Heft 
(1889) 14
Seite
245
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14.

Deutschland.

Seite 245.

Napoleon wird bleich wie der Tod und murmelt:Zn spat!" Dann knöpft er wie mechanisch seinen Überrock zu, als ob ihn fröstele, mit einem irren Lächeln, das seine dünnen Lip­pen verzerrte:Es wird spät!" Mit dem Finger leicht an den Hut greifend, ohne sich umzuwenden, sprengt er querfeld­ein leb' Wohl, die Todgeweihten grüßen Dich, Cäsar!

Mitleidlos beleuchtet der Mond taghell das blutige Schlacht­feld, welches die blutroten Flammen der brennenden Dörfer wiederzuspiegeln scheinen. Überall gellen die Signalhörner der Berfolger, krachen die Schüsse der Preußen, hallt ihr Sieges­geschrei. Ruhmreich ist die Alte Garde verschwunden aus der Reihe der Dinge. Des Mondes Strahlen huschen über die Walstatt, als streiften die weißen Schwingen des Todesengels darüber hin. Und es rauscht in den Lüften wie von unsicht­barem Flügelschlag. Ein Etwas wandelt den nächtigen Him­mel entlang mit weit ausholendem, bedächtigem Schritt, eine Riesin mit grauem, flatterndem Haar, ein unentrinnbarer Schat­ten - immer dicht ans den Fersen des fliehenden Welt-Ty­rannen, immer nahe am Schweif seines fahlen Renners und das Roß bäumt sich, Schaum vor dem Gebiß, es erschau­dert vor seinem Reiter, seine Mähne erzittert vor unirdischem, eisigem Hauch, der hinter seinen Hufen herweht und fort und fort und fort! Weiter sprengt der bleiche, dicke Cäsar, der apokalyptische Reiter, dein letzten Abgrund entgegen, wo ihn abwirft das lang gestachelte Schlachtroß, nbwirft in den ewigen Staub, wie jedes andere Menschengewürm. Hallali, Völker- Nimrod! Die Jagd ist ans.

VII.

St. Helena.

Feierliche Ode, voll schauerlicher Lust grenzenloser Ver­lassenheit. Odysseisehe Einsamkeit, wie Kalypsos Eiland. End­loser Oeean, einsame Insel. Tropenwelt Afrikas, südlich unterm Äquator. Fern durch den Meeresdnft wittern silberhell einige Segel herüber. Kahle Felsen schließen den Rahmen. Silber­grane Trauerweiden, über die Steinslnr spärlich verstreut, grüßen die phantastischen Krvnenbüschel der Papyrnsstauden, deren fein­geknotete Fasern gleich strömendem Haar herabhängen, sich träumerisch senkend auf denn schlanken, glatten, dreikantigen Binsenstengel von glänzendem Dunkelgrün. Buntbeschwingte tropische Vögel streifen über den Wasserspiegel der Quellen wo Lianen sich nin armdicke Schilfrohre schlingen, wo fremd­artiges Palmgras und köstliche Fenerlilien in Flor stehen. Am schattenden, vielstimmig flüsternden Röhricht, wv die Schilfge­wächse sich in verworrenen Ranken ringeln und den Bach über­wölben, wandert ein einsamer Mann. Der seltsame Geruch der Jnselwildnis und der Gewässer, die schwüle, reglose Tropenluft schläfern seine fiebernden Gedanken ein. Er blickt auf die Papyrnsstaude und denkt der Thaten, die er gethan, und die er tagtäglich anfzeichnen läßt von seinen Getreuen, Hieroglyphen unausgesprochener und unaussprechlicher Dinge, wie einst die Weisen des Orients sie gemalt ans das Blatt der Papier­nymphe.

