Heft 
(1889) 04
Seite
67
Einzelbild herunterladen

4.

Deutschland.

Seite 67.

eingereicht. Die Kosten sind auf nnr 10 Millionen Franken veranschlagt. Der Fahrpreis hin und zurück soll, von Lucko- brunnen aus, wo die Bahn ihren Anfang nimmt, 35 Frk. be­tragen. Bei 30000 Fahrgästen in einer Saison hofft man für die Aktionäre eine Rendite von DZ pCt. heranszuschlagen. DieEidgenössische Bank,"nebenbei bemerkt, nicht ein Bank­institut der Eidgenossenschaft, sondern eine seit vielen Jahren bestehende, wohlangesehene Privat-Bank, beschäftigt sich ernsthaft mit der finanziellen Begründung dieses Projektes, das an Großartigkeit seinesgleichen nicht hat.

Indem wir hier auf diesen märchenhaften Plan näher eingehen, wollen wir jene berechtigte Gefühlsregung, die man immerhin Sentimentalität heißen mag, beiseite setzen, jene Regung des Bedauerns nämlich, die uns in erster °Linie er­greift, wenn wir vernehmen, daß irgendwo ans dem Erdenrund ein bisher in stolzer, unnahbarer Einsamkeit gelegener Fleck, sei es nun die von Sioux dnrchschweifte Grassteppe, sei es, wie hier, eine im Firndiadem strahlende Bergesmajestät, dem all­gemeinen Weltverkehr, denn Ansturm des Menschengewühls zu­gänglich gemacht wird. Es bleibt dieser Gefühlsregung gegen­über die Verstnndeserwügnng im Recht, daß ans unabsehbar lange Zeit hinaus die Erde doch noch immer demjenigen, der die heilige Wildnis sucht, solche von Menschen nie oder selten betretene Punkte darbieten wird, und dem Goetheschen Wort: Wer sich der Einsamkeit ergiebt, o! der ist bald allein," noch in ferne Zukunft die ihm zu Grunde liegende Voraussetzung einsamer, seitwärts vom Weltgewühl liegender Orte nicht fehlen dürfte. Auch füllt der Gedanke ins Gewicht, daß jeder Triumph des menschlichen Geistes über die rauhen Naturmüchte ein siche­rer Gewinn ist, und daß die Erschließung herrlicher Gegenden für viele Tausende in ähnlicher Weise dürfte begrüßt werden, wie wir uns freuen, daß z. B. unsere klassischen Dichter durch billige Ausgaben popularisiert worden sind. Warum sollte etwas so Wunderbares, wie die Aussicht vom Gipfel der Jungfrau," auf alle Zeiten hinaus nnr dem Manne von star­ken Knochen, dem abgehärteten Bergsteiger, der außerdem reich genug ist, eine große Summe für Träger und Führer zu be­zahlen, Vorbehalten bleiben? Warum sollten nicht auch fein­nervige Menschen, die vielleicht auch die feiner fühlenden, die für den unbeschreiblichen Natnrgenuß dankbareren sind, daran teil haben? Und endlich, selbst diese starken Bergsteiger, in welchem Zustand der Erschöpfung, der ihnen den Genuß wesentlich schmälerte, langten sie meistens auf dem Gipfel an! Man sieht, daß gegenüber solchen Er­wägungen, bei denen wir den Gewinn einer höchsten Station für meteorologische und andere naturwissenschaftliche Beobach­tungen noch gar nicht berührt haben, das sentimentale Bedauern über den das Echo der Gletscherwünde weckenden Pfiff der Lokomotive nicht zu sehr in Betracht kommen kann.

Aber wird die Durchführung dieses Werkes überhaupt möglich sein? Eine Bahn durch Schnee- und Gletscherwild­nisse hinauf in eine Höhe von fast 14000 Fuß (genau 4167 Meter) über Meer, ist sie nicht ein Unding?

Die technische Herstellung des Bahnkörpers halten wir für möglich. Wie bei der sich vortrefflich bewährenden Pilatus­bahn werden die Systeme des Zahnrads und des Drahtseils passend ineinandergreifen und die hierüber vorliegenden Dis­positionen bieten an sich nichts Neues. Die Steigungsverhült- nisse überschreiten die bis jetzt gestatteten nirgends. Wasser liefert der Berg reichlich; vor dem Gefrieren wird man das­selbe durch chemische Mischungen schützen können. Oben, na­mentlich zum Schutz gegen Lawinen, sind längere Tunnels vorgesehen, die durch Transversalgalerieen freier Luft zugäng­lich sein werden. Auf der Spitze soll in den Felsen hinein ein Schutzhaus, vielleicht sogar ein Hotel angelegt werden in direktem Zusammenhang mit dem oberen Ausgang des höchsten Tunnels.

