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Deutschland.
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eine Deformierung beim Anftresfen ansschließen. Anscheinend würde also auch hierdurch der Gesichtspunkt der .Humanität in hervorragender Weise zur Geltung kommen; immerhin sind die Eigenschaften dieses Metalls noch nicht genügend in der Öffentlichkeit bekannt geworden, um der Diskussion zu unterliegen.
Line Bühnenrevolntionk
Von
Krnst HHeinert Mickkeo.
/^^ie Wiederaufnahme der altenglischen Shakespearebühne am Münchener Hoftheater hat den alten Streit über die Bühnengestaltnng der Shakespeareschen Dramen auf der ganzen Linie Publizistischer Dramaturgie aufs neue wieder anf- leben lassen.
Ohne in eine nähere Erörterung der mehr technischen Fragen hier einzntreten, möchte ich mir nur erlauben, in Bezug auf die Münchener Aufführungen wenige Gesichtspunkte geltend zu machen.
Daß unsere moderne, ihren: Wesen nach der französischen Scene nachgebildete Bühne für die häufigen Verwandlungen der Shakespeareschen Dramen die größten Unbequemlichkeiten bietet, ist allgemein bekannt. Berufene und noch mehr Unberufene haben sich deshalb seit mehreren Menschenaltern bemüht, die Meisterwerke des großen Briten für unsere moderne Bühne „einzurichten." Alle diese Einrichtungen von Schröder bis Dingelstedt, und von Dingelstedt bis Öchelhäuser mußten etwas Gewaltsames haben, weil die Shakespeareschen Kompositionen in der uns vorliegenden scenischeu Form für eine von der unseren sehr verschiedene Bühne berechnet waren. Als nun gar die Meininger aus ihren Gastspielen die Werke des größten Dramatikers zu einer Art von Ausstattungsstücken machten, an welche Shakespeare sicher nie gedacht hatte, und welche von anderen Bühnenverwaltnngen selbst ersten Ranges in Deutschland wegen des damit verbundenen Kostenaufwandes nicht nnch- geahmt, geschweige denn überboten werden konnten, stellte sich naturgemäß eine Reaktion ein. Diese Reaktion verfiel, um der Öffentlichkeit gleichfalls etwas Neues und Außerordentliches zu bieten, auf den Gedanken, die alte, einfache englische Bühne ans Shakespeares Zeit mit geringen Änderungen zunächst für die Shakespeare-Vorstellungen wieder anfznnehmen. Herr Rudolf Genöe wurde der erfolgreiche litterarische Fürsprecher dieser Bestrebungen; er fand in dem Leiter der Münchener Hofbühne den rücksichtslosen Berwirklicher seiner Anschauungen. So wurde denn zunächst während der letzten Monate „König Lear," die beiden Teile Heinrichs IV. und ein von Wilbrandt bearbeitetes spanisches Lustspiel auf der neuen, oder besser gesagt, alten englischen Bühne zur Aufführung gebracht. Es zeigte sich in der That, daß der Grundgedanke, an die alte Mysterienbühne anznknüpfen, sehr viele Vorteile für die Darstellung hat; dagegen mußte es jedem ruhigen und vorurteilsfreien Beobachter zur Gewißheit werden, daß die veraltete Weise der Durchführung des Gedankens für das Bühnenwesen unserer Tage durchaus nicht aufrecht erhalten werden kann. Der schon von Ludwig Tieck vor länger als fünfzig Jahren verfochtene Grundsatz, man müsse Shakespeares Dramen entweder ganz so anfführen, wie sie geschrieben seien, oder überhaupt nicht anfführen, muß auf Grund der neuesten Münchener Versuche mit der Shakespeare- Bühne ein für allemal als beseitigt gelten, ja es wäre geradezu ein Unglück für den Shakespeare-Kultus selbst, wenn man dem in München gegebenen Beispiele auch an anderen Bühnen folgen wollte. Nach kurzer Zeit würde man vor leeren Häusern spielen, und Shakespeare würde infolgedessen sehr bald von unseren Theatern verschwinden. Nur bei einer zeitgemäßen Weiterbildung der durch die altenglische Bühne wieder aufgenommenen Scenenform können die Münchener Aufführungen
einen weiteren und höheren Wert für die Fortentwickelung unserer dramatischen Kunst erhalten.
