Issue 
(1889) 13
Page
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13.

Deutschland.

Dahin ist alles, was mich drückte,

Das Aug' ist klar, der Sinn ist frei,

Und was nur je mein Herz entzückte,

Tanzt wieder, lachend, mir vorbei.

Es grüßt, es nickt; ich steh' betroffen,

Geblendet schier von all dem Licht:

Das alte, liebe, böse Hoffen

Die Seele läßt es einmal nicht.

Aber auch jetzt, im Alter, wo öfter als in den Jngend- jahreu ernste Gedanken die Seele beschleichen mögen, geht bei allen Bedenklichkeiten der Humor niemals ans, und wenn er von einem höheren Standpunkt ans das .Hasten und Treiben der Modernen sieht, wie einer den andern beiseite stößt, um bald von einem Dritten gleichfalls aus der Bahn gedrängt zu werden, dann kann auch er sich eines launigen Gefühles der Wurschtigkeit" nicht erwehren, und er denkt:

Was lägt an Dir und Deinem Glück?

Es kribbelt und Wibbelt weiter.

Was auch immer kam, stets wußte Fontane den Kopf oben zu behalten, und entschlossen richtete er die Augen dahin, wo etwas Großes und Herzerhebendes war, ohne sie darum vor dem Kleinen und Unerquicklichen feig zu verschließen. Vor allein strömte ihm ans der Liebe zum Vaterlandc, zu Boden, Sprache und Geschichte der Heimat, ein unerschöpflicher Born zu geistigem Frohsinn. Wenn auch in der Fremde wohlbe­wandert, wie beispielsweise im schottischen Hochgebirge, das nächste, weil natürlichste Ziel seiner Wanderlust blieb doch stets lind mit besonderer Vorliebe die engere märkische Heimat. Er hat sie durchstreift wie kein Zweiter. Er kennt Bäume und Burgen, Steine und Stoppelfelder, Gegend und Menschen, wie davon die drei BändeMärkische Wanderungen" Zeugnis ablegen. Er hat aber bei seinen Streiszügen nicht bloß die Augen, son­dern auch die Ohren ausgemacht und die Leute zu sich sprechen lassen und ihnen Rede gestanden, und er hat selbst die Mühe nicht gescheut, die Nase ins Kirchenbuch zu stecken und nach geschichtlichen Aufzeichnungen und sonderbaren Vorgängen zu stöbern. Sv waren stets der Geschichtsfrennd und der Dichter im Wanderer lebendig, gerade wie sie daheim in der Arbeits- stnbe miteinander lebendig waren. Mit großem Glück hat Fontane sein an englischen Balladen und schottischen Roman­zen geschultes poetisches Erzählertalent in den Dienst der hei­mischen Geschichtspoesie gestellt, und mit Vergnügen erinnert sich der Schreiber dieser Zeilen aus seinen rheinischen Gym­nasiastenjahren, wie der alte Fritz und seine Paladine bei Schnlfeierlichkeiten durch die Fontnneschen Gedichte lebendig wurden. Unser Dichter ist dadurch ein zweiter Adolf Menzel geworden, wie er sich denn in der entschiedenen Auffassung und packenden Darstellung seiner poetischen Porträts wohl mit denk gefeierten Maler messen darf.

Den Kenner des Volkes und den warmherzigen Patrioten merkt man aber nicht bloß ans den Reisebildern und Gedichten, sondern überall auch ans den Novellen und Romanen Fontanes heraus. Wenn ein neueres Schlagwort recht hat, daß es einem deutschen Dichter besser anstünde, dasVolk" als dieGesell­schaft" darzustellen, dann verdient Fontane in ganz hervor­ragendem Maße den Titel eines echt-deutschen, ich möchte so­gar noch weiter gehen und sagen: eines durchaus nnfranzösi- schen Dichters. Denn wenn jenes Wort recht hat, so will es vor allen Dingen besagen, daß im deutschen Volke die Gesell­schaft noch nicht jene beherrschende und alles nivellierende Stel­lung einnimmt, wie in Frankreich die sociötö: daß bei uns das landschaftliche Stammesbewnßtsein wie beim eigentlichen Volke so auch in den höheren Gesellschaftsklassen noch aus­geprägter und individueller sei als in Frankreich. Möge die Thatsache als solche dahinstehen, aber sei es um so mehr be­tont, daß in den Fontaneschen Dichtungen nicht nur das untere Volk eine ganz besonders bevorzugte Rolle spielt, sondern daß auch der Adel und es giebt viel Adel bei Fontane bei weitem mehr als ein Bestandteil des Volkes als der Gesell-

