Heft 
(1889) 13
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Mehrzelltieren oder -Pflanzen bleiben die Teile zusammen, nnd das Ganze gilt nns einfach als dasselbe Wesen wie zuvor: es ist nurgewachsen."

Wir können mit den Begriffen von Mutter und Kind hier überhaupt nichts anfangen.' Der Streit wäre auch müßig.

Aber eines können wir mit Bestimmtheit sagen: es ist nichts gestorben bei diesem Vorgänge. Mögen wir es Mutter oder Tochter nennen, alles lebt, im Ganzen oder in seinen Teilen. Gestorben ist hier nur ein Begriff, ein wesen­loser' Schatten: genauer, er war eigentlich gar nicht vorhanden, nur fälschlich hereingebracht von dem Verhalten der nns be­kannten höheren Wesen her. Es ist nichts zurückgeblieben, keine Spur einer Leiche.

Es ist aber auch nichts zurückgeblieben, das späterhin abstirbt, znm Sterben bestimmt wäre. Wir können den Tropfen Wasser, in dem wir das Leben eines Pantoffeltierchens unter dem Mikroskop beobachten, verdunsten lassen, es samt dem Glnsträger ins Feuer werfen nnd töten; oder ein Starrling (Teiiieta) kann es mit seinen Sangröhrchen festhalten nnd ihm den Lebensstoff entziehen; oder gar ein grüner Armpolyp, die furchtbare Seeschlange der Wasser-Zwergwelt, kann es ver­schlingen. So endigt es sein Einzeldasein. Aber wenn nichts dergleichen geschieht, wenn ein günstiges Geschick ihm die dro­henden Führlichkeiten erspart, die seinesgleichen bereitet sind, dann hat jede der beiden Teilhälften eines vorher einzelligen Gesamttieres die gleiche Fähigkeit, aufs neue zu wachsen und sich zu teilen, und unter sonst ausreichenden Bedingungen ge­schieht dies überall und jederzeit. Nur wo die Lebensbedin- dnngen überhaupt abgeschnittcn werden, also nur durch äußere Umstünde, ist ein Anshören des Lebens möglich; wo Nahrung, Feuchtigkeit nnd Wärme sich finden, dauert es fort; nnd wo es fortdauert, äußert es sich durch Wachstum und Teilung, nnd unzählig wird die Zahl der Geschwister. Wir brauchen bloß zu fragen, wo das Pantoffeltierchen herstammt, das wir jetzt gerade sehen, nnd wir finden, daß es noch immer ein Stück eines gleichartigen Wesens ist, das schon vor fünf Jahr­hunderten lebte, nnd daß wir bei diesem dieselbe Frage stellen nnd dieselbe Antwort geben können. In der ganzen Zeit, seit eS dergleichen Wesen aus der Erde giebt, sind nur die von ihnen untergegangen, die einem gewaltsamen Tode verfielen; alle anderen lebten weiter, denn nie blieb bei der Teilung ein sterblicher Rest; alle, die in einem gegebenen Augenblicke leben, sind Geschwister und gleich alt, denn sie sind alle noch über­lebende Stücke derselben Einheit, von der sie sich vor Jahr­tausenden abzweigten: wenn sie auch nicht mehr diese selbst sind. Aber die Veränderungen, die sie inzwischen durch fort­währende Nahrungsaufnahme nnd Stofswandlung erlitten haben, sind nicht anderer Art, als sie der Mensch erleidet, wenn er von einem Tage zum anderen lebt nnd unbrauchbar gewordene Teile durch neue ersetzt. Er gilt uns doch noch als derselbe. Von dem, was wir gemeinhin unter Tod verstehen, ist dabei keine Rede; denn dann wollen wir etwas Gestorbenes sehen. Der Begriff einer Leiche ist unzertrennlich von dein des Todes: dies ist wenigstens der allgemeine Sprachgebrauch.

Es ist nun keineswegs erforderlich, daß die Teilung eines derartigen Lebewesens genau in der geschilderten Weise vor sich geht; wenn dies auch der weitaus häufigste Fall ist. Oft zer­fällt die Zelle z. B. gleichzeitig in eine größere Anzahl neuer Gebilde, statt sich erst in zwei, dann in vier, dann in acht, sechzehn, zweinnddreißig n. s. w. zu teilen. So geschieht es unter anderem bei dem zu den Strahlingen jRadiolarien) ge­hörigen oder ihnen wenigstens nahe verwandten Sonnen­tierchen, von dem es übrigens zwei Arten, ein größeres, viel­kerniges und ein kleineres, einkerniges giebt. Beide leben, un­gleich den meisten ihrer nächsten Verwandten, im Süßwasser. Das erstere, auch Strnhlenkügelchen genannt, erreicht die Größe eines Stecknadelkopfes, ist also mit bloßem Auge sichtbar und findet sich ans dem Schlammboden unserer stehenden oder lang­sam fließenden Gewässer. Alan kann an seiner Körpcrmasse bereits eine schaumige, lockere Rindenschicht von einer dunk-