Shakespeare selbst hätte gewiß zu dem Archaismus der neuesten Münchener Aufführungen bedenklich den Kops geschüttelt. Er war sich höchst wahrscheinlich der Mängel seines zeitgenössischen Bühnenwesens Wohl bewußt und hat in seinen reiferen Arbeiten all seine technische und dichterische Kunst anfge- wandt, um die Unbeholfenheit der altenglischen Bühncnkunst nnszngleichen. Es sei hier nur kurz darauf hingewiesen, daß gerade die Unvollkommenheit seines Bühnenmechanismns und seines Dekorationswesens der Grund für ihn war, die Seene so häufig wie möglich wechseln zu lassen, ganz im Gegensätze zu uns Neueren, die wir gerade mit Rücksicht ans unser Theater bestrebt sind, möglichst Einheit des Ortes für die Handlung mindestens ein und desselben Aufzuges festzn- halten. Man erinnere sich nur: die altenglische Bühne hatte weder Seiteneoulisfen noch Prospekte; sie hatte nur eine einfache Tafel, auf welcher die von: Dichter geforderte Ortsver- ändernng einfach mit Kreide angeschrieben wurde. Wenn beispielsweise die erste Seene des „Hamlet" eine Terrasse und die zweite einen Thronsaal im Schlosse als Schauplatz der .Handlung forderte, so wurde im ersten Falle auf die Tafel geschrieben: „Terrasse vor dem Schloß," im zweiten Falle, nachdem das Wort „Terrasse" wieder ansgelöscht war, das Wort: „Thronsaal." Darauf beschränkte sich im wesentlichen der Dekorations- apparat der alten Shakespearebühne. Nun wird jedermann leicht einsehen, erstens, daß die menschliche Phantasie solchen sehr primitiven Anweisungen, welche für die beim Zuschauer vorausgesetzte Anschauung nicht den geringsten sichtbaren Anhalt bieten, nur für sehr kurze Zeit zu folgen vermag, und zweitens, daß der Zuschauer den Anforderungen des Dichters an die Borstellnngsfähigkeit seiner Einbildungskraft unter den hier gekennzeichneten Verhältnissen noch immer dann am leichtesten wird folgen können, wenn der Dichter in möglichst scharfen Gegensätzen seiner scenischeu Bilder sich bewegt.
Die Mehrheit der Menschen kann sich wohl ohne jede äußern Hilfsmittel für die geforderte Anschauung eine Terrasse und dann einen Thronsaal ans kurze Zeit vorstellen, aber auf längere Zeit kann diese Vorstellung nicht festgehalten werden, einfach deshalb, weil dazu eine geistige Konzentration und ein Abwehren der sichtbaren Gegenstände gehört, welche das Dnrchschnittsmaß geistiger Fähigkeiten weit übersteigt. Das konnte einem so tiefblickenden und dabei so praktischen Geiste wie Shakespeare nicht verborgen bleiben. Was that er also? Er warf die einzelnen Scenen seiner dramatischen Komposition bunt durcheinander nur mit Rücksicht auf den eben aufgedeckten Gesichtspunkt äußerer scenischer Wirkung. Wo es irgendwie anging, hat der große Dichter wenigstens in allen Werken seiner reiferen und seiner Meisterperiode den von ihm sehr wohl empfundenen Mangel seiner Bühne durch möglichst plastische Abrundung der einzelnen scenischeu Bilder und durch weisen Gebrauch seiner durch mehrteiligen Schauplatz ausgezeichneten Scene zu ersetzen gesucht.
An anderer Stelle habe ich für den „König Lear" bis ins einzelne hinein den Beweis für die Richtigkeit der hier geltend gemachten Anschauung geführt; dieser Beweis läßt sich ohne Schwierigkeit für jedes Shakespearesche Stück, von „Romeo und Julia" angefangen, bis zu „Macbeth" und dem „Sturm" beibringen; er liefert das beste Zeugnis dafür, daß die bisherigen Bühnenbearbeiter Shakespeares sich durchaus auf einem falschen Wege befunden haben. Es scheint mir deshalb auch vollkommen überflüssig, auf Einzelheiten der Münchener Bühneneinrichtung näher einzngehen. Wer heute Soldaten mit Panzer und Helm, Schild und Schwert zur Darstellung einer Schlacht auf der Bühne durch Gobelins hervortreten läßt, hat Wohl dadurch den besten Beweis geliefert, daß er von dem Publikum unserer Tage Unmögliches verlangt; dergleichen verblüfft für den ersten Augenblick durch seine Neuheit und Kühnheit; allein Bestand kann es nicht habe::. Ganz anders steht es um den architektonischen Grundriß der wiederaufgenommenen Scene.