Heft 
(1889) 02
Seite
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Deutschland.

Hrinnermgen MS meinem Aeöen.

Bon

Friedrich Spielhagerr.

(Fortsetzung.)

L^^^^ie Weise, in der die Übersiedelung stattfand, ist charak- teristisch für die Zeit, von der ich spreche; nnd so sei es mir vergönnt, ein paar Augenblicke bei der Schilderung derselben verweilen zn dürfen.

Daß die Fahrt nicht ans der Eisenbahn zurückgelegt wer­den konnte, dafür war in jenen Tagen gesorgt. Bon Magde­burg nach Berlin, und von Berlin weiter nach Nordwest ins Pommernland hinein zogen sich, als einzig praktikable Kommu- nikationswege, die mit Pappeln oder krüppelhaften Obstbänmen bepflanzten Chausseen schier endlos, wenn sie, wie in unserm Falle, nicht einmal mit der Post dnrchmessen werden sollten. Das würde schon um deshalb unrütlich gewesen sein, weil so die beiden dem Vater gehörenden Wagen: eineBollchaise" (mit Seitenledern statt der Fenster) nnd eineHalbchaise" (die sogar, wenn das Schutzleder herausgezogen war, auch noch mit einem von der Decke hernntergelassencn Fenster verwahrt werden konnte) ich sage: weil diese beiden Vehikel unbenutzt geblie­ben wären, ebenso wie die zwei Wagenpferde ein Paar tüch­tige, ausdauernde Füchse (nach ihren Lieferanten, zwei wackeren, dem Vater befreundeten Dvmänenpächtern, Koch und Eckert ge­nannt). In der viersitzigen Voll- und der zweisitzigen Halbchaise war die aus sieben Personen: den beiden Eltern nnd uns fünf Jungen bestehende Familie offenbar bequem nnterzubringen; nnd so ging's denn in behaglichem Trabe, oder noch behagli­cherem Schritt die staubige oder verregnete Straße dahin, voran die von den Füchsen gezogene und vom Kutscher geführte Halb­chaise, hinterdrein die Vollchaise, für welche die Posthaltereien Bespannung und Lenker stellten. DaßKoch und Eckert" sich nicht übernahmen, wurde mit gewissenhafter Sorgfalt verhütet, indem man die Tagestour nur auf vier, höchstens fünf Meilen bemaß und jeden dritten Tag einen Ruhetag sein ließ.

Unter besagten Umständen Hütte die Reise, die man jetzt in ungefähr acht Stunden zurücklegt, auch ohne sonstige Unterbre­chung mindestens vierzehn Tage in Anspruch genommen; nur daß wir, wenigstens solange wir uns durch die Provinz Sach­sen bewegten, die Vetterstraße zogen, daß heißt, wenn der Um­weg nicht allzngroß war, von der Heerstraße abbogen, Befreun­deten und Verwandten einen Abschiedsbesuch zu machen, der Hütte es sich sonst der Mühe gelohnt? leichtlich ans eine halbe Woche oder so ausgedehnt wurde. Offenbar hatte es niemand von uns eilig: nicht der Vater, der seinen ihm für die Übersiedelung zugemessenen Urlaub ausuützen wollte; uicht die Mutter, der es überall behaglich war: in der engen Wagen­ecke, oder dem weiten Gutsbesitzerhause; nnd am wenigsten die Kinderschar, die es am liebsten gesehen haben würde, wenn diese für sie schlechterdings märchenhafte Fahrt ewig gedauert hätte.

Indessen, auch im Jahre fünfunddreißig kam man, war es des Schicksals Schluß, an den Ort seiner Bestimmung.

