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Deutschland.
auch, daß man, um sein Haus zu bauen, nichts bedürfe, als die nmthematischeu Punkte und Linien des Gedankens. Und ich zimmerte nun lustig und es ging wie ein Tanz, aber lautlos. Eines Tages aber erhob sich ein schwaches Lüftchen und die ganze Herrlichkeit flog mir davon, und ich sah sie in der Luft wirbeln wie ein Spinnwebnetz.
Da zupfte ich den alten Mann an seinem weißen Bart und riet ihm, sich einen Sarg zu bestellen, wenn er sich keinen ans seinen mathematischen Punkten und Linien zu machen verstünde.
Und ich schloß meine Augen und lag in großen Schmerzen. Und die Nacht kam und ich fühlte den Schmerz plötzlich springen, wie die Schale um einen Kern, und etwas in mir wachsen und seine Wurzeln in mein Herz senken und seinen Saft durch meine Adern treiben, und Blätter sprangen ans und Knospen und sie hatten Farbe und Form, aber nicht von dieser Welt, und als der Tag kam, sah ich im Dämmerlicht meiner Seele eine Knospe, die große, halbansgesprnngene Knospe einer fremden Blume.
— Und es giebt nur eine Blume von dieser Art, und es ist mein Blut, an dem ihre Wurzeln trinken, und ihr Stamm wächst in mir, unsichtbar für alle, außer mir selbst. Aber ich weiß, wenn die Knospe sich öffnet, dann finde ich in ihrem Innern das große Unbekannte.
IV.
Eines Abends, im Spätherbst, steuerte ich hinaus zwischen die Schüren in meinem neuen Boot. Meine Segel waren schneeweiß, aber die Abendröte färbte sie mit ihren: kränklichen Ton, so daß sie aussahen, als wären sie in Wein getaucht. Und ich fuhr einsam ins Meer hinaus, wahrend alle andern in ihre Herrenbetten gingen.
Da sah ich eine schwarze Hand sich über die Schüren strecken. Sie setzte ein häßliches, schwarzes Zeichen auf mein weißes Segel und zog sich zurück. Und durch die schöne Stille des Herbstabends drang eine Stimme, scharf wie eine Messerklinge und rauh, wie der Baß eines Trunkenbolds. „Er hat einen Flecken auf seinen: Segel, er hat einen Flecken auf seinen: Segel! Kommt her und seht, liebe Leute! Er schämt sich nicht, seine schmutzige Wüsche vor uns anszuhüngen."
Als ich mich nmwandte, stand der Strand gedrängt voll Volk. Sie zeigten mit Fingern, spotteten und drohten. Und über meinen: Kopfe saß der schwarze Fleck auf meinen: Segel, wie eine dunkle Wolke im rosendümmernden Tag. Da wurde mir bange im Gewissen, denn obgleich ich sah, daß meine Hände rein waren, saß doch der schwarze Fleck auf meinem Siegel, und es legte sich ein Schatten über meine Seele, als wäre er eine wirkliche Missethat, und die unbekannte Stimme schien mir so selbstsicher, und ich war so einsam auf dem Wasser und der Menschen am Strande waren so viele. Und der Wind legte sich, und die Segel hingen schlaff, als wären sie welke Blätter, über die ein giftiger Hauch gegangen, und wie sie siel inein Akut und ich sing an, mein Boot in den Grund zn bohre::.
Da geschah das Wunder, das mich rettete. Hoch über der: Menschen am Strande erschien eine Hand, riesengroß wie jene, die das Zeichen ans mein Segel gesetzt, aber weiß, weiß, und die Hand hielt eine Leuchte, und ihr Schein fiel wie ein plötzlicher weißer Tag über die schwarze, nnüberschanliche Aienge. Und da sah ich Menschenkörper mit Wespenstacheln und Menschenkörper mit Fuchsschwänzen und Menschenkörper mit Hnn- deköpfen, Blnthnndeköpfen mit roten Nachen und hängenden
Mich berühmten Mustern.
Emile Iota.
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lphonsc Pollvn, von seinen Saufbrüdern einfach Apollon genannt, und Manriee Arsyas, mit den: Spitznamen Marsyas, standen einander in der Kneipe „Zum borstigen Vieh" kampfbereit gegenüber. Jeder von ihnen hatte schon mehr als einen Liter Branntwein hinnntergegossen. Die Wette, wer von beiden beim Schneuzen schöner singen könnte, sollte setzt ausgetragen werden.
