Heft 
(1889) 04
Seite
74
Einzelbild herunterladen

Seite 74.

Deutschland

4.

führlicher Erörterung; dem despotischen Einheitsstaat, der kei­nerlei nationales Sonderleben dulden will, ja dulden darf, ohne mit sich selbst in Widerspruch zu geraten, sind sie kein ge­ringeres Hindernis, als die Polen und die Balten. Noch un­bequemer freilich, als dem offiziellen Rußland, muß die Existenz der Kleinrussen dem Panslavismus sein, ja sie ist für ihn ge­radezu die unbequemste Thatsache, weil sie seine Phrasen am kräftigsten widerlegt. Rußland will der Hort alles Slaven- tnms sein und zertritt darum das alte, schöne Kulturleben der baltischen Deutschen, das mag noch konsequent und ver­ständlich sein. Es zertritt aber auch die Polen, und schon dies wird nur durch die Annahme verständlich, daß es sich um einen Erbfeind handelt, der eben trotz der gemeinsamen Ab­stammung von der großen Mutter Slava nicht geschont wer­den darf. Aber warum zertritt es die Kleinrnssen, die seit nahezu zweihundert Jahren in der Hauptmasse seine stillen, friedlichen Unterthanen sind? Und was löst den Widerspruch, daß der Panslavismus in einem und demselben Jahre 1876 den Feldzug zurBefreiung" der Bulgaren und den neuen Vernichtnngs-Ukns gegen das geistige Leben der Kleinrussen durchsetzte? ....

Wir wissen die Antwort: weil der Panslavismus der Panmoskowitismns ist. Die Herren an der Newa und Moskwa aber müssen freilich eine andere Antwort geben, in­dem sie jener Parole der Kleinrussen den Hohn entgegensetzen: Ihr seid nie gewesen und werdet nie sein." Und weil dies konsequent lind seit Jahrhunderten ausgesprochen wird, darum gilt es vielfach auch in Europa für ein Wahrwort. Mit Un­recht! und dies in Kürze an der Hand untrügbarer That- sachen zu erweisen, war die Aufgabe dieser Zeilen.

Die Berliner Lunstausstellung.

Von

vr. A. K. Meyer:.

I.

ie deutsche Künstlerschaft, welche ihren angestammten Grund­satzGetrennt marschieren!" so treulich wahrt, hat den stolzen Zweck dieses Prinzips in diesem Jahr völlig vergessen. Von der verlockenden internationalen Walstatt an der Seine hielt sie sich ans begreiflichen Gründen fern; doch auch der naheliegenden Aufgabe, jener Bereinigung nichtdeutscher Kunst­schöpfungen ein würdiges nationales Gegenbild auf heimischem Boden zu bieten, hat sie sich gänzlich entzogen, indem sie ihre Kräfte auf zwei getrennte Feldlager verteilte. Der junge MünchenerSalon" mag einem an sich berechtigten Ehrgeiz sein Entstehen danken: für die Gesamtentwickelung unseres Aus­stellungswesens ist diese Neuerung zweifellos ungünstig. Schon gegen die eine nach Ablauf jedes Jahres zu veranstaltende große Akademische Ausstellung werden alljährlich berechtigtere Bedenken laut, und es ist keineswegs die radikalste Richtung der Kritik, welche die Bedeutungslosigkeit dieser Veranstaltungen durch den über ihnen waltenden Zwang zu entschuldigen sucht und schon von ihrer quantitativen Verringerung bessere Ge­samtergebnisse erhofft. Eine Verdoppelung der alljährlichen Ausstellung vollends bietet nur eine Verdoppelung der bereits vorhandenen Mißstünde. Im besten Falle wird durch sie das eine Unternehmen zu Gunsten des anderen wesentlich beeinträch­tigt; näher aber liegt die Gefahr, daß bei der unausbleiblichen Konkurrenz der Maßstab beider Gesamtleistungen verringert wird. In diesem Jahre traf noch das erstere zu. Die Schwesterstadt an der Isar hat ihr historisch beglaubigtes Vorrecht in Sachen der Kunst siegreich zur Geltung gebracht und durch ihrenSalon" die ohnehin bereits geringe Lebens­kraft der Berliner Akademischen Ausstellung schwer geschädigt. Nicht als ob das Gesamtbild der letzteren in diesem Jahre un­gewöhnlich dürftig wäre! Mit der Jubiläumsausstellung wird

