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Deutschland.
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Kind in der Klippschnle bei dem Küster zwecklos verträumt, redlich wieder eingebracht. Wie oft ist da dem Eifrigen die Nacht herabgesnnken mit ihrem Sternengestmkeh die Küste hüben und drüben in Dunkel hüllend, durch welches, häufiger von der Stadt-, seltener von der Jnselseite, rötliche Lichter dämmerten; die Fischer, die draußen gefischt hatten, auf ihren, mit den langen, eisengespitzten Stangen windfchnell getriebenen „Pekschlitten" gespensterhaft vorüberhnschten; endlich das Klingeln eines verspäteten Schlittens auf der „Bahn" den Unermüdlichen mahnte, daß es auch für ihn die höchste Zeit zur Heimkehr sei!
Ich höre den Leser sagen: wozu die Schilderung von Dingen und Scenerieen, die uns ja ans Deinen Romanen zur Genüge bekannt sind? Aber ich schreibe ja diese Blätter wesentlich deshalb, um abznrechnen zwischen dem, was mich ein günstiges Geschick ans meinem Lebenswege mühelos finden ließ, lind dem anderen, was Fleiß und Kunst dazu thnn mußten, damit aus dieser Bereinigung ein Dichtwerk wurde. Und so möge er mir verstatten, hier noch etwas weiter anszuholen. Es wird sich da klärlich zeigen, wie wenig es inein besonderes Verdienst ist, wenn ich von dem Meere und den „Werken des Meeres" etwas innigere Erfahrung habe, als sie der, welcher im Binuenlande groß geworden, füglich haben kann.
In dem amtlichen Wirkungskreise meines Vaters nahm die ihm obliegende Sorge für die Wasserbauten des Regierungsbezirkes eine breite Stelle ein. Da galt es, jene enge Wasserstraße, von der ich oben gesprochen, in gutem Stande zu erhalten, die alten Lotsenstationen zu überwachen, für zweckmäßige Anlage neuer Rat zu schaffen, und so vieles der Art. Das machte denn häufige Wasserfahrten notwendig, für die ihm ein segeltüchtiges, schmuckes, mit bequemer Kajüte versehenes, von zwei Matrosen bemanntes Fahrzeug, „der Kutter" genannt, zur steten Verfügung stand.
Nun war es seine freundliche Gewohnheit, wenn es die Umstände verstatteten, von seinen Söhnen einen und den andern, vielleicht auch ein Paar auf diesen Fahrten mitznnehmen. Sv habe ich denn jene herrlichsten Punkte Rügens, die jetzt in jedermanns Munde sind, zu einer Zeit kennen gelernt, als sie für den Binnenländer kaum noch entdeckt und selbst dem nachbarlichen Stralsunder schwer zugänglich waren. Immer werde ich des sonnigen Mittags denken, als dem von der See Heran- segeluden die stolzen Kreidefelsen der Stnbbenkammer zum erstenmal au§ der blauen Flut aufstiegen; immer jenes monddurch- glünzten Abends, als ich znm erstenmal die Buchen über dem stillen, schwarzen Wasser des Herthasees ihr geheimnisvolles Lied raunen hörte. Wie unvergeßlich bleibt mir jener andere Abend, als ich znm erstenmal über den zitternden Wellen vom Strande
von Arkona ans den roten Feuerball der Sonne am Horizonte
schweben und versinken sah und dem durch das Steingeröll am Ufer Irrenden fast leibhaftig die Greisengestnlt des Apollo- Priesters EhryseS erschien, wie er zu seinem Gotte fleht, die ihm geschehene Schmach an den Achäern zu rächen; und die des Heldenjünglings, wenn er der Mutter klagt, daß ihm Zeus die Ehre vorenthalte, die ihm gebühre, den sie geboren habe, „nicht lange zu wandeln im Lichte." Goethe rühmt einmal gelegentlich der italienischen Reise den Homer, der, angesichts der Schöne und Majestät des Meeres, erst recht in seiner
Dichtergröße erscheine. So rechne ich es zu den höchsten Be
günstigungen meines Lebens, daß ich mich in meinen Lieblings
dichter hineinträumen durfte, als nur das griechische Original noch ein Buch mit sieben Siegeln war, zu dem ich nur erst den oft so wunderlich verschnörkelten Schlüssel der Voßschen Übersetzung in der vor Erregung zitternden Hand hielt.
