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Hetman, Kyrill Rnsnmowski, aber weit er daneben ein ebenso treuer Sohn seines Volkes war, so ward er der Kaiserin Katharina verdächtig, und als diese vollends eine höchst naive Bittschrift aus der Ukraine erhielt, die Hetmnnswürde im Hanse Rasumowski erblich zu machen, wurde Hochverrat gewittert und der Hetman zur Verantwortung nach Petersburg entboten. Die Vorgänge, die sich dort (1764) abspielten, sind'noch heute wenig klargestcllt (vgl. Brückner, Katharina II. S. 516 ff.); die gelindeste Version geht dahin, daß Raftnnowski moralisch znm Rücktritt gezwungen wurde; hatte doch Katharina II. noch vor seinem Eintreffen in Petersburg an einen ihrer Vertranten geschrieben: „Giebt cs in Kleinrußland keinen Hetman mehr, so muß man danach streben, daß das Zeitalter und der Name des Hetman verschwinde, und nicht bloß danach, daß keiner mehr ernannt werde." An die Stelle des Hetmans trat ein „General-Gouverneur", Rumjanzow. So wenig dies eine Änderung im Wesen bedeutete, das Land empfand denn doch diese endgültige Beseitigung seiner Autonomie schmerzlich, und als Katharina II. drei Jahre später jenen höchst kuriosen, bei ihrer streng absolutiftischei: Denkart und dein niedrigen Kulturznftand des Reiches von voruherein nutzlosen Versuch machte, eine Art beratenden Parlaments zu schaffen und die Wahlen zur „Gesetzgebenden Kommission" ausschrieb, da verweigerten die Kleinrnssen ihre Beteiligung: eine allgemeine Reichsversammlung kümmere sie nichts, mau möge den alten, vom Zaren Alexei beschworenen Vertrag achten, dies sei alles, was sie wünschten. Es klingt wie ein schlechter Scherz und ist doch nur die Wahrheit, daß Rumjanzow die Bevölkerung durch Waffengewalt und Knutenhiebe zur Wahl zwang; inan wird es daher doppelt rühmenswert finden, daß die unter solchen Umständen Gewühlten gleichwohl den Anschauungen ihrer Heimat freimütigen Ausdruck gaben; sie sprachen und stimmten gegen die Vorrechte des Adels, für Erleichterung der Leibeigenschaft, vor allein aber für die Sonderrechte ihres Landes, wie sie denn auch die Vertreter der Ostseeprovinzen in ihren ähnlichen Bestrebungen kräftigst unterstützten. Die „Kommission" wurde 1768 wieder heimgeschickt; für die Kleiurusfeu hatte sie nur das eine Ergebnis, daß die Regierung gewahr wurde, „in der Ukraine bleibe noch viel zu thun übrig." Inzwischen lag der Polenstaat in den letzten Zuckungen: noch einmal — 1770 — kam es auf diesem Boden, weniger aus nationalen und religiösen Motiven, als durch russische Jntriguen, zu einem furchtbaren Gemetzel zwischen Polen und Kleinrnssen. Dann kam die „erste Teilung" <1772); Galizien ausgenommen, war nun fast die ganze, seit 1705 die ganze Nation unter russischem Seepter vereint und ist es bis heute geblieben. Gleichsam zur Feier dieser Vereinigung steigerte sich die Strenge der Regierung ; nun hatte man ja die Widerstrebenden beisammen, und in den jüngst erworbenen, durch ein schwaches Regiment verwöhnten Landesteilen gab es wohl noch mehr zu thnn, als in den anderen. Nun wurde die Leibeigenschaft offiziell und allgemein durchgeführt; das Land, um jede Spur der historischen Autonomie zu verwischen, in eine Reihe willkürlich abgegrenzter Gouvernements geteilt; die Za- Poroger Kosakenschaft aufgelöst; die Pflege der großrussischen Sprache zur Pflicht, jene der kleinrnssischen zum Verbrechen gemacht. Wie diese Maßregeln an jene der Polen erinnern, so war auch ihr Erfolg derselbe: der Adel und die höhere Geistlichkeit entnationalisierten sich ganz, der Bürgerstnnd zum größten Teil. Das Volk aber murrte wohl, doch rebellierte es nicht mehr; die starke Beteiligung der Kleinrussen an dem Pugatschew- schen Aufstand (1773--74) ist natürlich kein Zufall; aber es war doch im Grunde nur ein sozialer, ein Sklavenkrieg, kein Kampf um nationale Freiheit. Als Katharina II. durch Klein- rnßland reiste, bedurfte es der äußersten Strenge, um die Bevölkerung dazu zu bringen, „ihr Entzücken," wie es der Ukas wörtlich befahl, „durch angemessene Handlungen und Begrüßungen anszudrücken." Das Entzücken konnte an manchen Stellen thatsächlich nur durch das Auffahren von Kanonen erzwungen werden, aber zu einem Tumult kam es nirgendswo. Bei Katharina II. Tode (1796) war thatsächlich „das Zeitalter der Het- mane verschwunden," die Nation wieder, wie zwei Jahrhunderte
vorher, ein Haufe von Leibeigenen mit ihren Priestern, die Sprache wieder eine verachtete «IlliAuu rrmticm» geworden.
