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Deutschland.
Seite 223.
„Man muß marschieren, wie wir in Ägypten marschierten. Das Gepäck in der Mitte, ein hohles Karree, so daß man immer Halt machen nnd nach beiden Seiten Feuer geben kann."
„Zn Befehl, Herr — Herr General."
Ter Mann wiederholt, in die Ferne starrend: „Ja, wie in Ägypten."
„Waren Herr General dabei?"
„Jawohl, mein Herr," lächelt jener obenhin. „Ich bin ein alter Ägypter."
„Ach!" senszt der Lieutenant. „Ich wollt', wir hätten hier etwas Wüstenhitze."
„Meineit Sie? Hm, mein Freund, nnd dort würden Sie nach Rußlands Schneefeldern seufzen. Man muß der Natur eilt Schnippchen schlagen. Was mich betrisst, . . . ich habe mich nie wohler befunden."
„Dann sind Herr General der einzige in der ganzen Armee."
„Wohl möglich, daß ich der einzige bin."
„Mit Ausnahme des Kaisers. Der sah an der Beresina so heiter und blühend aus, als verjünge ihn die Gefahr. Weiß Teufel, der hat den Teufel im Leibe!" platzte er heraus.
„Hat er? — Adieu, mein Braver!" Er ruft zur Thür hinaus: „Schlitten vor!"
„Sie wollen schon weiter, mein General?"
„Habe keine Zeit zu ruhen. Auch ist es eine schölte Nacht, klar nnd still."
„Aber kalt .... brrr! Ich beneide Sie nicht, mein General."
Der Mann antwortet nicht und starrt hinaus. Man sieht in eilte öde Wintertandschast. Das Klingeln der Schellen eines Schlittens ertönt. Halblaut murmelt er vor sich hin: „Weiß, alles weiß . . . die Erde war so rot au der Moskwa, so rot alt der Beresina . . . alles verwischt, alles versteckt unter der weißen Decke. Einsam mit der Natur allein, die uns anstarrt . . . eilt Mednsengesicht von Marmor . . . wie einst auf dem St. Bernhard unter Schitee nnd Eis . . . einst hoch oben aus Alpenhöh', heute tief unten in eisiger Steppe."
Lieutenant (plötzlich, respektvoll, Hand am Tschako): „Ah, Pardon, mein General . . . soll ich nicht doch den Herrn Major wecken?"
„Nein. — Sie scheinen decouragiert, mein Freund."
„Eine harte Campagne, das weiß Gott! Noch in Jahrhunderten wird man erzählen vom Rückzug der Großen Armee."
„Die sich ruhmvoll schlug bis zuletzt, mein Herr, ich bitte tnir's ans," blitzt der Vermummte ihn an. „Was wollen Sie! Wir haben einige Unfälle erlitten. Besonders die Pferde . . . nun ja, ans Eis geht sich's schlecht."
„Alle Kavallerieofsiziere, den König von Neapel alt der Spitze, bilden ja jetzt eine heilige Schar zu Fuß! Ein Anblick zum Erbarmen!"
„Vom Erhabenen bis zum Lächerlichen ist nur ein Schritt. — Der Winter war gar nicht so hart. Das Wetter fängt an wunderschön zu werden."
„Na!" macht der Lieutenant entsetzt.
„Überhaupt . . . unsere Verluste sind gering. Tie der Russen sind größer. Malt hat sie geschlagen, diese Barbaren, daß sie sich nie mehr blicken lassen. Alt der Beresina erfochten
wir doch einen glänzenden Sieg! — Sie scheinen zu zweifeln, mein Herr Lieutenant. Sie werden sehen, wir werden jetzt Witt terq nartiere bezieh eit.''
„Im Schnee?" wagt jener halblaut zu bemerken.
„Man wird in Polen die Reserven an sich ziehen und 50000 politische Kosaken ausheben. — Adieu, adieu. Werde das Nötige veranlassen. Branntwein . . . Zwieback . . ." Der Mann geht. Man hört Peitschenknallen und Schlittenschellen. Das Scheunenthor schließt sich wieder.
„Ein schnurriger Herr!" denkt der interviewte Offizier bei sich. „Wer mag das sein? Polnische Kosaken will man altsheben — hat man je so was erlebt! Überhaupt, wanu soll deuu das alles enden? Immer Krieg ohne Ende! Will der Kaiser denn nicht endlich Frieden halten? Hat er noch nicht genug an diesem Diner Volt Schneeballen? Ja, ja, da bluten wir nun tiitd rackern lins ab, und alles nur für seinen Hochmut. Uud daitit . . . was uus Deutsche betrifft . . . man hat am Eltde doch auch eiu Vaterland . . . was geht uns eigentlich die ganze Geschichte an? Das mögen die Herrelt Frau zosen für sich allein abmachen. Doch — pah! — Gewalt geht vor Recht." Er legt sich wieder aufs Ohr. Aber draußen tönt'S aufs neue „Wer da?" „Gut Freuud!" „Passiert!" Die Thür öffnet sich, und eilt wohlgebauter mittelgroßer Krieger tritt ein, bis zur Unkenntlichkeit entstellt und in Lumpen. „Na, wer ist denn das schon wieder, znm Henker?" murrt der geplagte Wachthabende. Jener, die Thür schließend, jovial: „Guten Abend, Kamerad." Er reckt sich. „Da wäre ich endlich!"
„Wer seid Ihr?"
„Wie, Ihr kennt mich nicht?"
„Ja, in Dreiteufelsnamen, wer soll Sie denn erkennen, Herr . . . Herr Kamerad? Was man von Ihrem Gesicht sehen kann, ist pulverrußig, Haar und Bart versengt . . ."
„Ach so! — Ja, ich bin die Nachhut der Nachhut der Großen Armee?' Und er legt sich ungeniert ans den Boden.
„Auch ein schöner Titel!" denkt der Deutsche. „Na, der macht sich's bequem."
Der neue Ankömmling aber brummt schläfrig: „Ich habe das letzte Gewehr abgefeuert uud in den Schnee geschmissen. Ach, wozu das viele Gerede!" Er wickelt sich in seinen Mantel und schläft ein. Der andere zuckt lachend die Achseln.
„Der hat kalt Blut, der! Thut ganz, als wenn er zu Hause wäre! Na meinethalben, der arme Teufel scheint arg herunter! Wollen ihm sein warmes Plätzchen gönnen." Auch er legt sich wieder aufs Ohr uud schläft. Pause. Plötzlich draußen „Wer da?" „Passiert." Ein fremdartiges Wesen kommt hastig hereingelaufen, in Kaftan und Turban, den Da- mascener am Gurt, noch etwas türkisch komödiantenhafter au§- stafsiert als König Mn rat von Neapel.
„Wo ist das Offizier von die Wache?"
Unwirsch springt der Deutsche auf: „Mordelement! — Hier ist er! Was ist denn schon wieder?"
Der Fremdling fragt in gebrochenem Französisch: „J§ sich hier eiu Herr vorgekommen, klein, dick, mit grünes Pelz?"
„Herr, den zu kennen ich nicht die Ehre habe . . . eilt solcher Herr war kürzlich hier."
„Ah! Bei Allah, serr gut! Dank' ich Sie!"
Er will gehen. Aber der Wachthabende wird endlich nn