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Deutschland.
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derung abnötigen, der die Dinge nicht nach ihrem äußeren Erfolge, sondern ihrem historischen Werte nach abznschätzen gewohnt ist. Allein, wenn das Streben nach Wahrheit je durch den Erfolg belohnt ist, so geschieht es hier. Die Madonna Gabriel Max' ist eins der eigentümlichsten Werke religiöser Kunst, und ihr Eindruck ist so feierlich groß, als er nur immer sein kann.
Es kann unmöglich meine Aufgabe sein, die technische Kraft, welche sich in dem ganzen Werke kundgiebt, näher zu beleuchten. Es ist Nebensache bei Gabriel Max, was andere zur Hauptsache machen, nämlich das zur Schau-Tragen eines bis ins kleinste sich erstreckenden Natnrstndiums. Bei der Richtung des Kunstwerkes ist dies eigentlich selbstverständlich und, wenn etwas verwunderlich ist, so scheint es mir die Thatsache zu sein, daß man so vollständig im Banne der Stimmung und des geistigen Gehaltes des Kunstwerkes steht, daß man auf die Mittel, mit denen das alles erreicht ist, gar nicht achtet. Nur einiges möchte ich hervorheben. Wie hat Max die Thatsache ansznnntzen verstanden, daß Gemälde, vom Kerzenlicht beschienen, ein umheimliches Leben bekommen! Wie ist die Madonna und das Kind gezeichnet und gemalt! Alles strotzt von Kraft und Würde und nichts drängt sich auf.
Man denke sich denn auch keine Madonna, welche in tausend Farben gekleidet ist. Weiß und ein mattes Rosa sind die einzigen distinkten Farben, welche inan wahrnimmt. Max- Hat nicht die Uozsiim oocüi, die Königin des Himmels, malen wollen, welche über Wolken schwebt; die kann man höchstens von ferne betrachten, der naht man sich nicht zutraulich wie einer Mutter, um ihr die geheimsten Herzenswünsche, auf gnädige Gewährung hoffend, dringend ansznsprechen. Die Madonna von Max ist die Frau, die zur TIatsr ckolorosn geboren ist, die wahre Gottesmagd, die bescheiden ihr höchstes unnennbares Glück ans den Armen hält, die leider zu ahnen scheint, daß sie einstmals des Glückes beraubt, am Krenzesstamm thrünenreich hinsinken und sehen wird, wie ihr Liebstes stirbt, von rohen Händen gefoltert und gepeinigt. Das ist die reine Magd, das Weib aus dem niederen Stande, das alle Leiden der Menschen kennt, die alles weiß, was das Herz entbehren muß, und die gerade deshalb berufen ist, die Gottesmagd zu werden. Sie ist nicht die Gnadenreiche, weil sie dazu geschaffen ist, sie wird es nicht, sondern sie macht sich selbst dazu. Ein wehmütig-mitleidvolles Lächeln von einer unnachahmlichen Hoheit und Bescheidenheit zugleich umspielt ihre Züge, und sie gewährt in Gnaden, warum sie gebeten, obwohl sie weiß, daß alles Gewährte nur Schein und Eitelkeit ist, und weil sie weiß, wie alles vergeht.
So eigentümlich wie die Auffassung der Mutter ist auch die des Sohnes; er ist ihr echtes Kind. Max hat es verschmäht, in Anlehnung an Raphael, einen schönen Knaben zu maleu mit volleu Formen und großen, dunkeln Angen. Erdenkt sich den Gottessohn als Kind anders. Auch er trügt den Stempel der Armut auf der Stirn, er sieht uns nicht mit vollem Auge an wie ein König, er überläßt uns, ihn anzusehen. Seine Augen sind in weite, weite Fernen gerichtet, diese Augen sind nicht „schön," sie sind nicht „entzückend," „bezaubernd" und wie jene abgehetzten Beiworte lauten mögen, welche nachgerade zum Überdruß auf die Augen Raphaelscher Gestalten, die immer noch als die einzig würdigen Darstellungen gelten, Anwendung finden. Die Angen des Knaben auf der Madonna von Max sind vor allem wahr, sie sind diejenigen eines hervorragend begabten Kindes; dieser Blick läßt ahnen, wie einstens der Mann dreinschauen wird, der die Pharisüer- knisfe zu Schanden macht, die Ehebrecherin vom Tode befreit, der Wunder thnt, weil er an seine Idee glaubt, und der seinen Glauben durch den Tod besiegelt. Kraft und Milde, Klugheit und Einfalt schlummern gleicherweise auf jenem Antlitze und die Zeit wird sie erwecken.
