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Deutschland.
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Baumes so gut wie des niederen Krautes — die Blätter sogar einseitig — biegungsfest, die Wurzeln zug- und andere Teile mehr druckwiderstandsfühig gebaut sind, daß die Stiele Hangender Früchte mit den festesten Fasern ausgestattet sind, wo es gilt, eine ungewöhnliche Last zu tragen, wie bei den Kürbissen, daß die verschiedenen Festignngsvorrichtnnger: einer geschlossenen oder unterbrochenen, einer einfachen oder gerippten Hohlwalze je nach Bedarf anftreten und bei den Farnbüumer: sogar der mechanische Grundgedanke des Wellblechs Anwendung findet.* Wir haben ein Verständnis dafür gewonnen, weshalb in einem Falle ein Stengel abgerundet, im andern gerieft oder kantig, in dem einen gestillt und im andern hohl sein mag, und wenn auch vielfach heute die Neigung, überall Ergebnisse der Anpassung zu entdecken, bereits übertrieben werden mag, so läßt sich doch gewiß kein schlagenderes Beispiel ftir die wesentliche Richtigkeit unserer Auffassung ersinnen, als das Verhalten der Wasserfeder (lllottonia palrmtris), einer in unseren Sumpfgrüben und ähnlichen Gewässern freischwimmenden Pflanze, deren nntergetanchter, die zerschlitzten Blätter tragender Stengelteil anatomisch nach den notwendigen Anforderungen an die Zugfestigkeit gebaut ist, während der kerzengerade in die Luft ragende Blütenschnft denen der Biegnngsfestigkeit Rechnung trägt. Freilich stehen daneben auch andere Fälle, die wir nach unseren bisherigen Kenntnissen keiner Anpassung znschreiben können. Wenn nun Pflanzen in so nebensächlichen Merkmalen, wie die Anzahl der Schließzellen um die Atemspalten herum, oder die Drei-, bezw. Vier- oder Fünfzühligkeit der Blütenteile durch ganze Verwandtschaftsgruppen hindurch hartnäckig genau übereinstimmen, so haben wir Wohl ein Recht, dergleichen auf die Wirkungen der Vererbung infolge gemeinsamer Abstammung znrückznsühren, gerade so wie wir es bei den zwei Paar Gliedmaßen aller Wirbeltiere im Gegensätze zu den zahlreicheren der Gliederfüßler thun müssen, bei denen keinerlei Anpassungsvor- teil ftir die eine oder die andere Art der Ausrüstung ersichtlich ist. Gerade die Pflanzenanatomie hat viel dazu beigetragen, uns auch im Reich der Gewächse klarer in Bezug ans die verschiedenen Wirkungen der Formvererbnng und Lebensanpassung sehen zu lassen, lind zahlreiche neuere Arbeiten haben sich mit der vergleichenden Untersuchung größerer natürlicher Verwandt- schaftsgrnppen, wie der Droseraceen, Leguminosen, Rhododen- droiden n. s. w. beschäftigt, um festzustellen, inwieweit der anatomische Ban in seinen Einzelheiten die Wirkung der einen oder anderen Züchtnngsnrsache ist. Dazu muß die anatomische Untersuchung natürlich Hand in Hand mit der inneren und äußeren Lebensforschnng, der Physiologie und Biologie, gehen und die einschlägigen Ergebnisse derselben genau berücksichtigen; im Verfolg dieser stets vergleichenden Betrachtung aber gewinnen alle von ihr gefundenen Einzelthatsachen Leben und festere Gestalt und enthüllen uns Geheimnisse, die wir vor kurzem noch kaum ahnten. Sie legen uns aber auch wieder neue Frageil vor. Wir können den Nutzen großer oder kleiner, dick- fleischiger oder zarter, immergrüner oder abfallender, gestielter oder sitzender Blätter in den einzelnen Füllen ihres Vorkommens begreifeil; warum das Laub aber in einem Falle ganz- randig, im anderen gezähnt oder gekerbt ist bei Pflanzen, die unter ähnlicheil Daseinsbedingnngen zu leben scheineil, ist uns ein Rätsel. Wir erseheil den Vorteil kahler und dichthaariger, krautiger und holziger, stielrunder und kantiger S-tengel; warum aber gerade unter den lippenblütigen Gewächsen sich so viele ausgeprägt vierkantige befinden, warum gerade die Einblatt- keimer gleichlaufende, die Zweiblattkeimer verzweigte, die Farne gabelwüchsige Blattadern haben, warum die einen mit zerstreuten, die andern mit kreisförmig geordneten, die dritten wieder mit eigenartigen Gefüßbündelr: ansgcstattet sind, warum sich ein nachträgliches Dickenwachstnm allgemein bei den zweikeim-
* In den afrikanischen Flüssen wuchert ein Hülsengewächs, aus dessen Stämmen die Neger Flöße und Kähne bauen, die sie auf der Schulter zu tragen im stände sind- und doch leistet das lockere Gewebe der Pflanze, des bekannten Ambatsch, sich zwei und drei Meter doch schlank aus den: Wasser erhebend, mit Leichtigkeit dem Winde Widerstand, weil die geringe Menge der festen Faserbündel in ihm aufs sinnreichste im Umkreise verteilt ist.
