Heft 
(1889) 02
Seite
35
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W 2.

Deutschland.

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tvein ins Gesicht schleuderte, rief sie keifend:Du ungeräncher- tes ^ch . . .! Wegen ein bißchen Hunt die gute Gottesgabe wegznschmeißen! Überhaupt die Haut! Haut ist Lüge! Die Haut trennt uns von der Natur! Ohne Haut waren Men­schen und Tiere und Bäume und Früchte besser, kräftiger, schmackhafter. Von Natur hatten die Dinge gar keine Haut. Erst die Verzärtelung der Welt hat Tiere und Pflanzen dazu gebracht, sich mit Fell und Rinde zu umgeben. Pfui, wie schlapp! Ihr fürchtet euch vor jedem Luftzug, darum habt ihr Haut. Laßt euch schinden, wenn ihr mir gefallen wollt. Nur das Geschundene ist schön."

Marsyas kniff sie zum Zeichen seiner Neigung; dann be­gann der Kampf.

Der Zierbengel Apollon zog ein Taschentuch hervor, wel­ches er kaum vier Wochen bei sich trug, und begann hinter demselben, indem er sich bei jedem Ton in verschiedener Höhe schneuzte, die alte Melodie des Liedes:Ein Schäsermädchen weidete." Alle Zuhörer kannten die Leistung bereits und spuckten zum Zeichen ihres Beifalls an die Wand. Das war ein hüb- fcher Erfolg. Als aber Marsyas sich nun räusperte und sein Kunststück ohne Taschentuch ansznführen begann, da merkte man sogleich eine erhöhte Aufmerksamkeit. Marsyas überraschte aber nicht nur durch die Einfachheit seiner Technik, sondern auch durch die Neuheit der Melodie. Den neuesten Gassenhauer: Wie es hiyt! Trine schwitzt, Trine hat den Rock verloren" schneuzte er, ohne ein bißchen zu tremulieren, in sonoren Tönen so laut, daß auch das Publikum vor der Kneipe seine Freude daran hatte. Blau warf, um seine höchste Zufriedenheit nns- zndrücken, faule Eier und Äpfel in die Stube hinein.

Apollon und das älteste Fräulein Muse gerieten in furcht­baren Zorn und begannen zu schimpfen:Du H . . . . . .!" schrie Apollon seinem Gegner zu.

Du elender Kujon!" erwiderte Marsyas schlagfertig.

Zehnmal flogen die Worte hin und her, und jedesmal steigerte sich der treffende Ausdruck. Dann stürzten die Neben­buhler aufeinander los und verbissen sich einer in den andern. Auch die beiden Schwestern begannen einen Ringkampf. Das älteste Fräulein Bluse ergriff eine Mistgabel, welche für die nahe Düngerernte schon bereit stand, und stach damit auf ihre jüngste Schwester los.

Da! da! So brauchst du dich nicht mehr zu kratzen. Ich will dir deine Haut dnrchlöchern, daß die Natur überall hinein kann."

Die Zuschauer bekamen vor Lachen Krämpfe und alle Zustände. Endlich aber rief sich wälzend ein besonnener alter Mann:Hört ans, oder ich kr . . . auf der Stelle. Abstimmen!"

Abstimmen!" riefen alle.

Bei der Abstimmung siegte Marsyas mit allen Stimmen gegen eine. Nur das älteste Fräulein Bluse hatte sich für Apollon erklärt; aber auch ihr gefiel eigentlich Marsyas besser.

Es ist eine Affenschande," rief sie heulend,mit seinen alten abgestandenen Witzen will meiner noch konkurrieren."

Apollon sah gräßlich ans. Marsyas hatte ihm die Spitze seiner griechischen Nase abgebissen, und die rote Farbe des fließenden Blutes mischte sich erschreckend mit dem Grüngelb, welches sein Antlitz vor Neid und Wut angenommen hatte. Ein impressionistischer Maler mit violetter Nase, welcher mit den andern Trinkern vor dem Fenster stand, skizzierte sofort den Farbcneffekt. Die Dorfbewohner hielten das gelungene Bild­chen für Erdbeeren mit Spinat.

Apollon und das älteste Fräulein Muse lauerten dem Sieger an einer Waldblöße auf. Apollon hatte nach der Ab­machung allen vertrunkenen Branntwein bezahlen müssen,, und sein poetisches Gemüt litt furchtbar unter dieser Notwendigkeit.

