Heft 
(1889) 04
Seite
68
Einzelbild herunterladen

Seite 68.

Deutschland.

4 .

-rmnenmgen MS innirem

Von

Friedrich Spiell/agen.

(Fortsetzung.)

liegt nun schon für mich auf dem pvmmerschen Lan- de dieser Zauber, so komme ich in Verlegenheit, soll ich den schicklichen Ausdruck finden für das Unend­liche, das ich dem Meere schulde. Ich weiß es sicher: es ist meine erste Liebe gewesen, und ich bin überzeugt: es wird auch meine letzte sein. Wie oft hat, als nun doch geschieden sein mußte, der junge Student in Berlin oder Bonn einen selt­samen Traum immer genau in derselben Weise geträumt! Den Traum, daß er über Berg und Thal, Felder und Wälder schwebte dem Meere zu, das er nicht sah, dessen Nähe er aber ahnte, nach den: ihn eine unwiderstehliche Sehnsucht zog, die ihm das Herz klopfen machte, bis es nun plötzlich vor seinen Blicken lag grenzenlos, schimmernd in jenem magischen Licht, das nur in unsere Träume scheint, und er, vor Freude laut aufweinend, erwachte.

ist mit ihm eine jener Stätten verschwunden, bei denen meine Erinnerung am liebsten weilt. Da ist Wohl in meinen Jugend­jahren kaum ein Tag vergangen, an welchem ich dem alten Hafen und wäre es nur auf wenige Minuten gewesen nicht meinen Besuch abgestattet Hütte in immer neuer unerschöpf­licher Freude an dem bunten Treiben. Was gab es da nicht alles zu sehen, zu beobachten? Das Kommen und Gehen der schwerfälligen Fährboote; das Ans- und Einladen der an der Ballastkiste aufgereihten Schisse: die vielfältige Arbeit der Ma­trosen an Bord, der Zimmerlente auf derLastadie," wo Fahr­zeuge aller Art, große und kleine, gebaut oderkalfatert" wer­den und es so köstlich nach frischgeschnittenem Holz und heißem Teer riecht, während der Schlag der Äxte, das Pochen der Hümmer, das Klopfen der Schlegel, das Knirschen der Sägen von ringsher erschallen. Dann, am andern Ende des Hafens: das Feilschen und Handeln der ehrbaren Bürger und Bürgers­frauen, der derben Honoratioren-Mägde an den Fischerbooten, die heute morgen von allen Enden und Kanten der Küste mit Heringen gekommen sind allznvielen leider! Denn trotzdem ^ es bereits auf Abend geht und gute Nachfrage war, ist noch ! nicht die Hälfte verkauft, und der Preis einesWall" (achtzig ^ Stück) ist bereits auf einen Silbergroschen gesunken! O, du

Nun hat sich freilich die herbe Schürfe dieses Heimwehs im Laufe der Jahre abgestumpft, aber in Form eines chroni­schen, die meiste Zeit latenten, dann jezuweilen mit akuter Ge­walt hervorbrechenden, ist es mir doch geblieben. Und selt­samerweise ist es nicht das Meer im allgemeinen, das es mir angethan hat: es ist ganz speciell die Ostsee, wie sie so viele Jahre hindurch tagtäglich vor den Augen des Knaben lag.

