Heft 
(1889) 13
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Deutschland.

als des Parthenon Marmor, erhabener als die Kirche Sankt Peters, nnd höher ragend, als die Zinnen von Zion. Wir wissen, wo Sokrates, wo Plato irrte nnd Epikur, und doch, wer möchte behaupten, daß nicht das Wehen ihres Geistes hineinbraust auch in unsere Welt? Wie der Mensch von dem Mark seiner Ahnen Atome trägt, so fußt der kommende Phi­losoph aus dem Früheren, dessen Sätze gleich Samenkörnern verstreut sind in dem Bewußtsein der Menge, und auch er wird die gefundenen Anschauungen in den empfänglichen Boden als Keime neuer Früchte säen.

Der Dogmatismus im engeren Sinne kennt, wenn nur alle ans Offenbarung gegründete Anschauung der Theologie überweisen, zwei Ausgangspunkte: der eine sich gründend ans Denkkonstruktionen, der andere fußend auf deu Thatsachcu der Erfahrung. Das klassische Beispiel der ersteren Methode, eines aphoristischen Dogmatismus, gewährt die Lehre des Spinoza: indem er die Definition des Substanz- oder Gottesbegriffs seinem Lehrgebäude zu Grunde legt, vergißt er zu untersuchen, woher seine Kenntnis dieses Begriffes stammt, und indem er ihn ohne weiteres in reale Existenz umsetzt, schafft er den Be­weis vom Dasein Gottes und der Einheit des Seins, von der Gesetzmäßigkeit alles Geschehens und von der Identität von Geist und Natur. Auch der Empirismus, der sich in schein­bar schärfstem Gegensatz zu befinden meint, prüft, wenn er meint, die Objekte seien durch die Erfahrung begreifbar, nicht die Grundlage seines Gebäudes. Sehen wir ab von den Em­pirikern des Altertums, so ist der vornehmste Begründer dieser Richtung Baeon von Berulam, der, vom Experiment zur Er­fahrung gelangend, die allgemeinen Gesetze gewinnen will, nnd der Wissenschaft nur den Zweck zuerkennt, die Beacht des Menschen über die Natur zu erhöhen. (Fortsetzung folgt.)

Tod und Unsterblichkeit.

Betrachtungen im Lichte der heutigen Naturforschung.

Von

». Theodor Icrensch.

cT^n den letzten zehn Jahren hat sich die Naturforschung einer Frage zngewandt, welche die Menschen von jeher bewegte, ohne daß man den Gedanken der Lösung wagte: der Frage nach dein Wesen des Todes nnd der Begrenztheit des Lebens.

Die Forscher Weismann, Götte, Eimer, sowie der früh- verstorbene Rolph haben sie in Fluß gebracht, der Zweitge- nnnnte allerdings als Gegner der übrigen. Aber sie alle haben die Beantwortung ernstlich versucht. Schon die ersten Ge- dankengänge in der eingeschlagenen Richtung förderten ein über­raschendes Ergebnis zu Tage.

Der Tod ist keine allgemeine Erscheinung in der Natur. Es giebt unsterbliche Wesen.

Aber nicht diehöchststehenden" der Schöpfung sind cs, sondern die einfachsten, die sogenanntenniedersten" Formen, die auf und an der Grenze pflanzlichen und tierischen Lebens stehen. Ihre Einfachheit ist es, die ihnen Unsterblichkeit sichert.

Es sind nicht neue Beobachtungen, die dieses Ergebnis erarbeitet haben. Wie so oft in der Geschichte der Wissen­schaften, trafen fruchtbare Gedanken von verschiedenen Seiten fast gleichzeitig zusammen und faßten die angesammelten That- sachen unter einen Gesichtspunkt. Uni die Deutung handelt es sich, nicht uni die Dinge.

Das Glockentierchen, das heute unter dem Mikroskop dem Forscher sein Dasein enthüllt, ist freilich nicht mehr dasselbe wie vor tausend Jahren. Aber auch der Mensch ist nicht mehr derselbe heute wie gestern, und wird morgen ein anderer sein, leiblich und geistig. Dennoch stirbt er zuletzt und endet sein Einzelleben, auch unter den günstigsten Umständen: das Glocken-

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tiercheu nicht. Es kam: nur gewaltsam getötet werden. Den ungezählten Billionen, die in jedem Augenblicke diesem Schick­sal verfielen, stehen gleich unermeßliche Scharen derer gegen­über, die noch heute seit Ewigkeit leben. Sie müssen weiter leben, solange sie die Bedingungen zum Leben finden : sie kön­nen sterben, aber nicht absterben.