blättrigen und nacktsamigen Holzgewüchsen zeigt und bei anderen Abteilungen mit Ausnahme weniger kleiner Gruppen ausgeschlossen ist, das vermögen wir nicht unmittelbar einzusehen. Wir führen es auf Vererbung zurück, haben aber keinen Anhaltspunkt für die Ursachen des einstigen Auftretens bei den gemeinsamen Ahnen der Urzeit. Hier ist noch viel im einzelnen zu thun, und manches Licht kann durch gewissenhafte Forschung in bisheriges Dunkel fallen.
Es giebt keinen Unterschied mehr zwischen „beschreibenden" und „erklärenden" Naturwissenschaften. Jede einzelne hat ihre beobachtende und beschreibende Grundlage und ihren erklärender: Teil, der nach der Weisheit letztem Schlüsse strebt. Entweder glauben, oder forschen, oder tierisch dnhinleber:,* zu diesem Ende führt uns auch die anatomische Pflanzenbetrachtung.
Nus ZV i e n.
Von
Kccrk V. GHaller-.
eit einigen Jahren hört man fortwährend die Klage, daß Wien im Niedergange begriffen sei. Die Fremden, welche hierher komme::, merken wenig davon. Es ist wahr, daß in Wien während des Hochsommers alle Theater geschlossen sind, — für eine Großstadt allerdings eine seltsame Erscheinung, die deutlich zeigt, daß es mit der Zeit vorbei ist, wo an der Donau das Volk der Phüaken wohnte und täglich am Herde der Spieß sich drehte. Es ist ferner wahr, daß die Regierung der Hauptstadt keine Beachtung schenkt, daß Pest und jetzt auch Prag ans Kosten Wiens emporblühen. Aber der ewige Jammer über den Verfall Wiens ist doch übertrieben. Wenn man die Jeremiader: unserer Zeitungen liest, so möchte man fast glauben, es wachse ans unseren Plätzen Gras wie in Modena. Mit Berlin und seiner staunenswerten Entwickelung darf nun: Wie:: freilich nicht vergleichen. Zu einem ähnlichen Fortschritt fehlen hier alle Vorbedingungen: die Fürsorge der Regierung, die Stammeseinheit der Bevölkerung, die Umsicht und Strammheit der Stadtverwaltung. Das Ministerium Taaffe kümmert sich nicht um Wien; die verschiedenen slavischen Wünsche scheinen ihm wichtiger als das Wohl der Reichshauptstadt, und neuestens nimmt die Frage der böhmischen Königskrönung seine Aufmerksamkeit so vollständig in Anspruch, daß es keine Zeit findet, sich mit Wien zu beschäftigen. Die Bevölkerung selbst ist vor: einer nationalen Buntheit wie ein Harlekinsgewand. Man sagt immer, Wien sei eine deutsche Stadt. Wenn man das hört, muß man an die Verse im „Trompeter von Sükkingen" denken: „Es wär' zu schön gewesen, es hat nicht sollen sein!" Wien war eine deutsche Stadt. Heute giebt es hier nicht nur tschechische Winkeltheater und Vereine, sondern sogar schon tschechische Schulen und tschechische Aufschriften ans Ladenschildern. Noch vor fünfundzwanzig Jahren warf der Tscheche, der in Wien einwanderte, mit der: zerrissenen Kleidern, die er ans der Heimat mitbrachte, auch seine Nationalität fort. Sobald er einen anständigen Rock erschwinge!: konnte, wollte er nur mehr deutsch sprechen. Fragt nicht wie, aber er sprach's. Heute schwellt ihm das nationale Bewußtsein die Brust, er verkehrt womöglich nur mit Stammesgenossen und fühlt sich als Enkel der Hnssiten. Neben ihm macht sich der Pole breit. Waschlappski ist in Österreich ein großer Herr geworden und wird in liebevoller Berücksichtigung seiner zerrütteten Vermögens- Verhältnisse ans Staatskosten unterhalten, ohne daß mar: es ihm verübelt, wenn er seine Hauptthätigkeit der Stärkung des polnischen Nationalgedankens widmet. Ir: allen Ämtern wimmelt es jetzt von Polen, edlen Polen natürlich, die sich im Grunde ihres Herzens um Österreich den Teufel scheren, es aber ganz angenehm und bequem finden, österreichische Beamte zu sein. Neben Tscheche:: und Polen erfreuen uns die Antisemiten. Zn ihnen hält die ganze Jugend, besonders die Stn-
* Mit ursckers, aut ^üiloLochmri, aut ckkAer« vitaiu peeuMuu i'itu, veuti'i »vsckientiuiu (Schopenhauer).