Issue 
(1889) 13
Page
229
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Deutschland

Seite 229.

sehr naturwahr, individuell, charakteristisch schreiben. Das ist die Schuld der Richtung. Wenn die Phantasie nicht von der Wirklichkeit befruchtet wird, sv wird sie von fremden Phan­tasmen befruchtet, und das Produkt wird konventionell: und ein Phantasiebild, das nicht vvn der Wirklichkeit angeregt ist, sondern von einer fremden Phantasie, wird verschwommen.

Mörike ist vollständig Romantiker.Maler Nvlten" ist ein echt romantischer Künstlerroman; das zeigt sich selbst in der Technik, wo alles willkürlich, zerflossen, ungegliedert und uugeschlosseu ist. Mörike ist Romantiker in den Erzählungen, wo er Märchenhaftes und Wirkliches willkürlich durcheinander- mischt: in den Gedichten, wo er bald das Volkslied kopiert, bald in einer Romanze eine Sage erzählt, bald in den sub­jektivsten, überschwenglichsten Gefühlen schwelgt.

Aber Mörike ist auch Schwabe; freilich steckt der Schwabe fast ganz in dem romantischen Zeitkostüm; aber zuweilen ist er frei von dem Kostüm, und dann hat man ihn in einer völligen schalkhaften, treuherzigen, gemütlichen Naivetät; am besten in den Gedichten. Wie wunderbar gemütlich und treuherzig ist er nicht imAlten Turmhahn!" Der Tnrmhahn wird herabge­nommen und vom Schmied zum alten Eisen geworfen. Hier sieht ihn der Herr Pfarrer, nimmt ihn mit nach Hanse und setzt ihn ans den Ofen in seiner Stndierstnbe, wo er das Treiben des Pfarrers betrachtet:

Zu schreiben endlich er sich setzet,

Ein Blnttlein nimmt, die Feder netzet,

Zeichnet ein Alpha und ein O lieber dein Exordio.

Und ich Vvn meinem Postament Kein Auch ab meinem Herrlein wend':

Seh, wie er mit Blicken steif ins Licht Sinnt, prüfet jedes Worts Gewicht,

Einmal sacht eine Prise greifet,

Bom Docht den roten Butzen streifet:

Auch dann und wann zieht er vor sich Ein Sprüchlein an vernehmentlich,

So ich mit Vvrgerecktem Kopf Begierlich bringe gleich zu Ärvps.

Gemachsam kämen wir also Pis Anfang Applieatio."

Man sieht: hier, wo der Dichter wirkliche Verhältnisse zu schildern hat, ist er von einem außerordentlichen Realismus; die ganze geruhige und behagliche Situation wird mit charak­teristischen Strichen gezeichnet, so daß der Leser trotz der kunst­losen Einfachheit des Ganzen den vollen Eindruck des Geruhigen und Behaglichen bekommt. Prachtvoll in seiner naiveil Schalk­haftigkeit ist der Schluß:

Nun sagt, ob es in Dorf und Stadt Ein alter Kirchhahn besser hat?

Ein Wunsch im stillen dann und wann Kommt einen freilich wohl noch an.

Im Sommer ständ' ich gern da draus;

Bisweilen auf dem Taubenhaus,

Wo dicht dabei der Garten blüht,

Man auch ein Stück vom Flecken sieht.

Tann in der schönen Winterszeit,

Als wie zum Beispiel eben heut:

Ich sag' es grad da haben wir Gar einen wackern Schlitten hier,

Grün, gelb und schwarz; er ward verwichen Erst wieder sauber angestrichen:

Vorn auf dem Bogen brüstet sich Ein fremder Vogel hoffärtig - Wenn man mich etwas putzen wollt',

Nicht, das; es drum viel kosten sollt',

Ich ständ' so gut dort, ach, wie der."

Aber resigniert schließt er seine Betrachtung:

Du alter Scherb, schämst du dich nicht,

Ans Eitelkeit zu sein erpicht?

Geh in dich, nimm dein Ende wahr!

Du wirst nicht noch mal hundert Jahr."