Er schreitet weiter, die Hände auf dem Rücken, entlang der sonnverbrannten Küste, wo in tropischer Fülle einsame Palmengrnppen prangen und ans den Wänden Flechten und Agaven starren und Aloepflanzen aus ihrem Blüttergerüst den

hochanfragenden Blumcnschaft erheben. In rotdunkelm, warmem Farbenton glühen die Felsen. Die Landschaft scheint Braun in Braun gemalt mit ihren riesigen schwarzen Tamarisken und Sykomoren. Hier und da läßt der Vogel Minervas sein kla­gendes Uhu ertönen. Millionen von Seeschnecken kriechen am Strande hin und überziehen schleimig alle Pflanzen. Und der Einsame denkt, wie so Millionen auch herangekrochen wider ihn, die er niedertrat mit seinen klirrenden Reiterstiefeln.-

Ist dies Leben wahr, oder hat er's nur geträumt? Welch ein Leben, welch ein Zanbermärchen, wie es noch nimmer die Menschheit sah! Welch ein Traum, von dem noch die Äonen weitertränmen werden! Die Sporen seiner Stiefel bohrte er der trägen Menschheit in die Weichen, ans ihrem Schlamme peitschte er sie ans als Gottesgeißel, er riß die Schollen ans wie eine brennende Pflugschar für den Samen der Zukunft. Welch ein Mensch! Ja, er war der feurige Wetterstrahl, der die stickig dumpfe Atmosphäre des morschen Europa von einem Ende zum andern durchzuckte, der durch den Gewitterhimmel der Revolution hinlenchtete wie eines Racheengels Flammeu­schwert. Der Orkan, mit dem er die Welt durchrüttelte, durch­tobte ihn selber und schleuderte ihn über zerstampfte Völker­leichen hin wie eine entfesselte Natnrgewalt. Millionen fluchten ihm, Millionen wurde sein Name ein Talisman der Begeiste­rung. Man kann das eine nicht loben, das andere nicht ta­deln. Denn er war wie ein blindes, taubes Naturgesetz, wie eine eiserne Notwendigkeit. Das Splitterrichtern der Mittel­mäßigkeit verklagt ihn vor dem Richtstuhl der Geschichte. Aber er hat der Welt in sich ein Ideal gegeben, in der übermensch­lichen Symbolik seines Schicksals, das gilt mehr wie alle Ideologie. Ja, er hat dem Heros den Charlatan, dem Löwen­herz den Falstaff, der Wahrheit die Lüge gepaart. Aber mit alledem hat er der Welt gezeigt, was ein einzelner Mann ver­mag, kraft der Souveränität des Genies.

Mag sein, er war ein falscher Messias und wurde an sich selbst znm Judas. Aber sein Schicksal wollte es so. Er folgte dem eingeborenen Dämon seiner Bestimmung, der ihn unauf­haltsam fortriß. Ein Größerer denn er war über ihm, wer sich von ihm gerufen fühlt, kann nicht widerstehen. Dem Sieger von Italien schwenkte man einst eine Siegesfahne entgegen, worauf die Schlachten der Armee von Italien eingestickt. Am Ziel seiner Laufbahn aber schwebte über seinem Haupte geister­haft eine schwarze Trauerfahne darauf standen sie eingc- graben in blutigen Lettern, die Schlachten der Großen Armee: Marengo, Austerlitz, Jena, Friedland, Wagram, Borodinv, Dresden-Leipzig, Laon, Waterloo! Der Mensch ist nichts, sein Schicksal alles. Er war das Schicksal selbst und hatte sich erfüllt.

Und da der Verbannte Erderschütterer also sann, umspinnt sein Hirn ein wundersamer Traum. Gewaltig sieht er an sich Vvrüberwallen wie Banqnos Königsschatten, im Hermelin vermummt die Schatten vergangener Thaten. Er sieht sich selber, bleichfarbig, hager, wie dem Grab entstiegen, von Wuchs weit unter dem gewohnten Maß, von straffem Haar das Haupt umwallt, aus dem ein schicksalmüchtiger Blick, dolchscharf wie blauer Stahl, dämonisch blitzt. Er ist allein und hungert. Jener Name, der einst die Himmelswölbung selbst zu erschüt­tern scheint, blieb ohne Echo noch im Sturm der Zeit.

(Schluß folgt.)