Es war ein Tag im Mai und bereits Abend geworden, als die Türme der alten Hansastadt durch leichten Nebeldnnst vor uns ans der in sanften Wellen sich hindehnenden Ebene auftanchten. Wir hatten Zeit, uns die Situation einzuprügen: bald hinter Greifswald war auch die Chaussee zu Ende ge-

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wesen; die beiden Geführte schlichen auf einer durch vorherge- gangene starke Regengüsse aufgeweichten Landstraße mühsam da­hin. Und das ist auch wohl der Grund, weshalb ich mich der Stunde mit ihren Einzelheiten so genau erinnere, als sei seit ihr nicht über ein halbes Jahrhundert vergangen, sondern als habe sie dem gestrigen Tage angehört.

Das Verdeck ist von dem Wagen zurückgeschlagen, trotz der Trübe des Wetters, das jeden Moment einen neuen Regen­guß bringen kann. Die Mutter lehnt in ihrer Ecke, mit den schönen, geistvollen Augen in gewohnter Weise ruhig um sich schauend. Der Vater steht aufrecht im Wagen nnd wendet das Gesicht, das sich braun ans dem gelben Nankingmantel abhebt, in sichtlicher Spannung bald hier-, bald dorthin, gelegentlich mit kurzen Worten die beiden jüngsten, die aus dem Vordersitz herumkrabbeln, zn einer Ruhe verweisend, an der cs ihm selbst in diesem Augenblicke gebricht. Ist er doch rinn in seinem Reviere" wirklich angelangt! Links von der Landstraße, ans der wir uns Hinschleppen, arbeitet man an der neuen Chaussee, die demnächst zu seinem Ressort gehören wird; rechts über wellige Wiesengründe hinweg liegt gran die breite Wasserstraße, die Rügen von dem Festlande trennt, und für deren gute Schiffbarkeit er in Zukunft verantwortlich sein wird.

Tiefe Rührung ergreift mich, gedenke ich dieser Stunde. Für die Eltern, wie immer sie sich die Zukunft ansmalen moch­ten, bedeutete sie doch den Anfang ihres Lebensabends; für uns Kinder, speeiell für mich, den Beginn jenerJugendzeit," aus der das Lied dem Dichter immerdar im Ohre klingt.

Und da fährt der Wagen durch das bastioubewehrteFran­kenthor," das holperige Pflaster enger Straßen heraus und hält vor derRessource," deren behäbige Wirte die ihnen im vor­aus angemeldeten Gäste freundlich empfangen.

Als wir zu Abend gegessen haben, ist es schier Nacht ge­worden; und der Wirtskinder weiße Kaninchen, die wir doch schlechterdings noch besuchen nnd mit dem Kraut der verspeisten Radieschen füttern müssen, schimmern eben nur durch das Dunkel.

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Ich vermute, daß ein Krühenpaar, welches sich sein Nest in dem Wipfel des Eichbaumes zusammenträgt nnd nicht in dem der benachbarten Buche (oder umgekehrt), dies nicht ohne reifliche Erwägung der einschlägigen Umstände, mithin nach eigener und von den besonderen Umständen abgesehen freier Wahl thnt. Wenn es der Fall sein sollte, so sind die Krähen in dieser Beziehung denjenigen Menschen, die zum Offi­zier- nnd höheren Regierungsbeamtenstande gehören, jedenfalls über. Ihr (der genannten Personen) Wunsch und Wille spielt bezüglich des Ortes ihres Aufenthalts meistens gar keine und jedenfalls eine untergeordnete Rolle. Ja, sie haben einge­denk des Wortes, daß der rollende Stein kein Moos ansetzt alle Ursache, wenn sie auch innerlich noch so wenig wander­lustig gesinnt sind, die seßhafte Neigung in stillem Bilsen zn bergen und, wenn die Versetznngsordre kommt, die fröhlichste Miene zu dem in so mancher Hinsicht für sie oft recht trau­rigen Spiel zu machen.

Unter solchen Umständen ist es denn begreiflich, daß bei ihnen ein Hcimatsgefühl im alten pfähl- und spießbürgerlichen Sinne nicht wohl aufkommen und fröhlich gedeihen kann; sie sich vielmehr gewöhnen müssen, als ihre Heimat eigentlich nur den Staat anznsehen, dem sie icke et ndiepre zu dienen haben.