Und völlig homerisch mutet es mich an, gedenke ich des „Rüden."
Der Rüden aber ist eine kleinste, an dein östlichen Eingang der Wasserstraße, vor dem Ausfluß der Peene, zwischen dem Festlande und Rügen gelegene Insel. Sie besteht aus schierem Sand, der sich nur an der Mönchgut zngekehrten Seite etwas breiter dehnt und höher hebt, um, nach der Mitte sich zusammenziehend, am anderen Ende in einer vom Wasser überfluteten, nadelscharfen Spitze ansznlaufen. In jener, von der nördlichen Düne ein wenig geschützten Mitte drei, vier niedrige Hänschen für die Lotsen und den Steneranfseher; hinter den Häuschen ein paar magere Kartoffelfelder; vor denselben lilipntanische, mit Muscheln eingefaßte Gärtchen, in denen die Reseda wunderlieblich duftet, und die Sonnenblumen ihrem geliebten Gestirn vom Ausgang bis znm Niedergang dcw Antlitz znwenden können.
Diese sich nur ein paar Fuß über den Meeresspiegel erhebende Sandbank ist der Augapfel des Vaters. Er nennt sie nnt Stolz „sein kleines Königreich." Hat er es nicht geschaffen, so muß er es doch fortwährend gegen die Wut der Elemente, die es ihm entreißen wollen, schützen durch kunstvoll angelegte Buhnen, sorgsam gepflegte Plantagen von Strandgras, durch ein paar hundert Tännchen sogar, die er an dem breiteren Ende dem Sande anvertraut hat, und die es freilich noch weit haben, bis man sie, selbst in der Übertreibung, ein Gehölz neunen kann, aber doch, den Umstünden nach, fröhlich gedeihen. Da ist es denn begreiflich, daß die Handvoll weltabgeschlossener Bewohner den jeweiligen Besuch des Mannes, der wie ein Vater für sie sorgt, und den sie wie einen Vater verehren, jedesmal als ein Freudenfest feiern und seine Jungen, wenn er sie mitbringt, sozusagen ans den braunen, von den Werken des Meeres gehärteten Händen tragen. Ich habe seitdem gelegentlich wohl ans Fürstenschlössern in seidenen Betten geschlafen. Es war das soweit eine ganz angenehme Situation. Aber in wie tiefen Schatten tritt sie, gedenke ich der steinharten Seegrasmatratze, ans der den Übermüden des Windes Brausen und des Meeres Rauschen in tranmlosen Schlaf wiegten, ans dem er dann des Morgens, wenn die Sonne durch die niederen Fenster in das weißgetünchte Stübchen mit seinen schwärzlichen, urväterlichen, kajütenmäßigen Möbeln siel, erwachte, himmelhellen Sinnes den Wundern, die ihm der Tag bringen würde, entgegenjauchzend.
Dieser Wunder nicht geringstes war der in diesen Gewässern stationierte große Dampfbagger mit den unendlichen eisernen Polypenarmen, die er, keuchend und stöhnend, rastlos in das Wasser senkte und wieder hob, die sandgefüllten Kübel in die zu beiden Seiten befestigten flachen Prahme anszn- schütten. Ein ansrangierter Dampfer, der, als er seinen stolzen Namen „Adler" empfing, nicht geahnt hatte, zu welch melancholischem Geschäft er einst degradiert werden würde, nahm die Gefüllten dann ins Schlepptau und schaufelte mit ihnen langsam einer indifferenten Stelle an der Küste zu, wo sie sich ihrer Last entledigen durften. Die Arbeit überwachte der Inspektor, ein älterer, bescheidener, gutherziger Mann. Sie begann im frühesten Frühjahr, um im späten Herbst zu endigen.