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schast hervortritt. In dem vierbündigen RomaneVor dem Sturm" sehen wir einen märkischen Landadligen in dem kri­tischen Winter 1812/13 die ungeheure politische Spannung getreulich mit seinen Bauern durchleben und dnrchberaten. Ohne daß die Standesschranken fallen, herrscht da ein gegenseitiges herzliches Verhältnis des Vertrauens und des Einverständ­nisses, das schließlich in gemeinsamem Vorgehen in der Stunde der Gefahr gipfelt. In seinem Meisterwerke, dem erst vor etwa Jahresfrist erschienenen RomaneIrrungen, Wirrungen," schildert Fontane einen jungen Adligen in einem Liebesver­hältnis mit einem Berliner Bürgermädchen, und es ist ebenso poetisch schön wie menschlich wahr, daß die Standesgrenzen der Entwickelung der Liebesgeschichte zwar ein äußeres Halt gebieten, aber doch kein inneres Ende bereiten können. Beide verheiraten sich in der Folge standesgemäß und finden in der neuen Ehe alles das. was man nach menschlichen Begriffen Glück nennen kann; aber heimlich gehören die getrennten Her­zen sich doch noch an, wie sich sofort verrät, sobald der Name des einen vor dem Ohre des anderen ertönt. Ein schöneres Symbol der Zusammengehörigkeit von Adel und Volk ist in unserer Litteratnr schwerlich anfzutreiben.

Als Erzähler nimmt Fontane eine ganz besondere Stellung in der Geschichte unserer neuesten Litteratnrentwickelnng ein. Der 1878 erschienene RomanVor dem Sturm" zeigt zwar ein ganz entschiedenes realistisches Können und eine große Be­gabung für Ausmalung und Kontrastiernng der Charaktere, aber wenn man ihn neben die kaum zehn Jahre älterenIrrun­gen, Wirrungen" hält, so wirkt er wie das Produkt einer ver­gangenen Litteratnrepoche neben einem solchen der unmittelbaren Gegenwart. Es thut dies nicht etwa der geschichtliche Unter­schied des Stoffes. Dies ist ganz indifferent, da das Ge­schichtliche genau so im modernen Geiste behandelt werden kann, wie alles Jetzige und Heutige. Vielmehr macht es der Unter­schied des Stils und der Methode. Zunächst ist der ältere Roman erheblichromanhafter" als der neuere, er enthält sonderbarere Ereignisse, rührt stärkere Spannungen an, fordert energischere Sympathieen und Antipathieen und sucht dieselben gelegentlich durch starken Licht- und Schattenanftrag zu erreichen. Sodann läßt sich der Erzähler mehr gehen, legt ausführliche direkte Charakteristiken ein, weicht, zu Gunsten historischer Ex­kurse und litterarischer Räsonnements über die französische Memoirenlitterntnr, Schmidt von Werneuchen, Novalis w., in störender Weise vom Thema ab, und tritt gelegentlich selbst mit der eigenen Person hervor, um sich mit dem Leser über Kompositums- und Stilsragen anseinanderznsetzen. Von allem dein ist in den: neueren Werke keine Spur inehr. Hier ist alles prägnant, geschlossen, gegenständlich, unmittelbar. Der erstaun­liche Übergang hat sich allmählich und mehr oder weniger sichtbarlich vollzogen.

Ich glaube ihn am deutlichsten in der 1885 erschienenen ErzählungUnterm Birnbaum" zu beobachten. Dieselbe ent­hält keinerlei Räsonnements mehr seitens des Dichters, saßt ihr Ziel scharf ins Auge, geht aber noch zögernd darauf los, weil sie der Methode der unmittelbar ans den Ereignissen herans- geführten Schilderung noch nicht völlig Herr ist. Alan muß sich das Wesentliche noch zu sehr znsammenbnchstabieren, und es dauert ziemlich lange, bis das Interesse des Lesers in die gewünschte Richtung geleitet ist. In der Wahl des Stoffes zeigt sich etwas Rücksichtsloses. Es handelt sich um einen gut verdeckten Mord und um die Überführung des schlauen Mörders. Das Ganze mutet Kleistisch an, und es wäre auch ganz in der Ordnung, wenn sich Fontane an seinem großen märkischen Landsmann Heinrich von Kleist herangeschnlt hätte. Die Gleich­heit der Stammesart muß ihn für das Heransfinden der eigen­tümlichen Vorzüge Kleistscher Sprache und Darstellung in hervor­ragendem Maße eignen, wie sie sich in scharfem Sehen, uner­schrockenem Anssprechen und Ansbiegen vor jeder Phrase äußern. Von dem Dämonischen und Ingrimmigen freilich ist bei Fon taue nichts vorhanden. Ebensowenig vom Dramatischen, und es ist sicherlich bei ihm, auch hier gleich wie bei Gottfried