in ihr kommt der geistige Gehalt der Scene nicht zu voller Geltung, fehlt der Hauptgestalt die überirdische Kraft und der majestätische Stolz des Titanen. Die Nereiden aber sind ihren plastischen Schwestern an Schönheit gleich, an Würde jedoch weit überlegen. Ihre prächtigen Glieder schmiegen sich in die anstürmenden und zurückgleitenden Wellen in ungewöhnlich schönen Bewegungen, und in ihren edlen Köpfen gelangen Hilflosigkeit und Trauer zu ergreifendem Ausdruck. Schade nur, daß dem in der Zeichnung so trefflichen Bild mit jeglicher satten, leuchtenden Farbe ein koloristischer Reiz fast gänzlich fehlt. — Der gleiche Mangel, aber in weitaus höherem Grade, und mit freilich entschuldbarer Gedankenarmut und kaum noch entschuldbaren Verzeichnungen gepaart, ist das gemeinsame Charakteristikon fast aller auch in diesem Jahre verhältnismäßig zahlreichen Bilder, welche die Wiedergabe unverhüllter weiblicher Reize zum Selbstzweck erheben. Mögen diese Gestalten sich offen als Modellstudien bekennen, oder wenigstens in ihrem Namen die irdische Sphäre von sich weisen, mögen sie sich noch vor dem Bade im hellsten Lichtstrahl sonnen, oder während des Bades bereits zur Schlnmmregion hinabgesunken sein, — sie alle gehören einem ungesunden Zwischenreich an, welches ihnen die rechte Lebenskraft und seelenvolle Schönheit raubte. — Wirkliches Fleisch und Blut und die magische Gewalt des Weibes verherrlicht auf der ganzen Ausstellung nur ein einziges Bild, dessen eigenartiger Vorwurf halb dem romantischen, halb dem historischen Stoffgebiet angehört: der „Hexenschlaf" Albert Kellers. Nicht schön und üppig ist die hier mit entblößtem Oberkörper an den Schandpfahl gefesselte Müdchengestalt, aber lebensvoll, und noch im letzten Augenblick des Daseins macht das heiße Blut, das sie durchpulst, sein Recht geltend. Das Haupt ist mit geschlossenen Augen leicht zurückgesunken, um die Lippen spielt ein träumerisches, fast wollüstiges Lüchelu. Sie veruimmt uicht mehr das Höhnen und Fluchen der Menge, fühlt nicht die versengende Glut der emporschlagenden Flammen und die Stricke, die ihren zarten Leib umschnüren, denn ihren Arm umspannt die Hand des noch im Tode treuen Geliebten. — Ob diese Darstellung historisch zu Recht besteht, ob in der That eine den: Somnambulismus verwandte Empfindungslosigkeit die Qualen des Feuertodes bisweilen minderte, wird sich kaum entscheiden lassen. Die poetische Wahrheit des Bildes, die es durch jenen halb novellistischen Zug erhielt, und seine künstlerische Bedeutung aber bleiben bestehen. Die letztere freilich wäre noch weitaus höher, wenn der Künstler die ihm zu Gebote stehende Ansdrncksfähigkeit der Farbensprache nicht lediglich auf die Figuren des Vordergrundes beschränkt und auch die übrigen Gestalten aus der jetzigen skizzenhaften Untermalung zu wirklichem Leben geführt hätte. (Schluß folgt.)
Drei Drsmen.
Von
I. W.
(Adolf Wilbrandt: „Markgraf Waldemar." — Paul Lindau: „Der Schatten." — Gerhart Hauptmann: „Vor
Sonnenaufgang.")
äußere Reichtum des Berliner Theaterlebens kann uicht lebhafter geschildert werden als durch die Thatsache, daß hier binnen wenigen Tagen drei neue deutsche Stücke aufgeführt wurden und dazwischen noch zwei Neueinstudierungen berühmter französischer Werke die Neugier unseres unermüdlichen Premieren-Pnblikums reizten. Daß diesem äußern Schein der innere Wert nicht entsprechen könne, wird derjenige von vornherein zugeben, der bedenkt, daß auch vor hundert Jahren, zur Goethe-Schiller-Zeit, kaum ans jedes
Jahr ein einziges gutes Drama kam und daß immer nur auf einen Goethe zwölf Kotzebues gehen. Aber der Zufall hat es gefügt, daß die drei Stücke der letzten Woche drei verschiedenen Richtungen angehören und so vortreffliche Beispiele dafür bieten, was unserer Bühnendichtung fehlt.
