Heft 
(1889) 13
Seite
220
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Deutschland.

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Vielleicht der beste Name für die besagte Zell-Grundmasse ist der von Moleschott ihr verlieheneKeimstoff;" denn die Grundlage alles Keimens bildet sie, und in jeder Keimzelle ist sie als Hauptbestandteil enthalten. In allem Jungen, Wach­senden ist sie nachznweisen. In den ausgewachsenen Teilen der Lebewesen ist es anders. Hier hat sich ans ihr alles das geformt und umgebildet, was nun einmal znm Aufbau des Leibes, besonders bei größerem Umfang, gehört; sie hat sich ans bestimmte Körpergegenden zurückgezogen und in den übrigen sich selbst hingegeben, um anderes werden zu lassen. Biele Zellen gleicheil nun wirklich leerer: oder nur znm Teil noch gefüllten Kammern. Dennoch durchzieht sie auch in diesen Teilen, wie erst die Untersuchungen der letzten Jahre für die Pflanzen gelehrt haben, in feinen, kann: wahrnehmbaren Strän­gen das Ganze, so daß sie selbst durch das gewaltigste Lebe­wesen sich als eine einzige Masse verästelt. Im Reich der Gewächse aber ist eines ihrer ersten Ansscheidnngserzeugnisse fast stets eine eigentümliche, hantartige Hülle, mit welcher sich die ganze Zelle sonach nmgiebt, während bei den Tieren dies den Ansnahmefall darstellt. Wir finden also als dritte Hanpt- form neben der Urzelle und der nackten Kernzelle die kern­haltige Hüllzelle, von welcher häufig znm Schluß nur noch die Hülle samt ihren späteren Verdickungen und Einlagerungen übrig bleibt. Von letzteren ist eine der häufigsten der eigen­tümliche Holzstoff unserer Bäume.

Nicht so durchgreifend sind die Verschiedenheiten aber im Bereich der einfachsten Wesen, bei denen auch die Zahl der Zellen beschränkt ist; in den äußersten Füllen auf eine. Und diese Fülle gerade sind die häufigsten. Zu ihnen gehört die Hauptmenge der meist nur unter künstlicher Vergrößerung er­kennbaren Urwesen oder Erstlinge (Protisten), von Haeckel so genannt; weshalb er auch vorschlügt, sie mit anderem Namen, vielleicht noch bezeichnender,Zellinge" zu taufen. Von ihnen sind Ehrenbcrgs Aufgußtierchen (Infusorien), mit deren Kennt­nis der Berliner Forscher in der ersten Hälfte unseres Jahr­hunderts die Wissenschaft bereicherte, noch lange nicht die ein­fachsten; bei ihnen unterscheidet das Auge noch innere Gliede­rungen verhältnismäßig vollkommener Art, nur nicht zellige Teilsonderung: selbst Mundöffnungen und ähnliche Dinge sind vorhanden. Von all den: ist bei den Wurzelfüßlern (Rhizo- poden) oder gar bei den Urlingen, wie Haeckel dieMoneren" verdeutscht, keine Rede; die letzteren haben nicht einmal einen Kern und stehen gleich den Zitterlingen oder Spaltpilzen (so­genannten Bakterien) als ganze Wesen zeitlebens ans den: Standpunkt der Urzelle.

Wenn ein belebtes Schleimklümpchen solcher Art durch Nahrungsaufnahme, die von außen her an: ganzen Körper durch einfaches Umfließen der Beute stattfinden kann, sich ver­größert, alsowächst," so erreicht es bald einen Umfang, dessen weiterer Zunahme Grenzen gesetzt sind, weil sie von der Zu­nahme des Inhaltes noch übertrofsen wird. Hieraus entsteht nämlich ein Mißverhältnis zwischen Nahrungsaufnahme und Nahrnngsbedarf. Denken wir z. B. an eine Kugel, deren Form sich ja derartige Kleinwesen vorzugsweise zu nähern pflegen, so ist es bekannt, daß bei einer etwaigen Vergröße­rung der Umfang in: geviertischen, der Inhalt in: räumlichen Verhältnisse des Halbmessers znnimmt. Wenn von zwei Ku­geln die eine den doppelten Halb- oder Durchmesser der an­deren hat, so hat sie die vierfache Oberfläche und die achtfache Gefamtgröße. Und dieses Mißverhältnis nimmt mit großer Raschheit zu: dem dreifachen Dnrchmaß entspricht bereits eine neunfache Außenfläche und ein siebennndzwanzigfncher Raum­inhalt. Ist nun die Kugel belebt und ihre Außenseite zugleich ihre Verdannngssläche, so ist leicht einznsehen, daß die ver- nennfachte Nahrungsaufnahme die Bedürfnisse des siebennnd- zwanzigfach gewachsenen Körpers nach Ersatz der unbrauchbar gewordenen Teile nicht inehr wird decken können. Hiergegen muß Abhilfe eintreten, und dies geschieht ans verschiedene Weise.

