Heft 
(1889) 14
Seite
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Deutschland.

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ein solcher Vorgang nnn als Unterbrechung des Lebens gelten soll, so Ware eben der Falter nicht mehr dasselbe Wesen, das sich einst von Blättern nährte, sondern das Kind der Puppe, das Enkelkind der Raupe, oder vielmehr der Puppen- bezw. Raupenhaut. Ja, man könnte sogar noch weiter gehen und jeden von einem lebenden Wesen ausgeschiedenen, für sich nicht mehr lebensfähigen Körper, wie z. B. die Kalkschalen der Schnecken und Muscheln, als besondere, abgestorbene Geschlechts­folgen desselben erklären.

Es wird aber wohl kaum jemand geneigt sein, wenn er z. B. im Berliner Aquarium die lebende Vogelspinne und da­neben die ihr täuschend gleichende abgeworfene Haut erblickt, nach Erkenntnis des Zusammenhanges noch die letztere als die tote Mutter der echteren anznsehen, und ebensowenig wird er­den frisch ans seiner alten Schale kriechenden Krebs als deren Nachkömmling betrachten. Der landläufige, uns gewissermaßen natürliche Begriff des Todes verlangt eben eine Leiche, und diese muß vorher selbst ihr eigentümliche Lebensänßernngen ge­zeigt haben. Eine bloße Unterbrechung, ein bloßer Stillstand des Lebens erscheint uns nicht als Tod, wenn wir nicht deutlich etwas Gestorbenes sehen, was vorher als deutliches Einzel­wesen für sich gelebt hat; darum können wir bei der bloßen Teilung von einem Tode nicht reden, auch wenn sie mit Ruhe­zuständen und Kapselbildnng verbunden ist, und müssen solchen Wesen, bei denen kein anderes Absterben nachznweisen ist, Un­sterblichkeit znerkennen. Nur eine Einschränkung dürfen und müssen wir machen: wir müssen zngeben, daß auch schon ohne Teilung jegliches Urwesen in jedem folgenden Augenblick nicht mehr ganz dasselbe ist wie im vorhergehenden ; zufolge der Stoffwechselvvrgänge, die sich in seinem Innern abspielen. In diesem Sinne stirbt es und vergeht es fortwährend; aber das­selbe gilt voll jedem höheren Wesen auch, lind vergleichen wir den Menschen mit dem Glockentierchen, so haben wir im echte­ren ein Einzelwesen, das gleichfalls stündlich sich erneuert, aber nach einer Reihe voll Jahreil oder Jahrzehnten im ganzen abstirbt; im letzteren eines, das in gleicher Weise von einer Teilung bis zur anderen lebt, und dann immer noch weiter, ohne jemals im ganz eil zu Grunde zu gehen, es sei denn durch äußere Einwirkung. Der Unterschied bleibt also bestehen: das menschliche Einzelwesen ist sterblich, das des Glvckentier- chens nicht.

Der Vollständigkeit halber seien noch einige Beispiele un­sterblicher Fortpflanzung bei den Vertretern des niedersten Lebens hier aufgeführt.

Eine eigentümliche Gruppe sind die Schleimpilze (Mh- pomhketen), wie man schon ans ihrem zweiten NamenPilz­tiere" (Myketozoen) entnehmen kann. Pflanzen- und Tier- sorscher streiten sich um ihre Zugehörigkeit, und Haeckel stellt sie zu seinen Urwesen. Am bekanntesten ist dieLohblüte" der Gerber, Athalium in der Wissenschaft genannt. Sie bil­det ausgedehnte, formlose, schleimige Überzüge, sogenannte Plas­modien oder Schleimlager, oft von riesenhafter Ausdehnung. Sie sind kernlos und kriechen umher. Wenn sie eine gewisse Größe erreicht haben, ziehen sie sich zu kugeligen Haufen zu­sammen, welche eine Hülle bilden und in zahllose Urkeime oder Sporen zerfallen. Bei der Reife platzt die Hülle und die Sporen werden zerstreut. Ans jeder von ihnen schlüpft eine nackte Geißelzelle hervor, welche erst schwimmt, dann zu Boden sinkt, zur Wechselzelle (zum Wechseltierchen) wird und kriecht. Solche Zellen fließen dann zusammen und bilden ein vielker­niges Schleimnetz oder Syncytium, daher Haeckel diese Wesen auch mit dem NamenNetzinge" belegt. So ist der Kreis­lauf geschlossen und nichts Wesentliches ist verloren gegangen oder abgestorben.

Die Me erleuchten oder Nvktiluken, Schleimklümpchen, welche znm großen Teile das sogenannte Leuchten wärmerer Meere veranlassen, pflanzen sich teils durch einfache Tei­lung, teils durch Jnnenkeime oder Sporen fort. Sie sind von eigentümlich gestielter Pfirsichgestalt und erreichen die an­sehnliche Größe von bis zu einem Millimeter Durchmesser.