Daß menschlicher Scharfsinn, menschliche Energie in Ver­bindung mit der außerordentlichen Maschinentechnik der Neuzeit und bei genügenden Geldmitteln dies alles hcrzustellen ver­mögen, scheint uns glaubwürdig.

Größere Bedenken haben wir bezüglich der Betriebsfühig- keit der Bahn. Das harte Leben der Mönche auf dem Großen St. Bernhard ist eitel Wollust zu nennen im Vergleich zu den Entbehrungen, die an das Betriebspersonal dieser Bahn gestellt werden. Noch selten haben Bergsteiger auf dem Gipfel der Jungfrau" länger als eine Viertelstunde ausgehalten. Auch beim schönsten Sommerwetter brausen dort meistens heftige, in solcher Höhe natürlich eiskalte Stürme. Die meistenJung­frau "-Besteiger, die wir persönlich kennen, konnten sich sogar nur wenige Minuten auf dem Gipfel aufhalten. Furchtbar sind auch in dieser Höhe die oft plötzlich ausbrechenden Ge­witter mit Blitzschlag. Ein Blitzschlag war es, der vor einigen Jahren jene unglücklichen Besteiger (Wettstein und Genossen aus Zürich) in den Abgrund schmetterte. Nun mag freilich der Tunnel oben gegen ein solches Ungewitter Schutz gewäh­ren. Aber der Sturm und das Schneetreiben (auch im Hoch­sommer) kann so rasend werden, daß eine Rückfahrt des Zuges vielleicht aus mehrere Tage hinaus unmöglich wird. Lebens­mittel mitzunehmen, wie auf eine Nordpolexpedition, dürfte jedenfalls rütlich scheinen.

Sodann, zehn Monate des Jahres mindestens liegt der ganze obere Bahnkörper unter Schnee und Eis. Und die Massen des Schnees sind derartig, daß Sonne und Föhn allein nicht genügen, den Bahnkörper zu befreien. Da werden Arbeiter nötig sein, aber Arbeiter, die im Frühsommer unter vielleicht unglaublich schlechten Verhältnissen die schwere Arbeit bewältigen sollen und dabei genährt werden müssen, für die man Obdach schassen muß. Was mag es außerdem zu thun geben an Ausbesserungen nach einem derartigen Nordpolwinter!

Damit man diese unsere zweifelnden Bedenken besser wür­dige, schließen wir mit einem Hinweis auf ein viel bescheideneres Unternehmen, das dennoch bis jetzt nicht zur Ausführung ge­langen konnte.

Herr Ingenieur Gosset in Bern hatte beim internatio­nalen Touristenpublikum Beitrüge gesammelt, um wenige hun­dert Schritte unterhalb des Gipfels derJungfrau" eine Schutz­hütte in der Art der gewöhnlichen Klubhütten aufzustellen. Namentlich aus England waren so beträchtliche Summen ein­gegangen, daß nach der finanziellen Seite diese Unternehmung für gesichert angesehen werden durfte. Der zu Ehren der eng­lischen KöniginVictoriahütte" genannte, in kleine Teile zer­legbare, außerordentlich praktisch eingerichtete Ban wurde von Herrn Gosset zuerst in Bern auf öffentlicher Promenade aus­gestellt, von zahllosen bergkundigen Leuten besucht und gelobt, dann das war vor zwei Jahren nach dem Wallis ge­bracht und mit unsäglicher Mühe auf Eggischhorn hinaufge­schafft. Dort nun, unweit vom Gasthvf Eggischhorn, steht un­seres Wissens diese Hütte noch immer, weil bisher kein Som­mer eine genügende Reihe schöner Tage gebracht hatte, um den Transport (auf dem Rücken von Trägern) nach der Jungfrau- spitze zu gestatten. Wir fügen bei, daß Herr Gosset selbst einer unserer unerschrockensten und zähesten Bergsteiger ist und ein Mann von ungewöhnlicher Energie. Gleichwohl hat er einst­weilen auf die Ausführung dieses seines Lieblingsplanes ver­zichten müssen, und wie bescheiden nimmt sich doch derselbe aus gegenüber dem Riesenwerk einer Jungfraubahn!

Wir werden nun zunächst zu gewärtigen haben, ob der schweizerische Bundesrat diesem Projekt überhaupt seine Kon­zession erteilt, und behalten uns hierüber eine spätere Mitteilung vor. Expropriationen jedenfalls wird diese Bahn nicht not­wendig machen; denn die Adler, Gemsen und Murmeltiere, durch deren Gebiet sie gehen soll, haben keinen Advokaten, der ihre alten Rechte vertritt.

6