In den meisten Füllen geschieht es durch Teilung. Der allzusehr angewachsene Keimstoffkörper verdichtet sich nach zwei

Richtungen hin stärker als bisher, in den übrigen Teilen lockert sich der Verband, die ganze Masse schnürt sich förmlich in der Mitte ein, schließlich hört der Zusammenhang auf, und das Ganze zerfällt in zwei Teile. Ist ein Zellkern vorhanden, so geht die Teilung in der Regel von diesen: ans; doch folgt er auch manchmal erst nach. Er wird dabei in eigentümlicher Weise förmlich auseinander gezerrt, und die zwei Hälften hangen noch längere Zeit durch bogige Fadenstränge zusam­men, ähnlich dem Bilde, das die Anordnung zwischen Magnet­polen aufgestreuter Eisenfeilspüne, oder der Lichtbüschel beim elektrischen Kohlenlicht (Bogenlicht) darbietet. Schließlich reißen die Zerrstrünge durch und ziehen sich zu je einer Hälfte zurück, sich mit dieser abrundend. Hat die Zelle eine Hüllhaut, so geht die Teilung zunächst innerhalb dieser vor sich, und dann erst erfolgt die vollständige Trennung durch Bildung einer Scheidewand. Ans der einen Zelle sind zwei geworden; der wünschenswerte Ausgleich ist vollzogen; die Oberfläche ist ver­mehrt, der Inhalt verringert. Jedes Teilstück kann für sich aufs neue wachsen, bis es abermals der zulässigen Grenze sich nähert.

Welche Kräfte den Keimstoff veranlassen, im gegebenen Augenblick sich derart gesondert zu ballen und dadurch die Tei­lung cinzuleiten, wissen wir nicht. Wir dürfen aber wohl an­nehmen, daß es innere Kräfte sind, die vielleicht erst durch die Einschränkung der von außen stammenden Nahrnngsznfnhr zur freien Wirksamkeit gelangen. Um Anziehnngs- und Ab- stoßungskrüfte handelt es sich augenscheinlich; soweit wir näm­lich berechtigt sind, diese Ausdrücke auch anderwärts anznwen- den, z. B. bei den elektrischen Körpern. Wo wir in das Wesen der Erscheinungen noch nicht tief genug eingedrungen sind, hel­fen Nur uns mit Bildern.

Es fragt sich nun, ob die beiden Teilhälften sich ganz voneinander trennen, oder zusammen bleiben. Einzig hierauf beruht in: Grunde der Unterschied zwischen den kleinsten, ein­zelligen Wesen und den größten. Was hier in Kürze ange­geben ist, geht tagtäglich in uns selbst, in: Fisch, in: Vogel, in: Bann: oder in: Kraut wie in: Wassertang vor sich. Bei all diesen Wesen, die znm größten Teile ans Billionen von Zellen bestehen, geschieht alles Wachsen durch Teilung der Teile; das Wachstum der Zellen für sich ist begrenzt. Wenn aber ihrer Vieltausende zugleich wachsen, erzeugt die verviel­fältigte Ursache dennoch gewaltige Wirkungen. Hat es doch für jedes der erwähnten Lebewesen eine Zeit gegeben, da sie nur ans einer einzigen, kaum sichtbaren Zelle bestanden, und an Größe gleich waren einem Jnsusor.

Im Keimznstand ist jedes Wesen eine Zelle, und jede ist belebt. Die einfachsten Geschöpfe aber verharren auf die­ser Stufe.

Denn wenn ein Glocken- oder ein Sonnentierchen sich teilt, so runden seine Teilstücke sich bald völlig ab und gehen aus­einander als zwei getrennte Wesen. Welches ist nun die Mut­ter, welches die Tochter?

Diese Frage wird kann: jemand beantworten, so natürlich es erscheint, sie zu stellen. Sie führt zu der unabweisbaren Erkenntnis, daß selbst so einfach und selbstverständlich erschei­nende Begrifsstrennnngen nicht überall angewandt werden kön­nen. Nur Übergänge kennt die Natur.

Ohne Zweifel kann man jedoch sagen, daß die beiden Teilstücke Geschwister sind. Aber wo bleibt dann die Mutter?

Man wird einwenden, daß das ursprüngliche Zellwesen die Mutter, die beiden Teilzellen die Töchter seien. Aber dann bleibt die letzte Frage ebenso berechtigt wie vorher.

Ist die Mutter verschwunden? Man kann ja und nein darauf antworten. Aber verschwunden ist sie jedessalls nur in dem Sinne der Beziehung zu ihren Tvchterhälften. In ihnen lebt sie zweifellos fort; beide zusammen machen die Mutter aus. Sie sind also doch wieder zugleich die Mutter selbst: die Schwierigkeit liegt nur darin, daß sie sich getrennt haben und jede für sich ein selbständiges Leben führen. Wo dies nicht geschieht, tritt gar keine solche Schwierigkeit ein; bei den