Allgemein bekannt sind die Kieselalgeu, Kieseltange, Schachtüalgen, Schachtelinge oder Stabtierchen (Baeillarien oder Diatomeen), gewöhnlich zu den Pflanzen gerechnet, und häufig verwendet zur Prüfung der Sehschärfe von Mikroskopen. Ihre Fortpflanzung geschieht durch Teilung, aber in sehr eigentümlicher Weise. Jedes Einzelwesen besteht nämlich aus einer kernhaltigen Zelle, welche zwei Kieselhüllen nusgeschieden hat, die wie eine Schachtel und ihr Deckel Übereinandergreifen. Teilt sich nmr eine Zelle, so erhält jede Hälfte eine Kieselhülle, und jede bildet sich nnn eine zweite dazu, aber immer so, daß die alte Hülle sich wie der Deckel verhält. Die eine Teil- Hälfte muß also stets kleiner werden, und dies geht so fort bis zu einer gewissen Grenze. Wenn diese erreicht ist, wirft die neue Zelle beide Schnleuhälften ab, wächst zur ursprüng­lichen Größe heran und bildet dann wieder eine doppelte Kiesel­hülle, ehe sie sich teilt. Auch hier geht also nichts verloren, als von Zeit zu Zeit die beiden Kieselhüllen der zu klein ge­wordenen Zellen. Ans den Kieselresten solcher Wesen besteht ein großer Teil des Baugrundes von Berlin.

Bei den gefürchteten Zitterlingen lnach Haeckel> oder sogenannten Bakterien, die man jetzt gewöhnlich als Spalt­pilze (Schizomhketen) bezeichnet, ist überhaupt keiue andere Art der Fortpflanzung als die durch Teiluug bekannt, wenig­stens beruht das Vorkommen von Sporen bei ihnen bisher nur ans Vermutung. Sie stehen auf der untersten Entwicke- lnngsstuse der Lebewelt und sind sämtlich kernlose Urlinge.

Ein Vertreter der sogenannten Geißler oder Geißelschwür- mer (Flagellaten) ist das Kngeltierchen (Volvox »lohnt«».), hauptsächlich seiner Farbe wegen meist zu den Pflanzen gezählt. Es bildet grüne Gallertkügelchen von der Größe eines Steck- nadelkvpfes, und die ganze .Kugel besteht aus vielen Einzel­zellen, welche nach auswärts mit Geißeln versehen sind und durch die schlagende Bewegung derselben die ganze Kugel im Wasser umhertreiben. Durch Teilung einzelner Zellen bilden sich daun Tochterkngeln im Innern, die später frei werden und zur ursprünglichen Größe auswachsen.

Schließlich sei noch als eines der merkwürdigsten Wesen die von Haeckel entdeckte und so genannte Flimmerkngel oder Wunderkngel (lVWAo^llmern) ermähnt, welche von ihm zu den Mittlingen" oder Katnllakten gerechnet wird. Es sind im Meere schwimmende Gallertkugeln, welche ans nach dem Mittel­punkte hin verschmächtigten Einzelzellen bestehen. Diese Zell­gesellschaften trennen sich durch Zerfall, und die Einzelzellen schwimmen eine Zeitlang wie Wimpertierchen umher. Schließ­lich sinken sie auf den Meeresboden und gehen dort in den Wechselzelligen (wechselsüßigcn) Zustand über, indem sie wie Änderlinge nmherkriechen, fressen und wachsen. Zuletzt kapseln sie sich ein, ihr Zellkörper zieht sich kugelig zusammen, und sie bilden eine Gallerthülle. Innerhalb dieser findet nun eine Teilung statt in zwei, vier, acht u. s. w. Zellen, welche sich wieder nach dem Mittelpunkte zu verschmüchtigen und mit Wim­pern versehen, so daß sie eine neue Flimmerkugel bilden. Die­selbe dreht sich innerhalb der Gallerthülle und sprengt diese schließlich, so daß sie wieder frei nmherschwimint wie die ein­gangs erwähnte Form. Der .Kreislauf ist vollendet, und nur gewaltsamer Tod reißt die für das Gleichgewicht der Natur notwendigen Lücken hinein.

Es fragt sich nnn, wie sich in Wahrheit die einschlägigen Verhältnisse bei den höheren, vielzelligen Wesen gestalten. Ist der Unterschied nur ein scheinbarer, oder ist die Unsterb­lichkeit ihnen vielleicht im Grunde ebenso natürlich wie den kleinsten Teilhabern des allgegenwärtigen Lebens?

Der Unterschied ist wirklich, aber seine Ursache liegt in der Arbeitsteilung. Die Arbeitsteilung ist überhaupt das große Geheimnis der Natur bei allem Fortschritt in ihren Schöpfungen. Die Arbeitsteilung beherrscht den Bauplan der Bielzellwesen mehr und mehr, je höher sie sich erheben und je mehr sie in ihren Leistungen anseinandergehen. Sie hat auch