Die Geister der meisten Beschauer sind in alten Vorurteilen noch zu sehr befangen, als daß sie mit der vollen Unbefangenheit der Leistung Gabriel Max' gegenübertreten
könnten. Noch vor nicht zu langer Zeit fanden hier die biblischen Darstellungen Pfannschmidts Anklang, Schöpfungen von einer Schwäche, welche der Langenweile entsprach, die sie hervorriefen. Es ist in Anbetracht dieser Thatsache nicht zu verwundern, daß ungefähr so viel Beschauer vor der Maxschen Madonna fehlen, als eigentlich da sein sollten. Wer aber zu der kleinen Anzahl der Kundigen gehört, der steht selbst, wie die Kerzen auf dem Bilde, vor einem Altäre.
Eduard Wörikr.
Von
'Ucrul' Ernst.
/^ü^vson den Werken Mörikes ist soeben eine Nenausgabe erschienen. Man darf diese Nenausgabe nicht ver- wechseln mit solchen Unternehmungen, welche alle möglichen alten, in die Literaturgeschichten aufgenommenen Schriftsteller neu drucken für jene eigentümlichen Leute, die sich ihre Bücher nicht kaufen, um sie zu lesen, sondern um eine Bibliothek zu besitzen; Mörike hat noch immer ein wirkliches Publikum, er steht nicht nur in den Literaturgeschichten, er wird auch noch gelesen.
Freilich ein eigentümliches Publikum! Die Pfarrerstochter, welche in dem weltentlegenen schwäbischen Dorf kaum von Ebers oder Dahn gehört hat; den behaglichen alten Herrn, der auf die „Preisse" schimpft und als Stiftler Hegels sämtliche Werke durchstndiert hat; das zarte poetische Gemüt, das erschreckt vor den harten und eckigen Modernen, wie etwa Ibsen und Zola, znrückflieht, und das doch ästhetisches Verständnis genug hat, um unfern litterarischen Epigonen-Jdealismns elend zu finden, — das sind jene, welche beständig klagen, daß „in unserer materialistischen Zeit die Poesie verschwunden ist" — sie alle lesen noch ihren Mörike. Und in Schwaben giebt es fehr viel solche Leute; viel mehr als man sich denkt, wenn man nur die Berliner Litteraturcafös kennt.
Der litterarische Eharakter Mörikes wird bestimmt durch seiu Schwabentnm und durch die Romantik, durch ein historisches und ein geographisches Moment.
Es war damals eine friedliche Zeit in Deutschland, und ganz besonders war es friedlich in den kleinen Winkeln Schwabens, wo sich Mörike als Vikar, als Pfarrer, und als behaglicher Privatmann aufhielt. Er ist freilich erst 1875) gestorben; aber seine eigentliche litterarische Thütigkeit reicht im allgemeinen nur bis 1840, und sie ist bestimmt durch jene friedlichen Zustände der Jahrzehnte vorher. Da giebt es keine politischen Kümpfe, keine sozialen Gegensätze, keine starken religiösen Bewegungen; die Regierungen sorgten schon dafür, daß der gute Bürger seine Ruhe hatte; und weil er seine Ruhe hatte, weil ihn nichts störte, so konnte er träumen, was er wollte. Erträumte aber von Bildern und Kupferstichen, von Italien, von kunstliebenden Grafen, von Musik, von sanften, zarten Mädchen, welche sich heimlich in Dichter verlieben, und so fort, von Kunst, und immer von Kunst. Die Kunst war alles. Und nichts störte diese Träume, die Wirklichkeit ging maschinenmäßig ihren gleichen Gang, deshalb kam die Wirklichkeit den Menschen gar nicht zum Bewußtsein, und die Kunst wurde absolut, ein reines Spiel der freien, losgelösten Phantasie. Die Menschen in den Romanen dieser Zeit leben in Luftschlössern und essen luftige Speisen; sie sind entweder Künstler oder Mäcene; gewöhnliche Menschen giebt es gar nicht. Die Künstlereitelkeit feiert ihre Orgien. Das fängt an mit den Werken des alten Goethe, und das giebt der ganzen Romantik ein bestimmendes Gepräge.
Wenn wir heute ein Werk jener Tage in die Hand nehmen, so wundern wir uns über das Konventionelle der Figuren, das Verschwommene der Zeichnung und über die gähnende Langeweile, welche die Folge davon ist. Aber das ist nicht die Schuld der Talente. Gerade ein Mörike z. B. kann