Die Litterntnr war bereits Jahrzehnte zuvor vollständig nbgedorrt. Sie war, wie erwähnt, vorwiegend polemischen Charakters, gegen den Papst, die Polen, namentlich gegen die Umtriebe der Jesuiten gerichtet; an Erzeugnissen weltlicher Richtung, wie an rein dichterischen Werken fehlte es jedoch auch nicht. Allzu bedeutend waren diese Schöpfungen nicht, und wenn die kleinrnssischen Literarhistoriker diese Epoche als „zweite Blütezeit" charakterisieren (als die erste gilt die der allrussischen, im Süden entstandenen und gepflegten Produktion, der auch das Jgorslied und die Annalen des Nestor zugehören), so bedeutet dies eine starke Überschätzung. Aber wenn auch nicht durch ihren absoluten Wert, so vermag uns doch diese Litteratnr, von einem unterjochten Volke unter den drückendsten Verhältnissen geschaffen, durch die Energie, den Mut, die sittliche Kraft, die sich in ihr nnsspricht, Achtung abznzwingen. Mit gutem Grunde haben wir das politische Los der Nation berichtet, ehe wir nun das Schicksal dieser Litteratur erzählen; nicht bloß, weil das erstere das letztere erklärt, sondern weil man nun die Taktik, welche der Moskowitismus gegen die rein geistigen Bestrebungen ein- schlng, erst recht wird beurteilen können.
Es war in den ersten Jahrzehnten die Taktik der scheinbaren Förderung; die Autoren der „zweiten Blütezeit" wurden in jeder Weise ausgezeichnet, ihre litterarischen Verdienste durch Ämter und Würden belohnt. Die Regierung gestattete sich dabei nur eine, allerdings recht wesentliche Fiktion: sie offiziell als Großrnsscn zu erklären. Das war durchaus folgerichtig; galten die Kleinrussen, wie wir gesehen, politisch nur eben als Russen, deren Sprache durch einige Polonismen verderbt worden, dann gehörte auch ihre Litteratur der ganzen Nation und ihre Dichter und Gelehrten waren Leuchten des gesamten Vaterlandes. Diese Annexion aber war nicht bloß die einfachste, sondern sogar die einzig mögliche und, vom Standpunkte des Moskowitismus, einzig heilsame Methode. Auf zweierlei Wegen kann, wie uns die Geschichte lehrt, ein mächtiges Volk, welches an dem schwächeren den Frevel der Entnationalisierung begehen will, die Litteratnr desselben nbtöten. Erstens durch physische Gewalt: man schließt die Druckereien und verfolgt die Autoren, — und das war hier schon deshalb unmöglich, weil sich ja die zweite Blütezeit vornehmlich auf polnischem, nicht auf russischem Boden entwickelte. Oder man erdriickt die schwächere Litteratur durch die Überlegenheit des eigenen Geistes, und auch dies konnte einem Staate, dessen Unbildung, wie sich ein gleichzeitiger Diplomat nnsdrückt, „das Staunen und Granen Europas war," nicht bestallen. Hier stand ja die herrschende Nation ans ungleich geringerer Kulturstufe als die unterworfene, was eine einzige Ziffer genügend erweist: ans der Zeit vor 1650, wo die politische Annexion erfolgte, kennt inan etwa 275 großrussische, etwa 300 kleinrussische Druckwerke; bei letzteren sind die vielen Hunderte von Flugblättern und Broschüren nicht mitgezühlt; die Kleinrnssen hatten also unter fremder Herrschaft selbst quantitativ mehr geleistet als die ihnen damals an Zahl mindestens fünffach überlegenen, in einem nationalen Staatswesen vereinigten Groß- rnssen. Und nun erst, wenn man die -Qualität berücksichtigt! Jene großrussischen Werke bestanden zum größten Teil aus theologischen Werken, Gebetbüchern u. s. w.; die überwiegende Mehrheit derselben aus den: Kleinrussischen, ein geringer Teil aus dein Kirchenslavischen, Bulgarischen und Griechischen übersetzt; Original-Arbeiten gab es fast nicht und ebenso fehlten fast durchweg Schriften weltlichen Inhalts, geschweige nun gar Dichtungen. Wir haben die „zweite Blütezeit" nicht überschätzt; aber welchen Reichtum an Bildung und freier geistiger Regsamkeit bedeutet sie gegenüber dieser mönchisch dumpfen und stumpfen, orthodoxen Formelkram sklavisch übersetzenden „Litteratur." Dieser Gegensatz aber wurde schon zu Beginn des 16. Jahrhunderts in Moskau deutlich empfunden; während die dortigen Mönche, sinn ihre Unwissenheit zu beschönigen, die Vertreter der Kiewer Akademie, an welcher Latein und Griechisch gelehrt wurde, als „Häretiker" und „vom Papismus angesteckt"