Das Wesen des Ganzen ist: Im Menschen, im Eichbaum, im Wurm, im Schachtelhalm giebt es sterbliche und unsterb­liche Teile; aber immer aufs neue sondern sich ans den letz­teren Einzelwesen von begrenzter Dauer ab, während sie selbst sich ergänzen und vermehren. Beim Glvckentierchen oder beim Qualster scheidet sich stets nur Unsterbliches von Unsterblichem : sie vermehren sich ins Unendliche nnd dvch giebt es nicht Eltern noch Kinder. Sie sind beide eins, und sie alle leben fort und sind stets gleich alt.

Um dies vollkommen verständlich zu machen, ist es nötig auf den Begriff der Zelle zurückzugehen. Das Wesen der Zelle hat die Wissenschaft erst in unserm Jahrhundert klargelcgt. Schon Malpighi hatte sie bei den Pflanzen gesehen, vor zwei­hundert Jahren nun; aber er hielt, was er sah, für Kammern, vergleichbar den Bienenzellen; und daher erhielten sie den Na­men. Der Name ist geblieben, aber der Begriff hat sich mit dem Fortschreiten der Forschung gewandelt; die Vorstellung, die wir jetzt von deu einfachsten Bestandteilen des Tier- oder Pslanzenkörpers haben, hat mit der jener hinter lins liegenden Zeit keine Ähnlichkeit mehr.

Hemte wissen wir, daß die sogenannte Zelle im Urzustände nichts weiter darstellt, als ein formloses Klümpchen eines eigen­tümlichen gleichartigen Stoffes, der als der Träger alles Lebens betrachtet werden muß. Wir nennen ihn Lebensstofs, Keim­stoff, Zellstoff, Bildnngsstoff, Urschleim, Protoplasma. Seine chemische Grundlage wird voll den sogenannten Eiweißverbin­dungen gebildet, aber er ist für jede Lebensform, ja für jedes Einzelwesen unendlich wenig verschieden; er muß es auch sein, da er sonst nicht so verschiedenartige Lebensäußernngen an den Tag legen könnte. Diese Verschiedenheiten sind freilich unend­lich feiil und unfaßbar für unser heutiges Handwerkszeug wissen­schaftlicher Forschung, nnd wohl noch auf lange Hinalls wird die Chemie nicht daran denken dürfen, sich ihrer zu bemächtigen. Das Mikroskop hat uns bisher noch weiter geführt; aber was wir mit seiner Hilfe erkennen, ist unbestimmt lind läßt uns mehr ahnen und hoffen, als wissen. Einiges aber können wir doch den Leistlingen unserer derart gesteigerten Sehkraft ent­nehmen.

Das Wichtigste davon ist, daß wir bei den meisten Zellen, meist in der Nähe der Mitte, eine dunklere, undurchsichtigere, rundliche oder längliche Anhäufung verdichteten, jedesfnlls wasserärmeren Bildungsstoffs wahrnehmen, welche wir Kern (Nneleus) nennen. Oft enthält dieser noch ein oder zwei Stellen abermals stärker verdichteter Masse, Kernkörperchcn oder Nucleoli. Nicht alle Zellen enthalten den Kern; wo er aber vorkommt, erweist er sich als der wichtigste Teil, um den sich alles dreht, wenn uns auch das Wesen dieser Wichtigkeit vorläufig ver­borgen bleibt. Die Zellen, denen er fehlt, nennen wir nach Haeckels Vorgänge Urzellen (Chtoden), zum Unterschied von den gewöhnlichen Kernzellen (Chten).

Diese Zellen sind die Form- und zugleich Lebensein- heiten alles Lebendigen: für unseren heutigen Gesichtskreis. Denn auch der Begriff einer Einheit ist ja stets ein bezüg­licher. Sie sind aber dem Auge deutlich erkennbar; was dar­über hinausgeht, ist Gedankenerzeugnis, im besten Falle abge­leitet aus undeutlichen sinnlichen Wahrnehmungen ; mehr gelesen als gesehen. Es läßt sich eigentlich nichts weiter darüber sagen, als daß die im allgemeinen gallertig-schleimige Masse zugleich einen körneligen Eindruck macht. Freilich sieht man oft auch allerhand Einschlüsse von deutlich umschriebener Gestalt; aber sie gehören nicht der lebcnsinhaltlicheu Masse selbst an; sie sind nachgewiesenermaßen bereits Sonderungserzengnisse der­selben: Sastblasen, Oltropfen, Stärkekörnchen, Krystnlle und dergleichen.