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Deutschland
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wo Engherzigkeit und Unduldsamkeit die Sorge erweckt um das materielle Gedeihen und jeden znrückschreckt, der schwächer ist als Sokrates oder Spinoza, weniger entsagungsvoll als Schopenhauer oder Dühring. Und nicht von außen allein drohen Gefahren, — verderblicher sind die Klippen, die aus uns selbst uns entgegenstarren. Blicket hinaus auf jenen Jüngling, der mit Segeln, geschwellt vom Hauche der Begeisterung, Hinnustrieb in die See, wie er jetzt, vergebens die Landung erspähend, sich im Kampfe zerreibt und zergeht; nicht gewarnt wird er durch Ariels Zauberstimme, — hilflos zerschellt er am Felsen des Selbstmordes und versinkt in dem Meere der Ewigkeit! Jenem droht eine andere Klippe. Neben ihr ruht gleich der Seylla hundertarmiger Wahnsinn und zieht Schiffe und Nachen in unergründliche Tiefen. Vorüber zu segeln gilt es an dem Sirenengesang des Genießeus; vorüber an dem seligen Eiland der Nymphe; — in der Ferne harret Penelope, das ernste Glück des Erkennens.
Wer auf den beglückenden Gefilden landen will, der muß im wesenlosen Scheine hinter sich gelassen haben die Illusionen, die süßen Tändeleien der Jugend. Der Geist wird nicht allein gereift durch das Eindringen in das Wissen, sondern er muß gestählt und geprüft sein durch die Erfahrung eines intensiven Lebens. Wie die Gestalten eines dramatischen Dichters erst dann Fülle und Wahrheit gewinnen, wenn ihr Schöpfer ans den Erfahrungen des Lebens zn schaffen Fähigkeit erlangte, so mag der kühne Idealismus der Jugend oder ihre wellschmerzliche Resignation unsere Teilnahme gewinnen, — Inhalt und Wahrheit gewinnt erst die philosophische Anschauung des ernstdeukenden Mannes. Die Jugend, gefüllt den Kopf von den bunten Bildern der Zukunft, gestattet der Empfindung den Sieg über den Zwang der Vernunft; so mancher glaubt seine Ansicht gefestigt für ewige Zeit — ein Mehltau sinkt herab, ein heftiger Sturm braust daher, — vernichtet und verweht liegen die Blüten; laßt die Hoffnung zerrüttet sein im Liebesleben und der Idealist von heute ist gerade so verwandelt, als wenn er dialektischen Sophismen des überlegenen Geistes gehorcht.
Lebenserfahrung, Energie des Charakters, auf solchem Grund erlangte Gesittung, das ist die aouckitio sine cgm non; positives Wissen, zusammengefaßt in verständigem Überblick, bildet die andere Seite.
Wir sind am Ziel dieses Abschnittes, und doch ist noch ein Punkt zu erläutern: Um im Bereiche der Kunst Neues zu schaffen, bedarf es des Genius Hauch; profundes Wissen allein schafft nur ein Werk, das, wie Hubers heimliches Gericht, der Regel entspricht und doch niemanden erfreut; aber auch des Genius Augenblicksschöpfung gewinnt nur rauschenden Erfolg, nicht dauernde Wirkung; aus dem Gipfel weilt stetig der Künstler erst dann, wenn der schäumende Wein sich geklärt hat, wenn die brausende Kraft temperiert ist durch Erfahrung und Wissen: Jahre und Jahre verwandte Schiller, eh' ihm sein größter Wurf gelang, Wallenstein; durch ein Leben so laug, wie es wenigen Sterblichen die Götter vergönnen, schuf Goethe am Faust. — So ist es in der Philosophie: wer hier das Höchste erreichen will, der muß den Götterfunken in seiner Brust tragen, der des Genius Fackel entzündet; doch seine Schöpfungen allein gleichen flüchtigen Schatten — fast sechs Decennien zählte Emanuel Kant, als sein Hauptwerk dem Denken neue Grundlagen schuf.
So schafft der Genius, wenn er durch Wissen und Erfahrung gefestet zur wahren Sittlichkeit gelangt, neue Bahnen zur Erfassung des Daseins. Gleichwie aber nicht jeder berufen ist, als Künstler neue Wege zu erschließen, sondern sich genügen lassen muß, dem Fluge des Meisters zu folgen, so ist es nicht ein Kriterium des Philosophen, ein neues Denkge- büude zu errichten, ein neues System zu ersinnen; doch viel ist es, ja genug, den Gedanken der Größten nachzudenken im stände zu sein. Auch hier gilt des Apollo weises Wort: „Erkenne Dich selbst."
Sei ein tüchtiger Geselle, nicht jeder ist znm Meister berufen.
III.
