewiß mit; hat der ungeheure Aufschwung Berlins dazu geführt, daß es unter anderem auch Soolbad geworden ist, warum sollte es nicht auch die erste Kunststadt Deutschlands werden. Wichtiger aber als das unwägbare Prestige Berlins mag die ziffernmäßig genau festzustellende Blasse geworden sein, die es auch bei Kunstfrageu in die Wagschale Wersen kann. Eiu volles Dutzend große Theater sind hier bei schlechten: Wetter und guter Spielzeit allabendlich bis auf den letzten Platz gefüllt; mehr als fünfhundert Bühnenkünstler finden hier dauernde Beschäftigung, das Heer von Mimen nicht gerechnet, welches in Berlin auf Wartegeld lebt, oder aus Geld wartet, und allabendlich auf seinen Freiplützen verächtlich den Größen des Tages zuhört, um von ihnen zn lernen. Dazu kommt, daß die großen Genossenschaften und Agenturen ihren Mittelpunkt in Berlin haben, daß Berlin für das weitverzweigte Bühnengeschüft der erste deutsche Markt geworden ist. Selbst große auswärtige Bühnen beziehen schon vielfach ihre Dichtungen und Dekorationen mitsamt den Schauspielern aus Berlin, und die kleinen Provinztheater verschreiben sich ebendaher alte Stücke, alte Kostüme und alte Schauspieler. Wird in Berlin ein neues Drama mit großen Geldopfern heransgebracht, so ist das eine Art Gründung, bei welcher sich auch schon schlichte Kapitalisten beteiligen; gelingt die Einführung au der Bühnen- börse, können Dekorationen, Kostüme und Verse einige Jahre lang durch ganz Deutschland geschleppt werden, bis endlich Dekorationen, Kostüme und Verse in irgend einem wasserpolackischen Neste das Flicken nicht mehr lohnen und dem Lumpensammler anheimfallen, dann hat die Gründung für die Dichter und die anderen Spekulanten einen ganz hübschen Gewinn abgeworfen. Wenn man höflich sein will, so drückt man das auch so aus: Berlin hat die Führung des deutschen Bühnenlebens an sich gerissen.