Es liegt nahe, Adolf Wilbrandts Trauerspiel mit Wildenbruchs „Quitzows" zu vergleichen. Nicht nur der Stoffkreis, aus welchem die beiden Dramen herausgeschnitten sind, ist derselbe, sondern auch das ganz theatralische Bestreben, Motiv auf Motiv zu häufen und den Zuschauer nicht zur Besinnung kommen zu lassen. Wildenbrnch mit seiner brutalen Kraft und seinem lebhaften Theaterblut erreicht seinen Zweck vollständig; die einfachsten Geschichten, welche jedes Kind in Norddentschland lernen muß und begreifen kann, bringt er auf die Bühne und verdankt seinen großen Erfolg nicht zuletzt einerseits der Gedankenarmut seiner Gestalten und anderseits ihrem leichten Humor. Wilbrandt ist von Hause ans der vornehmere, tiefere Dichter; die Wirkung seines Brandenburger Stücks wäre ungleich nachhaltiger als die von Wildenbruch, wenn er nur Kraft und Humor genug gehabt hätte, um überhaupt einen Erfolg zu erzielen.
Wildenbruch hat ohne viel Federlesen ein gutes Theaterstück geschrieben: Wilbrandt wollte gleichzeitig ein Drama schaffen, und darum ist ihm nicht einmal das Theaterstück gelungen.
Die Gestalt des falschen Waldemar ist in der Geschichte eine Shakespearesche Figur. Unser lange nicht nach Gebühr- geschätzter Wilibald Alexis ist dem Stoffe vor beinahe fünfzig Jahren gerecht geworden. Sein „Waldemar" hat etwas von dem königlichen Gelüste und von dem königlichen Geiste eines Heinrich IV. und Richard III. Er ist nur der Dieuer des im Morgenlande verstorbenen Markgrafen; aber so tief hat erbosten Weisheit gefaßt, und so tief hat er dessen Liebe zu der verwüsteten Mark in sich eingesogen, daß er mit gutem Gewissen und mit dem Rechte des Wohlthäters das Seepter ergreifen darf, und mitten in den kleinlichen Jntrigueu der Fürsten als der geborene Herrscher erscheint. So einfach war der Mann ans der Erzählung in das Drama vielleicht nicht hin- überzubringeu; aber Wilbrandt hat sich die schwere Sache noch schwieriger gemacht, indem er die verstaubten Begriffe von Schuld und Sühne hervorholte und den falschen Waldemar den: Urteile des falschen Aristoteles unterwarf. Ich weiß, ich wage ein Majestätsverbrechen gegen den Zopf, — ich weiß, es ist ein Glück für die menschliche Kultur gewesen, daß der alte Aristoteles über barbarische Zeiten hinweg gerettet wurde und bis auf Lessing kam. Aber ich kann den Stoßseufzer nicht unterdrücken: Laßt die Toten endlich ihre Toten begraben, laßt uns endlich für hundert Jahre mit Aristoteles in Ruhe! Das deutsche Drama wird dann vielleicht leichter seilt Ziel finden, und später mag ein neuer Alexandriner des zwanzigsten Jahrhunderts Untersuchungen darüber anstellen, ob die Ästhetik des Sophokles nicht am Ende auch die unsere sei. Einstweilen verlangt die moderne Weltanschauung auch für das Drama eine neue Ethik, und die Kategorieen des Griechen können nur irre führen. Aristoteles ist wie ein schiefgesetzter Wegweiser an einem Kreuzweg; unwissende Holzknechte haben ihn ausgegraben und verkehrt wieder eingerammt; nun stehen seine Arme immernoch im schönsten Verhältnisse zu einander, aber sie weisen ins dunkle Dickicht hinein.
Der „Waldemar" Wilbrandts häuft Schuld auf Schuld, weil er als Schuld empfindet, was einen Staatsmann nicht irre machen darf. Ein richtiger Vollblut-Usurpator würde sich nicht darüber grämen, daß seine Tochter auf ihren Herzallerliebsten verzichten muß, daß er einen abtrünnigen Freund niedergestoßen hat, daß er um seine Herrschaft kämpfen muß. Auch für seinen falschen Fürsten muß das Volk sich opfern, wenn er das Beste des Volkes will. Wilbrandts Waldemar aber ist nnr bis zum Schlüsse des dritten Aktes (auch in der Wirkung, dem Höhepunkt des Dramas) ein ganzer Mann; dann wird er ein sentimentaler Doktrinär, und kein Theaterknifs rettet ihm mehr die Begeisterung des Publikums. Furcht und Mit-