Wenn bisher die Notwendigkeit des Zusammenhanges zwischen dem Erkenntnisstreben und dem Verlangen nach sittlicher Vervollkommnung entwickelt wurde, so wird unsere Thütig- keit eine doppelte sein müssen, wenn anders sie den letzten Zweck erreichen soll, das Dasein in seinem Wesen zu erfassen und das Erkannte in „Einklang zu bringen mit dem Gemüt." Erkenntnis und Sittlichkeit laufen einander parallel: wie echte Sittlichkeit uns auf den Weg des Erkennenwollens führt und aus ihm weiterleitet, so wird die Erkenntnis des Wahren unsere Sittlichkeit fördern und uns helfen, die Regeln für unser individuelles und soziales Leben zu finden. Die Grundlage aber wiederum muß die Kritik unseres Erkenntnisvermögens überhaupt bilden, eine Grundlage, auf der es möglich wird, hochragende Türme und strahlende Kuppeln sicher zu errichten. Dies scheint ein ungemein natürliches Postulat, und doch sind kaum hundert Jahre verflossen, seitdem die Frage korrekt gestellt und prinzipiell richtig beantwortet wnrde, ob unsere Er- kenntnisfühigkeit eine unbeschränkte ist, oder sich in Grenzen befindet, die folgerichtig auch die Gegenstände eiueugeu, denen unser Forschen gilt. Vorher waren weitaus andere Bahnen gewandelt worden, die stets in Sackgassen verliefen, weil die erste Frage nach den Grenzen unserer Erkenntnisfühigkeit keine Antwort fand.
Wie der Jünger, der sich gläubig den Worten des Meisters hingiebt, jegliche Prüfung vermeidend, in allen heraudrängenden Fragen der Religion zu einer abgeschlossenen Meinung gelangen kann, so daß er jeden Angriff mit den Worten der Schüler des Pythagoras zurückzuschlagen meint: „Er selbst hat es gesagt," so kann auch der Philosoph von gewissen vorgefaßten Ansichten aus einen Weg zn unerwünschten Jrrtümern Anschlägen. Solch „Dogmatismus," der nicht nur an dem für wahr Erkannten unabänderlich fefthült, sondern auch gewisse Probleme, die ihm entgingen, oder die zu berühren er sich scheute, der Berücksichtigung entzieht — solch Dogmatismus ist uralt und kehrt in höherem oder geringerem Maße in jedem System so lauge wieder, bis der Mensch mit seinem Geiste die Gestirne berührt und ihnen das Licht entnimmt, die Finsternis der Ewigkeit mit seinem Strahl zu erleuchten. Der Zwang, auf Gegebenem gewissermaßen zu fußen, wäre nun traurig, wenn dies nicht in beschränktem oder nur in ganz allgemeinem Sinne zu verstehen wäre, sofern nämlich jede Wahrheit nur subjektive Wahrheit bleibt. Die Philosophie teilt ihr Los eben mit jeder anderen Wissenschaft: jahrtausendelang war die Erde der Mittelpunkt des Weltensystems, bis die großen Astronomen an der Wende des Mittelalters die alten Gebilde in die Rumpelkammer der Phantasie verbannten und so auch das Piedestal zertrümmerten, auf welches die Menschheit in erträumter Gott- ühnlichkeit sich selbst gestellt; so haben die Forscher es versäumt, die natürlichen Grenzen des menschlichen Erkennens und somit den rein relativen Wert jeder Erkenntnis festzustellen. Erst Kant und seine Vorarbeiter Locke und Hume legten die prüfende Hand an die verborgensten Fasern und schufen die Geleise, auf denen der stolze Wagen der Philosophie weiterrollen wird zum letzteu Ziel. — Wenn nun aber, solange die letzten Geheimnisse unseres Erkennungsvermögens nicht enthüllt sind, jedes System in gewissem Sinne ein dogmatisches ist, d. h. auf unbewiesenen Voraussetzungen beruht, muß da nicht der Einwand sich erheben, daß nicht nur bisher alles Forschen und Denken umsonst gewesen, sondern überhaupt vergeblich und vom Übel sei? Dieser Einwand ist leicht widerlegt. Denn nicht nur vom Unrechten Ausgangspunkte kam: man vielleicht das Gewand, das die Wahrheit verhüllt, um ein weniges lüften, die gänzliche Enthüllung Spütgeborenen überlassend, sondern auch dann, wenn man, statt das Gewand jener Göttin zu fassen, das der Phorkyas hebt, wird der Irrtum zum Besseren leiten. Denn der Irrtum gerade ist das Mittel, welches die Menschheit vorwärts trägt. Mögen Systeme auch zusammen- stürzen, Bruchstücke und einzelne Steine werden neuen Mauern eingefügt, auf daß sich ein Tempel des Wissens erhebe, strahlender