LlZ 2.
Deutschland.
Seite 27.
philosophische Kops! Auch bei den umfangreichsten experiinen- tellen Untersuchungen interessiert den Amerikaner nur das praktische Ziel, wahrend der deutsche Forscher den Erscheinungen dis arr die Grenzen des uaturwissenschaftlichen Erkennens zu folgen pflegt. Wer endlich von den beiden der bedeutendste Erfinder sei? Diese Frage scheint uns eine müßige und wir möchten sie daher mit einem bekannten Ausspruche Goethes beantworten! -
Ein mm Philosoph für dos Polü.
l William Macckintire Salter.»
Bon
vn. Ketone Arin-'kcnvih.
oZ/lX vr vier Jahren erschien in Leipzig ein Werk, das, wenn es auch nicht die „allgemeine Aufmerksamkeit" ans sich zog, doch von den meisten, die es kennen lernten, wie eine neue Offenbarung betrachtet wurde. Das herrliche Buch machte seine Leser mit einer neuen Erscheinung, mit einer neuen geistigen Strömung bekannt. Sein Name war „Die Religion der Moral," sein Inhalt bot in trefflicher deutscher Wiedergabe eine Sammlung ethischer Reden, deren Urheber William Macckin- tire Salter, der Sprecher der Gesellschaft für moralische Kultur in Ehieago. Seither haben jene unvergleichlichen Reden und ihr edler Verfasser in Deutschland und Deutsch-Österreich zahlreiche begeisterte Verehrer und namentlich Verehrerinnen sich erobert, so daß es in der deutsch redenden Welt thatsüchlich eine Salter Gemeinde giebt.
W. M. Salter, der noch in der Blüte des Lebens steht, ist ein Amerikaner von englischer Herkunft. Als junger Student betrachtete er es als sein höchstes Ziel, Professor der Philosophie zu werden. 1877 unternahm er eine Reise nach Deutschland und bezog die Universität Göttingen, um antike Philosophie zu studieren. Doch er erkrankte und sein physischer Zustand zwang ihn, nach der Heimat zurückzukehreu. Dadurch nahm seine ganze Laufbahn einen anderen Charakter an. Statt Philosophieprosessor wurde er ein begeisterter und begeisternder Moral lehrer: statt Plato und Aristoteles zu interpretieren, lernte er ans der Tiefe des eigenen Geistes schöpfen; statt subtile Gedanken in einer nur kor Um lmppv to>v verständlichen Form anszndrücken, lernte er einen Stil schreiben, der an Schönheit und Anmut, an Kraft und Wärme seinesgleichen sucht.
Salters hinreißende Reden haben das eigentümliche Schicksal erfahren, daß sie gesammelt zuerst in einer Übersetzung vor das Publikum traten. Denn erst vor kurzem sind sie unter dem Titel «lAlüoul Uoli^ioo» in Boston in englischer Sprache erschienen. Doch enthält IAHEN Ucligioi! einige Reden, die in „Religion der Moral" noch nicht vorhanden. Eine Ergänzung zu «TÜbioal UolPion» aber wieder bilden Salters „Moralische Reden," die soeben (in Leipzig bei W. Friedrich) erschienen sind, libersetzt von Georg von Gizycki, Professor an der Universität Berlin, dem wir auch die Vermittelung von „Religion der Moral" verdanken.
Obwohl der erste Begründer einer ethischen Gesellschaft in den Vereinigten Staaten nicht Salter, sondern Felix Adler in New-Port, obwohl verschiedene Amerikaner seither als Vorsteher 'solcher Gemeinden und Morallehrer einen wohlverdienten Ruf sich erworben, so dürfte der Name Satter doch der eigentlich erwählte Name dieser merkwürdigen, Nordamerika angehörenden Bewegung und geistigen Strömung sein. Denn sein Träger besitzt jenen Zauber des Persönlichen, jene volle Hingebung an die Sache, jene Wärme der Empfindung und jene vollständige Harmonie von Gedanken und Ausdruck, die allem große Wirkungen hervorzubringcn und erhabene Ideen auch der Menge zugänglich zu machen vermag.
