Deutschland.
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wecken dem Herrn Dokter. Aber die Sara, was is 'ne Hci- bim und hilft alle unsere Weiber, wenn sie gehn zu Kind, hat geschrien und gesagt: Woßn bin ich die Sara? Woßn is die Sara hier? Werden wir nischt brauchen dem Herrn Dokter! Und as das Kind nn war geboren —"
„Lebt das Kind?" unterbrach ihn hastig mein Freund.
Rosenzweig kreuzte die Hände über der Brust und sagte:
„Der Herr hat gewollt, daß das Kind lebt. Und als die Rachel is geworden blaß und sich hat gekrnmpfen zusammen, und hat gelegen wie 'n Stain, da Hab' ich wieder gesagt: Werd' ich gehn Wecken dem Herrn Dokter. Aber die Sara hat geschrien und hat gesagt: Waih, se sehloft — laß schliffen auch dem Herrn Dokter. Und as nn die Rachel" — seine Stimme erstickte im Schluchzen, — „as nn die Rachel is nischt wieder anfgewacht, Hab' ich gesagt znm drittenmal: Werd' ich gehn Wecken dem Herrn Dokter. Aber die Sara, was is 'ne kluge Frau, hat geschrien und gesagt: Waih wer, waih mer! Woßn willst gehn noch Wecken dem Herrn Dokter? Siehste nick), daß se nischt mehr is am Leben? Und weil se hat gehabt große Forcht vor dem Herrn Dokter, hat se auch nischt mehr gewannen und die Esther und 's Veilchen sind gegangen fnrt, und - die Rachel liegt nn da und is nischt mehr am Leben."
Er verhüllte den struppigen Kopf mit dem Zipfel des Schlafrockes und weinte bittere Renethranen.
„Führt mich zu ihr," sagte Mein Freund. Seine Stimme zitterte. Auch er kämpfte mit dem Weinen. Dann neigte er sich zu meinem Haupte und rannte mir zu:
„Bleib Du hier. Ich werd' ihm sagen, daß sie auf alle Fülle gestorben wäre, auch wenn ich ihr Beistand geleistet Hütte: das wird ihm die Qual der Selbstvorwürse mildern."
Dann folgte er Rosenzweig, der wie ein Trunkener von dannen taumelte.
Es dauerte lange, bis er wiederkam, und ich hatte gute Weile, über das Gehörte nachznsinnen. Auch meinen armen, nackten Spatz vergaß ich nicht.
Er hatte durchaus keine Lust, in dies elende Leben wieder znrückznkehren. Als ich ihm ein paarmal die kalten Bäckchen gestreichelt hatte, — wohl der einzige Liebesbeweis, den er in dieser Welt erhalten, — kehrte mein Freund zurück, eifrig beschäftigt, Rosenzweig von sich abznwehren, welcher mit Inbrunst den Saum seines Rockes küßte.
Ich that nun auch meinerseits, was in ineinen .Kräften stand, und dann sichren wir ab.
„Und das Neugeborene?" fragte ich.
„Noch lebt es," erwiderte er. „Wie lange — wer kann es wissen? Die klugen Frauen werden das ihrige wohl thnn. Übrigens, sieh hier" — und er zog aus seiner Tasche einen schmutzigen Fetzen Papier, den Rosenzweig ihm überreicht hatte, und der von dessen Thränen noch naß war.
„So groß ist der Schatz, um dessentwillen die schöne Rachel ihre Leben hat lassen müssen!"
Es waren: eine Mark und sünsnndachtzig Pfennige.
Die Grenzen der menschlichen Erkenntnis.
Studie
vvii
Dr. Linkern. (Fortsetzung.)
II.
Die Gesinnung als Grundlage des Erkenntnisdranges.