Und es blieb wahrlich nicht bei der bloßen Augenweide, obgleich man sich gerade bei der Ostsee zur Not auch an dieser genügen lassen kann. Es giebt nichts Lieblicheres als die stil­len, von Busch und Baum oder saftigen Wiesen bis an den schmalen, gelben Strandstreifen eingerahmten Buchten der Hom­merschen und besonders der Rügenschen Küste. Wem braucht man von den Schönheiten der Ufer bei Putbus, Saßnitz, Stub­benkammer, Arkona zu erzählen! Es kommen da, zumal im Herbst, Beleuchtungen vor, die, wie die an dem Mittelmeere, jeder Beschreibung spotten, und selbst diese noch übertreffen in dem unendlichen Reichtum, vor allem in der Zartheit der Farben, welche durch die ganze Skala laufen, besonders in lila und grünlichen Tönen das Wundersamste leisten, gelegentlich aber auch in majestätischer Kraft und Jntensivitüt mit jenen wenigstens den Vergleich nicht zu scheuen brauchen. Nicht in Neapel und nicht in Palermo und Syrakus habe ich das Meer so wunderbar schwarzblau gesehen, wie ich es eines Abends von der Spitze derBallastkiste" im Stralsunder Hafen sah, wäh­rend die Sonne hinter der Stadt in kyklopischen, von Feuer­gluten angestrahlten Wolken nnterging: die sandigen Uferhöhen der Rügenschen Küste drüben und die Segel der Fischerboote, die vereinzelt auf der regungslosen Wasserfläche schwammen, in tiefstem Rot leuchteten, und über den dunkeln Himmel vom Festlande nach der Insel, von dem schwarzblauen Spiegel un­ter ihm reflektierend, sich der prachtvollste Regenbogen spannte.

Der Hafen existiert nicht mehr, oder man hat ihn doch, indem man ihm einen viel stattlicheren, weiter nach Osten ge­rückten Nachfolger gab, auf das Altenteil gesetzt. Ich vermute, aus guten Gründen, denn er war eng, unbequem, verschlammt und bot den Schiffen keinen genügenden Schutz. Aber wieder

lieber alter Stralsunder Hafen, die Erinnerung an dich gäbe ich nicht uni Faustns' Zanberspiegel! Du hast mir eine Welt erschlossen - die Welt des Meeres, zu einer Zeit, als die Liebe zu seiner heiligen Flut noch voll in mein jnngfrisches Herz strömen konnte, unendliche Sehnsucht weckend, die Phan­tasie beflügelnd, die junge Brust mit heißem Drang zu hohen Thaten schwellend, Thaten, die leider auch nur Träume bleiben sollten, wie sie der mystisch gewordene Held von Goe­thes unsterblichem Gedicht träumt, als er nun endlich spät, - viel zu spät für ihn und für uns, ein Greis, ans den schon die Lemuren lauern, von der Geisterbnrg mit halberloschenen Augen ans dich herniederblickt.

Es ist eine verhältnismäßig schmale Wasserstraße, an der Stralsund liegt. Der Tag braucht noch nicht besonders klar zu sein, um uns auf der gegenüberliegenden Rügenschen Küste jede irgend hervorragende Einzelnheit erkennen zu lassen. Nur nach Norden hat inan einen freieren Blick, und auch nicht ans die offene See, der die kleine, seitdem von der Sturmflut in zwei Teile gerissene Insel Hiddensoe vorgelagert ist. Durch die schmale Straße geht ein starker Strom, der sie dem Ver- sandetwerden aussetzt und so, zum größten Nachteil der Stadt, die Schiffahrt erschwert und beeinträchtigt. Aber diese Be­schränktheit und Enge der heimischen Gewässer, die den ehr­baren Kaufherren viel sorgenvolle Stunden bereiten mochten und in der That bewirkt haben, daß Stralsund im Laufe der Zeiten aus der Reihe der großen Emporien ausgeschieden ist dem Knaben kamen sie gar trefflich zu statten. Er durfte hier, wo spiegelglatt die Flut sich vor ihm dehnte, oder von dem Anhauch frischer Winde sich in mäßigen Wellen furchte, welche nur ein seltener Sturm zu wilder Wut peitschte, von Sommers- bis Herbstesanfang die schon als Kind in der Winterschwimm­anstalt zu Magdeburg erlernte Kunst üben; die Kraft der Mus­keln stählen an den Rudern, mit denen er das leichte Boot oft genug bis hinüber zur Rügenschen Küste trieb, oder im Schlitt­schuhlauf, wenn nun der Winter gekommen war und die Wasser unabsehbar weit hinaus mit einer festen Eisdecke überzogen hatte. Da hat denn wohl der Knabe die Stunden, die das