Jedes Haar einzeln möchte ich dem F - - - ansreißen," sagte er.

Zieh ihm das Fell ab! Thn's meiner Schwester Mieb!"

Sv wurde beschlossen, und beide hielten sich die weiten vor Lachen.

Langsam torkelte Marsyas heran. Vor seinem geistigen Auge stand die jüngste der Musentöchter, und ihn: war, als ob sie doch noch die Seine werden müßte. Er . . .

An der Waldblöße lag eine stinkende Wasserpsütze, mit einer grünbrünnlichen, im Mondcnschein phosphorescierenden, faulen Schimmeldecke überzogen. Marsyas wollte da stehen bleiben; aber er fiel hinein. Ruhig machten sich die beiden andern an die Arbeit, ihm rum das Fell abznziehen. Im Wasser ging das bequemer und reinlicher. In ihrer Pfarrerzeit hatte das jüngste Fräulein Muse eine Virtuosität darin erlangt, Aale lebendig zu schinden. Sie fing auch an ihrem Schwager Mar­syas beim Kopfe an, und zwar bei den Ohren, weil das die schwierigste Arbeit war. Sie - ^

Schon nach einer halben Stunde war sie bei der großen Zehe angelangt. Marsyas war so besoffen, daß er nichts spürte und nur in seinem Dusel langsam das Alphabet entlang schimpfte.

Dreimal war er bis zn Z - . . gelangt, bevor die Operation sauber und ordentlich vollendet war.

Apollon warf sich das Fell des Marsyas um die Schul­tern und sah darin ans, wie der Esel in einer Löwenhaut.

Du süßer Schweinebraten," flüsterte das älteste Fräu­lein Muse.Jetzt siehst Du wenigstens ans wie ein Mann. Komm!"

Und sie ließen den Geschundenen liegen.

Das jüngste Fräulein Mnse litt an Schlaflosigkeit. Kurz nach Sonnenaufgang saß sie schon bei ihrem Topf Kaffee und stierte mit Ekel auf die Hank, die sich gebildet hatte.

Pfui Teufel!" rief sie und schleuderte die Kaffeehant mit einem Schmiß ihres verrosteten Zinnlöffels auf ihr Bett. Dam: ging sie hinaus. Sie kratzte sich. Ünd sie blickte empor zum Himmel und mußte sich sagen, daß er nur mit einer blauen Haut überzogen war, hinter der sich alle astrophysikalischen Wahrheiten verbargen. Und niemand kratzte das Blaue ab. Sie ging weiter, und sie sah ans die Erde, die auch dort mit Pflanzen bedeckt war. Sie schüttelte sich und mußte sich sagen, daß die Pflanze und das Tier nnd der Mensch und das Denken und die Liebe nnd die Bücherspeknlation nur die bunte Schim­melhaut der Erde war, unter welcher die brutalen Preußen die pessimistische Wahrheit des höllheißen Erdinnern verbargen.

lind da war niemand, der die grüne Haut der Erde ab- kratzte. Sie kratzte sich nnd ging weiter. Von überall starrten ihr Häute entgegen, nichts als Häute. Die Ochsen hatten eine Haut, die Eier und die Äpfel eine Schale, und selbst die erfin­dungsreichen Menschen ahmten die einzige Dummheit der großen Natur nach und gaben sogar der Wurst eine Haut. Die Welt war nichts als Haut für sie, und ihr wurde übel vor Empörung.

Da erblickte sie ihren geschundenen Freund, nnd sie lächelte befriedigt, nach langen Jahren zum erstenmal wieder. Er sah aus wie ein anatomisches Präparat. Das gefiel ihr. Sie setzte sich neben ihn in die Schlammpfütze nnd wartete unge­duldig ans sein Erwachen.

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Marsyas, der ein gewissenhafter Mann war, schickte eilig nach der weisen Frau. Sie kam nnd-

Das Kind sah seinem Vater ähnlich wie ein englisches Beefsteak dem andern. Es wog zehn Pfund oder zweihundert Mark.

Zur selben Zeit mußte die älteste Bluse, um welche sich Apollon gar nicht bekümmerte, nacheinander um zwei Ärzte schicken. Sie kamen und

Es war ein jämmerliches Wesen, konnte kaum piepsen und mußte, damit es am Leben blieb, in eine künstliche Hühner- brntanstalt gesetzt werden.

Als aber die Tanten und Basen herbeikamen, waren sie sehr befriedigt nnd fanden beide Kinder reizend.