^^isher legten wir dar, wie die Philosophie znm Brenn- Punkt aller Wissenschaft wird; - doch ist ihr Wesen hiermit nicht völlig erschöpft: denn „Weisheit," die wir als ihr Endziel ans ihrem Wortbegriss schöpften, ist nicht identisch mit „Wissen," vielmehr gesellt sich zu diesem als notwendige Ergänzung jenes ethische Moment, das erst Schopenhauer und Dühring wieder seit Sokrates' Zeiten voll in den Vordergrund stellten: das bloße Erlernen und Wissenwollen des Famulus Wagner muß sich steigern zur bethätigten Gesinnung, „die edlere Achtung des Menschlichen" gilt es mit besonderer Nachdrücklichkeit zu vertreten. Der Drang nach Erkennen ruht, wie bereits einleitend ansgeführt wurde, im Wesen des Menschengeschlechtes; demnach wäre ursprünglich und in gewissen! Sinne jeder einzelne dazu geschaffen, Philosoph zu sein. Aber wie jeder den Namen eines Menschen führt, und doch Diogenes mit der Leuchte bei hellein Tage erfolglos einen einzigen suchte, der diesen Namen in ganzein Sinne verdiente, so dürfen auch wir getrost seine Fackel erborgen, und kaum dürfte es glücken, unter Millionen einen zu finden, der des Ehrennamens eines Philosophen würdig wäre. Selbst das heißeste Verlangen nach Lernen und Erkennen genügt eben nicht: ein Sinn, der wahr ist gegen sich selbst, ehrlicher Mannesmnt, der eintritt für das als wahr Erkannte, Opfermut, rastlose, zähe Energie, die auch dann nicht erlahmt, wenn die lockende Frucht am Baume des Tantalus stets von neuem zurückgcschnellt wird, wo sind diese Eigenschaften vereint?
Wohl fühlen ihn manche, den Funken, der in des Fau- stns Seele glimmte, aber sie lassen ihn verlöschen unter der Asche satter Selbstgenügsamkeit: andere werden durch ein glücklich-unglückliches Temperament ferngehalten den tief aufwühlenden Regungen, die nie zu gedeihlichen! Ziele zu führen den Anschein haben, die uns nur, wie es bedünken will, deswegen hinanslocken in lmntbewimpeltem Schiss ans das Meer des Lichtes, um uns die Heimkehr zu bereiten in geborstenen! Nachen; so mancher vertrocknet in toter Anbetung gegebener Formen, scheuend jenes Pochen in der Brust, das ihn verstoßen will in die Unruhe des Vorwärtsstrebens, jenes Pochen, das doch allen Fortschritt im Menschenleben erzeugt und in die Tafeln des Schicksals einmal mit kreischendem Griffel andere Striche eingrübt, als das ewig-monotone: „er lebte, nahm ein Weib und starb." Und wenn es in solchen einmal nufflammen will, daß sie mehr sind als das Tier des Waldes, das sich genügen läßt, seine Nahrung zu suchen, wenn sie einmal ein Widerstreben fühlen, zu haften an der Scholle des Gegebenen, wenn es sie einmal verdrießt, stets zu wandeln durch heitere Gefilde, ans denen nur Blumen wachsen und zarte Gräser, wenn es sie einmal zwingen will, die Kraft zu erproben und den Nachen zu führen in Sturm und Wellen und feindliches Walten, dann tritt die Furcht hervor um das Gedeihen des materiellen Behagens, die Sorge um die Pfründe und das Amt, oder gar der Gedanke an Giordano Brunos martervvlles Ende. — Allerdings ist es leicht, den Glauben an Autoritäten als Wall zu nehmen gegen jede Gefahr, zu fliehen hinter Mauern, die andere gebaut; aber unwürdig ist es des Mannes, und wenn der rastlose Kämpfer dereinst von Walküren über die Bisrostbrücke geleitet wird nach Walhall, so wird derjenige, welcher den Strohtod der dumpfen Selbstgenügsamkeit stirbt, in Helas dunkles Schattenreich rühmlos versinken.
Wo aber sind die Gefahren, welche den Forscher bedrohen? Noch sind sie nicht vorüber, die Zeiten, wo ein Christian Wolfs wie ein Verbrecher verjagt wurde vom Lehrstuhl,