Wie schade, daß dieser Dichter so sehr der Romantik ver­fallen mußte, während er doch wie kein anderer berufen war, das wirkliche Leben seines kleinen, engen, spießbürgerlich-behag­lichen Kreises zn schildern! Leider kommt sein eigentliches Ta­

lent nur selten znm Ansdruck. Er ringt sehr mit der Form, und trotzdem sucht er sich antike Stoffe aus, lvo er gar nicht heranssagen kann, was er will. So giebt er in den Distichen Die schöne Buche" ein entzückendes Naturbild; aber der Ge­nuß der Dichtung wird gestört, weil mail überall merkt: hier stehen ein paar Verlegenheitsworte, dort ist nicht alles gesagt, was gesagt werden sollte, nnd so fort. Allein, das ist noch nicht das Schlimmste. Man vergleiche dieschöne Buche" mit deinBesuch in Urach." Dort trotz aller Unbeholfenheit eine frische, einfache und wahre Schilderung der Natur; hier ein tönendes Geklapper von rhetorischen Phrasen. Man sollte nicht glauben, daß die beiden Gedichte von demselben Dichter her­rühren; der eine ist der Romantiker, der andere der Schwabe. Wie schade um den Schwaben!

Wollte man das Gute, Realistische aus deu Gedichten anslesen, so würde mau freilich nur eiu sehr düunes Bündchen erhalten; allein, das würde dann auch eine Sammlung von vorzüglichen Gedichten sein. So znm BeispielAn meinen Vetter":

. . .Neulich ans der Reise trof ich Auch mit einer Sommerweste In der Post zu Besigheim Eben zn Mittag zusammen.

Und wir speisten eine Suppe,

Darin rote Krebse schwammen,

Rindfleisch mit französ'schen Boefs,

Dazu liebliche Radieschen,

Dann Gemüse und so weiter:

Schwatzten von der nen'sten Zeitung,

Und das; cs an manchen Orten Gestern stark gewittert habe.

Drüber zieht der wack're Herr ein Silbern Büchslejn aus der Tasche,

Sich die Zähne anszustochern:

Endlich stopft er sich zum schwarzen Kaffee eine Mcerschanmpfeife,

Dampft und diskuricrt und schaut in Mittelst einmal nach den Pferden."

Wem stünde da nicht das alte, herzliche Schwabenland vor Augen; sogar das entsetzliche Ochsenfleisch, das man regel­mäßig zn Mittag bekommt, ist nicht vergessen.

Ich könnte noch eine Reihe ähnliche Gedichte eitleren; allein das Wenige genügt ja schon, um seine Eigenart da zu zeigen, lvo er wirklich Eigenart besitzt. Auch unter den übrigen Gedichten finden sich manche, die sehr gut in ihrer Weise sind; so namentlich unter den Romanzen, wieDer Fenerreiter," und den Liedern im Volkston, wieDas Verlasselle Mädchen." Aber das sind nicht Werke, wie sie nur Mörike schassen konnte: solche Sachen haben wir ja auch von anderen Dichtern in großer Menge.

Hervorragend unter den Erzählungen sindMozart auf der Reise nach Prag" undDas Stuttgarter Hutzelmännlein." In der ersteren Novelle ist der heitere, naive Charakter Mozarts auf das treueste lind glücklichste znm Ausdruck gekommen : man bemerkt hier nichts von der sonstigen Energielosigkeit Mörikes in der Charakterzeichnnng: alles ist klar, scharf und bestimmt heransgearbeitet. Auch der Fehler, aus dem der Dichter sonst ilie heranskommt, ist hier ans das glücklichste vermieden: nir­gends ist eine störende Nebenhandlung in die Geschichte ver­flochten; mail merkt durchaus keine Zuchtlosigkeit in der Koni­position, die bei den Romantikern als genial galt. Den letzten Vorzug hat das MärchenDas Stuttgarter Hutzelmännlein" nicht ganz so; aber immerhin ist auch hier die größere Selbst­zucht anzuerkennen. Das Märchen ist frisch erzählt, mit dem schalkhaften Humor Mörikes.

Maler Nolten" ist, wie schon oben angedentet, ein Roman, der ganz in der romantischen Schablone gehalteil ist, und in dem voll der Eigenart des Dichters gar nichts zn merken ist.

Für die Ewigkeit hat Mörike nicht geschrieben, wenn auch einiges bei ihm vorzüglich ist; Hütte er sich von den littera- rischen Einflüssen der Zeit freier erhalten können, so würde er sicher mehr Gutes geleistet habeil, als jetzt thatsächlich Vor­ständen ist. Immerhin können wir uns erfreuen an jenen an-