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„zerstört in der Welt des Denkens, nnd nnr Sympathie bringt Umwälzungen zuwege! Auf den Judaismus folgte Jesus, weil er annahm und ausbaute, was gut, was lebensfähig in dem alten Glauben war. Die Geschichte kennt keine Unterbrechung, sie weiß von keinen Lücken, und so wird auch die Religion unserer Tage unbeirrt nnd unbehindert, allen Mängeln zum Trotz, unerschüttert beharren, bis es uns gelingt, etwas gleich Holdes, gleich Liebenswertes, gleich Mächtiges als Ersatz zu bieten. Der Jesus der Kirche bleibt allmächtig, solange der Mensch von heute meint, irgend eine Summe von Kenntnissen enthebe ihn der Notwendigkeit, ihn, den Jesus der Geschichte, zu lieben." Noch klarer wird uns die neue Religion, wenn wir die zwei Inschriften in dein großen, neu erbauten Versammlungssaale lesen, die als „die einzigen Dogmen des neuen Glaubens" bezeichnet sind: „In Dich, o Ewiger, setze ich mein Vertrauen." „Dieses thnet zu meinem Gedächtnis."
Der erste Satz drückt den Glauben an die göttliche Weltordnung, an die sittliche Vervollkommnung des Menschengeschlechtes aus. Aber — das ist der Gedanke, der überall durchschimmert, ohne geradeso ausgesprochen zu werden — dieses Bewußtsein der voransbestimmten Sittlichkeit im Menschen und der daraus sich notwendig ergebende Glaube an den ewigen Fortschritt bis zu dem Ideale der Vollendung, sie genügen nicht für den Menschen, wie er nun in Gottes Namen einmal ist; es muß etwas Persönliches dazu kommen, das der Mensch mit allen Fasern seines Herzens lieben kann, das ihm vorschwebt als höchstes Ideal, als stete Richtschnur für sein eigenes Handeln; denn so sagt der zweite Spruch: „Dieses thnet zu meinem Gedächtnis." Diese höchste, werkthütige Liebe des Menschen gilt nach Robert Elsmeres Religion der Person Jesu Christi. Nichts soll der Mensch beginnen, als was er, der milde Richter, Hütte billigen können; ihm zuliebe wollen wir gut sein, weil er so vieles für uns erduldet. So ist Jesus Christus hier in Wahrheit der Mittler zwischen dem ewig göttlichen Ideal nnd dem schwachen Menschenkinde.
Es sind tiefere Gedanken in dem Buche versteckt, als ausgesprochen; und fast möchte man meinen, die Verfasserin, deren inneres Leben wohl dem Robert Elsmeres nicht unähnlich ist, sei noch nicht am äußersten Ende ihrer Entwickelung angelangt. Jedenfalls, hoffen wir, hat sie ihr letztes Wort noch lange nicht gesprochen; möge sie uns noch manches so treffliche Buch über den Kanal senden, wie das vorliegende! Man mag Ansichten huldigen, die mit denen der Verfasserin mehr oder weniger oder gar nicht übereinstimmen, der ästhetische Eindruck, den dieses ernste Dichtwerk auf uns ansübt, wird dadurch nicht beeinträchtigt. Freilich, die Verfasserin wählt sich mit dem Rechte der Frau die Gesellschaft ans, in der sie verkehrt; alles Rohe und Gemeine bleibt ihr fern; aber in dieser Geistesaristokratic, in der sie sich bewegt, sind nnr Menschen von Fleisch und Blut zu Hause. Auch die Sprache scheint edel und gewühlt, soweit man das nach der Übersetzung beurteilen kann.
Line Madonna von Gabriel Max.
Von
Julius Ku.
enn man bedenkt, welche Ovationen manchen Künstlern für ihre Werke dargebracht worden sind, sey muß die heutige Zeit als eine recht begeisternngslose bezeichnet werden. Es geht alles so ruhig nnd gesetzt zu, es füllt kein lautes Wort des Lobes noch des Tadels, es geschieht nichts, was gegen den guten Ton verstoßen könnte, so daß unser Zeitalter 'künstlerisch ein innerlich und äußerlich gleichmäßig unbestimmtes zu sein scheint. Aber es scheint es nnr zu sein! Während die Menge gleichgültig zusieht, was geschehen wird, oder sich abwendet, weil ihr genügt, was schon geschehen ist, geht in der Künstlerschaft eine große Veränderung
vor. Das, was bis dahin nur still geahnt, nnr leise versucht wurde, es steigt immer höher auf in dem Geiste des Ausübenden, nnd da man sich noch vor nicht langer Zeit besann, ob es lohnend sein wird, das Fundament zu legen, zeigt sich heute schon zur Freude aller Knnstliebenden, wie mächtig der Bau aufstrebt. Freilich, die Allgemeinheit steht dabei und wundert sich; sie kann es nicht begreifen, daß es immer noch Leute giebt, die Musik machen, ob zwar Beethoven schon lange tot, und malen, ob zwar Raphael die Palette längst der jugendlichen Hand hat entfallen lassen müssen. Es, gehört zum gelehrten Ton, auf die neuere Kunst zu schmälen, nnd wenn man seine Expektorationen mit einem Hinweis auf die großen alten Meister geschlossen hat, so soll man sich nicht wundern, wenn man für einen „Kunstkenner" gehalten wird.