Die Giftbude „Znm borstigen Vieh" war in der ganzen Gegend berühmt. In der Wirtsstnbe war vor Jahren für dreißig Personen reichlich Platz gewesen. Allmählich hatten sich aber die Wände mit einer Schmntzkruste überzogen, die so dick wurde und den Raum dermaßen verengte, daß heute in demselben Raum nur noch zwanzig Personen Platz hatten.
Früher hatte der Wirt „Zum borstigen Vieh" einige Rinder im Stalle stehen, weil er für seinen kleinen Weinberg deren Dünger brauchte. Seitdem aber seine Schnapsbude bestand, hatte er Kühe und Ochsen verkauft und brauchte im Frühjahr ^ nur ansznfegen, nin seinen Neben frische Natnrkraft znführen i zn können. Zur Kirmeß, um Johanni herum, hatte er soviel , Zuspruch, daß er überdies einige Fuhren Dünger verkaufen und . ein hübsches Sümmchen dafür einstreichen konnte, lind seinen
Und eine Brise erhob sich, und fröhlich steuerte ich seewärts mit dem schwarzen Zeichen in meinem weißen Segel, und die Sonne ging ans über dem Meere. Ansetzung folgt.)
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rauben bekam der Stnbenstickstvfs nicht schlecht.
„Der Wirt ist ein A . . .," hieß es in ganz Burgund, „wir müssen ihn: seinen verdammten Branntwein bezahlen und nachher noch seine Trauben mästen, bis sie platzen." Seine Trauben hatten wirklich die Eigentümlichkeit, im Herbste zn platzen, und die Marke „Zun: borstigen Vieh" war im Jn- und Anslande sehr geschützt.
Heute also war wieder Kirmeß, und das ganze Dorf war versammelt, um dem Wettkampf zwischen Apollon und Marsyas znznsehen. In der Giftbnde selbst hatten nur die Stammgäste Platz gefunden, die andern drängten sich nn: die offenen Fenster. Über der Kneipe lastete auf hundert Schritte in: Umkreise eine Dunstwvlke von Schnaps; sie verdickte sich von Zeit zn Zeit zu einem Schnapstropfen, der dann von dem Nüchststehenden mit gieriger Zunge aufgefangen wnrde. Trotz der geöffneten Fenster war die Lnft in der Stnbe so elend, so mnffig, so stockig, so zersetzt und verfault, so voll von Gasen und Bakterien, daß eine alte Ratte, welche einen verlorenen Rettigzipfel ! anznknabbern begonnen hatte, kopfschüttelnd und einer Ohn- ^ macht nahe, das Lokal wieder verließ.
Unter den Nächsten, welche die Kämpfer umstanden, be- > fanden sich auch zwei Damen, die älteste und die jüngste von ^ den Schwestern Muse. Es waren eigentlich nenn Schwestern, und sie trieben sich alle nenn, znm größten Ärgernis des Landes, mit jedem umher, der sie haben wollte. Früher, in ihrer i Jugend, hatten sie es nur mit Adeligen und Pfarrern gehalten;
! jetzt aber waren sie ganz gemein geworden, die einen von ihnen tranken Schnaps und die andern Um: cke Eolo«m6. Die älteste, welche verhältnismäßig sauber gekleidet ging, hatte gegen alle Naturgesetze die Erbschaft aller ihrer Schwestern ^ angetreten und ging jetzt mit dem geizigen Apollon, den: sie die Bücher führen und die grauen Haare ausreißen mußte.
! lind wenn er seinen Nasengesang anstimmte, mußte sie ihn immer bewundern. Oft sagte sie: „Es ist ein Hundeleben mit so einem Künstler! Lieber einen Verbrecher!"
Das jüngste Fräulein Muse hatte ein platonisches Verhältnis mit Marsyas. Sie war seit ihren: dreißigsten Jahre unnahbar geworden, weil kein Mann ihr naturalistisches Ideal verwirklichte. Als sie sich jetzt eben nach ihrer Gewohnheit kratzte und Marsyas ihr im Zorn darüber einen Viertelliter Brannt-