So wenig wie den Dust einer Blume kann man den Geist von Salters Reden durch Beschreibung und Analyse wieder- gebcn. Man muß diese Predigten selbst lesen, um ihre Schönheit, ihren Zauber zu begreifen und Impulse von ihnen zu empfangen. Denn darin liegt ihr hoher Wert, daß sie moralischen Enthusiasmus in uns erregen. Man erhebt sich von der Lektüre dieser Reden gebessert und in eine ideale Region erhoben. Man darf jedoch in Salter keinen geschulten Philosophen, in seinen Predigten keinen festgefügten philosophischen Gedankenbau suchen. Salter wird solchen Ansprüchen ebensowenig genügen, als man voll einem streng wissenschaftlichen, philosophischen Schriftsteller verlangen darf, daß er gleich Salter die Geister elektrisiere. Es sind eben zwei verschiedene Dinge, eine Idee theoretisch zu begründen und in ihre feinsten Verästelungen zu verfolgen, und für eine Idee durch die Kraft des Gemütes und die Wärme der Beredsamkeit zn begeistern.
Salter hat eine hohe und edle Anschauung von der menschlichen Natur. Er hält es für möglich, daß die Liebe zum Guten ohne Stütze des Gottesglanbens, unabhängig von transcen- dentaler Furcht oder Hoffnung, Obergewalt in dem Menschen erlange. „Die höhere Natur," sagt er wörtlich, „liegt in uns allen; sie wird nicht oft angerufeu, und vielleicht aus eben diesem Grunde bleibt das menschliche Leben ans einem so niedrigen Stande, wie es in der That ist. Laßt eine neue Religion erstehen, welche es wagt, den Menschen bei seiner besten Seite zu fassen, welche ihn zur Gerechtigkeit, Großmut und allem Edlen auffordert, bloß weit sie sein wahres und eigentliches Leben sind; und ich glaube, die Welt wird erstaunen über die Antwort." Die Moral selbst soll und kann nach Salter zur Religion werden. Demgemäß ist seine Auffassung der Moral eine sehr hohe und schöne. Die Moral bringt den Menschen mit der tiefsten Natur der Dinge in Verbindung: denn woran inan auch immer zweifle, so kann man doch niemals daran zweifeln, daß es Recht und Unrecht giebt. Das Gesetz der Gerechtigkeit besteht, ob die Menschen es anerkennen oder nicht; es ist ein Gesetz, das die Menschen nicht machen, sondern finden; denn es ist ein kosmisches Gesetz und mir eine Form des allgemeinen Gesetzes, demzufolge die Dinge werden müssen, was sie sind. Im Gegensätze znr landläufigen Auffassung der Moral betont Salter ihre transeendente Bedeutung und daß ein ideales Element in ihr enthalten sei. Denn die Moral ist nicht das, was die Menschei: thun, sondern was sie thnn sollten; nicht das, was sie wünschen, sondern was sie wünschen sollten. Sie ruft von der Wirklichkeit hinweg zun: Schauen des Höhere:: und Besseren, sie stellt eine Verfassung der menschlichen Gesellschaft, ein Vollkonnnenheitsziel vor Augen, dem wir unsere Bewunderung zollen müssen. In diesen und ähnlichen Gedankengüngen berührt sich Salter vielfach mit der geistvollen Sophie Germain. Schließlich sei noch hervorgehoben, daß Salter in den: Gesetze der Gerechtigkeit etwas Bindendes, den: Nur schlechthin beistimmen müssen, sieht, und daß es, wie er mit Recht behauptet, nachdem die Ansichten über Recht und Unrecht sehr verschieden, etwas Absolutes in der Moral giebt.
Dies sind, in kurzen Andeutungen, die Hauptgedanken von Salters schönen und erhebenden Reden.
Man darf sich darüber freuen, daß der Verfasser von «lAIn'-R Uoligioi,» zugleich ein glücklicher Mensch ist. Seine vornehme, liebenswürdige Persönlichkeit sichert ihn: die Sympathie aller, die ihm näher treten: er lebt in den edelsten Familienverhältnissen, sein Wirkungskreis ist ein großer und stets wachsender, und in: Alter von dreißig Jahren ist es ihn: gelungen, ein Werk zn schaffen, das nicht vergessen werden und dereinst vielleicht noch eine größere Rolle spielen wird, als sich jetzt schon voranssehen läßt.