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^ leren, inneren Markschicht unterscheiden, in welcher auch die 'Kerne liegen. Seinen Namen verdankt es dem Umstande, daß ^ von der Rindenschicht zahlreiche sogenannte Scheinsüßchen (Psen- ^ dvpvdien) ansstrahlen, welche aber nichts anderes sind, als ^ äußerst zarte Keimstoffsäden, die das Tier nach Belieben ans­strecken oder spurlos wieder einziehen kann; nach ihnen hat die ganze Klasse der Wurzelfüßer ihren Namen, zu der die : Strahlinge samt dem Sonnentierchen gerechnet werden. Die ^ meisten freilich leben im Meere und scheiden ein häufig sehr zierliches Kieselgerüst aus, welches mit unzähligen Löchern zum Durchtritt der weichen Strahlsüden versehen ist, daher sie auchGittertierchen" heißen; andere, wie dieKnmmerticrchen," bilden kalkige Gerüste von meist schneckenhausartiger Be­schaffenheit, aber ebenfalls mit zahllosen seinen Dnrchtritts- löchern. Solche Kalkschaler unter den Wurzelfüßern haben mit ihren Resten die felsigen Massen weißer, schreibender Kreide gebildet, wie wir sie auf Rügen finden, andere durch ihre Kieselgitter den bekannten Kieselgur; nnd so sind uns auch aus der Borwelt Spuren einfachsten Lebens erhalten, wo wir nichts finden würden, wenn die Schleimmasse dieser Wesen nicht die Fähigkeit hätte, solch harte Stoffe ans dem Meer­wasser anfzunehmen, chemisch zu verarbeiten und in der ihnen eigenen Weise zu zierlichen Gestalten geformt wieder abzn- lagern.

Das Sonnentierchen nun benutzt seine in steter Bewegung befindlichen Strahlfädcn oder Scheinfüßchen gleich den übrigen Wurzelfüßern zur fortwährenden Herbeischaffung nnd Aufnahme : von Nahrung, und wenn es sie ansgcstreckt hält, gleicht es in ^ der That in seinen Umrissen der leuchtenden Sonnenscheibe mit ^ den von ihr ausgehenden Strahlen. Kommt es aber bei ihm : zur Zellteilung, so zieht es sie allesamt ein nnd erscheint nur wie ein einfaches Schleimkügelcheu. Dieses Schlcimkügelcheu ^ umgiebt sich hieraus mit einer besonderen, von ihm ansge- , schiedencn gallertigen Hülle nnd zerfällt dann gleichzeitig ^ in eine größere Anzahl einzelner Kügelchen, deren jedes einen Kern enthält. Jedes scheidet aber auch noch eine beson­dere Kieselhülle ans nnd wird später durch Wachstum nnd ^ Kernteilung zu einem neuen Sonnentierchen von der anfangs geschilderten Beschaffenheit.

Noch merkwürdiger ist es Wohl, daß man die Sonnen­tierchen auch künstlich vermehren kann, indem man sie einfach ' in Stücke schneidet und diese sich selbst liberläßt. Es zeigt sich ^ dann, wie die volle Mischung der zum Leben notwendigen Stoffe in jedem Teile des kleinen Wesens vorhanden ist; jedes ! derartige Stück ergänzt sich durch Nahrungsaufnahme mittels : der ausgestreckten Strahlsüden und daraus hervorgehendes Wachstum zu einem neuen Sonnentierchen und teilt und ver­mehrt sich später selbständig weiter.

Da hierbei die Stücke natürlich auch ungleich werden, so führt nns dies zu der Betrachtung der Fülle, wo derglei­chen auch von Natur geschieht, ohne daß dadurch die Art der Vermehrung in ihrem Wesen geändert wird. Unregelmäßig ist z. B. die Teilung bei den Gattungen Protamoeba (dem Ur- wechseltierchen) nnd Protogenes tdemErstgeborenen der Ur­zeit"), den von Haeckel entdeckten einfachsten Formen der Ur- linge, die ans formlosen Schleimklümpchen ohne Kerninhalt be­stehen. Wie die Wechseltierchen oder echten Amöben, die aber > einen Kern enthalten und somit ans höherer Stufe stehen, können ^ sie kurze, stumpfe Fortsätze, Schein- oder Wechselfüßchen, aus­strecken nnd wieder einziehen und sich solcher Art kriechend be­wegen; sie können auch mit diesen Fortsätzen ihnen genehme ^ Nahrnngsballen umfassen nnd samt den Fortsätzen in das In­nere ihres Leibes ziehen. Ihre Fortpflanzung aber erfolgt ein­fach durch Zerreißung in Stücke, indem der zu groß gewordene Urzellkörper sich mit einigen Wechselfüßchen da, mit ein paar anderen dort festsetzt nnd nun, indem er nach entgegengesetzten Seiten gezogen wird, einfach anseinandergeht; wobei natürlich nur in den seltensten Fällen die beiden Teilstücke vollkommen gleich sein werden. Bei den echten Wechseltierchen oder Än­derungen ist bei sonst ähnlichem Vorgänge bereits Regelmäßig-

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