man sie freilich nicht vergleichen dürfen, von ihren übrigen Vor­gängerinnen des letzten Decenninms aber ist sie abgesehen von ihrer Behausung äußerlich nicht wesentlich verschie­den. Daß sie einige hundert Werke weniger umfaßt als im Vorjahr, ist belanglos, die geringe Beteiligung des Auslan­des nur Italien findet erwähnenswerte Vertretung kaum noch auffällig. Bedenklicher aber erscheint die Thatsache, daß unter den Ausstellern einige unserer ruhmvollsten Künstlerna­men fehlen, und in der Gruppe auserwühlter Gemälde höheren Wertes der größte Teil seit langem, zumeist durch die Mün­chener Jubiläumsausstellung, bekannt ist. Die Vermehrung der Zeichnungen, Pastells und Aquarelle, welcher die Ausstellung ihren zweifellos originellsten Teil dankt, bleibt denn doch nur ein Ausknnftsmittel. Die Abteilung der Skulpturen unterlag in diesem Jahre baupolizeilichen Beschränkungen; doch darf es kaum diesen allein zur Last gelegt werden, daß sie auch in ihrem Wert so wenig gewichtig blieb. Einen Überblick über die jüngste Entwicklungsphase unserer Kunst gewährt nicht die Ber­liner Akademische Ausstellung, sondern der MünchenerSalon." Ans diesem Wege läuft die erstere Gefahr, ihre knnsthistorische Bedeutung gänzlich einzubüßen und in die Reihe jener lediglich den Interessen des Künstlermarktes dienenden Veranstaltungen zurückzntreten, welche die zahlreichen deutschen Knnstvereine in ununterbrochener Folge bieten.

Eine systematische Kritik aller Svndergrnppen erscheint demgemäß in diesem Jahre kaum angebracht. Im Hinblick ans den Hauptbestandteil der Ausstellung, auf jene zahlreichen mehr oder minder tüchtigen Dnrchschnittsarbeiten, welche sich lediglich in den hergebrachten Grenzen bewegen und von ungewöhnlichen Problemen fern bleiben, glauben wir uns nur auf einige all­gemein gültige Bemerkungen beschränken zu dürfen. Sie betref­fen vorzugsweise die behandelten Stoffe, welche in diesen: Jahre zwar keineswegs einen neuen Gesamtgehalt, wohl aber einzelne, zum Teil günstige Wandlungen zeigen. Mit Freude zunächst ist zu begrüßen, daß unsere Historien- und Genremaler sich häufiger und häufiger der Schilderung unserer vaterländischen Geschichte znwenden. Einige Hanptstücke der ganzen Ausstellung gehören diesem glücklichen Stoffgebiete an; aber auch den zahl­reichen inhaltlich verwandten Arbeiten geringeren künstlerischen Wertes kann die Anziehungskraft, welche die dargestellten Per­sönlichkeiten und Typen selbst ansüben, nur Vorteil bringen. Die frühere Vorliebe unserer Historien- und Genremaler für seltsame, unserem persönlichen Empfinden fernliegende Stoffe scheint sich jetzt ans unsere Landschafter übertragen zu wollen, die in immer weitere Fernen schweifen und dem in der That nicht geringe geographische Kenntnisse erfordernden Verständnis ihrer Bilder bereits durch naturwissenschaftliche Erklärungen im Kataloge zu Hilfe kommen müssen. Der zweite Vorzug der diesjährigen vor den vorangegangenen Ausstellungen ist nega­tiver Art: er besteht in dem Mangel eines Stosfkreises, wel­cher vorwiegend unter französischem Einfluß in den letzten Jah­ren eine unberechtigte Ausdehnung gewonnen hatte und gerade die gesunde Entwickelung unsererneuen Schule" ernstlich zu gefährden drohte. Schien letztere doch nicht nur mit der frü­heren Malweise, sondern auch mit den historischen Idealen deutscher Kunst völlig brechen, mit dem «Illein :ä>-» den Bann- strnhl gegen alle Poesie und Romantik, die rückhaltlose Hin­gabe an eine pessimistische Weltanschauung untrennbar vereinigen zu wollen. Die Nachtseite, oder im besten Fall die trübe All­täglichkeit, galt als das bevorzugte Hauptgebiet der Freilicht­malerei, und deren Führung folgte in diesem Sinne auch eine nicht geringe Zahl solcher Künstler, welche in der malerischen Wiedergabe selbst der Überlieferung treu blieben. Dieser Irr­weg scheint seine im wesentlichen auf den Reiz des Sensatio­nellen beruhende Anziehungskraft allmählich einzubüßen. Jene nervenerregenden, grauenvollen Darstellungen, an denen beson­ders die Berliner Jubiläumsausstellung reich war, fehlen in unserem diesjährigenSalon" fast gänzlich. R. von Otten- felds GemäldeGerichtet" wirkt als ein nur vereinzelter Miß­griff. An inhaltlich dürftigen Werken ist freilich kein Mangel, das bunte Gesamtbild aber zeigt auch in seinen Stoffkreisen