Wenn irgend ein Werk zur rechten Zeit kam, um zu zeigen, was die heutige Kunst kann auf einem Gebiete, welches man als ihr mehr oder weniger verschlossen ansah, so ist es die Madonna von Gabriel Max, welche in der Vorhalle der königlichen Nationalgalerie von Berlin ansgestellt ist. Sie beweist, daß unsere Kunst ebensowohl als je eine befähigt ist, ans ihrem eigenen Geiste heraus, ohne Anlehnung an Gewesenes Werke zu schaffen, welche ebenso berufen sind, als ein Ausfluß einer bedeutenden Weltanschauung angesehen zu werden, wie die klassischen Meisterwerke vergangener Epochen, von deren Nachahmung die Kunst bis vor nicht gar langer Zeit ihr Dasein gefristet hat. Jetzt tritt sie selbstherrlich als ein Ganzes auf und verzichtet auf das Vasallentum.
Die Situation, aus welcher heraus Gabriel Max seine Madonna geschaffen hat, ist Wohl einem jeden aus Erfahrung bekannt. Wer ist nicht schon einmal in einer katholischen Dorf- kirche gewesen, wenn der Gottesdienst eben beendigt war nnd der letzte Orgelton an dem Gewölbe vielfach gebrochen verklang! Die Andächtigen haben schon das Gotteshaus verlassen, auf dem Altar brennen noch die Lichter, welche auch bald verlöschen werden. Dies ist die Voraussetzung für das Verständnis der Komposition, welche im wesentlichen die folgende ist.
Man sieht einen Altar, welcher ein eingerahmtes Gemälde, eine Madonna mit Kind trägt, vor dem Bilde ist der Altartisch, auf diesem stehen hohe Leuchter mit großen weißen Mullschleifen verziert und große brennende Kerzen tragend, deren Flammen sich in dem gedachten Altargemülde spiegeln. Zwischen den Kerzen, dem Bilde zu Füßen, liegen Geschenke von der Art, wie sie die Mutter in der Wallfahrt nach Kevelaer so naiv beschreibt: ein Lamm, eine Hand, ein Kind, zwei durch ein Band aneinander gefesselte Herzen.
Wenn man das neue Knnstprinzip als im wesentlichen darin bestehend ansieht, die Natur möglichst abznschreiben, so ist die eben beschriebene Madonna die schönste Bestätigung dafür, wie weit man die künstlerische Wirkung desselben ansdehnen kann. Gabriel Max Hütte das Ganze ebenso machen können, wie andere Meister vor ihm und wahrscheinlich auch nach ihm. Er Hütte die Madonna mit dem Kinde malen können, umgeben von Heiligen nnd Engeln oder ganz allein. Indes, wo findet sich in der Natur die Madonna? Nirgends, und deshalb durfte sie auch im strengsten Festhalten des auf- gestellten Prinzips nicht genullt werden. Künstlerische Prinzipien können freilich niemals bis zum äußersten festgehalten werden, und es ist das auch nicht nötig, wenn sie nnr soweit wirken, daß sie Übelstünde verhüten. Und so wäre das Prinzip des strengen Festhaltens an der Natur nnr soweit zu beobachten gewesen, als es von einem Nachahmen fremder Kunstwerke fernhielt. Das genügte aber Max nicht, und da er die Madonna persönlich in der Natur nicht fand, so wollte er sie auch nicht malen. Wohl aber gab sie ihm die Außenwelt, wenn ich so sagen darf, ans zweiter Hand. Er malte daher einen Altar mit einem Gnadenbilde, nnd wenn er dieses that, so hat er seinem Prinzipe vollkommen Genüge gethan, es bis zur äußerster! Konsequenz verfolgt.
Wäre nun mit dieser Festigkeit selbst auch kein wahres Kunstwerk entstanden, so könnte sie immer noch jedem Bewun-